Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes
Johann Peter Hebel

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Hilfe in der Not

Als im verwichenen Spätjahr der Zirkelschmied mit seiner Frau ungegessen ins Bett gehen wollte – schon seit drei Tagen war kein Feuer mehr in die Küche gekommen, und das letzte Mäuslein hatte sich ausquartiert –, da schickte ihm, wie gerufen, der Barbier von Brassenheim einen fetten Schinken, so gross als manches Säulein, was noch ganz ist, und drei Würste dazu, so lang wie Glockenseiler, und der Zirkelschmied wusste nicht warum; der geneigte Leser weiss es auch nicht. Aber er erfahrt's.

Schon vor Jahr und Tagen war in Brassenheim ein fremder Mann in das Wirtshaus zu den drei Rosen gekommen, und der Zirkelschmied sass damals auch schon drin, etwa beim dritten Schöpplein oder beim vierten. Als der Fremde eine Zeitlang da war und dem Zirkelschmied weniger pfiffig als ehrlich aussah, dachte der Zirkelschmied: Ich will ein Gespräch mit ihm anfangen. Vielleicht lässt er sich über den Löffel halbieren. »Ihr seid wohl auch zum ersten Mal hier, seitdem der Rosenwirt dies schöne Haus gebaut hat, weil Ihr so lange an einem Nagel gesucht habt für Euern Kaputrock?« Der Fremde sagte: »Ich bin auch ein Wirt, aber ich tauschte mein Haus noch nicht gegen dieses, wenn eins nicht wäre.« – »Habt Ihr noch namhafte Schulden darauf?« – »Das nicht.« – »Oder riecht der Abtritt?« – »Das auch nicht.« – »Oder habt Ihr ein böses Weib im Haus?« – »Das auch nicht, aber sonst nichts Gutes.« Endlich erfuhr der Zirkelschmied nach einigem Hin- und Herreden von dem Fremden, wie er das Unglück habe in seinem Haus mit einem grausamen Gespenst, das alle Nacht auf seinem Speicher erwache und Ziegel fresse, wie man an den Brosamen sehe und an den Lücken im Dach. Der wohlbelehrte Leser des Rheinländischen Hausfreundes ist darüber im klaren, ehe man ihm sagt, dass dieses Gespenst nur ein boshafter Mensch, ein Feind des Hausbesitzers könne gewesen sein. Nämlich es war sein eigener Schwager, der ihm das Haus verleiden und feilmachen wollte. Der Zirkelschmied sagte: »Wenn Ihr mit Wissen noch kein Menschenfleisch gegessen und noch keinem Ross das Einmaleins abgehört habt, so ist Rat, wenn's Euch auf zwei Grosse Taler nicht ankommt, einen sogleich, den andern, wenn Euch geholfen ist.« Der Fremde griff sogleich in die Tasche. »Jetzt geht zum Herr Barbier«, sagte der Zirkelschmied halb leise, obgleich sonst niemand in der Stube war, »und klagt ihm Eure Not. Anfänglich wird er Euch kein Gehör geben, denn es ist ihm bei Strafe verboten. Wenn Ihr aber nicht nachlasst, so bekommt Ihr das Mittel« (oder den Buckel voll Schläge, dachte für sich der Zirkelschmied). Als aber der Fremde zu dem Barbier gekommen war, der ein gar vernünftiger Mann ist, fuhr der Barbier ihn an: »Wer hat Euch zu mir geschickt?« – »Einer in einem abgeschabten Röcklein und in einer schwarzen Halsbinde, hinten mit einer breiten messingenen Schnalle, drei Finger hoch über dem Rockkragen, hinten auf dem Kopf hat er noch vierundzwanzig bis dreissig Härlein und doch ein Kamm drin.« Da hob der Barbier drohend und zürnend den Zeigefinger auf und sagte: »Wart, vermaledeiter Zirkelschmied, hab' ich dich einmal ausgekundschaftet?« Der Fremde aber fiel ihm ins Wort: »Stellt Euch nicht so kurios, Herr Doktor, ich weiss alles, und helft mir von meinem Ziegelfresser, von meinem Gespenst.« Der Barbier bekam gute Laune, weil er den Zirkelschmied ausgekundschaftet hatte. »Ich will Euch ein stinkendes Rauchpulver geben«, sagte er, »mit dem geht dem Geist auf den Leib und schlagt ihn, Ihr seid ein handfester Mann, mit einem braven Weidenstumpen lederweich, bis er vor Euch zur Erde fällt, nur nicht zu Tod, denn die Geister halten nichts darauf, wenn man sie zu Tod schlägt. Hernach geht Ihr Eures Weges, damit der Geist auch unbeschrien nach Hause kann.«

Solchen Rat gab dem fremden Mann der Barbier und dachte nicht daran, was die Sache für ein schlimmes Ende nehmen könnte. Aber sie nimmt ein gutes Ende. Der Hausfreund weiss es schon.

