Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Dritte Szene

Kriemhilds Kemenate.

Kriemhild (füttert ihre Vögel und ihr Eichkätzchen).
Ich hab so oft mich über alte Leute
Gewundert, daß sie so an Tieren hängen,
Jetzt tu ich's selbst.

Vierte Szene

Ute tritt ein.

Ute.                                 Schon wieder deine Hand
Im Weizenkorb?

Kriemhild.                 Du weißt, ich bin dazu
Noch eben reich genug und hab sie gern.
Sie sind mit mir zufrieden, jedes kann
Entfliehn, sobald es will, denn offen steht
Der Käfig, wie das Fenster, doch sie bleiben,
Sogar das Kätzchen, dieses Sonntagsstück
Des arbeitsmüden Schöpfers, das er lieblich,
Wie nichts, gebildet hat weil ihm der schönste
Gedanke erst nach Feierabend kam,
Und das bei mir zum Kind geworden ist,
Wie sollt ich sie nicht lieben!

Ute.                                                 Immerhin,
Nur tust du Menschen weh. Denn uns entziehst du,
Was du an sie verschwendest, und wir sind
Doch mehr, als sie.

Kriemhild.                       Wer weiß das? Ist von Menschen
Dem edlen Siegfried einer nachgestorben?
Nicht einmal ich, doch wohl sein treuer Hund.

Ute.
Kind!

Kriemhild.
          Der verkroch sich unter seinen Sarg
Und biß nach mir, da ich ihm Speise bot,
Als wollt ich ihn zu Missetat verleiten,
Ich flucht und schwur, doch aß ich hinterher.
Vergib mir, Mutter, aber unter Menschen
Erging's mir wohl zu schlecht, als daß ich nicht
Versuchen sollte, ob der wilde Wald
Nicht bessre Arten birgt.

Ute.                                         Hör davon auf,
Ich hab dir was zu sagen!

Kriemhild (ohne auf sie zu hören).
                                          Und ich glaub's.
Der grimm'ge Leu verschont den Schlafenden,
Zu edel hat ihn die Natur gebildet,
Als daß er würgt, was sich nicht wehren kann.
Den Wachenden zerreißt er zwar, doch nur
Aus Hunger, aus dem nämlichen Bedürfnis,
Das auch den Menschen auf den Menschen hetzt,
Nicht, weil er ihm das Angesicht beneidet
Und ihm den freien stolzen Gang nicht gönnt,
Was unter uns aus Helden Mörder macht.

Ute.
Die Schlange aber sticht und fragt nicht lange,
Ob hinten oder vorn.

Kriemhild.                         Wenn man sie tritt.
Auch kann sie mit der Zunge, die sie braucht,
Um ihren Feind zu töten, ihm nicht schwören,
Daß sie ihn küssen will. Sie führen Krieg
Mit uns, weil wir den heil'gen Gottesfrieden
Gebrochen haben, und versöhnen sich
Mit jedem einzelnen, sobald er mag.
Zu ihnen hätt' ich, meinen Sohn im Arm,
Mich flüchten sollen, denn den nackten Menschen,
Den Ausgestoßnen und Verlassenen,
Den sein Geschlecht verleugnet und verrät,
Beschützen sie, uralter Brüderschaft
Gedenkend, aus der Morgenzeit der Welt.
In eurer Sprache hätt' ich ihm vertraut,
Was man an mir verübt, und sie in ihrer
Ihm zugeflüstert, wie's zu rächen sei.
Und wär er dann, zum Mann herangewachsen,
Die wucht'ge Eichenkeule in der Hand,
Hervorgeschritten aus dem dunklen Wald,
So hätten sie ihn alle, wie den König
Die Seinen, in gedrängter Schar begleitet,
Vom Leuen an bis zu dem scheusten Wurm.

Ute.
Man wird ihm auch am Rhein das Fluchen lehren,
Denn Siegfrieds Vater hat das Recht dazu,
Und Siegfrieds Mutter kann es nicht mehr hindern.
Doch besser wär's gewesen, wenn du ihn
Bei dir behalten hättest.

