Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Zehnte Szene

Giselher erscheint oben.

Giselher.
Bist du es, Schwester? Habe doch Erbarmen
Mit meinem jungen Leib.

Kriemhild.                               Komm nur herab!
Wer jetzt beim Mahle sitzt, und wär er noch
So hungrig, soll dir weichen, und ich selbst
Kredenze dir des Kellers kühlsten Trunk!

Giselher.
Ich kann ja nicht allein.

Kriemhild.                             So bringe mit,
Was Ute wiegte, daß sie nicht mit Schmerz
Begraben muß, was sie mit Lust gebar.

Giselher.
Wir sind noch mehr

Kriemhild.                       Du wagst, mich dran zu mahnen?
Nun ist die Gnadenzeit vorbei, und wer
Noch Schonung will, der schlage erst das Haupt
Des Tronjers ab und zeig's!

Giselher.                                     Mich reut mein Wort!
(Verschwindet wieder.)

Elfte Szene

Rüdeger.
Du siehst!

Kriemhild.       Das eben ist's, was mich empört!
Heut sind sie untreu, morgen wieder treu:
Das Blut des Edelsten vergießen sie,
Wie schmutz'ges Wasser, und den Höllengischt,
Der in den Adern dieses Teufels kocht,
Bewachen sie bis auf den letzten Tropfen,
Als wär er aus dem heil'gen Gral geschöpft.
Das konnt ich auch nicht ahnen, als ich sie
So miteinander hadern sah. Mein Grab
Im Kloster war nicht still genug, daß ich
Den ew'gen Zank nicht hörte: konnt ich denken,
Daß sie, die sich das Brot vergifteten,
Sich hier so dicht zusammenknäueln würden,
Als hingen sie an einer Nabelschnur?
Gleichviel! Der grimm'ge Mörder sprach am Sarg
In bittrem Hohn zu mir: Dein Siegfried war
Vom Drachen nicht zu trennen, und man schlägt
Die Drachen tot. Das wiederhol ich jetzt!
Ich schlag den Drachen tot und jeden mit,
Der sich zu ihm gesellt und ihn beschirmt.

Etzel.
Ihr habt den Kampf verlangt, als ich gebot,
Sie mit den stillen Schrecken einzuschließen,
Die nach und nach aus allen Wänden kriechen
Und wachsen, wie der Tag – Ihr habt den Hunger
Beneidet um sein Totengräberamt,
Als ich's ihm übertrug, und statt zu lachen,
Wie die Verlornen Euch aus List verhöhnten,
Um Euch hineinzulocken, Eure Wappen
Emporgehalten, und durch's erste Murren
Ein Ja von mir ertrotzt. Nun fechtet's aus!
Ich werd's auch an mir selbst nicht fehlen lassen,
Wenn mich die Reihe trifft, denn Wort ist Wort.

Rüdeger.
So schwer, wie ich, ward noch kein Mensch geprüft,
Denn was ich tun und was ich lassen mag,
So tu ich bös und werde drob gescholten,
Und laß ich alles, schilt mich jedermann.

(Aus dem Saal heraus Becherklang.)

Kriemhild.
Was ist denn das? Es tönt wie Becherklang!

Hildebrant (steigt hinauf).

Kriemhild.
Mich dünkt, sie höhnen uns! Das ist die Art
Der Fröhlichen. Sie scheppern mit den Helmen
Und stoßen an.

Hildebrant.             Nur einen Blick hinein,
So bist du stumm! Sie sitzen auf den Toten
Und trinken Blut.

Kriemhild.                 Sie trinken aber doch!

Hildebrant.
Rührt dich denn nichts? Noch niemals standen Männer
Zusammen, wie die Nibelungen hier,
Und was sie auch verbrochen haben mögen,
Sie haben's gut gemacht durch diesen Mut
Und diese Treue, die sie doppelt ehrt,
Wenn's ist, wie du gesagt!

