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Traum

Von Schemen zerwühlt
die Scholle der Seele,
ungekühlt.
Weißen Tag hüllt die tastende Nacht.
Traumespracht:
der Schatten des Liebsten darin gefangen,
verhangen.
Fremd und nah,
bleibend und weichend,
trennungshart
und dennoch süß und liebezart.
Ein Suchen, ein Fliehen, Hingeben und Ringen,
doch kein Bezwingen.
Zwischen zwei Herzkammern,
voneinander geschnitten,
ein lautloses Jammern.
Ein Schatten, der mit mir gelitten,
heißt der Liebe Sohn.

Längst verstorbener Städte Gassen
sehen mich irren, um mich greifen und nichts erfassen.
Fahles Traumlicht ist wie schweigender Hohn.
Mir nachgeflogen auf seinem Rade,
wirft sich der Sprößling toll im Ringe.
Nun versage oder gelinge:
junges Leben biet' ich als Preis.
Jäh hinauf, dann Sturz und Stille. –
Herr, geschehe dein Wille:
ist's der Tod?
Sterbender Schatten atmet bleich,
Vaters Stimme streichelt weich.
Schwarz entsickert dem Munde Blut,
die Mutter ist irr, doch die Mutter ist gut.
Was mag sie suchen, was will sie erjagen?
Wär' sie nicht weit, wir könnten sie fragen,
was ist, was war, was so verklang.
Durstig suchte ich einen Trank.
Das Licht war krank, der Raum war krank.
Nun kam ein Keller voll Fuselgestank,
weit! Saal auf Saal!
und doch nichts für des Durstes Qual.
Der Küfer geht und kehrt nicht zurücke,
die Luft ist voll Tücke.
Für müde Knie
keine Rast.
Weder Sessel noch Sitze
für den Gast,
nur Durst und Hitze.
Last über Last!
Endlich ein Schemel, ein Tisch
für müde Sorge, müde Angst,
Urweh.
Aber da regt es sich unter mir,
kein Sitz, ein Wesen – ein Tier?
Ein fuselgedunsenes Haupt – ein Weib?
Da enthüllt sie den göttlichen Leib,
verführerisch weiß,
verführerisch ausgedehnt, gewunden und heiß.
Sie winkt: Champagne Englische Aussprache. Champagne!
Widerlich feucht und geschwollen ihr Mund,
wie wund.
Heiser röchelt ihr Schlund:
Champagne!
Ekelhaft winkt ihre Hand:
Komm!
Ich bin lammfromm.
Aber da seh' ich, wie der verruchte Schoß,
geil und bloß,
entgegen sich reckt,
von schrecklichem Aussatz befleckt.
Die Seele taumelt zurück ...
Noch hör' ich die schwindende Stimme wehn:
Champagne!

Aber nun tritt der schwarze Bote
durch die hohe Pforte:
»Du hast daheim eine Tote!«
sind seine Worte.

Kloster auf Hiddensee, 3. September 1930.


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