Friedrich Hebbel
Die Nibelungen
Friedrich Hebbel

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Vierzehnte Szene

Kriemhild.
So redest du? Das wird dir schlecht gedankt!
Man hält dich für den Brecher und Verächter
Von Brauch und Sitte, für den Hüter nicht,
Und wundert sich noch immer, wenn ein Bote
Von dir erscheint, daß er mit dir gesprochen
Und doch nicht Arm und Bein verloren hat.

Etzel.
Man sieht mich, wie ich war, nicht wie ich bin! –
Ich ritt einmal das Roß, von dem dir nachts
In dem gekrümmten, funkelnden Kometen
Am Himmel jetzt der Schweif entgegen blitzt.
Im Sturme trug es mich dahin, ich blies
Die Throne um, zerschlug die Königreiche
Und nahm die Könige an Stricken mit.
So kam ich, alles vor mir niederwerfend,
Und mit der Asche einer Welt bedeckt,
Nach Rom, wo euer Hoherpriester thront.
Den hatt' ich bis zuletzt mir aufgespart,
Ich wollt ihn samt der Schar von Königen
In seinem eignen Tempel niederhauen,
Um durch dies Zorngericht, an allen Häuptern
Der Völker durch dieselbe Hand vollstreckt,
Zu zeigen, daß ich Herr der Herren sei,
Und mit dem Blute mir die Stirn zu salben,
Wozu ein jeder seinen Tropfen gab.

Kriemhild.
So hab ich mir den Etzel stets gedacht,
Sonst hätt' Herr Rüdeger mich nicht geworben;
Was hat ihn denn verwandelt?

Etzel.                                               Ein Gesicht
Furchtbarer Art, das mich von Rom vertrieb!
Ich darf es keinem sagen, doch es hat
Mich so getroffen, daß ich um den Segen
Des Greises flehte, welchem ich den Tod
Geschworen hatte, und mich glücklich pries,
Den Fuß zu küssen, der den Heil'gen trug.

Kriemhild.
Was denkst du denn zu tun, den Eid zu lösen?

Etzel (deutet gen Himmel).
Mein Roß steht immer noch gesattelt da,
Du weißt, es ist schon halb zum Stall heraus,
Und wenn sich's wieder wandte und den Kopf
In Wolken tief versteckte, so geschah's
Aus Mitleid und Erbarmen mit der Welt,
Die schon sein bloßer Schweif mit Schrecken füllt.
Denn seine Augen zünden Städte an,
Aus seinen Nüstern dampfen Pest und Tod,
Und wenn die Erde seine Hufen fühlt,
So zittert sie und hört zu zeugen auf.
Sobald ich winke, ist es wieder unten,
Und gern besteig ich's in gerechter Sache
Zum zweiten Mal und führe Krieg für dich.
Ich will dich rächen an den Deinigen
Für all dein Leid, und hätt' es längst getan,
Hättst du dich mir vertraut, nur müssen sie
In vollem Frieden erst geschieden sein.

Kriemhild.
Bis dahin aber dürfen sie beginnen,
Was sie gelüstet, und den Bart dir rupfen,
Wenn's ihnen so gefällt?

Etzel.                                     Wer sagt dir das?

Kriemhild.
Sie stechen deine Mannen tot, und du
Erklärst es für Versehn.

Etzel.                                     Sie glaubten sich
Verraten, und ich mußte ihnen zeigen,
Daß sie's nicht sind. In dieser letzten Nacht
Geschah gar viel, was ich nicht loben kann
Und sie entschuldigt. Sonst verlaß dich drauf:
Wie ich die Pflichten eines Wirtes kenne,
So kenn ich die des Gastes auch, und wer
Den Spinnwebsfaden, der uns alle bindet,
Wenn wir das Haus betreten, frech zerreißt,
Der trägt die Eisenkette, eh er's denkt.
Sei unbesorgt und harre ruhig aus,
Ich bringe dir für jeden Becher Wein,
Den sie hier trinken, eine Kanne Blut,
Wenn ich auch jetzt die Mücken für sie klatsche,
Nur duld ich nicht Verrat und Hinterlist. (Ab.)

Kriemhild.
Krieg! Was soll mir der Krieg! Den hätt' ich längst
Entzünden können! Doch, das wäre Lohn,
Anstatt der Strafe. Für die Schlächterei
Im dunklen Wald der offne Heldenkampf?
Vielleicht sogar der Sieg? Wie würd er jubeln,
Wenn er's erlangen könnte, denn er hat
Von Jugend auf nichts Besseres gekannt!
Nein, Etzel, Mord um Mord! Der Drache sitzt
Im Loch, und wenn du dich nicht regen willst,
Als bis er dich gestochen hat, wie mich,
So soll er's tun! – Jawohl, so soll er's tun! (Ab.)