Rüdeger.                                   Mein Herr und König,
Du hast mich so mit Gaben überschüttet
Und mir den Dank dafür so ganz erlassen,
Daß dir kein Knecht verpflichtet ist, wie ich.
Kriemhild, ich habe dir den Eid geschworen
Und muß ihn halten, das erklär ich laut
Für meine Pflicht und mäkle nicht daran.
Wenn Ihr mich dennoch niederknien seht,
So denkt des Hirsches, der in höchster Not
Sich auch noch gegen seinen Jäger wendet,
Und ihm die einz'ge blut'ge Träne zeigt,
Die er auf dieser Erde weinen darf,
Ob er vielleicht Erbarmen in ihm weckt.
Ich flehe nicht um Gold und Goldeswert,
Nicht um mein Leben oder meinen Leib,
Nicht einmal um mein Weib und um mein Kind.
Das alles fahre hin, ich fleh zu Euch
Um meine Seele, die verloren ist,
Wenn Ihr mich nicht von diesem Eide löst.
(Zu Etzel.)
Ich biete nicht, was dir von selbst verfällt,
Wenn des Vasallen Zunge auch nur stockt,
Und wenn sein Auge nicht vor Freuden funkelt,
Sobald du winkst: mein Land ist wieder dein!
(Zu Kriemhild.)
Ich sage nicht: wenn du mein Leben willst,
So nimm es hin, und wenn du meinen Leib
Verlangst, so spann mich morgen vor den Pflug!
(Zu beiden.)
Ich biete mehr, obgleich dies alles scheint,
Was einer bieten kann: wenn Ihr es mir
Erlaßt, den Arm in diesem Kampf zu brauchen,
Soll er mir sein, als hätt' ich ihn nicht mehr.
Wenn man mich schlägt, so will ich mich nicht wehren,
Wenn man mein Weib beschimpft, sie nicht beschützen
Und, wie ein Greis, den die gewalt'ge Zeit
Von seinem Schwerte schied, in voller Kraft
An einem Bettelstab die Welt durchziehn.

Kriemhild.
Du tust mir leid, allein du mußt hinein!
Glaubst du, daß ich die Seele rettete,
Als ich nach einem Kampf, dem keiner gleicht,
Mit Etzel in das zweite Ehbett stieg?
O sei gewiß, der kurze Augenblick,
Wo ich den Frauengürtel lösen sollte
Und fest und immer fester um mich knüpfte,
Bis er ihn zornig mit dem Dolch zerschnitt,
Der Augenblick enthielt der Martern mehr,
Als dieser Saal mit allen seinen Schrecken,
Mit Glut und Brand, mit Hunger, Durst und Tod.
Und wenn ich endlich überwand im Kampf
Und, statt den Dolch zu rauben und zu töten,
Gleichviel, ob mich, ob ihn, sein Bett beschnitt,
So war's dein Eid, der mir die Kraft verlieh,
So war es dieser Tag, auf den ich hoffte,
Und diese Stunde, die ihn krönen muß.
Nun sollt es enden, wie ein Possenspiel,
Ich hätt' mich selbst als Opfer dargebracht
Und sollte doch verzichten auf den Preis?
Nein, nein, und müßte ich der ganzen Welt
Zur Ader lassen, bis zur jüngsten Taube
Herunter, die das Nest noch nicht verließ,
Ich schauderte auch davor nicht zurück.
Drum, Markgraf Rüdeger, besinnt Euch nicht,
Ihr müßt, wie ich, und wenn Ihr fluchen wollt,
So flucht auf die, sie zwingen Euch, wie mich.

Rüdeger (zu den Seinen).
So kommt!

Kriemhild.         Erst noch die Hand.

Rüdeger.                                           Beim Wiedersehn.

Hildebrant.
Herr Dieterich von Bern, jetzt mahn ich Euch:
Werft Euren schnöden Wächterspieß beiseite
Und schreitet ein, wie's einem König ziemt.
Zurück noch, Rüdeger, er darf's und kann's,
Er trat auf sieben Jahr in Etzels Dienst,
Und die sind um, es galt nur ein Gelübde,
Und wer's nicht glaubt, dem stell ich Zeugen auf.

Etzel.
Dein Wort genügt.

Dietrich (der die Schwurfinger in die Höhe hob, während Hildebrant sprach).
                              So war's, mein Herr und König,
Doch weiß mein alter Waffenmeister nicht,
Daß ich's im stillen neu beschworen habe,
Indem er sprach, und diesmal bis zum Tod.

Hildebrant (tritt Rüdeger aus dem Weg).
So zieht! Doch reicht mir noch zum letzten Mal
Die Hand, denn niemals wird es mehr geschehn,
Ob Ihr nun siegen oder fallen mögt.

