Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Vierter Akt

Tiefe Nacht

Erste Szene

Volker steht und geigt. Hagen sitzt wie vorher. Die Heunen in verwunderten und aufmerksamen Gruppen um beide herum. Man hört Volkers Spiel, bevor der Vorhang sich erhebt. Gleich nachher entfällt einem der Heunen sein Schild.

Hagen.
Hör auf! Du bringst sie um, wenn du noch länger
So spielst und singst. Die Waffen fallen schon.
Das war ein Schild! Drei Bogenstriche noch,
So folgt der Speer. Wir brauchen weiter nichts,
Als die Erzählung dessen, was wir längst
Vollbrachten, eh wir kamen, neuer Taten
Bedarf es nicht, um sie zu bändigen.

Volker (ohne auf ihn zu achten, visionär).
Schwarz war's zuerst! Es blitzte nur bei Nacht,
Wie Katzen, wenn man sie im Dunkeln streicht,
Und das nur, wenn's ein Hufschlag spaltete.
Da rissen sich zwei Kinder um ein Stück,
Sie warfen sich in ihrem Zorn damit,
Und eines traf das andere zu Tod.

Hagen (gleichgültig).
Er fängt was Neues an. Nur zu, nur zu!

Volker.
Nun ward es feuergelb, es funkelte,
Und wer's erblickte, der begehrte sein
Und ließ nicht ab.

Hagen.                         Dies hab ich nie gehört! –
Er träumt wohl! Alles andre kenn ich ja!

Volker.
Da gibt es wildern Streit und gift'gern Neid,
Mit allen Waffen kommen sie, sogar
Dem Pflug entreißen sie das fromme Eisen
Und töten sich damit.

Hagen (immer aufmerksamer).
                                  Was meint er nur?

Volker.
In Strömen rinnt das Blut, und wie's erstarrt,
Verdunkelt sich das Gold, um das es floß,
Und strahlt in hellerm Schein.

Hagen.                                             Ho, ho! Das Gold!

Volker.
Schon ist es rot und immer röter wird's
Mit jedem Mord. Auf, auf, was schont ihr euch?
Erst, wenn kein einz'ger mehr am Leben ist,
Erhält's den rechten Glanz, der letzte Tropfen
Ist nötig, wie der erste.

Hagen.                                 Oh, ich glaub's.

Volker.
Wo blieb's? – Die Erde hat es eingeschluckt,
Und die noch übrig sind, zerstreuen sich
Und suchen Wünschelruten. Töricht Volk!
Die gier'gen Zwerge haben's gleich gehascht
Und hüten's in der Teufe. Laßt es dort,
So habt Ihr ew'gen Frieden!
(Setzt sich und legt die Fiedel beiseite.)

Hagen.                                         Wachst du auf?

Volker (springt wieder auf, wild).
Umsonst! Umsonst! Es ist schon wieder da!
Und zu dem Fluch, der in ihm selber liegt,
Hat noch ein neuer sich hinzugesellt:
Wer's je besitzt, muß sterben, eh's ihn freut.

Hagen.
Er spricht vom Hort. Nun ist mir alles klar.

Volker (immer wilder).
Und wird es endlich durch den Wechselmord
Auf Erden herrenlos, so schlägt ein Feuer
Daraus hervor mit zügelloser Glut,
Das alle Meere nicht ersticken können,
Weil es die ganze Welt in Flammen setzen
Und Ragnaroke überdauern soll. (Setzt sich.)

Hagen.
Ist das gewiß?

Volker.                   So haben es die Zwerge
In ihrer Wut verhängt, als sie den Hort
Verloren.

Hagen.             Wie geschah's?

Volker.                                     Durch Götterraub!
Odin und Loke hatten aus Versehn
Ein Riesenkind erschlagen, und sie mußten
Sich lösen.

Hagen.               Gab's denn einen Zwang für sie?

Volker.
Sie trugen menschliche Gestalt und hatten
Im Menschenleibe auch nur Menschenkraft.

Zweite Szene

Werbel erscheint unter den Heunen, flüsternd.

Werbel.
Nun! Seid ihr Spinnen, die man mit Musik
Verzaubert und entseelt? Heran! Es gilt!

Dritte Szene

Kriemhild mit Gefolge steigt herunter. Fackeln.

