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Walther Rathenau

Worte, bestimmt, bei der Trauerfeier für Walther Rathenau im Reichstag am 27.Juni 1922 gesprochen zu werden.

Hohe Trauerversammlung! Es hält schwer, unter diesen Begriff eine Versammlung zu fassen, die etwas bewegt, was weit mehr als Trauer ist. Es ist etwas zu allertiefst Aufwühlendes, worunter alles Persönliche fast verschwindet. Hier ist aus tiefster Nacht ein Strahl heruntergezuckt, aus furchtbarer nationaler Umnachtung, und hat blind getroffen, hat ein hellsehendes, hell durchblickendes Pilotenauge getroffen, hat einen Lynkeus getroffen, zum Schauen geboren, zum Sehen bestellt. Einen Mann, der sein Auge eingestellt hatte nach der gebieterischen Forderung seines Herzens, das Deutschland gehörte, das, wie ich aus tausend privaten Zügen weiß und vor Gott bezeugen kann, in innigster, rührendster Weise für Deutschland schlug. Nicht nur die glühendste Liebe zu Deutschland hatte dieser Mann, der dunklen Mächten zum Opfer gefallen ist, er hatte auch eine tiefe Liebe zu Preußen. Mit Andacht betrachtete und berührte er den Schreibtisch der Königin Luise, den er als eine Reliquie aufbewahrte. Man konnte von ihm nicht sagen, ob er dieses oder jenes Parteiprogramm für das absolut richtige hielt, aber er hielt unter allen Umständen die Arbeit für unser Vaterland, die Arbeit für unser deutsches Volk für das Richtige, und er hat letzten Endes nichts als diese Arbeit gekannt. Was soll man sagen vor diesem Geschick? vor diesem persönlichen Schicksal und vor diesem unserem deutschen Schicksal? Haben wir irgendwann in der Weltgeschichte einen so gottverlassenen moralischen Tiefstand als mit dem Ende dieses Geschickes erlebt? Aber ich habe nicht davon zu reden. Ich habe nur einem toten Freunde ein Lebewohl nachzurufen. Es ist ein blutiges Weh in uns, denn wir wissen, welchen Verlust das werdende Deutschland mit seinem Hingang erlitten hat. Seiner weichen und festen Hand, seinem genialen Intellekt, seinem in jeder Beziehung integren Charakter hätte auch weiter noch Großes und Gutes gelingen müssen, wie es ihm schon im Anfang gelungen ist, ich spreche es ohne Zögern und Scham aus. Dieser Mann hat die Achtung aller derer genossen, die mit ihm umgingen, Männer jeder Volksschicht, jeder Partei, Freund und Feind. Wem ist dieser Mann im Wege gewesen? Ich habe mich tausendmal gefragt, und die Antwort will sich nicht einstellen. Hätten diejenigen ihn gekannt, die ihre Revolverläufe und Handgranaten gegen ihn gerichtet haben, wären sie mit ihm zusammengewesen, nur eine kurze halbe Stunde lang, sie hätten sich eher die Hand abgeschlagen, als gegen ihn die Waffe gerichtet. Ich sage dieses, aber ich mache unnütze Worte. Der unerhörte Verlust ist da und läßt uns jene Leere zurück, die in Augenblicken der Hoffnungslosigkeit über uns ist. Leonardo da Vinci sagte, wo keine Hoffnung ist, ist Leere. – Damit aber wollen wir nicht schließen, das würde nicht im Sinne des Toten sein. Er hoffte für Deutschland. Er hoffte mehr und mehr, und weil er mehr und mehr hoffte, so arbeitete er mehr und mehr und zusehends fröhlicher. Er hat gehofft, er hat sein schönes Ziel gesehen und Tage und Nächte darüber gegrübelt, wie das deutsche Volk seinen Weg dahin finden müsse. Dieser Weg ist nun mit ihm selber in Nacht versunken. Aber wir wollen hoffen und, jeder an seinem Teile, wirken für unser deutsches Vaterland.


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