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Die Epopöe von der Eroberung Amerikas

Rede, gehalten im Lotos Club zu New York am 28. Februar 1932.

Überflüssig zu sagen, daß ich Einladung und Gastfreundschaft des Lotos Clubs als besondere Auszeichnung und Ehre empfinde und es dankbar genieße, unter Ihnen zu sein. Die Worte des Willkommens, die Sie mir widmen, finden in mir einen tiefen Widerhall, und ich danke Ihnen auch dafür mit Ergriffenheit. Nicht allzu reichlich gesät sind die kameradschaftlichen Augenblicke in der Welt, wenn auch räumlich weit Getrenntes geistige Gemeinschaft verbinden kann. Die wirkliche Nähe, der wirkliche Händedruck bleibt immerhin das überwiegend Reale, das, durch die folgende Trennung, enger als vorher vereint.

Wie wohl jeder Europäer träumte ich von Amerika, lange bevor ich den Kolumbus-Kontinent im Jahre 1894 zum erstenmal betrat. Als ich durch die Landschaft der Neu-England-Staaten fuhr, war es mir, als ob ich auf einen anderen Planeten versetzt wäre. Nur schwer vermählte sich das Traumland meiner Seele mit der vorhandenen Wirklichkeit. Selbstverständlich hatte ich Cooper gelesen, den sogenannten »Lederstrumpf«. Er hatte mich mit Trapper- und Indianerromantik durchdrungen. In den Hügeln um Meriden, wo ein Freund von mir als Arzt praktizierte, ging ich ihr mit mystischen Schauern nach.

Dort, in der gleichen Gegend, sind auch Pilgerväter begraben, und ich habe ihre Ruhestätten besucht. Welch ungeheures Kapitel in den Zeiten nach Christi Geburt ist doch, von der Entdeckung an bis zum heutigen Tage, in der Menschheitsgeschichte Amerika! Ungeheuer in jeder Beziehung! Es enthält fast alles: Hoffnung, Glauben, Leidenskraft, Mut, Willensstärke und freilich auch minder edle Eigenschaften in übermenschlichen Ausmaßen. Und sofern ein Gedanke dieses Kapitel nur leise streift, bemächtigt sich meiner unsägliches Staunen.

Aber der Ausdruck Kapitel ist zu geringfügig, sofern man dabei an ein geschriebenes Geschichtswerk denkt, und nur dann zulässig, wenn man ihn als Hauptstück der ungeschriebenen Geschichte des Werdens und Wachsens der Menschheit nimmt. Ilias und Odyssee sind, dagegen gehalten, stofflich geringfügig. Es gibt keinen Historiker, es gibt keinen Dichter und hat nie einen gegeben, der sich an die Bewältigung dieses Stoffes heranwagen könnte. Balzac und Homer zusammengenommen und potenziert, in einem künftigen Übermenschen vereinigt, könnten vielleicht Umfang, Tiefe und Weite der Aufgabe fühlen und ihr gewachsen sein. Gelänge sie, so besäßen wir die größte Epopöe aller Zeiten. Ihr Seher und Schöpfer, in einem frühen Erwachen mit der Intuition dieser Aufgabe beschenkt, müßte von Anfang an dazu entschlossen sein, sein ganzes Leben nur ihr zu widmen. In einer Synthese ohnegleichen hätte er den Kampf des Menschen mit der Erde und ihre unter den furchtbarsten Bedingungen ausgeführte Eroberung zusammenzufassen. Einen ununterbrochenen Weg der Entdeckungen, begonnen mit der Entdeckung Amerikas, würde der dichtende Seher entschleiern: und es würde sich zeigen, wie die dornigen Leidenswege der einzelnen Kolonisten, und nicht nur der des Kolumbus, Entdeckerwege sind. Das aber wesentlich zu Entdeckende, der vielleicht wichtigste neue Kontinent, wäre der Mensch, angesichts seiner wesentlichen, seiner elementarsten Betätigung.

Die Besiedlung insonderheit der heute vereinigten Staaten von Nordamerika ist darum ein so einzigartiger Gegenstand, weil er in naher Gegenwart mit dem Material moderner Menschen in rätselhaft eruptiver Form deutlich spürbar wiederholt, was in prähistorischer Vergangenheit Schicksal der Menschen gewesen ist. Es überragt an Wucht und allfältiger Größe weit die Völkerwanderung: es ist das größte wahrhaft moderne Geschehen.

Was ist allein schon das von allem Anfang an zu Überwindende, eh der Fuß eines Weißen den amerikanischen Kampfplatz betreten kann? Die Barriere der großen See, die ich eben in einem der gewaltigsten Schiffe der Welt überwunden habe. Es heißt »Europa«: nomen est omen! Es war Europa, das seit zirka viereinhalb Jahrhunderten immer wieder seinen Sturmlauf hierher gerichtet hat auf dieses Amerika, das man die Neue Welt nannte. Sehnsucht, Drang zu Taten, Rausch des Entdeckers, Trieb zum übermenschlichen Abenteuer zogen die Menschen unwiderstehlich auf die pfadlosen Weltgewässer hinaus, aber nicht auf Schiffen, wie diese »Europa« heute ist, sondern auf kleinen Nußschalen. Welche Leiden sind dann auf den Wogen des Atlantischen Ozeans gelitten, welche jämmerlichen Opfertode gestorben worden, damit diese Staatenvereinigung des amerikanischen Nordens groß werde! Wieviel blutige Irrtümer mußten bezahlt werden, bevor sich das große Ganze bezahlt machte mit der Blüte, zu der die Neue Welt trotz allem und allem gediehen ist!

Ich breche ab, weil Ohnmacht, es auch nur entfernt zu meistern, das stärkste Bekenntnis zur Größe dieses Themas ist. Wie gesagt: nicht ich, wohl aber die Menschheit, die mit mir und nach mir ist, mag der gewaltigen Epopöe von der Entdeckung Amerikas und des Menschen entgegenwarten.

Ich befinde mich unter Amerikanern: ein Begriff, der wohl im Herzen George Washingtons sich zuerst gebildet hat. Heute hat dieser Begriff auf der ganzen Erde einen Fanfarenwert. Mögen sich innerhalb der Vereinigten Staaten auch noch so widerstrebende Mächte geltend machen: außerhalb ist der Begriff des Amerikaners gleichbedeutend mit unbefangener Tatkraft, Selbstbewußtsein und einem selbstverständlichen, freien Fortschrittsgeist, so daß jeder Mensch des Fortschritts auch außerhalb der Vereinigten Staaten, außerhalb des amerikanischen Kontinents, kurz jeder Fortschrittsmensch auf der ganzen Erde teil an diesem Begriffe nimmt. Er ernennt sich gleichsam zum Amerikaner. Und sofern der Amerikaner weiterhin sich selbst versteht, wird er weiterhin Jahrhundert nach Jahrhundert an der Spitze menschheitlicher Entwicklung das Banner des Fortschritts durch die Zeit tragen.

Und deshalb: Es lebe der Amerikaner!


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