Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Meiner Frau,
Christine Henriette,
geb. Engehausen

                Ich war an einem schönen Maientag,
Ein halber Knabe noch, in einem Garten
Und fand auf einem Tisch ein altes Buch.
Ich schlug es auf, und wie der Höllenzwang,
Der, einmal angefangen, wär es auch
Von einem Kindermund, nach Teufelsrecht,
Trotz Furcht und Graun, geendigt werden muß,
So hielt dies Buch mich fest. Ich nahm es weg
Und schlich mich in die heimlichste der Lauben
Und las das Lied von Siegfried und Kriemhild.
Mir war, als säß ich selbst am Zauberborn,
Von dem es spricht: die grauen Nixen gossen
Mir alle ird'schen Schauer durch das Herz,
Indes die jungen Vögel über mir
Sich lebenstrunken in den Zweigen wiegten
Und sangen von der Herrlichkeit der Welt.
Erst spät am Abend trug ich starr und stumm
Das Buch zurück, und viele Jahre flohn
An mir vorüber, eh ich's wieder sah.
Doch unvergeßlich blieben die Gestalten
Mir eingeprägt, und unauslöschlich war
Der stille Wunsch, sie einmal nachzubilden,
Und wär's auch nur in Wasser oder Sand.
Auch griff ich oft mit halb beherztem Finger,
Wenn etwas andres mir gelungen schien,
Nach meinem Stift, doch nimmer fing ich an.
Da trat ich einmal in den Musentempel,
Wo sich die bleichen Dichterschatten röten,
Wie des Odysseus Schar, von fremdem Blut.
Ein Flüstern ging durchs Haus, und heil'ges Schweigen
Entstand sogleich, wie sich der Vorhang hob,
Denn Du erschienst als Rächerin Kriemhild.
Es war kein Sohn Apolls, der Dir die Worte
Geliehen hatte, dennoch trafen sie,
Als wären's Pfeile aus dem goldnen Köcher,
Der hell erklang, als Typhon blutend fiel.
Ein lauter Jubel scholl durch alle Räume,
Wie Du, die fürchterlichste Qual im Herzen
Und grause Schwüre auf den blassen Lippen,
Dich schmücktest für die zweite Hochzeitsnacht;
Das letzte Eis zerschmolz in jeder Seele
Und schoß als glühnde Träne durch die Augen,
Ich aber schwieg und danke Dir erst heut.
Denn diesen Abend ward mein Jugendtraum
Lebendig, alle Nibelungen traten
An mich heran, als wär ihr Grab gesprengt,
Und Hagen Tronje sprach das erste Wort.
Drum nimm es hin, das Bild, das Du beseelt,
Denn Dir gehört's, und wenn es dauern kann,
So sei's allein zu Deinem Ruhm und lege
Ein Zeugnis ab von Dir und Deiner Kunst!


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