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Der Heros

Der Himmel weiß es, wie ich in das Schiff
gekommen, das durch Berge schwarzer Flut
mich pfeilschnell trug und dann am hohen Riff
zerschellte. Wie von roten Eisens Glut
lag Feuerschein auf schrecklichem Gewühle,
darin ich schwimmend mit dem Tode rang.
Ich stieg und sank in fürchterlicher Mühle.
Ein einz'ges Wort nur dacht'ich: Untergang.
Dann löscht' ich aus, ins Nichts entschwand mein Leben,
und traumlos ganz war dieser Todesschlaf.
Doch ich erwachte plötzlich unter Reben,
wo mich das heiße Licht der Sonne traf.
Was war nun Traum? Mein schwarzes Untergehen
oder mein golden-seliges Auferstehen?

Und wo erweckt' ich mich? Der gelbe Strand
lag nahe, hinter mir ein grünes Land,
hoch überwölbt von tausendjähr'gen Bäumen.
Oliven waren's, einzeln hingestellt
zur Wacht von Millionen Blumenträumen,
die sich im Wiesenteppich drunter regten,
die Paradieseskelche leis bewegten.
Doch alles dies, das blaue Himmelszelt,
azurnes Meer mit sanftem Schaumgekräusel,
der süßen Zephyrhauche leis Gesäusel
in Rosenbüschen – war es in der Welt,
in der ich vor dem Hadessturme lebte?
Nein, jene, schien mir, lag unendlich fern.
Was hier Natur um meine Sinne webte,
war Wunderwerk auf einem neuen Stern.

Wer mag der Lüfte heil'gen Lebensstrom,
der in die Brust mir kraftvoll drängte, nennen,
der tiefen Stille feierlichen Dom,
der Blütendüfte und der Farben Brennen?
Und doch in allem Schweigen bebt Musik,
unhörbar-hörbar, nie gefühlten Klanges,
orphischen Zaubers unsichtbarer Sieg.
Und sie bewegt mich, rätselhaften Dranges,
als hätt' auch ich an diesem sel'gen Ort
des Musendienstes heil'ge Pflicht zu leisten
im reinen außerirdischen Akkord.
Da stand ich auf, unwissend, ahndevoll,
indes vom Ufer her ein Ruf erscholl.

»Ho he! Wo kommst du her?« so rief ein Mann.
»Nie außer mir ist hier ein Mann gelandet.
Du starbst, das heißt, du bist im Tod gestrandet.
Denn dieses Inselland kann nur erreichen
ein Auserwählter unter Kores Zeichen.«
Ich gab zurück und hörte meine Worte:
»Du aber, bist du auch ein Toter?« – »Nein«,
so er darauf, »ich gehe aus und ein
bei allen Göttern und an jedem Orte.
Dort liegt mein Schiff, wie oft schon, hier im Hafen,
es führt so lebende als tote Fracht.
Hier unserm Heros liegt an schwarzen Schafen,
ich habe sie ihm herdenweis gebracht.
Doch heut – ich bin gesprächig, wie man sieht,
wo ich durch Zufall einen Menschen finde,
der so wie ich durch beide Welten zieht –,
doch heut hab' ich an Bord ein Angebinde
für Leukes Heros von ganz andrer Art.
Durchsichtig-glatter Haut wie Flaum so zart,
ein süßes Kind, Sklavin von Ilium,
kaum vierzehnjährig, in ihr fließt das Blut
des Priämos, des Stammes letzte Glut.
Fremdling, es ist nicht mein geringster Ruhm,
daß ich das holde Mägdlein hergeführt
zu Schiff und unterwegs sie nicht berührt,
dies Schönheitswunder immer nur bestaunt.
Es sei dir leise, Freund, ins Ohr geraunt:
mir, der von Angesicht Helenen sah,
erschien sie schöner weit als Helena.«