Denn, wie gesagt, im verwichenen Spätjahr am Katharinentag, als der Barbier nach Oberwaldsheim gehen wollte, sechs Stunden von Brassenheim, wohin sonst sein Weg nicht war, kehrt er unterwegens ein in einem Wirtshaus, wie es einem einfallen kann, wenn man einen Schild sieht. Als er aber in der Stube war und den Wirt erblickte, erschrak er gar sehr und dachte: »O weh, wie werd' ich wieder da herauskommen«, und machte in der Geschwindigkeit ein krummes Maul, dass ihn niemand kennen sollte, denn der Wirt war der nämliche, dem er das Rauchpulver gegeben hatte, und er wusste nicht, wie der Handel ausgegangen war. Der Wirt aber, während er ihm ein Schöpplein holte, sann hin und her. »Den Mann sollt' ich kennen. Wenn er nicht das Maul so verdammt krumm im Gesicht hätte, so wär's der Barbier von Brassenheim, der brave Mann, der mich vom Gespenst erlöst hat. Ich will nur sehen, wie er den Wein hineinbringt«; und als er hernach die ersten Ehrenfragen an ihn getan hatte: »Woher des Landes und wohin?« sagte er: »Herr Landsmann, nehmt mir meine Neugierde nicht zum Vorwitz auf! Wenn Euer Mund besser im Blei läge, so wollt' ich glauben, Ihr seid der Gregorius (Chirurgus wollte er sagen) von Brassenheim.« Dem Barbier ging der Angstschweiss aus. »Wenn Euch mein krummes Maul irre macht«, sagte er, »so muss der Barbier von Brassenheim ein gerades haben, und folglich kann ich nicht der nämliche sein. Zudem, so bin ich der Papiermüller von Neuhausen.« Jetzt erzählte ihm der Wirt die ganze Geschichte, und unmerklich, wie sie immer besser lautete, zog sich sein Mund immer gerade in die Linie, »und Ihr seid es doch«, rief endlich der Wirt. – »Freilich bin ich's«, erwiderte der Barbier, »ich habe Euch nur ein wenig vexieren wollen, ob Ihr mich noch kennt. Aber nicht wahr«, sagte er, »das Mittel hat geholfen?« – »Gleich aufs erste Mal«, erwiderte der Wirt und rief voll Freude und Dankbarkeit die Frau und die Kinder herein und bestellte ein gutes Mittagsessen für seinen ehrenwerten Gast, sinnend, ob er ihm nicht sonst noch eine Ehre antun könne. Als daher der Barbier sich entschuldigte, dass er noch nach Waldsheim auf den Katharinenmarkt gehen und ein Säulein kaufen wolle, da ging eine freundliche Heiterkeit über das Angesicht des Wirtes, und sagte er zu ihm: »Ei, steht Euch keine von meinen an?« Jetzt liess er ihm sechs gemästete Schweine, eines grösser als das andere, in den Hof herausspringen. »Da sucht Euch eine heraus, Herr Doktor.« Der Barbier kam in Verlegenheit, so ein Schwein könne er nicht bezahlen, auch nicht gewältigen in seiner kleinen Haushaltung. Aber der Wirt fasste kurzweg eine am Bein. »Die ist Euer.« Also blieben sie beisammen über den Mittag, und als sie genug gegessen und getrunken hatten, befahl der Wirt dem Knecht, das Wägelein anzuspannen und den Herrn Doktor und die Sau nach Brassenheim zu führen. – Deswegen schickte der Barbier dem Zirkelschmied tags darauf den Schinken und die Würste, weil sein Mutwillen ihm dazu verholfen hatte. »Sieh, Bärbel«, sagte hernachmals der Zirkelschmied zu seiner Frau, »du hast mich schon oft verkannt. Mit einem Mann, wie ich bin, ist eine Frau versorgt.«

 


 


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