Sechzehnte Szene

Werbel zieht mit den Seinigen vorüber.

Werbel.
Sie sind bei Tisch! Nun rasch! Besetzt die Türen,
Wer aus dem Fenster springt, der bricht den Hals.

(Die Heunen jubeln und schlagen die Waffen zusammen.)

Siebzehnte Szene

Großer Saal. Bankett.
Dietrich und Rüdeger treten ein.

Dietrich.
Nun, Rüdeger?

Rüdeger.                 Es steht in Gottes Hand,
Doch hoff ich immer noch.

Dietrich.                                     Ich sitze wieder
Am Nixenbrunnen, wie in jener Nacht,
Und hör in halbem Schlaf und wie im Traum
Das Wasser rauschen und die Worte fallen,
Bis plötzlich – Welch ein Rätsel ist die Welt!
Hätt' sich zur Unzeit nicht ein Tuch verschoben,
So wüßt ich mehr, wie je ein Mensch gewußt!

Rüdeger.
Ein Tuch?

Dietrich.           Ja, der Verband um meinen Arm,
Denn eine frische Wunde hielt mich wach.
Sie pflogen drunten Zwiesprach, schienen selbst
Den Mittelpunkt der Erde auszuhorchen,
Den Nabel, wie ich sie, und flüsterten
Sich zu, was sie erfuhren, zankten auch,
Wer recht verstanden oder nicht und raunten
Von allerlei. Vom großen Sonnenjahr,
Das über alles menschliche Gedächtnis
Hinaus in langen Pausen wiederkehrt.
Vom Schöpfungsborn, und wie er kocht und quillt
Und überschäumt in Millionen Blasen,
Wenn das erscheint. Von einem letzten Herbst,
Der alle Formen der Natur zerbricht,
Und einem Frühling, welcher beßre bringt.
Von Alt und Neu, und wie sie blutig ringen,
Bis eins erliegt. Vom Menschen, der die Kraft
Des Leuen sich erbeuten muß, wenn nicht
Der Leu des Menschen Witz erobern soll.
Sogar von Sternen, die den Stand verändern,
Die Bahnen wechseln und die Lichter tauschen,
Und wovon nicht!

Rüdeger.                       Allein das Tuch! Das Tuch!

Dietrich.
Sogleich! Du wirst schon sehn. Dann kamen sie
Auf Ort und Zeit, und um so wichtiger
Die Kunde wurde, um so leiser wurde
Das Flüstern, um so gieriger mein Ohr.
Wann tritt dies Jahr denn ein? So fragt ich mich
Und bückte mich hinunter in den Brunnen
Und horchte auf. Schon hört ich eine Zahl
Und hielt den Odem an. Doch da erscholl
Ein jäher Schrei: Hier fällt ein Tropfen Bluts,
Man lauscht! Hinab! Husch, husch! Und alles aus.

Rüdeger.
Und dieser Tropfen?

Dietrich.                           War von meinem Arm,
Ich hatte, aufgestützt, das Tuch verschoben
Und kam so um das Beste, um den Schlüssel,
Jetzt aber, fürcht ich, brauch ich ihn nicht mehr!

Achtzehnte Szene

Die Nibelungen treten ein, von Iring und Thüring geführt. Zahlreiches Gefolge.

Rüdeger.
Sie kommen.

Dietrich.               Wie zur Schlacht.

Rüdeger.                                           Nur nichts bemerkt.

Hagen.
Ihr lebt hier still, Herr Dietrich. Wie vertreibt
Ihr Euch die Zeit?

Dietrich.                       Durch Jagd und Waffenspiel.

Hagen.
Doch! Davon hab ich heut nicht viel erblickt.

Dietrich.
Wir haben einen Toten zu begraben.

Hagen.
Ist's der, den Volker aus Versehn erstach?
Wann wird das sein? Da dürfen wir nicht fehlen,
Um Reu und Leid zu zeigen.

Dietrich.                                       Wir erlassen's
Euch gern.

Hagen.               Nein, nein! Wir folgen!

Dietrich.                                                   Still! Der König!

Neunzehnte Szene

Etzel tritt mit Kriemhild ein.

Etzel.
Auch hier in Waffen?

Hagen.                               Immer.

Kriemhild.                                     Das Gewissen
Verlangt es so.

Hagen.                     Dank, edle Wirtin, Dank!

