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Rede in Düsseldorf

Gehalten bei der Feier des siebzigsten Geburtstages am 24. November 1932.

Vor etwa dreiviertel Jahren begann ich eine Wanderfahrt im Namen und unter dem Zeichen Goethes: sie ist bis jetzt noch nicht abgeschlossen. Sie führte mich zunächst über den großen Teich nach New York, wo und von wo ich neue Einblicke in die Neue Welt tun konnte. Sie hängt enger und familiärer zusammen, als man gemeinhin sich vorstellt, diese Neue Welt, was wohl noch durch das Exilhafte der amerikanischen Psyche irgendwie zu erklären ist – aber das führt auf Nebengeleise.

Ich sprach von meiner dreivierteljährigen Wanderfahrt, die sich in meinem siebzigsten Lebensjahr mit dem hundertsten Todestage Goethes einleitete und zunächst mit seinem Namen verbunden blieb. Noch am 28. August, dem Geburtstage Goethes, haben wir in der Paulskirche zu Frankfurt Goethe gefeiert.

Bei diesem Anlaß erhielt ich den Frankfurter Goethe-Preis.

Dadurch, wie vorher schon in Amerika und Bremen, verband sich mit der Feier Goethes das warme und freundliche Bekenntnis zu meinem eigenen Wesen und Sein: ein Bekenntnis, dessen ich mich auch jetzt erfreue und dessen Wahrheit – möge die mir noch übrigbleibende Zukunft sein, wie sie wolle! – mir niemand mehr rauben kann. Nachdem mich Bremen bei meiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten begrüßt, tat es Breslau, meine Jugend- und Heimatstadt, die Hauptstadt meiner Heimatprovinz, in unvergeßlich herzlicher Weise. Ich möchte Sie nur an meiner Wallfahrt teilnehmen lassen, wenn ich die schönen Etappen, die hinter mir liegen, mit Namen nenne. Sie heißen: Bremen, Frankfurt, Breslau, Salzbrunn, Wien, Prag, Hamburg, Altona, Stettin, Leipzig, Dresden, Berlin, Magdeburg – die vorläufig letzte, heute, heißt Düsseldorf.

Für mich ist dieses große Erlebnis meines siebzigsten Lebensjahres sehr vielfältig. Das Äußerliche, so ungewöhnlich, so ehrenvoll, so bereichernd im Sinne einer ergänzenden und abrundenden Lebenserfahrung es für mich auch ist, wird erst durch ein Innerliches vervollständigt. Das bedeutet eine Verbindung mit der Volksseele, wie sie mir so verbreitet und stark bisher nicht geworden ist. Es ist damit, in einem neu geweiteten Seelenraum, eine neue Einheit durch eine neue Gesamterfahrung geschaffen worden. Sosehr ich auch äußerlich ein Beschenkter bin und Freude an den Geschenken habe, so hat meine Wallfahrt, wie gesagt, auch noch einen höheren Sinn, als solche Geschenke einzuheimsen: es besteht eine Wechselwirkung, in diesem höheren Sinn, die uns alle um unser Deutschtum innerlich sammelt.

Damit ist, wie ich glaube, auch Wesen und Sinn der wundervollen Stunde, die wir soeben genossen haben, ausgedrückt. Musik und Wort, Wort und Musik haben es bezeugt.

Ich weiß, wo ich bin: inmitten eines zyklopischen Industriebezirks, eines der gewaltigsten Phänomene des dämonischen, flammenspeienden Arbeitsgeistes moderner Zeit, eines urmächtigsten Ausbruchs des Elementaren, wogegen gehalten Musen und Grazien, inbegriffen die schönen Künste, zur lautlosen Schwäche verdammt scheinen und alle anderen als materielle Arbeitsideale sich, wie man denken sollte, kaum durchsetzen können. Das Lied der Loreley, meint man, könne nicht mehr gehört werden bei dem Gezisch der Feuergarben, dem Geheule der Sirenen, dem Rattern der Krane am eisernen Rhein. Oder man fragt, ob sich das schlichte deutsche Gefühl in der abgrundhaften Psyche des mit diesem tosenden, rauchenden, schwelenden Arbeitsbezirk auf Gedeih und Verderb verbundenen, angebundenen Menschen, ohne von dem Feuerhauch der entfesselten Tiefen sogleich hinweggefegt zu werden, hervorwagen kann. Nun, die zarteren, sowohl geistig als sinnlich schönen Dinge des Lebens, sage ich mir, mußten sich immer, auch solchen Mächten gegenüber, auf eigene Weise mutig durchsetzen. Pompeji ist am Fuße des Vesuvs gebaut, um den Ätna herum blühten die herrlichsten aller Kulturstätten. Und schließlich – die Macht aller Mächte im Menschlichen ist doch nur allein das Menschenhirn: ist ja aus ihm allein auch unter anderem der ganze rheinisch-westfälische Industriebezirk, die künftige Weltstadt zwischen Ruhr, Lippe und Rhein mit all ihren Anlagen und Maschinerien geboren worden. So wird auch, aus Gnaden des souveränen Gedankens, die Lurley weiterleben, und Düsseldorf braucht seinen »Malkasten« nicht aufzugeben. Immer wieder mögen Leute in Düsseldorf wirken wie Immermann, Grabbe, Freiligrath, und die musikalischen Dichtungen unsrer deutschen Meister mögen ebenso weiter gehört werden. Es mag sich vielleicht sogar eines Tages aus dem Herzen der ganzen Eisen- und Feuerdämonie selbst ein weißer Vogel Phönix emporschwingen, welcher der Menschheit, der ich dann allerdings schon Valet gesagt habe, noch höhere, noch erhabenere musikalisch-dichterische Offenbarungen bringen wird.

Hiermit möchte ich auf den eigentlichen Grund, um dessentwillen ich mich erhoben habe, einlenken: ich wollte Ihnen meinen Dank sagen. Herr Oberbürgermeister, alle meine bekannten und unbekannten Freunde, es sei hiermit von Herzen getan. Aber mein Dank erfährt eine unpersönliche Steigerung durch den Dank an den Himmel, den ich fühle, dafür, daß er mir Deutschlands Stärke aus der Nähe gezeigt: Menschen und Männer der deutschen Erde, Männer von Herz, Kraft, Fleiß, Einsicht und gutem Willen, die überall in Deutschland am Werk sind, einen Reichtum, in dem uns schwerlich ein Land übertrifft: die tröstende Gewißheit unserer Dauer, unseres hohen Wertes im Rate der Völker liegt darin. Und damit will ich beruhigt abschließen.


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