Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Erster Akt

Isenland, Brunhilds Burg. Früher Morgen.

Erste Szene

Brunhild und Frigga kommen von entgegengesetzten Seiten.

Brunhild.
Woher so früh? Dir trieft das Haar von Tau,
Und dein Gewand ist blutbesprengt.

Frigga.                                                     Ich habe
Den alten Göttern, eh der Mond zerbrach,
Ein Opfer dargebracht.

Brunhild.                               Den alten Göttern!
Jetzt herrscht das Kreuz, und Thor und Odin sitzen
Als Teufel in der Hölle.

Frigga.                                   Fürchtest du
Sie darum weniger? Sie können uns
Noch immer fluchen, wenn auch nicht mehr segnen,
Und willig schlacht ich ihnen ihren Bock.
Oh, tätest du es auch! Du hättest Grund,
Wie keine zweite.

Brunhild.                       Ich?

Frigga.                                 Ein andermal!
Längst sollt ich dir erzählen. Heute ist
Die Stunde endlich da.

Brunhild.                               Ich glaubte schon,
Sie werde erst mit deinem Tode kommen,
Drum drängt ich dich nicht mehr.

Frigga.                                                 So merke auf!
Urplötzlich trat aus unserm Feuerberg
Ein Greis hervor, und reichte mir ein Kind,
Samt einer Runentafel.

Brunhild.                               In der Nacht?

Frigga.
Wie weißt du's?

Brunhild.                   Manches hast du schon im Schlaf
Verraten, denn du sprichst, wenn dir der Mond
Ins Antlitz scheint.

Frigga.                           Und du behorchst mich? – Wohl! –
Um Mitternacht! Wir wachten bei der Leiche
Der Königin. Sein Haar war weiß, wie Schnee,
Und länger, als ich's je bei einem Weibe
Gesehen habe, wie ein weiter Mantel
Umwallt' es ihn, und hinten schleppt' es nach.

Brunhild.
Der Geist des Bergs!

Frigga.                               Ich weiß es nicht. Er sprach
Kein einz'ges Wort. Das Mägdlein aber streckte
Die Händchen nach der goldnen Krone aus,
Die auf dem Haupt der Toten funkelte,
Und, wunderbar, sie paßte.

Brunhild.                                     Wie! Dem Kinde?

Frigga.
Dem Kinde! Ja! Sie war ihm nicht zu weit
Und ward ihm später nie zu eng!

Brunhild.                                               Wie meine!

Frigga.
Wie deine, ja! Und wunderbarer noch:
Das Mägdlein war dem Kinde, das der Toten
Im Arme lag, und das sogleich verschwand,
Als wär es nie gewesen, an Gestalt
So ähnlich, ja so gleich, daß es sich nur
Durchs Atmen unterschied von ihm, es schien,
Als hätte die Natur denselben Leib
Für einen Zweck zweimal geschaffen und
Das Blut bloß umgegossen.

Brunhild.                                     Hatte denn
Die Königin ein Kind im Arm?

Frigga.                                               Sie war
An der Geburt gestorben und mit ihr
Zugleich die Frucht.

Brunhild.                         Das sagtest du noch nicht.

Frigga.
So hab ich's nur vergessen. Sicher brach
Ihr Herz aus Gram, daß sie es dem Gemahl
Nicht zeigen konnte. Viele Jahre hatte
Er sich umsonst dies holde Glück gewünscht,
Und einen Monat früher, als es kam,
Ereilte ihn ein jäher Tod.

Brunhild.                                 Nur weiter!

Frigga.
Wir sahn uns nach dem Greise um. Er war
Verschwunden, und der Berg, der, mittendurch
Gespalten, wie ein Apfel, durch das Fenster
Uns angegähnt, ging langsam wieder zu.

Brunhild.
Und kam der Greis nicht wieder?

Frigga.                                                   Höre nur!
Wir ließen unsre Frau am nächsten Morgen
Zur Gruft bestatten, und der Priester wollte
Zugleich das Mägdlein taufen. Doch sein Arm
Ward lahm, bevor er mit dem heil'gen Naß
Die Stirn ihr netzen konnte, und er hat
Ihn niemals mehr gehoben.

Brunhild.                                   Niemals mehr!

Frigga.
Nun, er war alt, und wir erschraken nicht,
Wir riefen einen andern. Dem gelang's,
Sie zu besprengen, doch er wurde stumm,
Als er sie segnen wollte, und ihm kehrte
Die Sprache niemals mehr zurück.

