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Das Theater wird bestehen!

Rede, gehalten bei der Feier des sechzigjährigen Bestehens der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen in Frankfurt a. M. am 21. September 1931.

Das sechzigjährige Bestehen der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen, Ihr Jubiläum also, stellt mich heut auf die Rednerbühne: daß ich Ihrem Ruf, am Jubiläumstage das Wort zu ergreifen, folgen müsse, war selbstverständlich. An sich ist dieser Ruf eine Ehre für mich, außerdem aber bin ich der Genossenschaft in enger Arbeitsgemeinschaft und dankbar verbunden.

Der Stand des Schauspielers ist nicht eigentlich bürgerlich. Die Art des Erlebens, das er sucht, findet man nicht im Rahmen des Bürgertums. Der Schauspieler stürzt sich mit leidenschaftlicher Sucht ins Ganze des Lebens wie die Robbe ins aufgeregte Salzwasser. Er taucht nur auf, um Atem zu schöpfen. Durch die Dämonie, die ihn dazu treibt, wird der Bürger in ihm zunächst zerstört.

Wer schreibt die Psychologie des Schauspielers? Wo kommt er her? Warum ist er schon in frühesten geschichtlichen Zeiten da und in vorgeschichtlichen nachzuweisen? Schauspielerische Tendenzen sehe ich im Trieb des Kindes und kindlicher Völker zur Maske, in Maskentänzen und vermummten Geheimbünden, teils mit religiösem, teils mit kriegerischem Unterstrom. Nimmt man eine beliebige Länder- und Völkerkunde zur Hand, so findet man den Schauspieler auf dem ganzen bewohnten Erdball, von Ost nach West, von Nord nach Süd, in Sitten und Gebräuche verwoben. Wer beschreibt, immer vom Seelischen ausgehend und im Seelischen endend, seine Bedeutung im Werden aller Kultur? Sicher ist sie hoch anzuschlagen.

Wer wüßte nicht, bis zu welcher Höhe sich, mit den Griechen beginnend, Schauspiel und Schauspieler in einer europäischen Hochkultur entwickelt haben?! Es gibt kein zweites Land, in dem sich diese Entwicklung auf so breiter Basis wie in Deutschland fortsetzen wollte und konnte. Man richte darauf sein Augenmerk, und man wird diesen Umstand für Gegenwart und Zukunft nicht außer acht lassen. Er zeugt für geistige Gesundheit, geistige Auflockerung, geistige Freiheit und Aktivität. Mit dieser Entwicklung gleichlaufend ging der gesellschaftliche Aufstieg des Schauspielers. Es ist bekannt, welche bürgerliche Achtung er sich erobert hat. Schmerzlich genug, wenn das Erreichte durch die Ungunst der Zeit heut auf allen Seiten gefährdet ist. Wir sollten diesen Stand, diesen Spiegel der Zeit, dieses Korrektiv der Zeit, dieses Ventil staatlicher Überspannungen mit allen Mitteln zu stützen suchen. Der Schauspielerstand, heute wie jeder andere eine Vereinigung von Staatsbürgern, solcher meist, deren tätiger und aufopfernder Geist nicht zu überbieten ist, kann freilich nicht umhin, noch immer eine gewisse außerbürgerliche Freiheit für sich in Anspruch zu nehmen, weil er allem Menschlichen mit universellem Verstehen nahebleiben muß.

Die Kulturwelt kennt den großen Schauspieler und die große Schauspielerin, begnadete Menschen von hohem Wert und Glanz. Garrick, Edwin Booth, Rossi, Sonnenthal, Baumeister, Kainz und andere waren Fürsten der Schauspielkunst, Eleonora Duse, Sarah Bernhardt, Agnes Sorma waren Fürstinnen. Oft würden Fürsten und Fürstinnen, die von ihnen dargestellt wurden, Mühe gehabt haben, als Originale im Anblick ihrer Kopien nicht zu verblassen. Zuweilen ist mir die Frage aufgetaucht, warum diese großen Naturen nicht unmittelbarer auch ins staatliche Leben eingriffen und warum überhaupt die Schauspieler auch mit dem praktischen Leben in Politik und Kultur nicht enger verbunden sind. Als letzter stellte wohl der große Henry Irving eine Verbindung zwischen Schauspieler und Vollbürger dar. Es ist bekannt, daß er gelegentlich, wie es in England Sitte ist, auf irgendeinem öffentlichen Platz Londons in Gegenwart einer lauschenden Volksmenge zu politischen Tagesfragen Stellung genommen hat.

Von den augenblicklichen Nöten des Vaterlandes und aller Stände und Berufe in ihm spreche ich nicht. Die bittere Frucht dieses Themas, denke ich, ist zur Genüge ausgepreßt. Gewiß ist, daß wir zu jubeln keinen Grund haben. Das mag mancher besonders schmerzlich empfinden, wenn er den Johannistag aus den »Meistersingern« rauschen hört. Vielleicht nimmt er sogar daran ein Ärgernis.

