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Kunst und Wissenschaft

Rede, gehalten in der Aula der Universität Leipzig am 23. November 1912.

Ich danke von ganzem Herzen für den mich hochehrenden Empfang in der Aula der alten und berühmten Universität Leipzig. Einen solchen Augenblick zu erleben hat mir nie geträumt, davon wurde mir nichts an der Wiege gesungen.

Und Ihnen, den jungen akademischen Bürgern, den Bürgern der Zukunft, danke ich, daß Sie mich in so feierlicher Weise eingeholt und mir alle die Ehren erwiesen haben, die deshalb so hoch stehen, weil sie aus den Herzen der Jugend hervorbrechen.

Auf einer Woge der Jugend, das heißt der Zukunft, haben Sie mich hier hereingespült, in den Saal und an einen Platz, der sonst nur berufenen Lehrern der Wissenschaft vorbehalten ist. Und hier stehe ich nun als einer, der nichts zu lehren und niemand zu belehren hat, und möchte Ihnen doch etwas sagen, was meinem Dank einen Inhalt gibt.

Wir wissen alle, wie die Wissenschaft zu ihrer Höhe gestiegen, zu ihren Triumphen gelangt ist und daß die deutschen Universitäten ihre vornehmsten Pflegestätten waren. Aber wir wissen wenig von der Pflege der Kunst. Die Künstler, die Dichter insonderheit, sind Gewächse, die an unerwarteter Stelle zu unerwarteter Blüte heranwachsen. Sollte ich etwas von mir selbst sagen, so wäre auch das Ungesuchte, das Unerwartete als das Bestimmende in meiner Entwicklung anzusprechen.

Ich stand auf mir selbst. Ich hatte mir meinen Weg, meine Lehrer zu suchen, die nichts von mir wußten und nur durch ihr losgelöstes Werk mich förderten. Und ich hatte mir aus den widersprechenden Tendenzen des künstlerischen Ringens der Zeit diejenigen herauszufinden, die allem künstlerischen Schaffen gemeinsam sind:

Es war die Treue gegen sich selbst und die Liebe zur Wahrheit.

Fällt man mit dieser Treue gegen sich selbst, so stand man doch ehrlich! Geht man an der Liebe zur Wahrheit zugrunde, so stirbt man einen ehrlichen Tod.

Schon neulich, in Berlin, sprach ich davon, was Henrik Ibsen mir einmal sagte, als er mein frühes Drama »Vor Sonnenaufgang« gelesen hatte: nämlich, daß es tapfer und mutig sei. Das schien ihm das größte Lob zu enthalten. Kommilitonen, er hatte recht! Zur Treue gegen sich selbst, zur Wahrheitsliebe gehört der Mut! Ohne den hohen Mut der Jugend vermögen wir nichts von Belang auszurichten.

Und hier begegnen sich, wie in so mancher anderen Beziehung, Kunst und Wissenschaft. Ich glaube bestimmt, daß die Männer der Wissenschaft ebenso wie die Männer der Kunst die Treue gegen sich selbst, die Liebe zur Wahrheit und den Mut nötig haben.

Es ist nicht mein Beruf, von dieser weihevollen Stätte aus ins Leben zu wirken. Wenn eine Wirkung aus meinem Dasein abzuleiten ist, so ist sie von meiner Kunst abzuleiten. Kunst ist das individuellste Bekenntnis, ist nichts weiter als der ein Leben ausfüllende, dauernde, spezifisch künstlerische Denkprozeß. Er gestaltet die eigene, auch fremde Seelen; andere, sozusagen greifbare Resultate zeitigt er nicht.

Die dramatische Kunst ist gleichsam auf einer produktiven Skepsis errichtet: sie bewegt Gestalten gegeneinander, von denen jede mit ihrer besonderen Art und Meinung voll berechtigt ist. Wo aber bleibt die gesuchte rechte Art und die rechte Meinung? – Sie werden finden, daß die Tragödie keineswegs eine richterliche oder gar Henkersprozedur, sondern eine Formel für das tiefste und schmerzensreichste Problem des Lebens ist. Die Formel für ein Problem, nichts weiter.

Die Wahrheitsliebe des Dramatikers prätendiert nicht die absolute Wahrheit, sondern sie respektiert das kühn erfaßte Mysterium.