Wer war der Mensch, der also zu mir sprach,
dem wildes Licht aus beiden Augen stach?
Dort lag sein Schiff am Tau, schwarzseglig schaukelnd,
in Lüften flimmernd und in Wassern gaukelnd.
War es der Pontos, den das Schiff befuhr,
oder wie nannte sonst sich diese Flur,
an die er sich für Ewigkeit verloren,
und welche Mutter hatte ihn geboren?
Aus Erz getrieben schien sein brauner Leib.
Er zog mich an, doch unter leisem Grauen.
Mein Innres schien zu sagen: Geh und bleib!
Mein Auge, schließe dich, um mehr zu schauen! –
Da gellte schreckhaft plötzlich laut ein Pfiff
von seinen Lippen, jach die Luft durchdringend,
und wie im Sturm aufbäumte sich das Schiff,
fast seine Ankerkette überspringend.
Und dann – was dann? Er zeigte mit der Hand
auf sie, die nun Polyxena genannte,
die Sklavin, die jetzt nahe bei uns stand.
Die süße Fracht, die Ilion-Verwandte,
sah zu mir her. Wer schildert ihre Reize?
Zum wahrhaft Stummen hat sie mich gemacht.
Verschlossen bleibt mein Mund. Sei meinem Geize
dies schwerste aller Opfer dargebracht.

Denkt euch Musik, so traurig wonnevoll,
wie nie ein Harfner sie auf Erden hauchte.
Dies Wunderkind war allen Wohllauts voll,
darein sie meine bange Seele tauchte.
Denn was kann bänger sein als höchstes Glück?
Wo blieb der Schiffer? Ging er wohl zurück
an seines Schiffs efeubekränzten Bord?
Genug, er war nicht da, der Mann war fort. –
Und also blieben wir uns überlassen,
die Troerin und ich – Polyxena!?
War dieses Liebeswunder wohl zu fassen?
Geschenk des Himmels, stand sie vor mir da.
Ein Kind, ein Mägdlein, ganz noch unbewußt
der eignen überirdisch-holden Blüte,
des meergebornen Himmelsblicks, der Brust
voll Zärtlichkeit und selig reiner Güte.
Nun wohl, es ist in diesem Erdenreich
der Mensch dem niedren Fron des Seins verfallen.
Doch Augenblicke schenkt der Himmel allen,
darin der Mensch den seligen Göttern gleich
an Schönheit strahlt. So vom Olymp gestiegen
warst du, Polyxena, und wußtest nicht,
o Göttin, weil die Götter dir's verschwiegen,
von deiner Gottheit und von ihrem Licht.

»Wer ist nun«, sprach ich, »hier der Weltenherr
– denn diese Welt ist nicht die altbekannte –
und jener unsres Paradieses, er,
den dein Patron den Inselheros nannte?
Nach seinen Worten wärst du ein Geschenk,
an jenen Halbgott eine Honigwabe?«
Erbleichend schwieg sie – wessen eingedenk? –
wie eine Trauernde am eignen Grabe.
Ein Schauer überfiel sie, bis sie Sich
ermannte und die Arme von sich streckte,
entgegen welchem Schlage, welchem Stich?
Und nun sie beide Augen sich bedeckte,
da ging's mir durch den Sinn, da schien es mir,
sie sei ein todgeweihtes Opfertier.
Lügt dieses Paradies so wie die andern,
was wäre dann der Sinn von meinem Traum?
Da lächelte sie leis: wir sollten wandern.
Sie tat's, sie schritt. Der Boden trug sie kaum.
Wehklagen ist und Jauchzen hier nicht mehr,
auch Tod und Leben nichts als ein Erinnern.
Und so durchschritten wir das Lustrevier.
Wo war es? Um mich? Oder mir im Innern?

Nein, um mich! Denn auf einmal scholl ein Ton,
menschlich und doch nicht menschlich – solcher Kraft
entbehrt die Brust von eines Menschen Sohn.
Mag eines Löwen Wut und Leidenschaft
so ähnlich aus des Rachens Tiefe dröhnen
und wild in seines Hungers Folter stöhnen:
graunvoller war dies rufende Gebrülle,
weil annoch menschlich in des Donners Hülle.
Es drang herab von ferner Inselhöhe,
und Bäume rauschten wie von einer Böe.
»Der Heros!« sprach Polyxena und bebte
und schien furchtbaren Schreckens wie versteint.
Wie alles um mich war sie tot und lebte;
Tod war und Leben, selbst in mir, vereint.
Doch ich vergaß den Tod und horchte bang
dem ungeheuren, nie gehörten Klang.
Als sich die Stille ob dem Rufe schloß,
ging durch das Inselparadies ein Zittern.
Vom Blitze sah ich eine Eiche splittern
bei hellem Himmel, und kein Regen floß.