Etzel (setzt sich).
Gefällt es Euch?

Kriemhild.                 Ich bitte, wie es kommt.

Gunther.
Wo sind denn meine Knechte?

Kriemhild.                                         Wohl versorgt.

Hagen.
Mein Bruder steht für sie.

Etzel.                                         Und ich, ich stehe
Für meinen Koch.

Dietrich.                       Das ist das Wichtigste!

Hagen.
Der leistet wirklich viel. Ich hörte oft,
Der Heune haue vom lebend'gen Ochsen
Sich eine Keule ab und reite sich
Sie mürbe unterm Sattel –

Etzel.                                         Das geschieht,
Wenn er zu Pferde sitzt, und wenn's an Zeit
Gebricht, ein lust'ges Feuer anzumachen.
Im Frieden sorgt auch er für seinen Gaumen
Und nicht bloß für den undankbaren Bauch.

Hagen.
Schon gestern abend hab ich das bemerkt.
Und solch ein Saal dabei! Auf dieser Erde
Kommt nichts dem himmlischen Gewölb so nah,
Man sieht sich um nach dem Planetentanz.

Etzel.
Den haben wir nun freilich nicht gebaut! –
Es ging mir wunderlich auf meinem Zug:
Als ich ihn antrat, war ich völlig blind,
Ich schonte nichts, ob Scheune oder Tempel,
Dorf oder Stadt, ich warf den Brand hinein.
Doch als ich wiederkehrte, konnt ich sehn,
Und halbe Trümmer, um die letzte Stunde
Mit Sturm und Regen kämpfend, drangen mir
Das Staunen ab, das ich dem Bau versagt,
Als er noch stand in seiner vollen Pracht.

Volker.
Das ist natürlich. Sieht man doch den Toten
Auch anders an, als den Lebendigen,
Und gräbt ihm mit demselben Schwert ein Grab,
Mit dem man kurz zuvor ihn niederhieb.

Etzel.
So hatt' ich auch dies Wunderwerk zerstört
Und fluchte meiner eignen Hand, als ich's
Im Schutt nach Jahren wieder vor mir sah.
Da aber trat ein Mann zu mir heran,
Der sprach: Ich hab's das erste Mal erbaut,
Es wird mir auch das zweite Mal wohl glücken!
Den nahm ich mit und darum steht es hier.

Zwanzigste Szene

Ein Pilgrim tritt ein, umwandelt die Tafel und bleibt bei Hagen stehen.

Pilgrim.
Ich bitt Euch um ein Brot und einen Schlag,
Das Brot für Gott den Herrn, der mich geschaffen,
Den Schlag für meine eigne Missetat.

(Hagen reicht ihm ein Brot.)

Ich bitt! Mich hungert, und ich darf's nicht essen,
Bevor ich auch den Schlag von Euch empfing. '

Hagen.
Seltsam!
(Gibt ihm einen sanften Schlag. Pilgrim geht.)

Einundzwanzigste Szene

Hagen.           Was war denn das?

Dietrich.                                         Was meint Ihr wohl?

Hagen.
Verrückt?

Dietrich.         Nicht doch! Ein stolzer Herzog ist's.

Hagen.
Wie kann das sein?

Dietrich.                         Ein hoher Thron steht leer,
Solang er pilgert, und ein edles Weib
Sieht nach ihm aus.

Hagen (lacht).                 Die Welt verändert sich.

Rüdeger.
Man sagt, er sei schon einmal heimgezogen
Und an der Schwelle wieder umgekehrt.

Hagen.
Fort mit dem Narren! Käm er noch einmal,
So weckt ich rasch mit einem andern Schlag
Den Fürsten in ihm auf.

Dietrich.                                 Es ist doch was!
Zehn Jahre sind herum, und endlich kommt er
Des Abends auf sein Schloß. Schon brennt das Licht,
Er sieht sein Weib, sein Kind, er hebt den Finger,
Um anzupochen, da ergreift es ihn,
Daß er des Glückes noch nicht würdig ist,
Und leise, seinem Hund, der ihn begrüßt,
Den Mund verschließend, schleicht er wieder fort,
Um noch einmal die lange Fahrt zu machen
Von Pferdestall zu Pferdestall sich bettelnd
Und, wo man ihn mit Füßen tritt, verweilend,
Bis man ihn küßt und an den Busen drückt.
Es ist doch was!

Hagen (lacht).             Ha, ha! Ihr sprecht, wie unser
Kaplan am Rhein!

Etzel.                           Wo bleiben aber heut
Die Geiger nur?

