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Col Di Rodi

Ein Spaziergang

Abseit vom Lärm, mit stillem Schritt hinan,
ns Ölbaumdüster, auf des Saumtiers Pfaden:
steil, steinig und verschwiegen ist die Bahn.
Hier mag die Seele rein vom Staub sich baden!
Von nahen Hängen grüßt das lichte Laub
der Goldlimone. Bläulich, von Terrassen,
wölkt die Olive ernste Wipfelmassen:
darüber hin ein Reif wie Silberstaub.

Wohin? Nur tiefer in die Schlucht hinein,
die schon von Anfang dich entrückt der Stunde.
Wie Pallas' Goldhelm oben blitzt ein Schein.
Wie Eumenidendonner murrt's im Grunde.
Doch tief im Schatten, an der Quelle Ranft,
hebt jetzt das Einhorn still das Haupt vom Rasen
und sieht mich an: die Rosennüstern blasen –
und weiter äst es, äugend klug und sanft.

Du weißes Fabeltier in Pallas' Hain,
erharrtest du mich einsam hier? Wie lange? ...
Hoch ein Getrümmer hängt ins Tal herein:
die Abendglut küßt Turm und Mauerwange.
Ist dies der Schutt zerfallner Griechenpracht,
zu der mich späte Pulse heimlich drängen?
Soll ich die Seele an Getrümmer hängen?
Da schwingt ein Ton sich aus der Waldesnacht.

Heiß schwillt er auf! Es ist der alte Born
der Menschenbrust, in Sehnsucht überquillend:
Narkissos singt, gebückt in Strauch und Dorn,
das Körbchen fleißig mit Oliven füllend.
Aufwachend spielt dazu der Drosseln Schlag –
und Echo tönt, ein andrer Born der Lieder:
der Knabe schluchzt, und schluchzend kommt es wieder.
Im letzten Glanze lauscht der Frühlingstag.

Hinan! Du graues Bergnest über mir
sollst dein versteckt Pygmäenvolk mir zeigen.
Die gleiche Dumpfheit über Mensch und Tier
und Gärten, die in Stufen mit mir steigen.
Zerwühlt der Grund. Der Scholle Brodem, reich
ausdampfend, Früchte ohne Maß gebärend.
Der Gärtner, atmend, fronend und verzehrend,
in Dumpfheit schwelend, seinen Früchten gleich.

Wir sind nicht dumpf, und rein ist unsre Brust
vom Brodem, drin die Götterbilder weben.
Uns kann die matte Qual und schale Lust
den leeren, weiten Himmel nicht beleben:
entgöttert die Natur so ganz wie er!
Tief unten rauscht die blaue Glut zu Lande.
Ich sehe keine Beter knien am Strande.
Und doch: du bist es noch, du heiliges Meer!

Allein, wer hindert mich, daß ich mein Haupt
zur Erde neige und Poseidon grüße?
Daß ich in Ehrfurcht, wenn auch marktbestaubt,
im Strahl des Helios die Augen schließe?
Zeus Hypatos, daß ich, anrufend, dir
den Hauch, den du mir schenktest, wiederschenke?
Wer, Aphrodite, daß ich dein gedenke
und deines ewigen Götterstrahls in mir?

Wer hindert mich? – »Nicht ich!« – Nicht du! Ich weiß!
Du bleicher Schmerzensgott, den ich nicht nenne.
Ich fühle dich, o Haupt voll Blut und Schweiß,
und deine Stimme ist's, die ich erkenne!
Nicht du! – Da klappt und klimmt ein müder Huf.
Silenus führt sein magres Tier am Zügel,
sorglich und fromm: ein Kranker hängt im Bügel ...
Und durch die Luft erschwillt Hosiannaruf.

Ligurischer Mann auf deiner Eselin:
was blickst du her auf mich aus wunden Sternen?
Willst du mich kennen, landfremd, wie ich bin? –
»Wir waren eins in tief entsunknen Fernen.«
O Bruder! Eros zuckt im Auge dir
und schießt den Pfeil: schon spür' ich heiß die Wunde:
Mit tiefstem Schmerze dehnt er die Sekunde
zur Ewigkeit und schenkt sie dir und mir.

Ospedaletti, 1904.


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