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Odenwald
Hagen, Gunther, Volker, Dankwart und Knechte treten auf.
Hagen.
Dies ist der Ort. Den Brunnen hört ihr rauschen,
Die Büsche decken ihn. Und steh ich hier,
So spieß ich jeden, der sich bückt und trinkt,
An das Gemäuer.
Gunther. Noch befahl ich's nicht.
Hagen.
Du wirst es tun, wenn du dich recht bedenkst,
Es gibt kein andres Mittel, und es kommt
Kein zweiter Tag, wie dieser. Darum sprich,
Und wenn du lieber willst, so schweig!
(Zu den Knechten.) Holla!
Hier ist die Rast!
(Die Knechte ordnen ein Mahl.)
Gunther. Du warst ihm immer gram.
Hagen.
Nicht leugnen will ich's, daß ich meinen Arm
Mit Freuden leihe und mit einem jeden
Erst kämpfen würde, der sich zwischen mich
Und ihn zu drängen suchte, doch ich halte
Die Tat darum nicht minder für gerecht.
Gunther.
Und dennoch rieten meine Brüder ab
Und wandten uns den Rücken.
Hagen. Hatten sie
Zugleich den Mut, zu warnen und zu hindern?
Sie fühlen's wohl, daß wir im Rechte sind,
Und schaudern nur, wie's ihrer Jugend ziemt,
Vor Blut, das nicht im offnen Kampfe fließt.
Gunther.
Das ist's!
Hagen. Er hat den Tod ja abgekauft
Und so den Mord geadelt.
(Zu den Knechten.) Stoßt ins Horn,
Daß man sich sammelt, denn wir müssen ja
Erst essen.
(Es wird geblasen.)
Nimm die Dinge, wie sie stehn,
Und laß mich machen. Fühlst du selbst dich nicht
Gekränkt und willst vergeben, was geschehn,
So tu's, nur wehre deinem Diener nicht,
Dein Heldenweib zu rächen und zu retten!
Sie wird den Eid nicht brechen, den sie schwur,
Wenn ihre stille Zuversicht auf uns
Sie täuscht, daß wir ihn lösen werden,
Und alle Lust des Lebens, die sich wieder
In ihren jungen Adern regen mag,
Sobald die Todesstunde sie umschattet,
Wird sich nur noch in einem Fluch entladen,
In einem letzten Fluche über dich!
Gunther.
Es ist noch Zeit!
Siegfried tritt auf mit Rumolt und mit Knechten.
Siegfried. Da bin ich! Nun, ihr Jäger,
Wo sind die Taten? Meine würden mir
Auf einem Wagen folgen, doch er ist
Zerbrochen!
Hagen. Nur den Löwen jag ich heut,
Allein, ich traf ihn nicht.
Siegfried. Das glaub ich wohl,
Ich hab ihn selbst erlegt! – Da wird gedeckt:
Ein Tusch für den, der das geordnet hat,
Jetzt spürt man, daß man's braucht. Verfluchte Raben,
Auch hier? Laßt blasen, daß die Hörner springen!
Mit jeglichem Getiere warf ich schon
Nach diesem Schwarm, zuletzt mit einem Fuchs,
Allein sie weichen nicht, und dennoch ist
Mir nichts im frischen Grün so widerwärtig,
Als solch ein Schwarz, das an den Teufel mahnt.
Daß sich die Tauben nie so um mich sammeln!
Hier bleiben wir wohl auch die Nacht?
Gunther. Wir dachten –
Siegfried.
Ei wohl, der Platz ist gut gewählt. Dort klafft
Ein hohler Baum! Den nehm ich gleich für mich!
Denn so bin ich's von Jugend auf gewohnt,
Und Beßres kenn ich nicht, als eine Nacht,
Den Kopf ins mürbe Glimmholz eingewühlt,
So zwischen Schlaf und Wachen zu verdämmern
Und an den Vögeln, wie sie ganz allmählich,
Der eine nach dem andern, munter werden,
Die Stunden abzuzählen. Tick, Tick, Tick!