Brunhild.                                                 Der dritte?

Frigga.
Der fand sich lange nicht! Wir mußten einen
Aus weiter Ferne rufen, der von allem
Nichts wußte. Der vollbrachte dann das Werk,
Doch als er kaum zu Ende war, so fiel
Er um, und niemals stand er wieder auf!

Brunhild.
Das Mägdlein aber?

Frigga.                             Wuchs und wurde stark,
Und seine kind'schen Spiele dienten uns
Als Zeichen unsres Lassens oder Tuns
Und trogen nie, wie's uns die Runentafel
Voraus verkündigt hatte.

Brunhild.                                 Frigga! Frigga!

Frigga.
Ja! ja! Du bist es selbst! Erkennst du's endlich?
Nicht in der Kammer, wo die Toten stäuben,
Im Hekla, wo die alten Götter hausen,
Und unter Nornen und Valkyrien
Such dir die Mutter, wenn du eine hast! –
Oh, hätte nie ein Tropfen heil'gen Wassers
Die Stirne dir benetzt! Dann wüßten wir
Wohl mehr!

Brunhild.             Was murmelst du?

Frigga.                                               Wie ging es zu,
Daß wir uns diesen Morgen, statt im Bett,
Unausgekleidet auf den Stühlen fanden,
Die Zähne klappernd und die Lippen blau?

Brunhild.
Wir müssen plötzlich eingeschlafen sein.

Frigga.
Ist das uns schon begegnet?

Brunhild.                                     Nie zuvor.

Frigga.
Nun denn! Der Greis war hier und wollte reden!
Mir ist sogar, als hätt' ich ihn gesehn,
Wie er dich rüttelte und mich bedrohte,
Dir aber ward durch einen dicken Schlaf
Das Ohr verstopft, weil du nicht hören solltest,
Was dir beschieden ist, wenn du beharrst,
Drum bring ein Opfer dar und mach dich frei.
Oh, hätte ich dem Priester nicht gehorcht,
Als er mich drängte! Doch ich hatte noch
Die Tafel nicht entziffert. Tu es, Kind,
Denn die Gefahr ist nah.

Brunhild.                                 Gefahr?

Frigga.                                                 Gefahr!
Du weißt, der Flammensee ist längst erloschen,
Der deine Burg umgab.

Brunhild.                               Und dennoch blieb
Der Recke mit der Balmungklinge aus,
Der hoch zu Rosse ihn durchreiten sollte,
Nachdem er Fafners blut'gen Hort erstritt.

Frigga.
Ich las wohl falsch. Doch dieses zweite Zeichen
Kann mich nicht täuschen, denn ich weiß es lange,
Daß deiner in der Stunde der Entscheidung
Die Offenbarung harrt. So opfre, Kind!
Vielleicht stehn alle Götter unsichtbar
Um dich herum und werden dir erscheinen,
Sobald der erste Tropfen Blutes rinnt.

Brunhild.
Ich fürchte nichts.

(Man hört Trompeten.)

Frigga.                         Trompeten!

Brunhild.                                         Hörst du sie
Zum erstenmal?

Frigga.                     Zum erstenmal mit Angst.
Die Zeit des Distelköpfens ist vorüber,
Und ehrne Häupter steigen vor dir auf.

Brunhild.
Heran! Heran! Damit ich dieser zeige,
Daß ich noch immer siegen kann! Als hier
Der See noch flammte, eilt ich euch entgegen,
Und freundlich, wie ein Hund vor seinem Herrn
Beiseite springt, entwich das treue Feuer
Vor mir und teilte sich nach links und rechts:
Jetzt ist die Straße frei, doch nicht der Gruß.
(Sie besteigt währenddem ihren Thron.)
Nun stoßt die Pforten auf und laßt sie ein!
Wer auch erscheinen mag: sein Kopf ist mein!

Zweite Szene

Es geschieht; Siegfried, Gunther, Hagen und Volker treten ein.

Brunhild. Wer ist's, der heute sterben will?
(Zu Siegfried.)                                     Bist du's?

Siegfried.
Ich will nicht sterben, und ich will nicht werben,
Auch tust du mir zu viel der Ehre an,
Mich vor dem König Gunther zu begrüßen,
Ich bin hier nur sein Führer.

