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Hans Wurstens Auferstehung

Zwiesprach mit einer kleinen Holzpuppe

Hans Wurst

Hans Wurst ist tot, sagt jedermann.
Ich höre das, soweit ich kann.
Ja, ich bin tot, doch wer mich schüttelt,
der hat Hans Wursten wachgerüttelt.

Es ist nicht wahr, ich bin nicht tot,
die Schelle klingelt auf der Erde
als aller Geister täglich Brot;
daher: ich bin nicht nur, ich werde!

Ich

Was kann die Schelle alles?

Hans Wurst

Volksreden hält sie nicht.
Sie ist kein Lehrgedicht.
Die Seele ihres Halles
indessen spricht.
Sie ist die fleißigste der Glocken,
denn alle hat sie überklungen,
die je von einem Turm gesungen,
und nie und nimmer kann sie stocken,
solange Menschen sprechen
und Zungen radebrechen.

Hans Wurst

Ich habe schwarze Augen.
Sie sind
starblind,
weshalb sie zum Sehen taugen.

Ich halte Hans Wurst nah an die Lampe, darauf er

Bring mich, du Schrecklicher, nicht ins Licht!
Denn Licht, mein Freund, vertrag' ich nicht.
Ich weiß nicht, was ich soll und muß:
ob der Papst sein oder Hus?
Die Schelle bimmelt späte Zeit:
ich geh' zu Bett, es ist nicht weit.

Hans Wurst

Ach, ich liege auf dem Rücken!
Meine Weisheit, wie es scheint,
wird dich so nicht mehr beglücken.
Und du hast zuviel geweint.
Doch auch so und ganz bestimmt
dien' ich jedem, der mich nimmt.

Hans Wurst

Was ist's, was mich legitimiert?
Die Schelle, die mich fast geniert.

Hans Wurst

Ich habe gewartet, ich bin Hans Wurst.
Du hast getrunken, ich habe Durst.
Du trinkst aus einer Quelle:
ich nur den Laut der Schelle.
Nun bin ich da, ich bin von Holz;
wer mich bemalt' – ich weiß es nicht,
auch nicht, wer mir in mein Gesicht
Glasaugen setzte, meinen Stolz.
Zerrissen freilich ist mein Kleid,
ich bin gehetzt von Bütteln.
Doch, Freund, du mußt mich schütteln,
denn dann vergess' ich alles Leid.

Hans Wurst

Auf meinem Holze sitzt ein Kopf.
Gott machte mich durch ihn zum Tropf.
Ich hoff', er hat mehr mit mir vor.
Einstweilen bin ich hölzern starr,
bin Gottes und der Menschen Narr –
sozusagen ein reiner Tor.

Ich

»Ich bin erschrocken wie immer«,
sagt Hans Wurst.
»Von der Welt habe ich keinen Schimmer,
aber ich habe Durst.«

Ich

Große Augen hat Hans Wurst,
die so groß sind wie sein Durst.
Doch er lehnt an voller Flasche
ganz und gar mit leerer Tasche.
So mit Augen voll Entsetzen
muß er alle Welt ergötzen.

Hans Wurst

Ich bin unveränderlich
wie Auge, Maul und Schelle.
Gott weiß, daß ich nicht belle,
und darum bin ich: Ich!
Ich bin kein Mensch, ich bin kein Hund!
Ich halte, halte meinen Mund!

Hans Wurst

An den Himmel stieß ich an:
das gab einen Klang.
An die Hölle dann:
sie sang!
Bin ich nicht ein tapfrer Mann,
der Himmel und Hölle erwecken kann?

Hans Wurst

Mein Freund, ich bin ein Weiser,
vielleicht Europens Kaiser.
Ich sage das nur nebenbei.
Ich stelle das Kolumbus-Ei
– will heißen: meine Schelle –
und so mich selber auf den Kopf.
Europens Kaiser ist kein Tropf.
Er strampelt mit den Beinen
dem Sternenschicksal ins Gesicht.
Nun, ganz alltäglich ist das nicht.
Drum wälzten sich die Parzen
und warfen ihre Spindeln weg.
Allein, das schiert mich einen Dreck.
Ich kratze meine Warzen
– die zieren Narren allzumal! –,
im Grunde stoisch wie ein Pfahl.

Ich

Ich bin nur Staunen! sagt der Narr
der Weise aber: Ich bin starr!
Aber wenn sich die Starrheit belebt,
leider meistens die Erde erbebt:
Priester gackern,
und Holzstöße flackern.

Hans Wurst

Du hast mich an Buddha gestoßen,
sagt meine Schelle.
Dies kann mich erbosen.
Aber vielleicht ist's eine Quelle?
Jedenfalls kitzelt mich meine Pelle.

Hans Wurst

Man sagt, ich hätte Augen wie Goethe!
Ich erröte.

Ich

Aber lieber, starker Fetisch,
du bist nicht für einen Teetisch.
Du bist stark universalisch,
ja zuzeiten kannibalisch.

Hans Wurst

Lieber Junge, laß das sein,
ich bin groß, und du bist klein,
denn du bist noch Fleisch und Bein.
Deine Quelle, meine Quelle
ist ja zwar dieselbe Schelle,
doch die Ewigkeit ist mein!