Rüdeger.
Herr Etzel, Euch befehl ich Weib und Kind
Und auch die armen Landsvertriebenen,
Denn was Ihr selbst an mir getan im Großen,
Das hab ich Euch im Kleinen nachgemacht.

Zwölfte Szene

Hagen und die Nibelungen schauen aus, wie Rüdeger mit den Seinigen emporsteigt.

Giselher.
Es gibt noch Frieden. Seht Ihr? Rüdeger!

Hagen.
Es gilt den letzten und den schwersten Kampf,
Jetzt soll sich würgen, was sich liebt.

Giselher.                                                     Du meinst?

Hagen.
Trat die Versöhnung je in Eisen auf?
Braucht man den Panzer, um sich zu umarmen,
Treibt man die Küsse mit den Schwertern ein,
Und nimmt man all sein Volk als Zeugen mit?

Giselher.
Wir tauschten alle in Bechlarn die Waffen,
Ich trag die seinen, er die meinigen,
Und das geschieht in aller Welt doch nur,
Wenn man sich niemals wieder schlagen will.

Hagen.
Hier gilt das nicht. Nein, reicht euch nur die Hände
Und sagt euch gute Nacht. Wir sind am Ziel.

Giselher (tritt Rüdeger entgegen).
Willkommen!

Rüdeger.               Ich bin taub! – Musik! Musik!

(Rauschende Musik.)

Hagen.
Hätt' ich nur einen Schild!

Rüdeger.                                   Dir fehlt der Schild?
An einem Schilde soll's dir nimmer fehlen,
Hier ist der meinige.

(Reicht Hagen seinen Schild, während Hildebrant ihm den seinigen wiedergibt.)

                                    Musik! Musik!
Schlagt an die Panzer, rasselt mit den Speeren,
Ich habe jetzt das letzte Wort gehört!

(Tritt mit den Seinigen in den Saal. Kampf.)

Dreizehnte Szene

Etzel.
Bringt mir den Helm!

Hildebrant (in den Saal schauend, ballt die Hand gegen Kriemhild).
                                    Du, Du!

Kriemhild.                                         Wer ist gefallen?

Hildebrant.
Dein Bruder Gerenot.

Kriemhild.                           Er hat's gewollt.

Hildebrant.
Was ist das für ein Licht, das mich so blendet?
Ich seh nicht mehr! – Der Balmung! – Hagen schreitet
In einem Meer von Funken, wo er haut;
In Regenbogenfarben tanzen sie
Um ihn herum und beißen in die Augen,
Daß man sie schließen muß. Das ist ein Schwert!
Es schlägt die tiefsten Wunden, und es macht
Sie unsichtbar durch seinen Blitz. Jetzt hält
Der Schnitter ein! Wie steht's? Der hat gemäht!
Nur wenig Halme heben noch ihr Haupt.
Auch Giselher –

Kriemhild.                   Was ist mit Giselher?

Hildebrant.
Er liegt.

Kriemhild.
              Er liegt? Nun wohl, so ist es aus.

Hildebrant.
Der Tod hat wieder Odem, und es bricht
Von neuem los. Wie wütet Rüdeger!
Der löst den Eid so treu, als tät er's gern,
Doch ist er jetzt schon ganz allein!

Kriemhild.                                               So hilf!

Hildebrant.
Man schlägt die Nibelungen ohne mich! –
Dankwart, du lehnst dich müßig in die Ecke,
Statt deine Pflicht zu tun? Siehst du's denn nicht,
Daß Volker stürzt? – Ach, er hat guten Grund,
Die Mauer hält ihn aufrecht, nicht der Fuß,
Der ihn durch tausend schwere Kämpfe trug! –
O Gott!

Kriemhild.   Was gibt's?

Hildebrant.                     Sie liegen Brust an Brust!

Kriemhild.
Wer?

Hildebrant. Rüdeger und der Tronjer!

Kriemhild.                                           Schmach und Tod!

Hildebrant.
Spar dir den Fluch! Sie waren beide blind
Vom angespritzten Blut und tasteten
Herum, um nicht zu fallen.

Kriemhild.                                 Da verzeih ich's.

Hildebrant.
Jetzt wischen sie die Augen, schütteln sich,
Wie Taucher, küssen sich und – Willst du mehr,
So steige selbst herauf und schau hinein.