Nun ist es zwei. Tuck, Tuck! Man muß sich recken.
Kiwitt, Kiwitt! Die Sonne blinzelt schon,
Gleich öffnet sie die Augen. Kikriki!
Springt auf, wenn ihr nicht niesen wollt.
Volker. Jawohl!
Es ist, als ob die Zeit sie selber weckte,
Indem sie sich im Dunkeln weiter fühlt,
Um ihr den Takt zu ihrem Gang zu schlagen.
Denn in gemeßnen Pausen, wie der Sand
Dem Glas entrinnt, und wie der lange Schatten
Des Sonnenweisers fortkriecht, folgen sich
Der Auerhahn, die Amsel und die Drossel
Und keiner stört den andern, wie bei Tage,
Und lockt ihn einzufallen, eh er darf.
Ich hab es oft bemerkt.
Siegfried. Nicht wahr? – Du bist
Nicht fröhlich, Schwäher.
Gunther. Doch, ich bin's!
Siegfried. O nein!
Ich sah schon Leute auf die Hochzeit gehn
Und hinter Särgen schreiten, und ich kann
Die Mienen unterscheiden. Macht's, wie ich,
Und tut, als hätten wir uns nie gekannt,
Und uns zum ersten Mal, der eine so,
Der andre so versehn, im Wald getroffen.
Da schüttet man zusammen, was man hat,
Und teilt mit Freuden mit, um zu empfangen.
Wohlan, ich bringe Fleisch von allen Sorten,
So gebt mir denn für einen Auerstier,
Fünf Eber, dreißig oder vierzig Hirsche
Und soviel Hühner, als ihr sammeln mögt,
Des Löwen und der Bären nicht zu denken,
Nur einen einz'gen Becher kühlen Weins.
Dankwart.
O weh!
Siegfried. Was gibt's?
Hagen. Das Trinken ist vergessen.
Siegfried.
Ich glaub's. Das kann dem Jäger wohl begegnen,
Der statt der Zunge eine Feuerkohle
Im Munde trägt, wenn's Feierabend ist.
Ich soll nur selber suchen, wie ein Hund,
Obwohl mir seine Nase leider mangelt,
Es sei darum, ich störe keinen Spaß. (Er sucht.)
Hier nicht! Auch dort nicht! Nun, wo steckt das Faß?
Ich bitt dich, Spielmann, rette mich, sonst werd ich
Euch aus dem lautesten der stillste Mann.
Hagen.
Das könnte kommen, denn – Es fehlt am Wein.
Siegfried.
Zum Teufel eure Jagden, wenn ich nicht
Als Jäger auch gehalten werden soll!
Wer hatte denn für das Getränk zu sorgen?
Hagen.
Ich! – Doch ich wußte nicht, wohin es ging,
Und schickt es in den Spessart, wo's vermutlich
An Kehlen mangelt.
Siegfried. Danke dir, wer mag!
Gibt's hier denn auch kein Wasser? Soll man sich
Am Tau des Abends letzen und die Tropfen
Der Blätter lecken?
Hagen. Halt nur erst den Mund,
So wird das Ohr dich trösten!
Siegfried (horcht). Ja, es rauscht!
Willkommen, Strahl! Ich liebe dich zwar mehr,
Wenn du, anstatt so kurz vom Stein heraus
Zu quellen und mir in den Mund zu springen,
Den krausen Umweg durch die Rebe nimmst,
Denn du bringst vieles mit von deiner Reise,
Was uns den Kopf mit muntrer Torheit füllt,
Doch sei auch so gepriesen.
(Er geht auf den Brunnen zu.) Aber nein,
Erst will ich büßen, und ihr sollt's bezeugen,
Daß ich's getan. Ich bin der Durstigste
Von allen, und ich will als letzter trinken,
Weil ich ein wenig hart mit Kriemhild war.
Hagen.
So fang ich an. (Er geht zum Brunnen.)
Siegfried (zu Gunther).