Kriemhild.                             Schweig, o schweig,
Wenn ich nicht auch an dir noch zweifeln soll.
Ha! Siegfrieds Sohn am Hof der Nibelungen!
Man hätte nicht zu seinem dritten Zahn
Ihn kommen lassen.

Ute.                                 Du bezahlst es teuer,
Daß du den Trost, den die Natur dir bot,
von dir gestoßen hast.

Kriemhild.                           Mir ist's genug,
Daß ich das Kind den Mördern doch entzog,
Sobald ich seinen ersten Laut vernahm,
Und nimmer werd ich's Giselher vergessen,
Daß er so treu dazu geholfen hat.

Ute.
Du hast die Strafe, denn du mußt dich jetzt
An die da hängen. (Deutet auf die Vögel.)

Kriemhild.                     Warum quälst du mich?
Du weißt doch wohl, wie's stand. Leg einer Toten
Den Sohn ans Herz und fordre Milch von ihr:
Die heil'ge Quelle der Natur wird eher
In ihrer starren Brust aufs neue springen,
Als meine Seele aus dem Winterschlaf
Zu wecken war, der nie ein Tier so tief
Bis in das Herz beschlichen hat, wie mich.
Ich war so weit, daß meine Träume sich
Ins Wachen mischten und dem Morgenruf
Des muntren Hahnes trotzten: konnte ich
Wohl Mutter sein! Ich will auch nichts von ihm,
Er wurde nicht geboren, mich zu trösten,
Er soll den Mörder seines Vaters töten,
Und wenn er's tat, so wollen wir uns küssen
Und dann auf ewig auseinandergehn.

Fünfte Szene

Giselher und Gerenot treten ein.

Gerenot.
Nun, Mutter, nun?

Ute.                               Ich sprach noch nicht davon.

Giselher.
So sprechen wir.

Kriemhild.                   Was ist denn für ein Tag,
Daß alle meine Sippen sich so sammeln?
Treibt ihr den Tod aus?

Gerenot.                                 Das ist längst geschehn,
Man spart ja schon auf das Johannisfeuer
Und steckt den Lauch mit Nächstem an den Balken,
Entfiel dir der Kalender denn so ganz?

Kriemhild.
Seit mir die Kuchen nicht so viel mehr sind,
Vergeß ich jedes Fest. Seid ihr dafür
Nur um so fröhlicher.

Gerenot.                           Das sind wir nicht,
Solange du die schwarzen Kleider trägst,
Auch kommen wir, um dir sie abzureißen,
Denn –
(Zu Ute.) Mutter, nein, es ist doch besser, du!

Kriemhild.
Was gibt's, daß dieser sich so plötzlich wendet?

Ute.
Mein Kind, wenn du noch einmal so, wie einst,
An meiner Brust dein Haupt verbergen wolltest –

Kriemhild.
Gott spare dir und mir den bittren Tag,
An welchem das noch einmal nötig wird!
Vergaßest du?

Gerenot.                 Ach, davon heute nichts!

Ute.
Ich dachte an die Kinderzeit.

Giselher.                                       Ihr könnt
Nicht fertig werden. Nun, ich half euch oft
Und will euch wieder helfen, ob ihr mich
Nun tadelt oder lobt.
(Zu Kriemhild.)         Vernahmst du nicht
Die schallenden Trompeten und den Lärm
Der Waffen und der Pferde? Das bedeutet:
Ein edler König wirbt um deine Hand.

Ute.
So ist's.

Kriemhild.
              Und meine Mutter hält für nötig,
Es mir zu melden? Hätt' ich doch gedacht,
Die stumpfste Magd, die uns im Stalle dient,
Wär Weib genug, das Nein für mich zu sagen:
Wie ist es möglich, daß du fragen kannst!

Ute.
Sie bieten's dir.

Kriemhild.                 Zum Hohn.

Ute.                                               Ich werde doch
Nicht ihres Hohnes Botin sein?

