Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Erster Akt

Worms. Großer Empfangs-Saal.

Erste Szene

König Gunther auf dem Thron. Alle Burgunden. Hagen. Dankwart. Gerenot. Giselher. Ute. Etzels Gesandte. Rüdeger.

Gunther.
Gefällt es Euch, hochedler Rüdeger,
So mögt Ihr Eures Auftrags Euch entledigen,
Denn die Burgunden sind um mich vereint.

Rüdeger.
So werb ich denn im Namen meines Herrn,
Der überall gebietet und befiehlt
Und nur vor Euch als Bittender erscheint,
Um Kriemhild, deine königliche Schwester.
Denn sie allein ist würdig, der zu folgen,
Die er mit bittrem Schmerz verloren hat,
Und Witwer muß er bleiben, wenn Ihr ihm
Die einzige verweigert, welche Helke
Ersetzen und das Volk, das sie betrauert,
Als hätt' ein jeder Teil an ihr gehabt,
Mit einer neuen Wahl versöhnen kann.

Gunther.
Wenn du von deinem königlichen Herrn
Vermelden kannst, daß er nur selten bittet,
So merk dir auch, daß wir nur selten danken!
Doch Etzel hat den dunklen Heunenthron
So hoch erhöht und seinen wilden Namen
So manchem Völkerrücken eingekerbt,
Daß ich mich gern erhebe und dir sage:
Wir danken ihm und fühlen uns geehrt.

Rüdeger.
Und welche weitre Antwort bring ich ihm?

Gunther.
Wenn wir nicht die Trompeten schallen lassen
Und die Johannisfeuer vor der Zeit
Auf allen Bergen weit und breit entzünden,
So glaube nicht, daß unser Fürstenstolz
Den Ausbruch unsers Jubels unterdrückt,
Und daß wir mehr verlangen, als du bietest,
Das weißt du wohl, daß Kriemhild Witwe ist.

Rüdeger.
Wie Etzel Witwer, ja! Und eben dies
Verbürgt dem Bund der beiden Heil und Segen
Und gibt ihm Weihe, Adel und Bestand.
Sie suchen nicht, wie ungeprüfte Jugend
Im ersten Rausch, ein unbegrenztes Glück,
Sie suchen nur noch Trost, und wenn Kriemhild
Den neuen Gatten auch mit Tränen küßt,
Und ihn ein Schauder faßt in ihren Armen,
So denkt sich jedes still: Das gilt dem Toten!
Und hält das andre doppelt wert darum.

Gunther.
So sollt es sein! Doch trotz der langen Frist,
Die seit dem unglücksel'gen Tag verstrich,
Der ihr den Gatten raubte, mir den Bruder,
Weilt meine Schwester, bis zur Stunde, mehr
An ihres Siegfrieds Gruft im Kloster Lorsch,
Als unter uns. Sie meidet jede Freude
So ängstlich, wie ein andrer Missetat,
Und wär's auch nur ein Blick ins Abendrot
Oder aufs Blumenbeet zur Zeit der Rosen.
Wie schlösse sie den neuen Ehebund?

Rüdeger.
Ist's Euch genehm? Und werdet Ihr gestatten,
Daß ich ihr selbst die Wünsche meines Herrn
Zu Füßen legen darf?

Gunther.                           Wir gönnen ihr
Das neue Glück und uns die neue Ehre
Und werden über alles andre Euch
Bescheiden, wenn wir Rat gehalten haben.
Fürs erste nehmt noch einmal unsern Dank!

Rüdeger (ab).

Zweite Szene

Hagen.
Nicht um die Welt!

Gunther.                         Warum nicht, wenn sie will?

Hagen.
Wenn sie nicht wollte, könntest du sie zwingen,
Denn auch der Witwe Hand vergibst du frei.
Doch eher ließ ich sie in Ketten schmieden,
Als zu den Heunen ziehn.

Gunther.                                 Und warum das?

Hagen.
Und warum das! Die bloße Frage schon
Macht mich verrückt. Habt ihr denn kein Gedächtnis?
Muß ich dich erst erinnern, was geschah?

Gunther (deutet auf Ute).
Vergiß nicht –

Hagen.                     Deine Mutter? Gleißnerei!
Sie weiß es längst! Ei, wenn sie mir die Hand
Seit unsrer Jagd nicht einmal wieder reichte,
So hat sie dich ja auch wohl nicht geküßt.

Gunther.
So ist's. Und da du selbst in deinem Trotz
Den dünnen Nebel zu zerblasen wagst,
Der das Geheimnis unsers Hauses deckt;
Da du das kümmerliche Grün zertrittst,
Das diese blut'ge Gruft besponnen hat,
Und mir die Knochen in das Antlitz schleuderst;
Da du den letzten Rest von Scham erstickst,
Und höhnend auf die gift'ge Ernte zeigst,
Die aufgeschossen ist aus deiner Saat:
So hab's denn auch, daß ich einmal die Brust
Mir lüfte, daß ich dich und deinen Rat
Verfluche und dir schwöre: wär ich nicht
So jung gewesen, nimmer hättst du mich
So arg betört, und jetzt, jetzt würd ich dir
Mit Abscheu das verbieten, was ich damals
Aus Schwachheit, nicht aus Haß, geschehen ließ.