Vielleicht berühren wir hier einen der Unterschiede von Kunst und Wissenschaft, die das Mysterium von den Dingen zu nehmen strebt, das wir als etwas Sakrosanktes bestehen lassen.

Es liegt gebettet in der reichen Welt der inneren und äußeren Sinnlichkeit.

Man hat gesagt, ich hätte mich in meiner Kunst zu sehr dem Kleinmenschlichen und dem Allgemeinmenschlichen zugewandt und zu wenig dem, was gerade dem Menschen unserer Tage am Herzen liegt. Nun, meine Herren, nicht nur in der Natur ist das Größte und Kleinste gleich staunenswert. Das Menschliche ist das Große und wird vom Geist der Zeit nicht so sehr variiert, daß die elementaren Dinge und Schicksale hinter die Variationen zurücktreten. So wird das Ewigkeitsschicksal der Menschen immer ein größeres Thema als das zerebral bewußte Schicksal einer Epoche sein.

Jeder Mensch, und auch jeder begabte Mensch, ist einmalig. Er geht nicht nur seinen eigenen Weg durch die Dunkelheit, sondern trägt auch seine eigene Laterne. Mögen andere bessere Wege einschlagen und die Welt anders beleuchten. Mir kommt es darauf an, ein möglichst phrasenloses, ein möglichst erlebtes Werk zurückzulassen.

Man wird deshalb nicht meinen, daß die Gedanken des Fortschritts mir gleichgültig sind und daß der bewegte geistige Inhalt meiner Epoche mich nicht bewegt. Lebe ich weiter, so hoffe ich, auch für diese ganze besondere Zeit eine, das heißt meine bescheidene, poetisch gestaltete Formel zu finden.

Eigentlich sucht der Dichter ja immer nicht Werke, sondern das Werk. Seine Sisyphusnatur zwingt ihn, jedesmal nach dem scheinbar vollendeten Werk neu anzufangen: anzufangen, als ob er noch nie etwas geschaffen hätte! anzufangen, als ob es gelte, nun erst das Stückwerk zu überwinden, das umfassende Ganze hervorzubringen. Das ist jenes gebenedeite Anfängertum, das produktive Naturen meistens auszeichnet.

Was heißt das im Grunde anders, als daß produktiven Naturen eine lange Jugend beschieden ist? Und in diesem Sinne sind sie der Jugend nahe, die den reichsten und vollsten Teil des Daseins bedeutet. Deshalb ist es ein gutes Zeichen für uns und tut uns wohl, wenn die Jugend uns sagt, daß sie uns versteht, daß ihr Pulsschlag mit unseren Werken geht und daß wir ihr nicht fern und fremd erscheinen. In einem solchen Bekenntnis finden wir unsere stärkste Bestätigung.

Liebe Jugend, illustre Versammlung! Ihre uralte, berühmte Universität hat mir bei ihrer Fünfhundertjahrfeier die Würde eines Doktors der Philosophie honoris causa und eines Magisters der Freien Künste verliehen: ein historischer Titel, der mir zuweilen in der Stille besondere Freude macht. – Es war die erste offizielle Ehrung, die mir auf dem Boden meines deutschen Vaterlandes zuteil wurde. Sie macht mich stolz, und ich bleibe erfüllt von Dankbarkeit. Heute haben Sie nicht mir, sondern der deutschen Dichtkunst einen Triumph bereitet. Möge das reiche Früchte tragen! Möchte, ich sage mit vollem Bewußtsein, im Volk der Dichter und Denker auch der Dichter sich wieder zu alter hoher Würde emporrichten! Möchten Dichter und Denker gemeinsam neue Inhalte schaffen, damit die schreckliche Leere nicht eindringe, die wie ein furchtbarer Abgrund die Küsten Europas, des reichen klassischen Erdteiles der Geisteskultur, dröhnend umgähnt!

Und nun, hochansehnliche Versammelte, räume ich diesen Platz, den Ihr Vertrauen mir einzunehmen gestattete. Möge die alte, herrliche Universität Leipzig, mit der ich so tief verbunden bin, sich weiter in die geistigen Geschicke Deutschlands fruchtbar auswirken, immer geliebt und getragen von großen Lehrern und einer Jugend wie dieser, die, Gott sei Dank, noch eine echte, deutsche Jugend ist.


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