Und ich vergaß es, was und wer ich war.
So ward vom Schrecken plötzlich ich umnachtet.
Erwacht, bemerkt' ich einen im Talar,
und als ich ihn ein Weilchen stumm betrachtet,
sein Greisenantlitz und sein Greisenhaar,
die Lyra, die er trug, erklang mein Herz,
erweckt von einem nie geahnten Wunder,
die Brust zerreißend fast in Lust und Schmerz;
der Blindheit Vorhang riß wie dunkler Zunder.
Kein Zweifel noch, der Alte, das war er:
der Sänger aller Sänger, war Homer.
So wie er aufgetaucht, war er verschwunden.
Doch in mir, einer Offenbarung gleich,
sprach seine Stimme: »Hast du hergefunden,
Menschlein, so dring auch tiefer in dies Reich
Es nennt sich Leuke, wenig Inseln heben
wie diese sich aus Nacht ins ew'ge Leben.
Sie dient zur sel'gen Wohnstatt dem Achill.
Du hörtest des gewalt'gen Dämons Stimme,
doch nur im Krampf der Wut, im heil'gen Grimme.
Denn selbst der Seligen Herzschlag steht nicht still.
Die Götter selbst, wenn sie die Qualen meiden,
sind tot. Denn alle Wonne steigt aus Leiden.
Und dies verstehe, wenn ich dir's vertraut:
Achilles ward Helenen angetraut.
Kein Paris, ein Achilles, jener Held,
der wie der Sämann um sich Leichen säte,
mit blut'gem Regen tränkete das Feld,
dient nur Helenen noch von früh bis späte.
Und mehr: vom Abend- bis zum Morgenstern,
in täglich, stündlich wiederholter Feier,
singt er der schlimmen Buhl'rin Lob zur Leier.
schält aus den Hüllen sich den schönen Kern,
der niemals sättigt, nie den Hunger stillt.
Nur je zuzeiten wird er einmal wild,
wenn etwa des Patroklus er gedenkt,
des Menelaos, der sie früh genoß,
des lüstern-räuberischen Priamsspross's,
dem sie sich ganz in Liebesglut geschenkt.
Dann brüllt er, wie am Ätna der Kyklop,
wird selbst zum Ätna, gleichsam feuerspeiend.
Nun ja, mein Freund: du hörtest sein Getob'.
Dann, seine Qualen gleichsam niederschreiend,
heult Rachedurst auf die zerstörte Stadt,
die nur noch Asche ist. Er möchte rennen
zum Kampf und sie noch einmal niederbrennen.
Sein Haß auf Ilion wird niemals satt.
Und jeden schlägt der Heros tot, erbittert,
in dem von fern er den Trojaner wittert.«

Der Armen Ärmste du, Polyxena!
so dacht' ich. Doch als ob sie mich verstanden,
warf sie den Kopf zurück und stand nun da,
als wäre Furcht auf Erden nicht vorhanden.
»Im Wahnsinn selbst ist der Pelide groß,
das macht, er stammt aus eines Gottes Lenden
und aus der blauen Meerestiefe Schoß.
Verging ich einstmals auf dem Scheiterhaufen
zu seiner Ehre, seinem höchsten Ruhm:
gern ließ ich mich zum zweitenmal verkaufen
als Opfer für des Halbgotts Heiligtum.«
Und neben uns stand plötzlich der Patron
des Schiffes wiederum. Er sprach: »Mein Sohn,
du brauchst in unsrer Welt nicht so dich grämen
wie in der andren, die dich ausgespien,
und wenn selbst die Erinnyen zu uns kämen,
sie ließen, glaub mir, ungeschoren ziehn
selbst den Orest, den Muttermordbefleckten.
Und was mich selbst betrifft, mich nannte wer
vorzeiten nur ein Spielzeug des Homer.
Obgleich die Schurkerei, die Troja fällte,
aus meiner Seele Vipernlöchern kroch,
ich schmutzigen Handel treibe, heute noch,
mit Nestern, die der Höllenhund umbellte,
Schutt Ilions, noch da und dort enthüllt,
nach denen hier der Götterwüstling brüllt.«
Nun war ich des, der vor mir stand, gewiß:
ich will nicht leben, war es nicht Ulyß!