Brunhild (wendet sich gegen Gunther).
                                              Also du?
Und weißt du, was es gilt?

Gunther.                                     Wohl weiß ich das!

Siegfried.
Der Ruf von deiner Schönheit drang gar weit,
Doch weiter noch der Ruf von deiner Strenge,
Und wer dir immer auch ins Auge schaut,
Er wird es nicht im höchsten Rausch vergessen,
Daß dir der dunkle Tod zur Seite steht.

Brunhild.
So ist's! Wer hier nicht siegt, der stirbt sogleich,
Und seine Diener mit. Du lächelst drob?
Sei nicht zu stolz! Trittst du auch vor mich hin,
Als könntest du den vollsten Becher Weins
Dir unverschüttet überm Haupte halten
Und mich dabei betrachten, wie ein Bild:
Ich schwöre dir's, du fällst so gut, wie er.
(Zu Gunther.) Dir aber rat ich, wenn du hören kannst:
Laß dir von meinen Mägden doch die Recken
Erst nennen, die von meiner Hand schon fielen,
Vielleicht ist mancher drunter, der sich einst
Mit dir gemessen hat, vielleicht gar einer,
Der dich besiegt zu seinen Füßen sah!

Hagen.
Der König Gunther ward noch nie besiegt.

Siegfried.
Hoch ragt sein Schloß zu Worms am Rhein empor,
Reich ist sein Land an Zierden aller Art,
Doch höher ragt er selbst noch vor den Recken,
Und reicher auch an Ehren ist sein Haupt.

Hagen.
Die Hand her, Niederland! Das war ein Wort!

Volker.
Und wär's dir denn so schwer, dies öde Land
Und seine wüste Meereseinsamkeit
Freiwillig zu verlassen und dem König
Aus Höll und Nacht zu folgen in die Welt?
Es ist ja gar kein Land, das noch zur Erde
Gehört, es ist ein preisgegebnes Riff,
Das die Lebend'gen längst entsetzt verließen,
Und wenn du's liebst, so kannst du es nur lieben,
Weil du als letzte drauf geboren bist!
Dies Stürmen in den Lüften, dies Getose
Der Wellen, dies Gekeuch des Feuerbergs,
Vor allem aber dieses rote Licht,
Das von der Himmelswölbung niederrieselt,
Als strömt' es ab von einem Opfertisch,
Ist fürchterlich und paßt nur für den Teufel:
Man trinkt ja Blut, indem man Atem holt!

Brunhild.
Was weißt denn du von meiner Einsamkeit?
Noch hab ich nichts aus eurer Welt vermißt,
Und käme das dereinst, so holt ich's mir,
Verlaßt euch drauf, und braucht es nicht geschenkt!

Siegfried.
Sagt' ich's euch nicht voraus? Zum Kampf! Zum Kampf!
Du mußt sie mit Gewalt von hinnen führen!
Ist es nur erst geschehn, so dankt sie's dir.

Brunhild.
Meinst du? Du kannst dich täuschen. Wißt ihr denn,
Was ich euch opfern soll? Ihr wißt es nicht,
Und keiner hat's gewußt. Vernehmt's zuvor,
Und fragt euch, wie ich es verteid'gen werde!
Wohl steht die Zeit hier still, wir kennen nicht
Den Frühling, nicht den Sommer, noch den Herbst,
Das Jahr verändert niemals sein Gesicht,
Und wir sind unveränderlich mit ihm.
Doch, wenn auch nichts von allem hier gedeiht,
Was euch entgegen wächst im Strahl der Sonne,
So reift dafür in unsrer Nacht, was ihr
Mitnichten säen oder pflanzen könnt.
Noch freu ich mich des Kampfs, noch jauchze ich,
Den übermüt'gen Feind zu überwinden,
Der mir die Freiheit rauben will, noch ist
Die Jugend, ist das schwellende Gefühl
Des Lebens mir genug, und eh mich dieses
Verlassen kann, hat mich das Schicksal schon,
Mit Wundergaben unsichtbar mich segnend,
Zu seiner Hohenpriesterin geweiht.

Frigga.
Wie wird ihr? War's genug an meinem Opfer?

Brunhild.
Die Erde wird sich plötzlich vor mir öffnen
Und mir enthüllen, was sie birgt im Kern,
Die Sterne droben werd ich klingen hören
Und ihre himmlische Musik verstehn,
Und noch ein drittes Glück wird mir zuteil,
Ein drittes, das sich gar nicht fassen läßt!

