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An die Schuljugend

Rede, gehalten in der Gerhart-Hauptmann-Oberrealschule zu Breslau am 17. August 1922.

Nie hätte ich mir träumen lassen, jemals, wie jetzt, in einer Schule zu stehen, die meinen Namen trägt, und noch weniger, daß diese Schule gerade in Breslau sich befinden würde. Freilich, wer Augen hat zu sehen, verfolgt immer wieder mit Staunen und Verwunderung die verschlungenen, aber unabirrbaren Wege der Vorsehung.

Warum ich gerade eine Ahnung von der ehrenvollen Lage, in der ich mich hier befinde, nicht haben konnte, diese Frage ist nur zu beantworten, wenn ich mich selbst nicht schone und zum Beginn, liebe Jugend, vor dir ein Bekenntnis ablege.

Als ich nämlich vor zirka achtundvierzig Jahren hier in Breslau zur Schule ging, gehörte ich unter diejenigen Schüler, von denen nicht allzuviel Gutes zu sagen war. Die Schule liebte mich nicht, weil sie nichts mit mir anzufangen wußte, und ich liebte sie nicht aus dem gleichen Grunde, weil sie eben nichts mit mir anzufangen wußte. Und so wußte auch ich nichts mit ihr anzufangen und konnte schließlich nur unter ihr leiden.

Natürlich habe ich so auch keine in Betracht kommende höhere Schulstaffel erreicht noch irgendeine Auszeichnung erwerben können, sondern die Schule entließ mich, ohne mir nachzutrauern, früh.

Wer aber so wenig zu einem Muster für Schüler geeignet ist, wie konnte der hoffen oder auch nur wünschen, dereinst als eine Art Muster für sie aufgestellt zu werden.

Es war mir dennoch vorherbestimmt.

So will ich denn gleich erklären, daß ich mein besonderes Schulmißgeschick zeit meines Lebens bedauert habe, weil seine Folgen mir fühlbar geblieben sind. Ich habe das auf der Schule Versäumte auf meine Art später nachzuholen versucht und doch nie ganz nachgeholt. Wie mein Mißverhältnis zur Schule zustande kam und entstehen mußte, zeigt, gebe es Gott, einen Ausnahmefall: Ich bin damals ein empfindsamer Junge gewesen, der, von Eltern und Heimat getrennt, furchtbar an Heimweh litt. Ich entbehrte, sagen wir, jeder Seelsorge und hatte niemand, bei dem ich Rat, Trost oder Hilfe in meinen vielfachen Schülernöten fand. Ich lebte das erste Jahr in einer Pension, in der ich nicht satt zu essen bekam. Wäre dies alles nicht so gewesen, am Ende hätte ich leicht und heiter und eifrig meine Schulpflichten erfüllt und hätte am Ende gar beim Abiturium das Mündliche erlassen bekommen.

Trotz alledem bleibe ich in bezug auf die Schule höchstens ein warnendes Beispiel. Es gibt Jungens und junge Menschen genug, die unter den gleichen Umständen, unter denen ich litt, mit eiserner Willenskraft ihr Ziel verfolgt haben und eine Zierde der Schule geworden sind.

Mein Bekenntnis geschah aus einem Drang nach Wahrhaftigkeit. Gerade euch jungen Menschen gegenüber, denen der Klang meines Namens durch euer gleichnamiges Schulhaus mehr als anderen vertraut werden muß, möchte ich mit reinem Gewissen gegenüberstehen. Und gewiß ist es besser, ihr verbindet, statt falscher, für mich schmeichelhafter Vorstellungen mit mir die eine richtige der Wahrhaftigkeit.

Mit dieser Wahrhaftigkeit laßt mich fortfahren.

Wenn eure verehrungswürdigen Lehrer sich trotz allem Vorausgeschickten auf meinen Namen geeinigt haben, so kann es aus verschiedenen Gründen geschehen sein. Vielleicht auch deshalb, weil sie wissen, wie sehr mein gesamtes Wirken mit dem Gedanken des Werdens und Wachsens der Menschheit zusammenhängt. Die Menschheit ist nicht, wenn sie nicht in sich und über sich immer wird und wächst, und auch dem einzelnen Menschen geht es nicht anders. Er lebt, ohne das, ein Leben, das keines ist. Wer so denkt, muß mit dem Wesen der Schule einig sein. Er kann nicht anders, er wird das Leben in seiner Gesamtheit als Schule betrachten. Es ist eine Schule, darin der Schüler immer wieder zum Lehrer, der Lehrer immer wieder zum Schüler wird. Ich meine, dies zu wissen ist gut: es kann dazu führen, ein vertrauteres, ein kameradschaftlicheres Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern zu begründen, als es in früheren Zeiten üblich war. Besonders in Jugendschulen, wie diese hier.

