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Die Berliner Volksbühne

Rede, gehalten zur Vierzigjahrfeier der Berliner Volksbühne am 21. September 1930.

Die Volksbühne war jung, als auch ich jung war. Unter ihren Gründern sind nahe Freunde von mir gewesen. Sehr viel Glaube, Liebe, Hoffnung und guter Wille wurde in ihren Grundstein gelegt. Bis zum heutigen Tage hat das Werk, ich sage das schöne, sage das große Werk, Bestand gehabt. Was alles dazwischenliegt, wissen wir – nicht nötig, das Furchtbare aufzurühren, nicht nötig, die Gefahren zu schildern, die das Werk von damals bis heut überwunden hat.

Auch der alte Geist ist noch vorhanden in ihr, der heutigen Volksbühne, die tragenden Ideen eines Lessing, Schiller, Goethe sind noch nicht gestorben in ihr. Viel Idealismus, mit praktischer Klugheit verbunden, hat sich durchgesetzt. Fast erstaunlich, daß es so ist!

Ob in einem anderen Lande als in Deutschland und Deutschösterreich das Theater ein gleich unumgängliches Kulturelement geworden ist, weiß ich nicht. Es scheint mir beinahe unwahrscheinlich. Bühnen, über das ganze Land verstreut, geben den Gedanken nicht auf, zugleich der Kunst und dem Volke zu dienen. Die höchsten Beispiele scheinen mir, allerdings auf verschiedenen Ebenen, Bayreuth und die Volksbühne.

Um von dem allgemeinen Geist, der das deutsche Theater trägt, eine Probe zu geben, zitiere ich aus einer Schrift, die Richard Wagner mit etwa sechsunddreißig Jahren verfaßte: »Die Kunst und die Revolution«.

»... die eigentliche wirkende Kunst ist aber durch und seit der Renaissance noch nicht wiedergeboren worden; denn das vollendete Kunstwerk, der große, einige Ausdruck einer freien, schönen Öffentlichkeit, das Drama, die Tragödie, ist – so große Tragiker auch hie und da gedichtet haben – noch nicht wiedergeboren, eben weil es nicht wieder geboren, sondern von Neuem geboren werden muß.«

Und er fährt fort: »Die Aufgabe, die wir vor uns haben, ist unendlich viel größer als die, welche bereits einmal gelöst worden ist. Umfaßte das griechische Kunstwerk den Geist einer schönen Nation, so soll das Kunstwerk der Zukunft den Geist der freien Menschheit über alle Schranken der Nationalitäten hinaus umfassen.«

Das ist eine Zielsetzung, die man überstiegen nennen mag, aber: »Den lieb' ich, der Unmögliches begehrt«, und ohne ein solches immer wiederkehrendes höchstes Begehren ist das deutsche Theater nicht zu denken.

Freilich ist es heut schwerer als je, hohe Ideen ins Auge zu fassen. Das allgemeine Leben hat eine ungeheure Intensität erreicht, unmittelbare und darum auch wichtigere Aufgaben drängen sich in den Vordergrund. Das umschränkte Leben einer umschränkten Volksfamilie und ihrer besonderen geistigen Anliegen ist allenthalben bedroht, weil schützende Mauern kaum noch vorhanden sind und technische Wunder eine Weltkommunikation durchgesetzt haben, vor der selbst Mauern nicht mehr standhalten.

Trotzdem darf sich der einzelne und das einzelne nicht aufgeben, ebensowenig wie irgendeine selbstbewußte Minderheit. Solche einzelne und solche Minderheiten hat es immer gegeben, und viele sind darunter, die der Ereignisflut von Jahrhunderten und Jahrtausenden erfolgreich getrotzt haben. Und wäre es nicht so, wir ständen vor jenem schrecklichen Tor, über welchem Dante die Worte »Lasciate ogni speranza!« geschrieben fand.

Denn so allein kann sich ein Völkerfortschritt durchsetzen, daß die große Gemeinschaft den einzelnen gebiert und trägt, auch im Geistigen. Aus dem Volksboden oder der Volksseele wachsen – möge uns die Entwicklung nicht widerlegen! – immer wieder große und freie Geister auf, die den letzten und höchsten Sinn der Volksgemeinschaft in sich verwirklichen. So werden sie wiederum belebender und bereichernder Allgemeinbesitz. Möchte dieser Prozeß selbst in einer politisierten Welt kämpfender Dogmen immer wieder verstanden werden, nicht nur auf einzelne Personen, sondern auch auf die schon erwähnten Minderheiten ausgedehnt, denen die Menschheit so vieles, wenn nicht alles zu verdanken hat. Möge die Volksbühne ihrem Geist, will sagen dem Geist einer solchen schöpferischen Minderheit, immer treu bleiben, wie sie ihm bisher treu geblieben ist!

Sie sei ein Asyl, eine Festung, eine Burg des freien Geistes und freier Geister, die Volksbühne: solchen Geistes und solcher Geister, die alle starren Dogmen abweisen! Vor diesem Geist, der hier besonders durch die dramatische Kunst wirksam wird und werden soll, sind alle Menschen gleich, wie vor dem Arzt oder dem Gesetz. Dieser Geist, diese Geister haben keinerlei Auftrag außer dem kategorischen Imperativ zur Humanität, zur Menschlichkeit, der sich aus ihnen selbst gebiert, abgesehen von der hohen Berufung zur Kunst, der sie sich würdig zu zeigen haben. Fast immer sind sie beherrscht von dem tieftragischen Lebensgefühl, das an sich mit Humanität gleichbedeutend ist und aus dem auch die höchsten Humore erwachsen. Solchen Geist, solche Geister muß die Volksbühne weiter allen fanatisch dogmatischen Zeiterscheinungen gegenüber als Ewigkeitswerte umhegen, schützen und wirksam machen. Auch gegen das hyperzerebrale Wesen der Zeit muß sie diesen Geist unbeugsam verteidigen. Denn wo er seiner Vollendung nahekommt, ist es ein Geist schlichter Größe und Einfachheit. Daß der Volksbühne dieser Beruf stets bewußt bleibe, der Erfolg aber treu, ist mein Geburtstagswunsch!


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