Frigga.
Du bist's, Odin! Du hast ihr Aug entsiegelt,
Weil dir zur Nacht ihr Ohr verschlossen war,
Nun sieht sie selbst, was ihr die Norne spinnt!

Brunhild (hoch aufgerichtet mit starren Augen).
Einst kommt der Morgen, wo ich, statt den Bären
Zu jagen, oder auch die eingefrorne
Seeschlange zu erlösen aus der Haft,
Damit sie den Planeten nicht zerpeitsche,
Die Burg schon früh verlasse. Mutig tummle
Ich meinen Rappen, fröhlich trägt er mich,
Auf einmal halt ich ein. Der Boden vor mir
Hat sich in Luft verwandelt! Schaudernd reiß ich
Das Roß herum. Auch hinter mir. Er ist
Durchsichtig. Farb'ge Wolken unter mir,
Wie über mir. Die Mägde plaudern fort.
Ich rufe: Seid ihr blind, daß ihr nichts seht?
Wir schweben ja im Abgrund! Sie erstaunen,
Sie schütteln ihre Häupter still, sie drängen
Sich dicht um mich herum. Doch Frigga flüstert:
Kam deine Stunde auch? Da merk ich's erst!
Der Erdball wurde zum Kristall für mich,
Und was Gewölk mir schien, war das Geflecht
Der Gold- und Silberadern, die ihn leuchtend
Durchkreuzen bis zum Grund.

Frigga.                                             Triumph! Triumph!

Brunhild.
Ein Abend folgt. Nicht gleich. Vielleicht erst spät.
Wir sitzen hier beisammen. Plötzlich fallen
Die Mägde um, wie tot, das letzte Wort
Zerbricht in ihrem Mund, mich aber treibt's
Zum Turm hinauf, denn über mir erklingt's,
Und jeder Stern hat seinen eignen Ton.
Erst ist es bloß Musik für mich, doch wenn
Der Morgen graut, so murml' ich, wie im Schlaf:
Der König stirbt vor Nacht noch, und sein Sohn
Kann nicht geboren werden, er erstickt
Im Mutterleib! Ich höre erst von andern,
Daß ich's gesagt, und ahne selber nicht,
Woher ich's weiß. Bald aber wird's mir klar,
Und bald verbreitet sich's von Pol zu Pol.
Dann ziehn sie noch, wie jetzt, zu mir heran,
Doch nicht mit Schwertern, um mit mir zu kämpfen,
Nein, demutvoll, mit abgelegten Kronen,
Um meine Träume zu behorchen und
Mein Stammeln auszudeuten, denn mein Auge
Durchdringt die Zukunft, und in Händen halt ich
Den Schlüssel zu den Schätzen dieser Welt.
So thron ich schicksallos, doch schicksalkundig,
Hoch über allen und vergesse ganz,
Daß mir noch mehr verheißen ist. Es rollen
Jahrhunderte dahin, Jahrtausende,
Ich spür es nicht! Doch endlich frag ich mich:
Wo bleibt der Tod? Da geben meine Locken
Mir Antwort durch den Spiegel, sie sind schwarz
Und ungebleicht geblieben, und ich rufe:
Dies ist das Dritte, daß der Tod nicht kommt!

(Sie sinkt zurück, die Mägde fangen sie auf.)

Frigga.
Was zag ich noch? Und wär's der Balmungschwinger:
Jetzt hätte sie den Schild auch gegen ihn!
Er fällt, wenn sie ihn liebt und doch bekämpft,
Und sie wird kämpfen, nun sie dieses weiß.

Brunhild (richtet sich hoch wieder auf).
Ich sprach! Was war's?

Frigga.                                 Nimm deinen Bogen, Kind,
Dein Pfeil wird heute fliegen, wie noch nie,
Das andere nachher!

Brunhild (zu den Recken).
                                  So kommt!

Siegfried (zu Brunhild).                     Du schwörst,
Uns gleich zu folgen, wenn du unterliegst?

Brunhild (lacht.).
Ich schwör's!

Siegfried.             So macht! Ich richt indes das Schiff!

Brunhild (zu Frigga im Abgehen).
Du gehst in den Trophäensaal und schlägst
Dort einen neuen Nagel ein! (Zu den Recken). Wohlan!

(Alle ab.)


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