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Die Hand

Ich lag am Waldesrand
und dachte nichts.
Mich blendete
der Glanz des Sonnenlichts.
Da braucht' ich meine Hand
zum Schutze des Gesichts.
Allein, es wurde da
fast blendender der Glanz.
Die Röte, die ich sah:
war sie des Blutes Tanz?
Verborgen alles Land
lag hinter dieser roten Wand
von meiner Hand.
Ich dachte nur so viel,
nicht mehr,
mein Haupt war leer.
Da fing sich an ein wunderliches Spiel,
so ungefähr:
Es lösten sich die Finger nach und nach.
So wie vor Kindersinn
der Zeigefinger
zeigte her und hin –
ich glaube gar, er sprach,
doch ohne Laut:
»Der seelenvollste meiner Brüder bin ich,
und alles, was die Menschen tun, beginn' ich.
Ich spreche keine Kinderworte,
das glaube nicht!
Doch da die Rechte grad am rechten Orte
an deiner Stirn liegt und das große Schweigen
um dich herum ist, wär' es gut, ich dächte,
für deinen Geist, auf etwas hinzuzeigen.«

Was dieser Finger raunte, schien mir eigen.
Und plötzlich war es mir, so nah der Stirn,
zu einem wurden Hand und Hirn.
Der Finger wies auf einen Gartenzaun:
schon sah ich Hände ihn erbaun.
Nur Hände, die gespenstisch griffen,
die Zweige und die Pfosten schälten,
die Messer und die Äxte schliffen,
den Hammer schwangen, die Nägel wählten:
ein Händewirrwarr wunderlich.
Die hübsche Kurzweil ergötzte mich.

Doch als ich dachte: nun genug!,
da mehrten sich die Menschenhände.
War's panische Neckerei am Ende?
Gut, gut! Mach fort! du bist im Zug!
so dacht' ich, dein willkommner Trug
mag meinen Geist ein wenig necken!
Ich fürchte keinen panischen Schrecken!
Da klang ein Wort –
von da? von dort?
»Blick von dem Mittagsspuke fort!
Dort wogt der Felder goldnes Meer!«
Doch als ich meine Blicke wende –
was seh' ich? Hände, Hände, Hände!
Sie ackern, säen, schneiden Halme,
sie ernten, mahlen, sacken, backen,
sie nähn dem Landmann Hosen, Jacken,
sie führen Speisen ihm zum Munde,
füttern die Kühe, schirren die Pferde
und bringen den Bauern, wenn er stirbt
und den glückseligen Himmel erwirbt,
in den Sarg und unter die Erde.
Ich sehe sie Särge hobeln und leimen
und gabeln die Garben zu riesigen Feimen.

In Gluten zittert das Mittagsland.
Noch immer klebt meine schweißige Hand
mir über den Brauen.
Da spricht's in mir so etwa wie:
Nimm sie fort! Warum wiederkäuen
solche quälende Phantasie!
Aber ich fühle mich schwach wie nie;
und wie Eisen und Eisen geschweißt,
Hand und Hirn verbindet Magie.

Die kahle Straße im Mittag gleißt,
der Staub in meine Augen beißt.
Plötzlich, wie von dämonischem Pfiffe,
Myriaden von Händen, Schläge und Griffe
überquellen den Damm,
überwimmeln die Flanken!
Kein Staubkorn, das nicht eine Hand durchrinnt!
Hände, fleischgewordene Gedanken!

Der Zeigefinger aufs neue beginnt:
»Mein Vater, du weißt nicht, was wir sind!
Ich zeig' es dir, und du gib es weiter:
ohne uns Hände, ohne uns Finger
wäret ihr bloße Nahrungsschlinger!
Tiere mit Mäh und Muh und Miau,
wie der Ochse und wie die Sau!
Wir wurden euch von den Göttern gegeben,
um euch zu ihnen emporzuheben.
Sage den Menschen, wie das geschah,
ich will dir's erzählen, weil ich's sah:

Prometheus hatte den Menschen gemacht
aus Ton.
Er liebte ihn wie seinen Sohn.
Aber er hatte nicht alles bedacht.
Die Göttin der Weisheit sah ihn an
und sagte:
›Die Arbeit ist vertan,
ohne Götterhände!‹
Hephaistos lacht:
›Wie hätt' ich den Schild Achills gemacht?
Ohne Götterhände bleibt man ein Tier,
und hätte man auch der Pfoten vier!
Pallas hielte den Speer der Gerechtigkeit
nicht mehr noch den Schild der Weisheit in Händen!
So helft mir, dem Sohne sie zu spenden!‹
Es geschah. Aber Lauscher waren nicht weit.
Der Töpfer ward an den Felsen geschweißt
auf des oberen Zeus Gebot,
weil er die Macht der Götter bedroht,
der Mensch verstümmelt, wie es heißt,
und allen Geburten die Hände genommen.
Bis Herakles dann zur Macht gekommen,
Prometheus von seinem Felsen befreit,
Zeus vermocht zur Versöhnlichkeit.
Und kamen Mütter der Menschen nieder,
ließ man den Kindern die Hände wieder.«