Ulysses sprach: »Heroenlebenswandel,
erfahr' ich selbst, hat seine Schwierigkeit.
Zur Hälfte ist's der irdisch-alte Handel,
zur andern Hälfte Übermenschlichkeit.
Wir sind nicht sterblich; aber um so schlimmer
quält oft der Schmerz so Mann als Frauenzimmer.
's ist so mit aller Halbheit. Unser Los
macht uns im Großen klein, im Kleinen groß.
Und leider haben wir fast nichts zu tun,
als auf des Ruhmes Faulbett auszuruhn.
Wer aber weiß nicht, Heide oder Christ,
daß Müßiggang des Lasters Anfang ist
und daß, sei's Mensch, sei's Halbgott oder Gott,
ein kleines Büblein alle macht zu Spott.
Denn alles tanzt ja doch nach seiner Pfeife.
Wer Ohren hat, hört vom Olymp herunter,
vom Styx herauf, nur immer kunterbunter
und ruhelos und rasend das Geschleife.« –

»Vergebt mir, wenn ich euren Kronrat störe.
Denn teils gefällt mir leidlich, was ich höre,
teils schießt es unter, teils auch übers Ziel.
Der Schiffspatron galt einst im Rate viel,
wir sind vorzeiten öfter uns begegnet.
Doch das Vergangne laßt vergangen sein.
Wer wird von Dürre sprechen, wenn es regnet?
Ich mischte mich nur gern ein wenig ein,
denn von Heroenwandel geht die Sprache.
Dies ist ein wenig wohl auch meine Sache.«
Da stand ein Mann, der solches zu uns sprach,
aus dessen Augen düstres Leuchten brach.
Sie schössen gleichsam Blitze um sich her.
Sonst schien er einfach, schlicht wie irgendwer.
Ein schrecklich Lächeln aber spielte und
ein grimmes Zucken jetzt um seinen Mund,
als er das Mägdlein, dann von ungefähr
sah die Theoris schaukeln auf dem Meer.
Dann fuhr er fort: »Auch der Heroen
gibt's von den niederen und von den hohen.
Und jene treiben niedrige Geschäfte,
in Raub und Diebstahl üben sie die Kräfte.
Sie waten meist im Blute bis ans Knie.
Das Schlimmste ist: Pontos-Piraterie.
Und andre wieder haben nichts zu tun,
heißt's, als auf ihrem Ruhme auszuruhn.
Das können wieder nur die kleinen sein,
denn für Heroen, wie ich sie erkenne,
ist irdischen Ruhmes Bette viel zu klein.
Und was den Müßiggang betrifft, ich nenne
Heroenmüßiggang der niedren wohl,
doch nicht der höheren mit diesem Worte.
Der Menschen Sprache fehlet das Symbol
für dieses Sein, und unsrer Sprache Pforte
ist niedrem Erdengeiste fest verriegelt.
Was wie der Pontos unsre Seele spiegelt,
wird mit ihr eins, bewegt und unbewegt.
So sind wir alles, was Natur umhegt,
und damit selbst uns keine leichte Last.
Wenn, Fremdling, du von Atlas je gewußt,
so sieh mich an – und fass' es deine Brust,
daß seinen Bruder du gesehen hast.
Was einst von mir bei euch gelebt, es hieß
Achill, willst du Homeren Glauben schenken.
Es tummelte sich wild mit Schwert und Spieß,
mit Mord und Totschlag, aber wenig Denken.
Man nennt den Heros, der hier oben west,
jauchzt, trinkt und liebt und auch wohl Trübsal bläst,
mit gleichem Namen, doch es ist nicht mehr
der Mann, dem Totschlag seines Lebens Sinn.
Es ist ein höhrer Kämpe, einer, der
webt zwischen Hell und Dunkel her und hin,
und immer tiefer da- und dorthin schweifend,
näher dem obren und dem untren Zeus,
das Rätsel beider nach und nach begreifend.
Die Stimme hat der Heros eines Leus
– ihr hörtet sie –, des Adlers Auge ist
kurzsichtig neben seinem, seines Ohrs
Gehör der Näh' und Ferne Klang ermißt.
Ihm spricht das Stumme und der Sterne Chor.
Ein leiser Ton daraus, zu euch getragen,
er würde Xerxes' Völker niederschlagen.
Und was des Hundes Witterung umschließt,
gilt keinen Deut, etwa mit dem verglichen,
was seiner Nüstern Schnuppersinn genießt.
Und nun der Sinn der Liebe, des Gefühls –
wer möchte des unendlichen Gewühls
und seine namenlosen Wonnen fassen?
Und was noch sonst? Der Gaumen, welches Prassen!
Doch alles dies liegt in des Heros Hand,
beherrscht sein übermenschlicher Verstand.
Und dieser ist es, dem Achilles dient,
in anderm Sinn gewappnet, erzgeschient.
Mit Herakles, mit Atlas sich beraten,
ja selbst mit hohen Götterpotentaten,
der Weltregierung große Fragen lösen
und immer neu mit Blitzen der Gedanken
vernichtend leuchten in die Nacht des Bösen –
so weis' ich dich, Ulyß, in deine Schranken!«
schloß jetzt der Sprecher, der damit verging,
gleichwie ein Schemen, ein unwirklich Ding.