Ich denke, ein Lehrer wird sich nicht scheuen, vor seinen Schülern Schülerbewußtsein an den Tag zu legen. Die größten Meister der Malerei, der Bildhauerkunst, der Musik, der Wissenschaft haben sich, oft noch im höchsten Alter, als Schüler bekannt. Ein solches Bekenntnis wird dem ausgesprochenen Schüler, dem Knaben, dem Mädchen, dem jungen Manne, Mut machen, Vertrauen in sich selbst einflößen, edlen, kameradschaftlichen Eifer erwecken und durch die Gemeinsamkeit den Fortschritt bewirken.

Gerade ein Knabe, der einen ahnend umfassenden Vorbegriff von der gewaltigen Fülle des Wissenswerten hat, wird leicht verzweifeln, es zu bewältigen. Mich zum Beispiel hat dieser ahnende Vorbegriff als Knabe furchtbar bedrückt. Und da war niemand, der mir das abhorchte. Es war unter meinen Lehrern keiner, der daran dachte, daß ich von einem solchen Alp bedrückt sein könnte, und ihn mir von der Seele nahm. Dies war unter Umständen leicht zu tun. Er hätte mir eine Beichte ermöglichen können in Kameradschaftlichkeit und mir etwa gesagt: Denke du nur an die nächste Stufe und nicht an die hunderttausend, die du noch gehen mußt! Denke nur nicht, daß du die hunderttausend mit deinen heutigen schwachen Kräften gehen mußt, sondern es werden dir Kräfte wachsen! Man errackert die Fülle des Wissens nicht, wenn man auch seine Pflicht tun wird, sondern man wächst in sie hinein! – Mir wäre jedenfalls, hätte man dies zu mir gesagt, weit wohler ums Herz geworden.

Es gibt treibende, es gibt lockende Kräfte. Man spricht von Peitsche und Zuckerbrot. Aber das Zuckerbrot ist ein läppisches Bild. Im Wissen, in der Weisheit selbst liegt das Lockende. Hinter ihr leuchtet unerreichbar, doch göttlich die Sonne der Allwissenheit. In jedem Wissensdurst, dem mattesten und dem glühendsten, liegt Sehnsucht nach ihr. Sie muß je nachdem gesteigert oder erhalten werden. Wer aber von dieser Sonne weiß, der wird der Geißel kaum noch bedürfen.

Darum, scheint mir, ist es wichtig, dem Schüler von dieser Sonne zu reden, wichtig, in ihm das Organ lebendig zu erhalten und nicht erblinden zu lassen, das von dieser Sonne weiß. Es gibt ein solches Organ. Es ist dem leiblichen Auge ähnlich, das uns ja auch jeden Tag hinreichend vom Dasein der Sonne Zeugnis gibt, die trotzdem überirdisch bleibt und letzten Grundes nie zu begreifen. Das verwandte Organ der Seele spürt ähnlich dem leiblichen das Gestirn der Allwissenheit, von dessen Strahlen es lebt, dem es sich, ohne vernichtet zu werden, ebenso bis zu einem gewissen Grade fernhalten muß wie das leibliche Auge unserer Sonne.

In diesem Betrachte angesehen, bedeutet jede Art Wissen und jede Art Streben danach letzten Endes Religion, Ringen und Streben nach dem Göttlichen. Und in diesem Ringen und Streben, wie im Genusse jedes neuen Tags, liegt alles irdische Glück beschlossen.

Ich habe das schöne Schulhaus gesehen. Ich war überrascht, wie weit, heiter und hell es ist. Ich habe euern hochverehrten Herrn Direktor kennengelernt und bin überzeugt, daß der Zusammenklang dieses Mannes und dieses Schulhauses kein Zufall ist. Ich glaube und hoffe, daß ihr euch dieser hohen Schule niemals voll Angst und widerwillig, sondern mit freudiger Neigung nähern werdet, weil euch das Göttliche, was in allem Lernen steckt, anziehen wird. Denn von diesem Manne, eurem verehrten Herrn Direktor, und seinem verehrten Lehrerkollegium ist vorauszusetzen, daß es ihnen gelingen wird, euch davon zu überzeugen, daß eine Schule kein Gefängnis, sich bilden keine Strafe ist. Ich fühle und weiß, daß ihr in ihnen treue väterliche Ratgeber, Führer und Freunde habt.

Möget ihr, meine jungen Freunde, tüchtige, glückliche deutsche Männer werden, warmen Herzens, gütig und stark, unserem Vaterlande zum Segen, und möge bis dahin der volle Segen der Jugend über euch sein!


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