Hagen.
Wer naht sich da?

Volker.                         Es ist die Fürstin selbst.
Geht die so spät zu Bett? Komm, stehn wir auf!

Hagen.
Was fällt dir ein? Nein, nein, wir bleiben sitzen.

Volker.
Das brächt uns wenig Ehre, denn sie ist
Ein edles Weib und eine Königin.

Hagen.
Sie würde denken, daß wir uns aus Furcht
Erhöhen. Balmung, tu nicht so verschämt!
(Legt den Balmung übers Knie.)
Dein Auge funkelt dräuend durch die Nacht,
Wie der Komet. Ein prächtiger Rubin!
So rot, als hätt' er alles Blut getrunken,
Das je vergossen ward mit diesem Stahl.

Kriemhild.
Da sitzt der Mörder!

Hagen.                             Wessen Mörder, Frau?

Kriemhild.
Der Mörder meines Gatten.

Hagen.                                         Weckt sie auf,
Sie geht im Traum herum. Dein Gatte lebt,
Ich habe noch zur Nacht mit ihm gezecht
Und stehe dir mit diesem guten Schwert
Für seine Sicherheit.

Kriemhild.                         O pfui! Er weiß
Recht wohl, von wem ich sprach, und stellt sich an,
Als wüßt er's nicht.

Hagen.                           Du sprachst von deinem Gatten,
Und das ist Etzel, dessen Gast ich bin.
Doch, es ist wahr, du hast den zweiten schon,
Denkst du in seinem Arm noch an den ersten?
Nun freilich, diesen schlug ich tot.

Kriemhild.                                               Ihr hört!

Hagen.
War das hier unbekannt? Ich kann's erzählen,
Der Spielmann streicht die Fiedel wohl dazu! –
(Als ob er singen wollte.)
Im Odenwald, da springt ein muntrer Quell –

Kriemhild (zu den Heunen).
Nun tut, was euch gefällt. Ich frag nicht mehr,
Ob ihr's zu Ende bringt.

Hagen.                                   Zu Bett! Zu Bett!
Du hast jetzt andre Pflichten.

Kriemhild.                                     Deinen Hohn
Erstick ich gleich in deinem schwarzen Blut:
Auf, Etzels Würger, auf, und zeigt es ihm,
Warum ich in das zweite Ehbett stieg.

Hagen (steht auf).
So gilt's hier wirklich Mord und Überfall?
Auch gut! (Klopft auf den Panzer.)
                Das Eisen kühlt schon allzu stark,
Und nichts vertreibt den Frost so bald, wie dies.
(Zieht den Balmung.)
Heran! Ich seh der Köpfe mehr, als Rümpfe!
Was drückt ihr euch dahinten so herum?
Der Helme Glanz verriet euch längst.
(Legt aus.)                                           Sie fliehn!
Noch ist Herr Etzel nicht dabei! – Zu Bett!

Kriemhild.
Pfui! Seid ihr Männer?

Hagen.                                 Nein, ein Haufen Sand,
Der freilich Stadt und Land verschütten kann,
Doch nur, wenn ihn der Wind ins Fliegen bringt.

Kriemhild.
Habt ihr die Welt erobert?

Hagen.                                         Durch die Zahl!
Die Million ist eine Macht, doch bleibt
Das Körnchen, was es ist!

Kriemhild.                                 Hört ihr das an
Und rächt euch nicht?

Hagen.                               Nur zu! Brauch deinen Hauch,
Ich blase mit hinein!
(Zu den Heunen.)     Kriecht auf dem Bauch
Heran und klammert euch an unsre Beine,
Wie ihr's in euren Schlachten machen sollt.
Wenn wir ins Stolpern und ins Straucheln kommen
Und durch den Purzelbaum zu Grunde gehn,
Um Hülfe schrein wir nicht, das schwör ich euch!

Kriemhild.
Wenn ihr nur wen'ge seid, so braucht ihr auch
Mit wen'gen nur zu teilen!