Erheitre dein Gesicht,
Ich hab ein Mittel, Brunhild zu versöhnen,
Du hast es nicht mehr weit zum ersten Kuß,
Und ich will mich enthalten, wie du selbst.
Hagen (kommt wieder und entwaffnet sich).
Man muß sich bücken, und das geht nicht so. (Wieder ab.)
Siegfried.
Kriemhild will sie vor allem deinem Volk,
Bevor wir ziehen, um Verzeihung bitten,
Das hat sie frei gelobt, nur will sie gleich
Mit dem Erröten fort.
Hagen (kommt wieder).
So kalt, wie Eis.
Siegfried.
Wer folgt?
Volker. Wir essen erst.
Siegfried. Wohlan!
(Er geht auf den Brunnen zu, kehrt aber wieder um.)
Ja so!
(Er entwaffnet sich und geht.)
Hagen (auf die Waffen deutend).
Hinweg damit.
Dankwart (trägt die Waffen fort).
Hagen (der seine Waffen wieder aufgenommen und Gunther fortwährend den Rücken zugewendet hat, nimmt einen Anlauf und wirft seinen Speer).
Siegfried (schreit auf).
Ihr Freunde!
Hagen (ruft). Noch nicht still?
(Zu den andern.) Kein Wort mit ihm, was er auch sagen mag!
Siegfried (kriecht herein).
Mord! Mord! – Ihr selbst? Beim Trinken! Gunther, Gunther,
Verdient ich das um dich? Ich stand dir bei
In Not und Tod.
Hagen. Haut Zweige von den Bäumen,
Wir brauchen eine Bahre. Aber starke,
Ein toter Mann ist schwer. Rasch!
Siegfried. Ich bin hin,
Doch noch nicht ganz!
(Er springt auf.) Wo ist mein Schwert geblieben?
Sie trugen's fort. Bei deiner Mannheit, Hagen,
Dem toten Mann ein Schwert! Ich fordre dich
Noch jetzt zum Kampf heraus!
Hagen. Der hat den Feind
Im Mund und sucht ihn noch.
Siegfried. Ich tropfe weg,
Wie eine Kerze, die ins Laufen kam,
Und dieser Mörder weigert mir die Waffe,
Die ihn ein wenig wieder adeln könnte.
Pfui, pfui, wie feig! Er fürchtet meinen Daumen,
Denn ich bin nur mein Daumen noch.
(Er strauchelt über seinen Schild.) Mein Schild!
Mein treuer Schild, ich werf den Hund mit dir!
(Er bückt sich nach dem Schilde, kann ihn aber nicht mehr heben und richtet sich taumelnd wieder auf.)
Wie angenagelt! Auch für diese Rache
Ist's schon zu spät!
Hagen. Ha! wenn der Schwätzer doch
Die lose Zunge, die noch immer plappert,
Zermalmte mit den Zähnen, zwischen denen
Sie ungestraft so lange sündigte!
Da wär er gleich gerächt, denn die allein
Hat ihn so weit gebracht.
Siegfried. Du lügst! Das tat
Dein Neid!
Hagen. Schweig! Schweig!
Siegfried. Du drohst dem toten Mann?
Traf ich's so gut, daß ich dir wieder lebe?
Zieh doch, ich falle jetzt von selbst, du kannst
Mich gleich bespein, wie einen Haufen Staub,
Da lieg ich schon – (Er stürzt zu Boden.)
Den Siegfried seid ihr los!
Doch wißt, ihr habt in ihm euch selbst erschlagen,
Wer wird euch weiter traun! Man wird euch hetzen,
Wie ich den Dänen wollte –
Hagen. Dieser Tropf
Glaubt noch an unsre List!
Siegfried. So ist's nicht wahr?
Entsetzlich! Furchtbar! Kann der Mensch so lügen! –
Nun wohl! Da seid ihr's ganz allein! Man wird
Euch immer mit verfluchen, wenn man flucht,
Und sprechen: Kröten, Vipern und Burgunden!