Hagen.
Ich glaub's, denn jetzt ist Brunhild längst dein Weib.

Gunther.
Mein Weib! Jawohl! Sie ist so weit mein Weib,
Als sie mir wehrt, ein anderes zu nehmen,
Doch sonst –

Hagen.                   Gibt's ein Geheimnis hier für mich?

Gunther.
Kann sein! Wie sie uns nach der Tat empfing,
Als ich den ersten Becher Weins ihr brachte,
Das weißt du wohl noch selbst: sie fluchte uns
Noch grauenvoller, als Kriemhild uns fluchte,
Und loderte in Flammen auf, wie nie,
Seit sie im Kampf erlag.

Hagen.                                   Sie brauchte Zeit,
Um sich hineinzufinden.

Gunther.                                 Als ich sie
Nun mahnte, daß sie selbst es ja geboten,
Goß sie den Wein mir ins Gesicht und lachte,
Wie ich die Menschheit noch nicht lachen hörte –
War's so? Sonst straf mich Lügen!

Hagen.                                                     Allerdings,
Dann aber fiel sie um, und alles war
Für immer aus.

Gunther.                   Jawohl! So völlig aus,
Als hätt' sie ihre ganze Ewigkeit
In diesem einz'gen kurzen Augenblick
Durch ihren Feuerfluch voraus verzehrt,
Denn nur als Tote stand sie wieder auf!

Hagen.
Als Tote?

Gunther.           Ja, obgleich sie ißt und trinkt
Und in die Runen stiert. Du hattest recht,
Nur Siegfried war im Weg.

Hagen.                                         Ich glaubte – – Nein!

Gunther.
Das mildste Wort entlockt ihr nie ein Lächeln,
Und hätt' ich's Volkers frischem Liedermund
In einer goldnen Stunde abgefangen,
Das härteste noch minder eine Träne,
Sie kennt den Schmerz und auch die Lust nicht mehr.

Ute.
So ist's! Die alte Amme deckt's nur zu!

Gunther.
Stumpf blickt sie drein, als wär ihr Blut vergraben
Und wärme eines Wurmes kalt Gedärm,
Wie man's in alten Mären hört. Der ist
Jetzt mehr, als seinesgleichen, und sie selbst
Ist weniger, unendlich weniger,
Bis ihn in hundert oder tausend Jahren,
Wie's blind der Zufall fügt, ihr Fuß zertritt! –
Du magst dich freuen, Gerenot, dir ist
Die Krone der Burgunden schon gewiß,
Sie bringt mir keinen Erben.

Hagen.                                           Steht es so!

Gunther.
Du wunderst dich, daß du's erst jetzt erfährst?
Ich trug das alles still, doch heute hast
Du selbst das Licht ja auf den Tisch gestellt:
Nun reiß die Augen auf und sieh dich um!
Im Hause Groll und Zwiespalt, draußen Schmach,
Entdeckst du mehr in irgendeinem Winkel,
So zeig mir deinen Fund.

Hagen.                                     Ein andermal.

Gunther.
Doch von der Schmach kann diese Werbung uns
Erlösen, und so wahr ein Schwan sich taucht,
Wenn er das klare Wasser vor sich sieht,
Und sich den Staub aus dem Gefieder wäscht,
So wahr auch will ich dieses Werk betreiben,
Wie ich noch nichts auf dieser Welt betrieb.

Hagen.
Mein König, eins von beidem kann nur sein:
Entweder liebte Kriemhild ihren Gatten,
Wie nie ein Weib den ihren noch geliebt –

Gunther.
Ich bin der letzte, der dir dies bestreitet,
Ich kenne Unterschied!

Hagen.                                 Dann muß sie uns
Auch hassen, wie ein Weib noch niemals haßte –

Gunther.
Uns? Dich vielleicht!

Hagen.                                 Sie unterscheidet wohl!
Und wenn sie uns so haßt, so muß sie brennen,
Es darzutun, denn selbst die Liebe ist
So gierig nicht nach Kuß und nach Umarmung,
Wie grimm'ger Haß nach Mord und Blut und Tod,
Und wenn der Liebe langes Fasten schadet,
So wird der Haß nur immer hungriger.

Gunther.
Du kannst es wissen.

Hagen.                               Ja, ich weiß es auch,
Und darum warn ich dich!

Gunther.                                   Wir sind versöhnt.