Kriemhild.
Was könnt es nun noch geben, das mich schreckte?
(Steigt empor.)

Hagen (ihr entgegen, als sie die Treppe halb erstiegen bat).
Der Markgraf Rüdeger bittet um sein Grab!

Etzel (greift nach dem Helm, den ihm ein Diener reicht).
Nun ist's an mir, und keiner hält mich mehr.

Dietrich.
Es ist an mir, der König kommt zuletzt.
(Geht in den Saal.)

Hildebrant.
Dem Herrn sei Preis und Dank! Die Kraft der Erde
Ward in zwei Hälften unter uns verteilt,
Die eine kam auf all die Millionen,
Die andre kam auf Dietrich ganz allein.

Vierzehnte Szene

Dietrich (bringt Hagen und Gunther gefesselt).
Da sind sie!

Hagen (deutet auf seine Wunden).
                    Alle Hähne stehn schon auf,
Man braucht nicht erst zu drehn.

Gunther.                                             Ich möchte mich
Ein wenig setzen. Gibt's hier keinen Stuhl?

Hagen (wirft sich auf Hände und Füße nieder).
Hier, edler König, hier, und einer, der
Dir selbst sogar gehört.

Dietrich.                               Begnadigt sie
So weit, daß Ihr's dem Tode überlaßt,
Ob er ein Wunder dulden will.

Etzel.                                                 Sie sollen
Bis morgen sicher sein! Dann steht's bei ihr!
Führt sie ins Haus.

(Hagen und Gunther werden abgeführt.)

Kriemhild.                     Herr Hagen Tronje, hört!

Hagen (kehrt um).
Was wollt Ihr, Frau?

Kriemhild                         Sogleich! – Ist König Etzel
Der einz'ge Heunenrecke, der noch lebt?
(Deutet auf den Totenwinkel.)
Mir deucht, dort rührt sich was!

Etzel.                                                   Jawohl! Ein zweiter
Kriecht mühsam aus dem Totenberg hervor,
Er braucht sein Schwert als Krücke.

Kriemhild.                                                 Tritt heran,
Verstümmelter, wenn die gebrochnen Glieder
Dich tragen wollen, daß ich dich bezahle,
Denn ich bin deine Schuldnerin!

Ein Heune (tritt heran).

Kriemhild.                                           Herr Hagen,
Wo ist der Hort? Ich frag das nicht für mich,
Ich frag's für diesen Mann, dem er gehört.

Hagen.
Als ich den Hort versenkte, mußt ich schwören,
Ihn keiner Menschenseele zu verraten,
Solange einer meiner Kön'ge lebt.

Kriemhild (heimlich zu dem Heunen).
Kannst du das Schwert noch brauchen? Nun, so geh
Und haue den gefangnen König nieder
Und bringe mir sein Haupt.

Heune (nickt und geht).

Kriemhild.                                 Der Schuldigste
Von Utes Söhnen soll nicht übrigbleiben,
Das wär' ein Hohn auf dieses Weltgericht!

Heune (kommt mit Gunthers Haupt zurück).

Kriemhild (deutet darauf).
Kennst du dies Haupt? Nun sprich, wo ist der Hort?

Hagen.
Da ist das Ende! Wie ich's mir gedacht!
(Klatscht in die Hände.)
Unhold, ich hab dich wieder überlistet,
Nun ist der Ort nur Gott und mir bekannt,
Und einer von uns beiden sagt's dir nicht.

Kriemhild.
Dann, Balmung, leiste deinen letzten Dienst!
(Reißt ihm den Balmung von der Seite und erschlägt ihn, ohne daß er sich wehrt.)

Hildebrant.
Kommt hier der Teufel doch noch vor dem Tod?
Zurück zur Hölle! (Er erschlägt Kriemhild.)

Dietrich.                       Hildebrant!

Hildebrant.                                       Ich bin's.

Etzel.
Nun sollt ich richten – rächen – neue Bäche
Ins Blutmeer leiten – Doch es widert mich,
Ich kann's nicht mehr – mir wird die Last zu schwer –
Herr Dietrich, nehmt mir meine Kronen ab
Und schleppt die Welt auf Eurem Rücken weiter –

Dietrich.
Im Namen dessen, der am Kreuz erblich!


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