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Richard Dehmel

Rede, verlesen am Sarge Richard Dehmels in Hamburg am 12. Februar 1920.

Wir sind wieder einmal die Zurückbleibenden. Lieber Dehmel, lieber Freund, du hast uns verlassen, wie uns so mancher liebe Kamerad und Mitstreiter im Laufe der Jahre verlassen hat. Solche Trennungen sind immer groß und trübe, auch in Zeiten, die wir glücklich zu nennen geneigt sind. Sie sind größer und trüber in trüben Zeiten. Es sind trübe Zeiten, in denen du uns zurück und allein gelassen hast.

Wir waren gemeinsam jung. Etwa zur gleichen Weltstunde betraten wir das schöne Reich verantwortlicher Geistigkeit, getragen von einer Welle, ich möchte sagen, sonniger Energien. Unsere Mutter, unser Deutschland, war bekränzt und heiter. Es war bekränzt und war heiter, trotzdem manche es ableugneten. Wir gehörten nicht zu denen, aber auch nicht zu den anderen, die mit unermüdlichen, grellen Siegesfanfaren den Neid der Götter herausforderten. Den nationalen Gewinst in allen Pulsen fühlend, wandten wir uns dem allgemein Menschlichen zu, in dem die Gegensätze der Nationen verschwinden und von jeher verschwunden sind. Und getragen von ebenjener sonnigen Welle der Energien, wurden wir im rein Menschlichen stark, und vor allem du wurdest stark darin, und das Starke ist immer optimistisch, will heißen: im Guten zuversichtlich.

In dir war eine gute Zuversicht. Es lag in deiner Dichtung die volle Sinnenfreude des Diesseits in der Umarmung mit der Wirklichkeit, in der Vermählung mit der Tragik des Irdischen und nicht zuletzt mit einer Ewigkeitshoffnung, ja einer Ewigkeitsgewißheit. Deine Inbrunst war, obgleich sie kein Nonnen- oder Mönchsgewand, sondern den Purpur des Lebens um sich gelegt hatte, der Inbrunst christlicher Heiliger nicht unähnlich, die in Jesu ihrem Bräutigam entgegenleben und entgegenharren. Nicht war es bei dir der Bräutigam, sondern das Ewig-Weibliche zog dich hinan.

Was in deiner Dichtung das Beste ist, hatte diesen Charakter. Es war von der Art, daß es den Tod als eine Brücke zum Jenseits nicht anzuerkennen schien. Vielmehr bot es sich selbst als Brücke. Das Beste in deiner Dichtung war, oder schien zu sein, ein besonderes ätherisches Element, das schon hier die ungehemmte Einheit von Jenseits und Diesseits herstellte.

Nun, lieber Freund, lieber Dichter und Seher, der du auch aus der Inbrunst deiner Empfindung ein Erkenntnisorgan dir gebildet hattest, wir müssen in deine Dichtung flüchten; denn anders wüßte ich keinen Weg, weiter mit dir vereint zu sein. Und wir müssen geduldig zuwarten, bis die Weltstunde die Entscheidung bringt, daß dein wissensmächtiges Gefühl dich nicht getäuscht hat.

Ohne das, ohne dieses Gefühl, ohne das ätherisch verbindende Element deiner Dichtung, sehen wir uns rettungslos vor deinen Sarg, vor deinen Verlust gestellt, und wir sind geneigt, wenn wir von unserem nahen und persönlichen Verlust und persönlichen Schmerz absehen, dir nachzurufen: Oh, wärest du doch bei uns geblieben, nicht um unsertwillen, sondern um Deutschlands willen, deiner Mutter willen, der du mit so heißer Liebe Treue gehalten, Treue bewiesen hast! Sie ist nicht mehr, wie damals, heiter und bekränzt, deine Mutter. Sie ist tief unter schwarzem Schleier verhüllt. Sie steht nicht an einer Bahre bloß, nicht an deiner Bahre bloß, sie steht an der Bahre von Millionen hingemordeter Söhne. Und wenn sie sich wendet, diese in schwarze Trauer gehüllte Gestalt, so sieht sie hinter sich ein baufälliges Haus, in das der eisige Herbst hineinregnet. Sie sieht unzählige Hände, die bemüht sind, es ganz und gar abzutragen. Und sie sieht und erleidet und erduldet noch viel, viel mehr. Ihr heiliges Trauergewand, das ist nicht hinwegzulügen, sieht sie von oben bis unten durch Würfe wahnwitziger Fäuste mit Unrat besudelt.

Dich und deinesgleichen braucht deine Mutter wie nie zuvor.

Aber wir wollen von dir nicht Abschied nehmen, ohne daß du uns mit einer kleinen Welle deines Lichtäthers beschenkst, mit einem Hauch deiner Zuversicht. Du wirst Söhne haben im Geist, Söhne und Töchter wie Sand am Meer, und das arme, gemarterte Deutschland wird nicht untergehen. Langsam, langsam wird unsre Mutter Schleier um Schleier ablegen und eines Tages dastehen in gesunder Weiße und Reine. Dann wird sie auch wieder einen Kranz tragen, und niemand, der sich selbst nicht besudeln will, wird noch wagen, sie zu besudeln. Aber wir wollen auch – darin weiß ich mich einig mit dir – jene grellen Fanfaren nicht mehr hören, womit man einst den Neid der Götter herausforderte.

Lieber, edler Mann: Lebe wohl!


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