Hagen.                                       Und der Hort
Ist reich genug und käm die ganze Welt.
Ja, er vermehrt sich selbst, es ist ein Ring
Dabei, der immer neues Gold erzeugt,
Wenn man – Doch nein! Noch nicht!
(Zu Kriemhild.)                                 Das hast auch du
Vielleicht noch nicht gewußt? Ihr könnt mir's glauben,
Ich hab's erprobt und teile das Geheimnis
Dem mit, der mich erschlägt! Es mangelt nur
Der Zauberstab, der Tote wecken kann!
(Zu Kriemhild.)
Du siehst, es hilft uns allen beiden nichts,
Wir können diesen spröden Sand nicht ballen,
Drum stehn wir ab. (Setzt sich nieder.)

Kriemhild (zu Werbel). Ist das der Mut?

Werbel.                                                   Es wird
Schon anders werden.

Volker (mit dem Finger deutend).
                                    Eine zweite Schar!
Die Rüstung blitzt im ersten Morgenlicht,
Und abermals ein Geiger, der sie führt.
Hab Dank, Kriemhild, man sieht's an der Musik,
Zu welchem Tanz du uns geladen hast.

Kriemhild.
Was siehst du? Wenn der Zorn mich übermannte
So tragt ihr selbst durch euren Hohn die Schuld,
Und wenn der Gast nicht schläft, so wird doch auch
Wohl für den Wirt das Wachen rätlich sein.

Hagen (lacht).
Schickt Etzel die?

Kriemhild.                     Nein, Hund, ich tat es selbst,
Und sei gewiß, du wirst mir nicht entkommen,
Wenn du auch noch die nächste Sonne siehst.
Ich will zurück in meines Siegfrieds Gruft,
Doch muß ich mir das Totenhemd erst färben,
Und das kann nur in deinem Blut geschehn.

Hagen.
So ist es recht! Was heucheln wir, Kriemhild?
Wir kennen uns. Doch merke dir auch dies:
Gleich auf das erste Meisterstück des Hirsches,
Dem Jäger zu entrinnen, folgt das zweite,
Ihn ins Verderben mit hinabzuziehn,
Und eins von beidem glückt uns sicherlich!

Vierte Szene

Gunther im Nachtgewand; Giselher, Gerenot usw. folgen.

Gunther.
Was gibt es hier?

Kriemhild.                   Die alte Klägerin!
Ich rufe Klage über Hagen Tronje
Und fordre jetzt zum letzten Mal Gericht.

Gunther.
Du willst Gericht und pochst in Waffen an?

Kriemhild.
Ich will, daß ihr im Ring zusammentretet,
Und daß ihr schwört, nach Recht und Pflicht zu sprechen,
Und daß ihr sprecht und euren Spruch vollzieht.

Gunther.
Das weigre ich.

Kriemhild.                 So gib den Mann heraus!

Gunther.
Das tu ich nicht.

Kriemhild.                 So gilt es denn Gewalt.
Doch nein, erst frag ich um. Mein Giselher
Und Gerenot, ihr habt die Hände rein,
Ihr dürft sie ruhig an den Mörder legen,
Euch kann er der Genossenschaft nicht zeihn!
So tretet ihr denn frei von ihm zurück
Und überlaßt ihn mir! – Wer zu ihm steht,
Der tut's auf seine eigene Gefahr.

Gerenot und Giselher (treten Hagen mit gezogenen Schwertern zur Seite).

Kriemhild.
Wie? In den Wald seid ihr nicht mit geritten
Und habt die Tat verdammt, als sie geschah,
Jetzt wollt ihr sie verteidigen?

Gunther.                                         Sein Los
Ist unsres!

Kriemhild.         Doch!

Giselher.                       Oh, Schwester, halte ein,
Wir können ja nicht anders.

Kriemhild.                                   Kann denn ich?

Giselher.
Was hindert dich? Wir häuften ew'ge Schmach
Auf unser Haupt, wenn wir den Mann verließen,
Der uns in Not und Tod zur Seite stand.

Kriemhild.
Das habt ihr längst getan! Ihr seid mit Schmach
Bedeckt, wie niemals noch ein Heldenstamm.
Ich aber will euch an die Quelle führen,
Wo ihr euch waschen könnt.
(Stößt Hagen vor die Brust.) Hier sprudelt sie.

Hagen (zu Gunther).
Nun?

Gunther.
        Ja, du hättst zu Hause bleiben sollen,
Doch, das ist jetzt gleichviel.

