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Dank an die deutschen Schauspieler

Rede, gehalten beim Festakt zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg am 15. September 1925.

Die Feierlichkeiten, die den fünfundzwanzigjährigen Bestand des Deutschen Schauspielhauses zu Hamburg als einen wichtigen Gedenktag auszeichnen sollen und auszeichnen, haben ihre volle Begründung in der Wichtigkeit dieses Instituts. Die Schaubühne, besonders wie sie bei uns in Deutschland sich entwickelt hat, muß noch immer als ein kultureller Faktor ersten Ranges angesprochen werden.

Zwar hat sie, wie alles in der Welt, mit der Gefahr der Entartung zu kämpfen und ist auch zum Teil entartet, ganz gewiß. Zum Unterschied aber von der Schaubühne mancher anderen großen Nation besteht sie auch noch in ihrem gesunden Teil und wird, nach Menschenermessen, immer bestehen.

Ich weiß nicht, ob man von einer englischen Bühne, einer italienischen Bühne, ja selbst einer französischen Bühne im gleichen Sinne wie von der deutschen Bühne heute noch reden kann. Es ist mehr als zweifelhaft, ob dort wie bei uns trotz Kino kleine und große Städte ihre eigenen Theater haben, sie mit Liebe pflegen und untereinander in ihrer künstlerischen Ausgestaltung wetteifern. Ich glaube es nicht. Mögen wir hierin, in diesem Wetteifer nämlich, vielleicht sogar manchmal mehr als nötig tun, in Experimentalwesen ausarten und die schlichte Linie verlassen, selbst das Zuviel ist ein Beweis der überall vorhandenen und wirksamen Lebenskraft.

Ich sehe recht wohl, wie gerade augenblicklich wieder der deutsche Spielplan sich verflacht und vernichtigt, glaube aber nicht, daß diese wachsende Tendenz den festen Kern ernstlich angreifen oder gar auflösen kann. Adeln doch immer wieder erlauchte Namen wie Calderon, Shakespeare, Schiller, Goethe, Hebbel, Grillparzer, Ibsen, Strindberg, Kalidasa und andere den Theaterzettel.

Es mag sogar bei uns Leute geben, die diese wundervolle Tatsache darum gering schätzen, weil sie dem Ideal nicht standhält, das ihnen vor der Seele schwebt, und ihrer idealen Forderung. Es sind meistens Menschen, die ihr eigenes Ideal so verhätschelt haben, daß sie glauben würden, es zu entweihen durch den Versuch, es dem Leben anzupassen oder gar ins Werk zu setzen. Aber: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen«, sagt der Dichter. Und so lobe ich den, der es tut, ungeachtet sein Erfolg vielleicht nicht immer ein vollkommener ist. Und übrigens war es immer so, daß Mangelhaftes dem weniger Mangelhaften vorangehen muß. Wenn wir von gewissen religiösen Orden absehen, darf man sagen, daß die Bühne vielleicht eines der korruptibelsten Institute ist. Die gleichen Faktoren, durch die sie lebt und zur höchsten Blüte gebracht werden kann, Publikum, Schaulust, Lebenslust, sind es auch, die sie korrumpieren. Die Welt auf der Bühne und die Welt im Zuschauerraum müssen einander an Kräften gewachsen sein. Siegt der Zuschauerraum über den Bühnenraum, so kann echte Kunst nicht bestehen. Hier werden sich immer wieder, weil es sich um eine Menschenmasse handelt, mittlere Instinkte zu Herrschern aufwerfen, während, da Verstand wie Kunst immer noch bei wenigen ist, die kleine Minderheit auf der Bühne nur durch die Macht der Kunst siegen kann. Je schwerer aber ist ihr Sieg, je höher diese Kunst sich erhebt und je weniger sie auf billige Weise den Masseninstinkten frönen mag. Also ist das deutsche Theater im ganzen ein ständiger Schauplatz dieses Kampfes und muß dieser Schauplatz sein, oder aber es ist gewesen.

Der lebende deutsche Dramatiker im Wort allein oder in Wort und Musik, der Theaterleiter, der Schauspieler sind also Pioniere der Kunst, und wenn wir von einigen unter ihnen absehen, so bleibt gewiß, daß sie, trotzdem sie in Deutschland den allerverschiedenartigsten Notwendigkeiten im Dienste der Öffentlichkeit unterliegen, doch im Innersten ein Gefühl für das Wesentliche und Eigentliche der Kunst haben und hochhalten, worin sie schließlich und endlich wortlos einig sind.

Und ich möchte es einmal aussprechen: Die deutsche Bühne war an Talenten wohl nie so reich wie heute. Das Durchschnittsniveau der Bühnendarsteller ist kein niedriges. Aus ihm aber heben sich Frauen und Männer heraus, große und ganz große Begabungen, schauspielerische Genies. In einer Anzahl, wie sie vielleicht keine andere Nation aufweist, sind sie da: große Menschendarsteller, im Tragischen und im Komischen von erstem Rang.

Überhaupt ist der deutsche Schauspieler eine Macht. Er ist es durch seine Organisation, er ist es durch seine Wirksamkeit, er ist es durch die freie Menschlichkeit seiner Gesinnungen. Und wenn der deutsche Schauspieler sich dessen ganz bewußt wird und den Willen hat, so kann er eine noch umfassendere, noch wichtigere, noch wohltätigere Macht werden.

Wenn ich von dem Hochstand der darstellerischen Kräfte im deutschen Theater gesprochen habe, dem allerdings nicht immer eine gleichwertige Verwendung dieser Kräfte entspricht, so liegt keine Übertreibung vor, noch täusche ich mich. Ich weiche nur ab von der allgemeinen Norm, nicht zu sehen und jedenfalls nicht von dem zu reden, was im Guten wirklich ist.

Der deutsche Schauspieler ist der Nation verpflichtet, aber die deutsche Nation ist auch dem Schauspieler verpflichtet. Er ist es, der ihr, mit dem Dichter gemeinsam, ihr Wesen, das heißt ihr inneres Schicksal, zu festlicher Steigerung befreit, ins Bewußtsein bringt. Ich glaube, es ist der gegebene Augenblick, sich einmal zum Wortführer solchen Dankes zu machen, und ich möchte dem Ausdruck des allgemeinen Dankes auch meinen besonderen beifügen und einmal bekennen, was alles ich dem deutschen Schauspielerstande schuldig geworden bin, schuldig geworden vor meinen literarischen Anfängen, mit diesen Anfängen und bis heutigen Tages. Ich habe von einem jederzeit aufopferungsvollen, teilweise ins Großartige gehenden Eintreten für den Dichter zu berichten, ohne das sein Werk niemals lebendig geworden noch lebendig geblieben wäre. Einbezogen in diesen Dank, den ich von ganzem Herzen abstatte, sei auch das deutsche Schauspielhaus in der großen, kraftvollen Hansestadt, das, getreu und immer getreuer edelster deutscher Tradition, bestehen und bleiben mag als ein Quell geistiger Belebung, Erfrischung und Durchdringung, wie für uns, so für ferne Geschlechter.


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