So nun der Schiffspatron: »Wir kennen uns,
ich meine: er und ich. Uns selbst zu kennen
mit allen Möglichkeiten unsres Tuns,
so ich mich selbst wie er sich selbst, und nennen,
was wir vermögen und was nicht – dazu
nur der Versuch, wir müßten dran vergehen.
Uns bliebe nur noch ew'ge Grabesruh'
und erst am Nimmermehrstag Auferstehen.«

Inwährend jede dieser Traumgestalten
gesprochen, legte mehr und mehr ein Alp
sich auf das Eiland. Es verblaßte. Falb
stand nun die Luft, den Atem anzuhalten
schien die Natur. Starr standen Baum und Gras,
das Blatt, der Halm – durchsichtig, tot wie Glas.
Mich überwand ein Grauen, flatternd ging
mein Herz, das sterbend in der Brust mir hing.
Voll harten Schmerzes war das stumme Schauen
von einem Stillstand, den die Welt nicht kennt,
so furchtbar, daß kein Laut, kein Wort ihn nennt.
Und fürchterlicher immer wuchs das Grauen
vor dieser Stockung aller Lebenskräfte,
vor diesem Sein und Nichtsein jeden Dings,
vor diesem Stillstand aller Lebenssäfte
im Banne eines außerird'schen Rings.
Die Meeresflut tot wie poliertes Blei,
und sonst kein Laut, kein Ruf, kein Vogelschrei.
Als Zeugin alles dessen lebt allein
die Angst in meinem sterblichen Gebein
und in Polyxena, die zitternd steht
als sichre Beute unterm Blick der Schlange.
Und nun: was ist's? War es von einem Klange,
hat ein Gewittersturm herabgeweht?
Fanden die Fänge von Zeus' Adlern hier
zu tun, und schlugen sie ein Opfertier,
ein armes Täubchen für den Weltenherrn?
Genug – ein Wirbel schwand und fiel ins Meer
und schwand darin, versinkend mit dem Raub.
Der Lärm war groß, aufspritzte Wasserstaub,
und Ilions Tochter sahen wir nicht mehr.

Das ist so seine Art, ja, ganz aufs Haar.
Stets war der Bursche unberechenbar.
Mehr als er sie, beherrscht ihn seine Kraft,
auch liegt ihm nicht daran, sich zu bezähmen.
Hat er mit Feuer sie dahingerafft,
wird er sie diesmal mit ins Wasser nehmen.
In diesem Augenblicke liegt er schon
mit ihr bei seiner Mutter im Palaste,
genießet ihrer, wie er mag, im Glaste.
Denn wofür ist Achill der Thetis Sohn?