Nein, ihr voran: Burgunden, Vipern, Kröten,
Denn alles ist für euch dahin, die Ehre,
Der Ruhm, der Adel, alles hin, wie ich!
Dem Frevel ist kein Maß, noch Ziel gesetzt,
Es kann der Arm sogar das Herz durchbohren,
Doch sicher ist es seine letzte Tat!
Mein Weib! Mein armes, ahnungsvolles Weib,
Wie wirst du's tragen! Wenn der König Gunther
Noch irgend Lieb und Treu zu üben denkt,
So üb er sie an dir! – Doch besser gehst du
Zu meinem Vater! – Hörst du mich, Kriemhild?
(Er stirbt.)
Hagen.
Jetzt schweigt er. Aber jetzt ist's kein Verdienst!
Dankwart.
Was sagen wir?
Hagen. Das Dümmste! Sprecht von Schächern,
Die ihn im Tann erschlugen. Keiner wird's
Zwar glauben, doch es wird auch keiner, denk ich,
Uns Lügner nennen! Wir stehn wieder da,
Wo niemand Rechenschaft von uns verlangt,
Und sind, wie Feuer und Wasser. Wenn der Rhein
Auf Lügen sinnt, warum er ausgetreten,
Ein Brand, warum er ausgebrochen ist,
Dann wollen wir uns quälen. Du, mein König,
Hast nichts befohlen, des erinnre dich,
Ich hafte ganz allein. Nun fort mit ihm!
(Alle ab mit der Leiche.)
Kriemhilds Gemach. Tiefe Nacht.
Kriemhild.
Es ist noch viel zu früh, mich hat mein Blut
Geweckt und nicht der Hahn, den ich so deutlich
Zu hören glaubte.
(Sie tritt zum Fenster und öffnet einen Laden.)
Noch erlosch kein Stern,
Zur Messe ist's gewiß noch eine Stunde!
Heut sehn ich mich nach dem Gebet im Dom.
Ute tritt leise ein.
Ute.
Schon auf, Kriemhild?
Kriemhild. Das wundert mich von dir.
Du pflegst ja erst des Morgens einzuschlafen
Und auf dein Mutterrecht, von deiner Tochter
Geweckt zu werden, wie sie einst von dir,
Dich zu verlassen.
Ute. Heute konnt ich nicht,
Es war zu laut.
Kriemhild. Hast du das auch bemerkt?
Ute.
Ja, wie von Männern, wenn sie stille sind.
Kriemhild.
So irrt ich nicht.
Ute. Das hält den Odem an,
Doch dafür fällt das Schwert! Das geht auf Zehen
Und stößt den Ofen um! Das schweigt den Hund
Und tritt ihn auf den Fuß!
Kriemhild. Sie sind vielleicht
Zurück.
Ute. Die Jäger?
Kriemhild. Einmal kam's mir vor,
Als ob man bis an meine Tür sich schliche,
Da dacht ich, Siegfried sei's.
Ute. Und gabst du ihm
Ein Zeichen, daß du wachtest?
Kriemhild. Nein.
Ute. So kann
Er's auch gewesen sein! Nur wäre das
Doch fast zu schnell.
Kriemhild. So will's mich auch bedünken!
Auch hat er nicht geklopft.
Ute. Sie zogen ja,
So viel ich weiß, nicht für die Küche aus,
Sie wollen unsern Meiern Ruhe schaffen,
Die ihre Pflüge zu verbrennen drohn,
Weil stets der Eber erntet, wo sie sä'n!
Kriemhild.
So?
Ute. Kind, du bist schon völlig angekleidet
Und hast nicht eine Magd um dich?
Kriemhild. Ich will
Die kennenlernen, die die Frühste ist,
Auch hat es mich zerstreut.
Ute. Ich hab sie alle
Der Reihe nach beleuchtet mit der Kerze.
Ein jedes Jahr schläft anders! Funfzehn, Sechzehn
Noch ganz, wie Fünf und Sechs. Mit Siebzehn kommen
Die Träume und mit Achtzehn die Gedanken,
Mit Neunzehn schon die Wünsche –