Hans Wurst

Aber wir wollen uns nicht täuschen
trotz allen andersartigen Räuschen
von Volkstum, Souveränität und desgleichen:
Ich bleibe sein wahres Wappenzeichen,
bin des Volkes gesunder Geist,
der mit Vergnügen trinkt und speist,
der die Schelle schwingt, die Pfeife stopft
und dem Teufel das Fell verklopft.

Ich

Schrei nicht, Narrenschelle!
Wir wollen kein Gegelle,
noch weniger ein Gebelle.
Stumm tritt an jene Schwelle,
wo Nacht sich paart mit Helle!
Dort wirst du sein wohl respektiert,
und niemand wird durch dich geniert.
Allein, mein Sohn, nur kein Geschrei;
leg lieber still ein Hühnerei!

Hans Wurst

Ich wälze mich in meinem Bett
recht wie ein kranker Schlingel,
umtobt von meiner Klingel!
Ich selbst ein hölzernes Skelett,
das Auge offen, lieg' ich da.
Oh, frage niemand, was ich sah!

   

Hans Wurst in einen Abgrund fällt,
es knallt das Holz, die Schelle gellt.
Das ist die Welt!

Hans Wurst wird vermißt.
Keiner weiß, wo er ist:
da plötzlich klingt seine Schelle im Mist.

Ein leises Geklingel:
das ist der Schlingel,
das ist der Narr,
wie immer starr.
Der Arm zerbrochen,
das Kleid zerstochen,
das Auge weit
geöffnet für die Ewigkeit!
Aber blind für die Zeit.
Doch weit, weit
ist Ewigkeit.

Hans Wurst

Ich starr' ins Licht
mit. Aug und Mund;
doch: armer Wicht,
so tot und wund,
verzweifelt nicht.

Ich

Ich grüße dich als meinen Herrn,
du Ewiger im Holze!
Die Schelle hangt dir an der Stirn
und schmückt das Haupt, das stolze.

Hans Wurst

Ich – hol's der Teufel! Schwerenot! –,
ich lasse mich nicht spotten.
Der Teufel! Wofür bin ich tot,
ein Fraß für Wurm und Motten?

Ich will nichts mehr in eurer Welt
und nichts im blauen Himmelszelt
mit allen seinen Sternen.
Nun ja, das müßt ihr von Hans Wurst
– entschuldige, ich habe Durst! –,
dem längst verstorbnen, lernen.

Es gibt viele Tode.
Ich bin tot, und marode
klingt meine Schelle:
so ist es wie Hundegebelle,
das mir selbst nach den Beinen fährt.
Aber ich bin es satt, auf Erden
zu beißen oder gebissen zu werden.

Hans Wurst

Ich bin tot und schweige mehr,
als ich je geschwiegen habe.
Meine Schelle stiehlt ein Rabe,
und sie lärmt noch hinterher.
Himmel, wer erweckt mich? Wer?

Ich

Du liegst im Sarg, und das ist arg:
steh auf, Hans Wurst, und sei stark!

Hans Wurst

Da bin ich und stoße zugleich mit der Locke
an die Lichtglocke.
Das hat mich von je und je geniert,
ja die Geistlichkeit alarmiert:
und doch kann ich so wenig tun,
ein bißchen schellen, dann muß ich ruhn.
Ich denke nicht dran, Alarm zu schlagen,
das geht mir zu sehr auf den Magen.

Hans Wurst

Ich liege noch immer nicht im Grab,
weiß nicht, was ich verbrochen hab'.
Begrabt mich doch! Begrabt mich doch!
Ich sehe in die Welt ein Loch,
und tot hängt meine Schelle
an einer gewissen Stelle.

Hans Wurst

Ich lag Jahrhunderte verloren
im Sarg. Nun bin ich neu geboren,
auf fünf Minuten oder zehn.
Dir wird es schwerlich anders gehn!

Hans Wurst

Hast du mir etwas noch zu sagen?
Die Schelle klingt sogleich.
Die Armut liegt mir sehr im Magen,
doch meine Schelle macht mich reich!

Hans Wurst

Ich bin aus Holz und doppelt tot.
Längst ist verstummt mein halbes Leben.
Ihm will man keine Stimme geben
wie einst und meinem Gott kein Brot.
Doch eine ewige Lebensquelle,
sie plaudert weiter: meine Schelle!

Hans Wurst

Wenn ich nichts zu sagen hab',
geh' ich einfach in mein Grab.

Hans Wurst

Mein Auge ist starr, ist wie erstorben.
Das macht die Weisheit, die ich erworben.

Hans Wurst

Du läßt mich liegen, doch ich bin da:
Hans Wurst! Haha!
Mit dem Reim auf Durst ist nichts mehr zu machen,
könnte ich, so würde ich lachen.
Aber ich habe es nie verstanden –
tausend Beweise sind vorhanden:
wenn ich andre lachen mache,
so ist das Lachen nicht meine Sache.

Hans Wurst

Ich habe dir nichts mehr zu sagen.
Deine Fragen
hab' ich im Magen!
Gott mag mich strafen:
aber auch ein Holz muß schlafen.
Ich kehre dir den Rücken zu
und gehe schlafen. Wache du!

Ich

Annoch bin ich mir nicht schlüssig,
bin ich deiner überdrüssig?
Doch Idole sind aufdringlich,
sozusagen unbezwinglich.


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