Nun aber schien die Luft miteins geklärt,
als habe sie kein Stäubchen je verdunkelt.
Der Friede selber war zurückgekehrt,
und wie Versöhnung unter Tränen funkelt,
so Phoibos nah dem Ende seiner Bahn.
Des Eilands Höhn, die Felsen, seine Bäche,
sie fingen leis zu musizieren an.
Für was, für wen? Noch hör' ich, wie ich spreche,
das Nieerhörte, und ich schwinde hin,
kommt dieses Zaubers Klang mir in den Sinn.
Es war wie leises Schweben überall.
War nicht Kalliope, der Muse Tritt
und ihr Gewand in diesem süßen Hall?
Was weckte wohl ihr Fuß, wo sie auch schritt?
Erwartung? Freude? Trockne Worte nur!
Nichts schildert dies Erbeben der Natur.
vor etwas, das sich sollte nun gebären
auf diesem Metakosmion, dem hehren.
Wem wurde also der Empfang bereitet,
und was ist jene goldne Leier, die
ob Leukes Hainen lichten Klang verbreitet
und wie von Blutrubinen ein Gesprüh?
Nun ja, sie ist's, sie wurde angespült,
des Orpheus Harfe. In den Saiten wühlt
der höchsten Schönheit ewiger Paian.
Urmächtig-selig rauschen ihre Saiten.
Doch nun entsteht ein klingender Orkan:
und plötzlich ist sie da, man sieht sie schreiten,
Helenen. Dünner Fäden Silberschleier
umwehen sie; vor ihren Füßen breiten
herab die Stufen, die sie kommt zur Feier,
sich Rosen. Alles schweigt, denn sie ist da
– Olymp und Abgrund beben! –, Helena!
Ich sah und hörte fast nur unbewußt,
kaum weiß ich, ob mit Schrecken, ob mit Lust,
als etwas her vom höchsten Himmel drang,
erst weich und fern, ein wunderlicher Klang.
Libellenklirren? Aber voller schon
errauscht und um sich fließet jener Ton
und sinket stufenweis, so will mir scheinen.
Ich höre fernes Rufen, fernes Greinen.
War dies ein Fluchen? War's ein Schmerzensschrei?
Jetzt Schweigen! Und nun scheint der Spuk vorbei.
Nein, wieder hebt sich über mir das Klirren.
Mir ist, als hört' ich Pfeile sausen, Sennen schwirren.
Es schattet über mir wie Pfeilgewölk,
und dann, als sei der Luftraum ein Gebälk,
erdonnern Wagenräder, Pferdehufe
und immer mehr und wilder Kampfesrufe.
O weh, welch niegestilltes Kampfeswetter,
auf Schilden endlos rasselnd Schwertgetätter.
Es knattern Fahnen, Stimmen heulen Sieg,
doch alles das umlärmt der ewige Krieg.
Will er ermatten, dröhnt des Ares Stimme,
er peitscht ihn auf in gnadenlosem Grimme.
Mit Feuerhauchen fressend wilder Glut
schlingt er das Fleisch und leckt das Männerblut.
Ist's Täuschung, oder tropft ein Regen rot
auf mich herab? Gleichviel, es rast der Tod,
ich fühl' es, seinen fürchterlichsten Tanz.
Mord badet grauenvoll im Heldenglanz:
Und Hektor fällt! Achilles schleift
an seinem Wagen ihn um Ilium.
Und doch, der stumme Leichnam ist nicht stumm,
unsterblich steht er da und rein und hehr
– ob ihn auch fällte des Peliden Speer –,
Sieger im Geiste, höchster Adelskraft,
von Göttertücke blind dahingerafft.
Und jetzt: ich fühle mich dahingetragen,
ich schwinge meinen Speer auf erznem Wagen,
um Helena, mordgierig düstren Brütens
und gnadenlos wollüstigen Ummichwütens.
Nun aber schweigt der Spuk, wie jeder schweigt,
wo Schönheit selber vom Olympos steigt.

Die höchste Offenbarung war geschehn,
ich werde Leuke niemals wiedersehn:
Achillens Eiland, göttertraumumsponnen,
im weißen Lichte magisch-fremder Sonnen.
Ich lag auf einem Schiffe, lichtumgaukelt
im Wogenglanze hin und her geschaukelt.
Betörend leise lullte mich ein Singen,
ein Hauch umbuhlte mich wie Taubenschwingen.
Und ich erfuhr, wie Thetis ihren Sohn
vom Scheiterhaufen auf den Inselthron
hierhergeführt, zu neuem, ewigem Leben.
O Mutterliebe selbst im Götterreich,
du machest selbst den Herrn des Hades weich!
Er muß ihr seine Toten wiedergeben.

Wo, ich gelandet, wüßt' ich nicht zu sagen.
Das Ufer tret' ich wieder ohne Klagen.
Denn wo Apoll den blinden Harfner liebt,
so läßt er ihn das Unsichtbare sehen,
läßt ihn erleben das, was nie geschehen.
Dankbar verehr' ich, was die Gottheit gibt.

Agnetendorf, Sommer 1938.


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