Dem aber will ich entgegentreten.

Der Kontrast ist naturgegeben.

Theater und Religion haben einander nicht immer ferngestanden. So wurzelt, ein Beispiel für viele, die griechische Tragödie bekanntlich im Dionysoskult. Die moderne Bühne dagegen scheint ihr Wachsen und Werden den theatralischen Festlichkeiten einer gewissen religiösen Gesellschaft, die einen Basken zum Gründer hat, mit zu verdanken. Kunst und Leben sind überaus vielfältig und zur Einheit verschlungen in Vielfältigkeit. Ist Weltverneinung das innerste Wesen der Religion, so Weltbejahung das innerste Wesen des Theaters. Aber beide, Religion wie Kunst, lösen sich niemals rein aus dieser Verschlungenheit.

Aus dem Tempel holt sich der Weltflüchtige ebensowohl neue Kraft für das Leben, als er es im Theater tut Während im Tempel die Schmerzen des Lebens in einer freudigen Jenseits-Phantasmagorie sich auflösen, lösen sie sich bei dem vom Abbild des Lebens auf der Bühne hingenommenen Zuschauer sozusagen im Leben selber auf.

In diesem Sinne wird man den großen musikalischen Reigen der Festwiese aus den unsterblichen »Meistersingern« befreiend empfinden.

Die soeben berührte Verwandtschaft zwischen Kunst und Religion muß dem Theater bewußt bleiben, sie legt ihm hohe Pflichten auf. Was Deutschland betrifft, so ist das Theater durch Gedanken und Taten eines Lessing, Goethe, Schiller, Wagner und Nietzsche frei gemacht und geadelt worden. Seine Aufgabe, die es etwa in der Musik eines Mozart längst erfüllt hatte, wurde von diesen Geistern formuliert. Ist dem Theater nichts Menschliches fremd, so hat es doch auch die Würde der Menschheit zu wahren, was manchmal schwer zu vereinen ist. Das Theater wirkt sich, wie eben eine Naturgegebenheit, auf so allfältig vitale Weise aus, daß sich seine hohe Idee nicht selten verdunkelt. Aber auch religiöse Ideen verdunkeln sich. Und einen niemals durch Wolken verhüllten, immer leuchtenden, immer lenkenden Stern gibt es nicht. Es ist ein leidenschaftliches Sein, was die Bühne, was der Schauspieler braucht. Außerdem hat er als conditio sine qua non die Last des Talentes oder gar des Genies zu tragen: beide stehen unter besonderen Gesetzen. Geht ein Chemiker mit gefährlichen Stoffen um, so vielleicht noch mehr, ins Seelische übertragen, der Schauspieler. Kein Wunder, wenn ihm zuweilen das göttliche Licht erlischt. Dennoch leuchten über den Brettern, welche die Welt bedeuten, immer wieder die himmlischen Fixsterne, leuchten Namen wie Aischylos, Sophokles, Euripides, Calderon, Shakespeare, Molière, Goethe, Schiller, Kleist und Grillparzer auf, tönen die überweltlichen Klänge von Mozart, Beethoven, Richard Wagner, und selbst der ärmlichste Komödiant weiß sich von ihren Strahlen geadelt.

Das berührte Thema ist nicht erschöpft, und wie könnte das sein in den kurzen Minuten meiner Ansprache! Was ich gesagt habe, galt dem Theater, galt dem Schauspieler, galt am Ende dem großen Schauspieler, dessen Größe ich nicht durch die Grenzen seines Berufes begrenzt sehen möchte. Es galt schließlich der Kunst und dem wahren Wohl des Vaterlandes überhaupt. Was ich nun hinzufüge, das gilt denen, die, außerhalb des Theater- und Schauspielberufes stehend, zu seiner Erhaltung verpflichtet sind. Wehe dem Lande, das nur seine nackte Interessenmühle makaber klappern hört und sich von den göttlichen Spielen der Kunst abwendet! Es wird der Hörige seiner selbst, sozusagen sein eigener freudloser Sklave.

Ich sage es nicht zum erstenmal, daß kein anderes Land ein Theater wie das deutsche besitzt: wir können stolz sein auf diese nationale Kulturblüte. Der Verschwendung abhold, reden wir keiner Verschwendung das Wort. Aber das gerade würde auf Verschwendung höchster Kulturgüter hinauslaufen, wenn Staat und Kommunen dem Theater nicht alle nur möglichen Unterstützungen zuteil werden ließen.

Nun, jedenfalls wird es weiterbestehen. Es besitzt eine natürliche, unausrottbare Wachstumskraft. Tempel zu besuchen ist heilige Pflicht, unüberwindliche, unbezähmbare Neigung jedoch treibt den Freund der Musen an die Theaterkasse. Möge also, wie ich hoffe und glaube, aus dem Theatrum militans – hat es je ein anderes gegeben?! – immer wieder das alte Theatrum triumphans hervorgehen!


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