Kriemhild.                                         Dich kann
Ich eben nicht verstehn.
(Zu den Brüdern.)         Ihr seid zu jung,
Ihr wißt nicht, was ihr tut, euch will ich mahnen,
Wenn eure Stunde auch geschlagen hat.
(Zu Ute.) Doch du – – Ich sollte meinen edlen Siegfried
Im Tode noch verleugnen? Diese Hand,
Die er durch seinen letzten Druck geheiligt,
In eine andre legen? Diese Lippen,
Die, seit er hin ist, nur den Sarg noch küßten,
In dem er ruht, beflecken? Nicht genug,
Daß ich ihm keine Sühne schaffen kann,
Sollt ich ihn auch noch um sein Recht verkürzen
Und sein Gedächtnis trüben? Denn man mißt
Die Toten nach dem Schmerz der Lebenden,
Und wenn die Witwe freit, so denkt die Welt:
Sie ist das letzte unter allen Weibern,
Oder sie hat den letzten Mann gehabt.
Wie kannst du's glauben!

Ute.                                           Ob du's nun verschmähst,
Ob du es annimmst: immer zeigt es dir,
Daß deine Brüder dir's von Herzen gönnen,
Wenn du noch irgend Freude finden kannst.

Giselher.
Ja, Schwester, das ist wahr. Auch gilt's so gut
Vom König, wie von uns. Hättst du gehört,
Wie er den Tronjer schalt, als dieser sich
Dagegen stemmte, und wie unbekümmert
Um seinen Rat er tat, was ihm gefiel,
Du würdest ihm von Herzen jetzt verzeihn,
Wie du ihm mit dem Munde längst verziehst.

Kriemhild.
So riet der Tronjer ab?

Giselher.                               Wohl riet er ab.

Kriemhild.
Er fürchtet sich.

Ute.                           Er tut es wirklich, Kind.

Gerenot.
Er glaubt, du könntest Etzel, denn kein andrer,
Als Etzel ist's, mit allen seinen Heunen
Auf die Burgunden hetzen.

Ute.                                             Denke dir!

Kriemhild.
Er weiß, was er verdient.

Gerenot.                                   Doch weiß er nicht,
Daß er in unsrer Mitte sicher ist,
Wie einer von uns selbst!

Kriemhild.                                 Er mag sich wohl
Erinnern, wie es einem Bessern ging,
Der auch in eurer Mitte war.

Ute.                                               O Gott,
Hätt' ich's geahnt!

Gerenot.                       Und wären wir nicht alle
So jung gewesen!

Kriemhild.                   Ja, ihr wart zu jung,
Um mich zu schützen, aber alt genug,
Den Mörder zu beschirmen, als ihn Himmel
Und Erde zugleich verklagten.

Ute.                                                   Sprich nicht so!
Du hast den Tronjer ganz, wie sie, geehrt
Und auch geliebt! Wenn dich als Kind im Traum
Das wilde Einhorn jagte, oder auch
Der Vogel Greif erschreckte, war es nicht
Dein Vater, der das Ungetüm erlegte:
Du sprangst dem Ohm des Morgens an den Hals
Und danktest ihm für Taten, die er selbst
Nicht kannte, durch den ersten Kuß.

Giselher.                                                   Ja, ja!
Und wenn die alten Knechte uns im Stall
Vom Donnrer Thor erzählten, daß wir glaubten,
Er dräue selbst beim falben Schein der Blitze
Durchs Bodenloch hinein, so sah er aus,
Wie Hagen, wenn er seine Lanze wirft.

Gerenot.
Laß, ich beschwör dich, was vergangen ist,
Doch endlich auch einmal vergessen sein.
Du hast genug geklagt um deinen Helden,
Und hättst du dir im ersten Schmerz gelobt,
Jedweder seiner edlen Eigenschaften
Ein ganzes volles Tränenjahr zu widmen:
Du wärst herum und deines Eides quitt.
Nun trockne dir denn auch die Augen ab
Und brauche sie zum Sehen, statt zum Weinen,
Herr Etzel ist des ersten Blicks schon wert:
Den Toten kann dir keiner wiedergeben,
Hier ist der beste aller Lebenden.

Kriemhild.
Ihr wißt, ich will nur eins noch auf der Welt,
Und nimmer laß ich ab, es zu verlangen,
Bis ich den letzten Odemzug getan.


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