Kriemhild.                 Es ist ja einer da,
Der alle andern zum Verstummen bringt.
So spielt denn auf, Herr Volker!

Volker.                                                 Sei's darum,
Nur sagt mir, was Ihr hören wollt.

Kriemhild.                                               Sogleich!

(Sie winkt einem Diener, welcher abgeht.)

Giselher (erhebt den Becher und trinkt).
Schwester!

Kriemhild (gießt ihren Becher aus, zu Rüdeger).
                    Du hast dein Haar zu lieb gehabt,
Jetzt wirst du mehr verlieren!

Zweiundzwanzigste Szene

Otnit wird von vier Reisigen auf goldenem Schild hereingetragen.

Etzel.                                                 Das ist recht!

Kriemhild.
Seht ihr dies Kind, das mehr der Kronen erbt,
Als es auf einmal Kirschen essen kann?
So singt und spielt zu seinem Ruhm und Preis.

Etzel.
Nun, Vettern? Ist der Junker groß genug
Für seine Jahre?

Hagen.                         Gebt ihn erst herum,
Daß wir ihn recht besehn.

Kriemhild (zu Otnit).                 Mach du den Hof,
Bis man ihn dir macht.

(Otnit wird herumgegeben; wie er zu Hagen kommt:)

Etzel.                                   Nun?

Hagen.                                         Ich möchte schwören,
Er lebt nicht lange!

Etzel.                             Ist er denn nicht stark?

Hagen.
Ihr wißt, ich bin ein Elfenkind und habe
Davon die Totenaugen, die so schrecken,
Doch auch das doppelte Gesicht. Wir werden
Bei diesem Junker nie zu Hofe gehn.

Kriemhild.
Ist dies das Lied? Da spricht wohl nur dein Wunsch!
Macht Ihr es gut, Herr Volker, stimmt nicht länger,
Der junge König nimmt's noch nicht genau.

Dreiundzwanzigste Szene

Dankwart tritt in blutbedecktem Panzer ein.

Dankwart.
Nun, Bruder Hagen, nun? Ihr bleibt ja lange
Bei Tische sitzen! Schmeckt's denn heut so gut?
Nur immer zu, die Zeche ist bezahlt!

Gunther.
Was ist geschehn?

Dankwart.                     Von allen den Burgunden,
Die Ihr mir anvertrautet, ist nicht einer
Am Leben mehr. Das war für Euren Wein.

Hagen (steht auf und zieht. Getümmel).
Und du?

Kriemhild.
              Das Kind! Mein Kind!

Hagen (sich über Otnit lehnend zu Dankwart).
                                                    Du triefst von Blut!

Kriemhild.
Er bringt es um!

Dankwart.                 Das ist nur roter Regen,
(er wischt sich das Blut ab)
Du siehst, es quillt nicht nach, doch alle andern
Sind hin.

Kriemhild.       Herr Rüdeger! Helft!

Hagen (schlägt Otnit den Kopf herunter).
                                                    Hier, Mutter, hier! –
Dankwart, zur Tür!

Volker.                           Auch da ist noch ein Loch!

(Dankwart und Volker besetzen beide Türen des Saales.)

Hagen (springt auf den Tisch).
Nun, laßt denn sehn, wer Totengräber ist.

Etzel.
Ich! – Folgt mir!

Dietrich (zu Volker). Platz dem König!

(Etzel und Kriemhild schreiten hindurch, Rüdeger, Hildebrant, Iring und Thüring folgen; als sich auch andere anschließen.)

Volker.                                                     Ihr zurück!

Etzel (in der Tür).
Ich wußte nichts vom Mord an Euren Knechten
Und hätt' ihn so bestraft, daß Ihr mir selbst
Ins Schwert gefallen wärt. Dies schwör ich Euch!
Dies aber auch: Jetzt seid Ihr aus dem Frieden
Der Welt gesetzt und habt zugleich die Rechte
Des Kriegs verwirkt! Wie ich aus meiner Wüste
Hervorbrach, unbekannt mit Brauch und Sitte,
Wie Feuer und Wasser, die vor weißen Fahnen
Nicht stehen bleiben und gefaltne Hände
Nicht achten, räch ich meinen Sohn an Euch
Und auch mein Weib. Ihr werdet diesen Saal
Nicht mehr verlassen, Ihr, Herr Dieterich,
Bürgt mir dafür, doch was den Heunenkönig
Auf dieser Erde einst so furchtbar machte,
Das sollt Ihr sehn in seinem engen Raum!

(Ab. Allgemeiner Kampf.)


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