So sprach der kleine Wicht
sein Lehrgedicht.
Oder – ich lag am Rain –
sang es ein Vögelein?
Die Hummeln brummten drein,
und Blütenhauche
strich leiser Wind von Baum und Strauche.
Die mischten einen eignen Klang.
Es war, als brächten sie Gesang
aus fernen Götterzeiten,
wohl auch von fremdem Sterne.
Ich lauschte ihnen gerne
und faßte tief sie ins Gemüt.
Noch lag durchglüht
die Hand von Sonne und von Blut
am gleichen Ort, wo sie bisher geruht.
Sang jetzt Apoll, der Musengott,
wie einst Homer und Hesiod?
Es tönte laut und leise
der Menschenhand zum Preise.
Doch plötzlich sich ein Sturm erhob
von Pauken und Trompeten,
von Geigen, Harfen, Flöten,
den Himmel füllte das Getob':
»Wir singen unser eignes Lob,
der Menschen Götterhände,
wir schließen aller Seelen auf
mit Lärmen ohne Ende,
in Donnerwolken von Musik,
im ungeheuren Tönekrieg,
mit Wettern und mit Schmettern
gebären wir die Harmonie,
gebären wir die Melodie
den Menschen und den Göttern!«

Und in der Götter Rat
kommt eine Stunde,
da tritt das Schweigen in die Tafelrunde,
weil einer naht,
vor dem der höchste Zeus sich hebt vom Sitze,
den Adler läßt er ihm und seine Blitze,
und ihm, dem unbekannten Gotte, schweigen
die Zwölfe. Selbst Apoll sieht man sich neigen.
Der aber scheint vom Orkus aufgestiegen,
vom schwarzen Zeus der Tiefe.
Und wenn die Zwölfe tief genug geschwiegen,
schließt er die Augen, fast als ob er schliefe,
und scheint doch alle Nächte zu durchdringen
mit seinem Blick. Der Adler lüpft die Schwingen,
es zuckt ein Blitz, der selbst die Götter blendet,
und Donner rollt, vom schwarzen Zeus gesendet.
Der Demiurgos ballt
die Fäuste, welche auf den Knien ruhn.
Das ist sein ganzes Tun.
Und der Olymp erhallt
von einer Macht, die über allen steht,
dem Nichts, in dem das Weltenall vergeht.
Kein Gott: ein Mensch ist's, der die Macht entdeckt,
von Menschen-Götterhand wird sie geweckt.
Der Göttertafel Freuden sind dahin,
das Ohr ist nun der Götter einz'ger Sinn.
Und trinkend mit dem Ohr, befällt ein Rausch
sie alle, und als wenn aus niedrem Sein
die Menschen gehen zu den Göttern ein,
so ist der Götter Tausch,
wenn sie mit ungeheurem Fühlen
ins andere Sein der Töne sich verwühlen.

Es spricht ein Wort in mir:
Nun sei's genug,
mit diesem Mittagsspuk!
»Ich aber rate dir«,
so leis der Zeigefinger wieder,
»gewähr dem Zauber deiner Hand
noch einen Blick vom Luginsland!
Dann steig zu Haus und Herd hernieder!
Du schreibst vielleicht ein kleines Buch
– schon liegt es dort,
ich zeige dir im Nichts den Ort –,
genannt:
›Die Hand‹.

Und wagst du wirklich den Versuch,
so darfst du etwas nicht vergessen,
was sie beschattet noch vom Götterfluch.
Als Herakles vom Felsen losgebunden
den Sohn des Japet, heilten seine Wunden
dem Sprossen des Titanen.
Nicht so dem Zeus! Ihm wollte immer schwanen,
es würde sein Verzeihen lohnen
Titanenblut und ihn zum Dank entthronen.
Denn des Prometheus eigne Künstlerhände
erschufen sich ein Künstlervolk, das übermächtig
zu werden drohte,
aufsässig wider göttliche Gebote
und böser Pläne trächtig.
Vielleicht, daß eine neue Weltenwende
daraus entstände,
ja selbst der Götter, des Kroniden Ende!
Denn das Geheimnis des Titanensprossen,
der sie gemacht: selbst Göttern blieb's verschlossen!
›Der Hauch, mit dem er seinen Ton erfüllte,
wie er das Menschenhaupt mit Geist beschenkt,
so daß es göttliche Gedanken denkt,
bleibt für uns Götter heut noch das Verhüllte!
Und was nur oben im Olympe erblich,
es scheint, sie haben Seelen, die unsterblich!
Verwegen, furchtlos, dieser Titanide,
der hoffnungslos versprengte, gibt nicht Friede!
Gefesselt liegen alle seine Ahnen
im Tartaros, ohnmächtige Titanen.
Ihn selber in den Tartaros zu schmettern:
es sei nicht würdig meiner Göttermacht,
sagt Herakles. Er leb' in ewiger Nacht
ja sowieso, verglichen mit den Göttern!
Allein, er stieg hinan zum Sonnenwagen
– wie tat er das? –
und brach sich Flammen zu Millionen Tagen
für seine Lotophagen,
die unsere Götterbildung an sich tragen.
Prometheus will sich der Natur nicht beugen,
er schwört, er mag nicht wie die Tiere zeugen,
er will mit Geist und Händen Leben bilden
und seinen Ton erwarmen
und pressen mit den Armen,
tönerne Kinder statt der Tiere säugen,
mit selbstgeschaffnem Leben sich vermählen
wie wir! Und seine Menschen, diese milden,
sie singen den Paian mit Himmelskehlen!
sie sollen alle Seligkeit genießen,
ein Tempe, soll die ganze Erde sprießen!
Somit und allerwegen
dem Glück der Götter überlegen!‹

