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Der Sinn geistiger Ehrung

Rede, gehalten auf einem Festbankett zu München am 25. November 1926.

Feiern wie die heutige haben ganz gewiß ihre äußere und innere Berechtigung. Die Frage, deren Beantwortung mit diesem Satze gegeben ist, ist bei einem Manne natürlich, der gewohnt ist, die Erscheinungen des Lebens immer wieder neu durchzudenken, sie in einen größeren Zusammenhang zu bringen und das Überpersönliche in ihnen zu sehen.

Feiern wie diese haben also, meiner Ansicht nach, persönlich-überpersönlich ihre Berechtigung. Um ein geistiges Eigenzentrum, dessen Auswirkungen ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen sind, treten andere Geisteszentren zusammen, bilden einen sozialen Zusammenklang auf Grund der verbindenden Kräfte, welche die trennenden, wenn auch mitunter auf noch so kurze Zeit, ausschalten. Das Eigenzentrum, dem man in dieser Weise huldigt, ist gerade während dieser Huldigung weniger als je das, was sein Name besagt, sondern in einer Allgemeinheit aufgelöst: es ist entpersönlicht und damit überpersönlich geworden.

Somit ist eine solche Feier auch als Manifestation sozialen Friedens anzusprechen. Man tritt zusammen und ehrt einen Geist, weil man den Geist ehren will. Man ehrt den Träger einer Geistigkeit, um die Träger des Geistes im Volke zu ehren. Man ehrt den Lebendigen und ehrt damit die große Republik der Geister, die, über dreitausend Jahre und länger verteilt, insgesamt noch heute in ihren Emanationen wirkend sind. Man tut es in einem besinnlichen Augenblick, einem großen Bewußtseinsaugenblick, der um so köstlicher und befreiender ist, je mehr Parteiungen in ihm geschmolzen sind, und je mehr das Große, Einigende sieghaft ist. Ihrer hohen Idee am nächsten kommend wird eine solche Feier sein, je mehr in ihr die Namen von literarischen und politischen Parteien verblassen und je stärker und einigender der naheliegende nationale Gedanke und darüber hinaus der Menschheitsgedanke aufleuchtet.

Nun kann sich niemand so weit entpersönlichen und soll es auch nicht, bis er nicht weiß, daß er Mensch unter Menschen ist. Nachdem ich mir also die Last der hohen und freundlichen Ehrungen, die mir hier widerfahren, erleichtert habe, kann ich sie um so dankbarer, herzlicher, heiterer genießen. Neben dem wahren Ernst steht immer – sonst ist er kein wahrer Ernst – die wahre Heiterkeit. Ja, Ernst ist überhaupt nicht Ernst, falls Heiterkeit nicht Heiterkeit sein sollte. Die Weltuhr stünde still, wenn ihr Pendel nicht mehr dahin und dorthin ausschlüge. Nicht einmal der finsterste Geist religiöser Weltfeindschaft und Verdüsterung entbehrt dieser Heiterkeit. Er lehnt sie auf Erden ab, um ihrer dafür im Jenseits, und zwar in grenzenloser Steigerung, teilhaftig zu werden. Heiterkeit gehört in das Gebiet der Freude. Heiterkeit ist Freude, und Freude ist Heiterkeit. So bekenne ich denn als Mensch, daß ich eine herzliche, tiefe Freude empfinde angesichts der Ehrung und warmen Begrüßung, die mir bereitet worden ist. Ich leugne nicht, daß ich, getragen durch diese warme Sympathiewoge meiner lieben deutschen Mitbürger, Stolz und Glück in höchstem Maße empfinde und, nicht ohne eine gewisse Selbstgerechtigkeit, mir bescheinige: Mein Leben war nicht umsonst gelebt.

Ich habe unter anderem Dramen geschrieben. Auf diesen Umstand wollen Sie mir gestatten kurz zurückzukommen. In diesen Dramen treten allerlei Gestalten auf, Prägungen des lebendigsten Lebens in meinem Geiste. Den sogenannten Bösewicht findet man in diesen für das Theater bestimmten Werken nicht. Ich möchte vielmehr in Anspruch nehmen, den allermeisten meiner Gestalten ein wesentlich unbestochener, womöglich liebevoller Sachwalter gewesen zu sein. Über das Menschliche, Allzumenschliche konnte ich freilich nicht hinwegsehen, weil es, wenn man menschliche Schicksale nachbilden will, ein im Tragischen wie im Komischen unumgänglicher, lebenbildender und auch verhängnisvoller Faktor ist. Wer das Theater will, wer das Drama will, wer den echten, reinen, läuternden und aufklärenden Spiegel des Lebens will, muß auch mit aller Entschiedenheit zu dem Menschlich-Allzumenschlichen ja sagen. Es bewiese keine Kunstreife, wenn man das Theater verließe wie ein hochachtungswerter Volksschullehrer in meinem heimatlichen Schreiberhau, weil auf der Liebhaberbühne ein komischer Volksschullehrer zu sehen war, über den gelacht wurde.

Warum erwähne ich gerade das? Weil es mir in einem Augenblick sozialen Friedens und herzlich verbindender Festivitas naheliegt, die Dichtkunst, wie ich sie verstehe, auch allgemein als ein den sozialen Frieden förderndes Kulturelement betrachtet zu sehen. Freilich kein schwächliches Element. Es rechnet mit Vollmenschen, geisteskräftigen Männern und Frauen, die urteilsfähig, nicht verzärtelt und durch kränkliche Eitelkeit überempfindsam geworden sind. Es rechnet mit solchen Hörern und Zuschauern, die den Mut haben, zu eigener Belehrung und Läuterung in den Abgrund des Lebens hineinzublicken, selbst dort, wo er am tiefsten ist.

Lassen Sie mich meinen Dank an alle meine versammelten Freunde aufs innigste wiederholen und mit einem allgemeinen deutschen Wunsch schließen: Möge der soziale Zusammenklang, wie er sich hier einen schönen Augenblick lang vollzieht, auf allen Gebieten unserer heiligen und gewaltigen Volksgemeinschaft sich oft und oft wiederholen! Möchten persönliche Berührungen immer mehr rein menschliche Sympathien schaffen und damit töricht verblendende Vorurteile aus dem Wege räumen, die vielfach den einen guten Deutschen veranlassen, im andern guten Deutschen den »schwarzen Mann« zu sehen. Schon ist es eine Freude, zu erleben, wenn der Sommer Jugendschwärme des Westens nach dem Osten, des Ostens nach dem Westen, des Südens nach dem Norden, des Nordens nach dem Süden führt. Ich sah Tiroler Jugend in ihrer kleidsamen Tracht in Stralsund zur Kirche gehen. Ich habe freilich zu lange gelebt, um zu glauben, daß auf diesem Gebiet die Bäume in den Himmel wachsen. Nicht wie weit sie wachsen, sondern daß sie wachsen, ist aber die Hauptsache. Wachsen heißt hier zusammenwachsen. Und möge mit diesem Zusammenwachsen eine gesunde Wiedergeburt des Volkskörpers und der Volksseele verbunden sein: möge ein neues Wort, eine neue Freude in ihr aufblühen!


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