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Wilhelm Bölsche

Ansprache auf dem Festabend der Gemeinde Schreiberhau für den siebzigjährigen Wilhelm Bölsche am 2.Januar 1931.

Lieber Freund Bölsche!

Wenn ich mich erhoben habe als letzter Redner, bevor wir auseinandergehen, ist es nur, um den immerwährenden Glückwunsch meines Innern für dich in diesem weihevollen Augenblick nicht unausgesprochen zu lassen.

Siebzig Jahre, zum größten Teil der Arbeit gewidmet, liegen hinter dir. Es war Arbeit für die deutsche und die Menschheitskultur. Scheinlos, treu, ausdauernd hast du in diesem Leben gedient und den Dank deines Volkes in deinem Wirken gefunden. Als ein wahrer, freier und echter Volkslehrer hast du Hunderttausende, ja Millionen von Deutschen, Männer, Frauen aller Stände, jung und alt, belehrt und ihnen das Walten Gottes in der Natur und der Natur in Gott erschlossen. Du hast ihnen die Arbeit ihrer Dichter, Denker und Forscher immer wieder vorgeführt und dir so von dieser wie von jener Seite allgemeinen Dank verdient. Das Interesse für die Natur und für die Wissenschaft von der Natur ist, zumal in Deutschland, zu einem sehr erheblichen Teil allein durch dich geweckt, gefördert und lebendig erhalten worden.

Was sich in deinem Wesen manifestiert, ist allerdings weniger der Geist der platonischen Akademie und ihrer deutschen Ableger als etwas vom Geist des Sokrates, der gleichsam spielend lehrte, wo er gerade ging und stand, auf Gassen, Märkten oder Turnplätzen, unter einer schönen Platane gelegentlich, aber wohl kaum je in einem akademischen Auditorium. Und wer dich kennt, deine Schriften kennt, der kennt auch deine sokratische Ironie, eine Ironie, verbunden mit Güte, die du, mild, verstehend und verzeihend, auch der Menschenwelt entgegenbringst.

Und, lieber Freund, in deinen Adern rollt Dichterblut. Wie bei Goethe und Ernst Haeckel, denen sich dein wahlverwandtes Wesen innig verbunden hat, hat der Forscher in dir den Dichter nicht unterdrückt, und diese Verbindung von Dichten und Forschen begründet dein naturhaftes Sehertum. Oft, wenn ich dich beobachtete, lieber Freund, in deiner heiteren, gelassen in sich ruhenden Menschlichkeit, oder wenn ich an dich dachte, wie du in den Waldbergen Schlesiens gleichsam eingewurzelt lebst, kam es mir vor, als ob du dem Herzen der Natur weit enger als wir andern verbunden seist, daß du mehr wissen müßtest als wir von den Geheimnissen des Baumes, des Wassers, des Gesteins und der Luft. Gewisse Schranken, so schien mir, die uns abschließen, bestünden für dich nicht, vielleicht vernichtet durch deine Naturliebe.

Hinwiederum war es, als ob ihrerseits die Natur dir eine schützende Hülle umgelegt hätte gegen die Unbilden der Menschenwelt. Ich erkannte wohl, daß dir Sucht nach äußeren Ehren und gegnerisches Gebaren keine Stunde verderben konnten. Immer, soweit ich dich kennengelernt habe, gab es in deinem Gemüt nur zwei Zustände: den sachlichen Ernst des Lebens und der Arbeit und die große, überwindende Heiterkeit. Etwas dazwischenliegendes Süßsaures gab es bei dir nicht. Und wo ich das Glück hatte, mit dir zusammenzusein, bist du im Gang der Gespräche immer unmittelbar von einem Zustand in den andern übergesprungen.

In diesem Zeichen grüße ich dich, nämlich dem Zeichen des Ernstes, dem Zeichen der überwindenden Heiterkeit. Oft und oft im Laufe des Lebens ist das eine und das andre von dir auf mich übergeströmt, und es ist mir vergönnt gewesen, oft und oft von dir belehrt zu werden und mich an deiner naturgegebenen Weisheit zu wärmen. Dafür sage ich dir heute und immer innigsten Dank, und ich lege zum Schluß den Finger auf jenen Goethevers, der ein Lieblingsvers Ernst Haeckels war und uns allen geläufig ist – eine heiter gelassene Frage, die zugleich die Antwort enthält. Es ist recht eigentlich deine Frage und deine Antwort:

Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
als daß sich Gott-Natur ihm offenbare ...


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