So dachte über Prometheus
der ewige Zeus
und beschloß sogleich
einen tückischen Götterstreich.
Wie zum Zeitvertreib
schuf sein bloßer Gedanke ein menschliches Weib.
Pandora ward sie genannt
und zur Erde gesandt.
Prometheus ward sie gewahr
Und erkannte sogleich,
wes Geistes Kind sie war.
So reich
war die Kraft seiner Hände nicht!
Sie bebte von Götterschönheit und Götterlicht.
Es umgab sie rotes vulkanisches Haar,
gefärbt, so schien's, vom Götterschmied,
sein Feuer durchglimmte ihr Augenlid.
Doch es flammte auch grün wie das Meer.
Der arme Prometheus atmete schwer.
Da reichte sie ihm wie zum Geschenke
ein geschloßnes Gefäß –
eine Büchse, ich denke.
Aber der Meister wandte sich ab.
Da trat hervor
Epimetheus, sein Bruder, ein Tor,
dem nun die Schöne die Büchse gab.
Er konnte nicht widerstehn,
er öffnete sie, um hineinzusehn.
Da fuhren aus ihr ins Abendrot
Pest, Hunger, Not und Tod
und Gewölke verwirrter Hände!
Die säeten Nebel ohne Ende.
Und so kam aller Jammer hienieden
über die Völker der Promethiden.
So gebar sich die Hölle der Stymphaliden.«

Nun, kleiner Myste und Mystagoge –
wir schwimmen auf einer Traumeswoge!
Ich lag am Waldesrand – war es der Weltrand? –
und dachte nichts.
Mich blendete der Glanz des Sonnenlichts.
Da braucht' ich meine Hand
zum Schutze des Gesichts.
Und nun: was will geschehen?
Soll ich wieder nur Hände und Hände sehen?
Mir wird fast bang.
Es düstert wie Weltenuntergang.
Pandoras Büchse ist leer.
Doch die Erde erfüllt ihrer Plagen Heer.
Nein – ein Tempe ist sie nicht mehr!
Ich atme schwer.
Ängstlich flüstern
um mich die Blätter,
die Räume verdüstern
schwarze Wetter.
Sonnenbrand
versengt mir trotzdem den Rücken der Hand.
Ein Murmeln wühlt
fernher.
Ein Windstoß spült klirrende Laute über mich.
Eisengerüche
untermischen Funken und Flüche
fürchterlich.
Von Hammer, Amboß und Faust
Gewölke von Fäusten, Händen, nur Händen,
durchdonnert von Eisengetätter,
durchleuchtet von Bränden:
welch ein Wetter!
Welch ein Abgrundsakkord!
Alles dient hier dem Mord:
jeder Griff, jeder Schlag,
jeder Biß der Zange!
Krieg heißt der Vertrag!
Die eherne Schlange
glüht um sich, speit um sich
tödliches Gift.
Von Morgen zum Abend blitzt eine Schrift:
Töte!
Fertige Schwerter fallen wie Schloßen.
Gewehre, Kanonen, aus blutiger Röte
donnern herunter wie Wasser aus Gossen.
Es prasselt ein Sintflutregen von Blut!
Menschenhände, seid auf der Hut!
Was der schwarze Zeus mit euch tut,
tut er dem weißen zugut,
der euch wenig liebt,
der euch ungern das Leben gibt.
Er bewaffnet euch gegen euch!
Du furchtbares Gesicht: entfleuch!
Du grauenvoller Gesang:
Weltuntergang!

Ich erwachte, so kam es mir vor.
Ich sprang empor.
Ich blickte erstaunt umher.
Von allen Schrecken sah ich nichts mehr.
Ich griff in den Anger und nahm eine Blume.
Mein Blick ward frei:
ich trug sie zum Heiligtume
der kleinen nahen Eremitei.
Ich legte sie auf des Altars Rand.
Alles tat meine fromme Hand.
Es bleibt dabei:
daß sie ein Kind der Seele sei,
ein Götterglied!
Huldigt ihr, Menschen, mit jedem Lied!
Aber mehr!
Dem Prometheus am Kreuz:
ewig ihm Ruhm und Ehr'!

Rapallo, März 1937.


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