Kriemhild.                                       Ihr habt die Treue
Gebrochen, als es höchste Tugend war,
Nicht einen Finger breit von ihr zu wanken,
Wollt ihr sie halten, nun es Schande ist?
Nicht die Verschwägrung und das nahe Blut,
Nicht Waffenbrüderschaft, noch Dankbarkeit
Für Rettung aus dem sichren Untergang,
Nichts regte sich für ihn in eurer Brust,
Er ward geschlachtet, wie ein wildes Tier,
Und wer nicht half, der schwieg doch, statt zu warnen
Und Widerstand zu leisten –
(Zu Giselher.)                       Du sogar!
Fällt alles das, was nicht ein Sandkorn wog,
Als es Erbarmen mit dem Helden galt,
Auf einmal, wie die Erde, ins Gewicht,
Nun seine Witwe um den Mörder klopft?
(Zu Gunther.)
Dann siegelst du die Tat zum zweiten Mal
Und bist nicht mehr durch Jugend halb entschuldigt,
(zu Giselher und Gerenot)
Ihr aber tretet bei und haftet mit.

Hagen.
Vergiß dich selbst und deinen Teil nicht ganz!
Du trägst die größte Schuld.

Kriemhild.                                     Ich!

Hagen.                                                 Du! Ja, Du!
Ich liebte Siegfried nicht, das ist gewiß,
Er hätt' mich auch wohl nicht geliebt, wenn ich
Erschienen wäre in den Niederlanden,
Wie er in Worms bei uns, mit einer Hand,
Die alle unsre Ehren spielend pflückte,
Und einem Blick, der sprach: Ich mag sie nicht!
Trag einen Strauß, in dem das kleinste Blatt
An Todeswunden mahnt, und der dich mehr
Des Blutes kostet, als dein ganzer Leib
Auf einmal in sich faßt, und laß ihn dir
Nicht bloß entreißen, nein, mit Füßen treten,
Dann küsse deinen Feind, wenn du's vermagst.
Doch dieses auf dein Haupt! Ich hätt's verschluckt,
Das schwör ich dir bei meines Königs Leben,
So tief der Groll mir auch im Herzen saß.
Da aber kam der scharfe Zungenkampf,
Er stand, du selbst verrietet es uns im Zorn,
Auf einmal eid- und pflichtvergessen da,
Und hätt' Herr Gunther ihm vergeben wollen,
So hätt' er auch sein edles Weib verdammt.
Ich leugne nicht, daß ich den Todesspeer
Mit Freuden warf, und freue mich noch jetzt,
Doch deine Hand hat mir ihn dargereicht,
Drum büße selbst, wenn hier zu büßen ist.

Kriemhild.
Und büß ich nicht? Was könnte dir geschehn,
Das auch nur halb an meine Qualen reichte?
Sieh diese Krone an und frage dich!
Sie mahnt an ein Vermählungsfest, wie keins
Auf dieser Erde noch gefeiert ward,
An Schauderküsse, zwischen Tod und Leben
Gewechselt in der fürchterlichsten Nacht,
Und an ein Kind, das ich nicht lieben kann!
Doch meine Hochzeitsfreuden kommen jetzt,
Wie ich gelitten habe, will ich schwelgen;
Ich schenke nichts, die Kosten sind bezahlt.
Und müßt ich hundert Brüder niederhauen,
Um mir den Weg zu deinem Haupt zu bahnen,
So würd ich's tun, damit die Welt erfahre,
Daß ich die Treue nur um Treue brach. (Ab.)

Fünfte Szene

Hagen.
Nun werft euch in die Kleider, aber nehmt
Die Waffen, statt der Rosen, in die Hand.

Giselher.
Sei unbesorgt! Ich halte fest zu dir,
Und nimmer krümmt sie mir ein Haar, auch hab
Ich's nicht um sie verdient.

Hagen.                                         Sie tut's, mein Sohn,
Drum rat ich, reite nach Bechlarn zurück!
Daß sie dich ziehen läßt, bezweifl' ich nicht,
Doch mehr erwarte nicht von ihr, und eile,
Sie hat ja recht, ich tat ihr grimmig weh!

Giselher.
Du hast schon manchen schlechten Rat gegeben,
Dies ist der schlechteste!

(Ab mit Gunther und Gerenot ins Haus.)


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