Hagen.
Versöhnt! Nun, bei den namenlosen Göttern!
Wenn ich dein Mann, dein treuster Mann nicht wäre,
Wenn jeder Tropfen meines Blutes nicht
So für dich pochte, wie das ganze Herz
Der übrigen, wenn ich, was du erst fühlst,
Wenn es dich trifft, nicht immer vorempfände,
Und tiefer oft, wie du in Wirklichkeit:
Jetzt würd ich schweigen und nicht einmal lachen,
Denn selbst die Warnung, die im Hohn noch liegt,
Verdient solch eine Rede nicht! Versöhnt!
Ja, ja, sie bot die Wange endlich dar,
Weil (er deutet auf Giselher und Ute)
        Dieser täglich bat und diese weinte,
Und – Trankt ihr auch? Ich glaube nicht einmal,
Doch damit war die Rechnung nicht zerrissen,
Nein, die Versöhnung kam als neuer Posten
Hinzu, und nur noch größer ward die Schuld.

Ute.
Du denkst von meiner Tochter, wie von dir!
Du magst die Wange bieten und nur fühlen,
Daß ihr des Mundes gift'ge Zähne mangeln,
Sie wird das heil'ge Zeichen nicht entweihn,
Das allem Hader unter Menschenkindern
Ein Ende setzte, seit die Erde steht.

Hagen.
Die Nibelungen haben ihren Vater
Um Gold erschlagen, um dasselbe Gold,
Das Siegfried an den Rhein gebracht. Wer hätte
Sich's wohl gedacht, bevor sie's wirklich taten?
Doch ist's geschehn und wird noch oft geschehn.

Gerenot.
Ich hör in allen Stücken gern auf dich,
Nur nicht in dem. Du übertrugst den Haß
Von Siegfried auf Kriemhild.

Hagen.                                           Du kennst mich schlecht!
Zeig mir das Land, wovon kein Weg zurück
In unsres führt, ich will's für sie erobern
Und ihr den Thron erbaun, so hoch sie mag:
Nur gebt ihr keine Waffen, muß ich raten,
Wenn sie euch selbst damit erreichen kann.
Glaubt ihr, ich habe ihr den Hort geraubt,
Um ihr aufs neue weh zu tun? Oh, pfui!
Ich ehre ihren Schmerz und zürn ihr nicht,
Daß sie mir flucht. Wer wünschte sich denn nicht
Ein Weib, wie sie, wer möchte nicht ein Weib,
Das blind für alles ist, solang man lebt,
Und wenn man stirbt, noch mit der Erde hadert,
Weil sie nicht strahlt und leuchtet, wo man liegt.
Ich tat's nur, weil es nötig war.

Ute                                                   Das hätte
Nicht mehr geschehen sollen.

Hagen.                                             Die Versöhnung
Ward schlecht dadurch besiegelt, das ist wahr, (zu Gunther)
Und ob sie dich entschuldigt, weil du kurz
Vorher das Land verließest, weiß ich nicht
Und zweifle fast daran, da du versäumtest,
Den Räuber zu bestrafen, als du kamst!
Doch unterbleiben durft es nicht, sie hätte
Ein Heer damit geworben.

Ute.                                             Sie ein Heer!
Sie dachte nicht daran.

Hagen.                                 Noch nicht, ich weiß.
Sie füllte links und rechts die offnen Hände
Mit Siegfrieds Gold und kümmerte sich nicht,
Ob einer einmal oder zehnmal kam.
Das war das Mittel, Freunde zu erwerben
Und zu erhalten.

Ute.                           Das geschah allein
Zu Siegfrieds Angedenken, und man wird
Auf dieser Welt das Bild nicht wiedersehn,
Wie sie in ihrem schwarzen Trauerkleide,
Das schöne, stille Auge immer feucht,
Die Edelsteine und das rote Gold
Verteilte unter die Verlangenden
Und es nicht selten wusch mit ihren Tränen,
Der höchste Jammer, vom Geschick erlesen,
Des höchsten Glückes Spender hier zu sein.

Hagen.
Dies meint ich eben. Ja, es war ein Bild,
Den Stein zu rühren! Und da Wohltat drückt,
Und jeder, um die Last sich zu erleichtern,
Auf irgendeine Art zu danken wünscht,
So hätte von den vielen Tausenden,
Die sich allmählich um sie sammeln mußten,
Zuletzt wohl einer sie gefragt: Was weinst du?
Um auf den kleinsten Wink das Schwert zu ziehn
Und den zu rächen, der den Wurm erschlagen
Und auch den reichen Hort ins Land gebracht.

Ute.
Und diesen Wink – den hätte Kriemhild je
Gegeben, glaubst du? Ist sie nicht ein Weib?
Bin ich nicht ihre Mutter? Ist der König
Ihr Bruder nicht? Und sind ihr Gerenot
Und Giselher nicht wert bis diesen Tag?

Hagen.
Mir ist, als ob ich Siegfried reden hörte!
Die Raben kreisen warnend um ihn her,
Er aber denkt: Ich bin bei meinem Schwäher,
Und wirft sie mit dem Fuchs und jagt sie fort!

Gunther.
Ei was! – Es fragt sich nur, aus welchem Mund
Vernimmt sie wohl das erste Wort am liebsten! (Zu Ute.)
Aus deinem, denk ich. Sprich denn du mit ihr.

(Alle ab.)


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