Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Knabe Herakles

Gehüllt in blauen Veilchenrauch und -duft,
gleißt sie, Athenens Stadt, im Strahl Apolls.
Die Marmorrosse der Akropolis
wiehern im Festzug: Marmorjünglinge,
doch warm im Licht des Morgens, tragen sie
zum ewig-goldnen Götterglück der Jugend.
Herüber rauscht's, das immer wache Meer,
und frischer Salzhauch mischt mit Honigduft
sich des Hymettos.

                        Berenike hebt
die schweren Lider und sich selber dann
vom Lager, das auf goldnen Klauen ruht.
Sie steht, sie mischt das Morgenglück des Seins
ein in die Lebenswoge ihrer Brust
mit tiefem Zug. Das süße Bild erblickt
sich selbst im Spiegel. Muß ich nicht hinaus
zu andren Blumen in den Frühlingsreigen
der Hören? »Zieh das Rößlein aus dem Stall,
Philetas!« ruft sie. Es geschieht. Sie tritt,
nur leicht in serisches Gewand gehüllt,
vors Tor, ergreift die Zügel, ist sogleich
umringt von ihren Kindern, Philolaos,
der zweiten Berenike und Helenen.
Denn wahrlich und beim Zeus, so jung sie ist,
noch selbst ein Kind, gebar sie ihrem Manne
dies Kleeblatt. »Nun, wir sind der Kinder vier«,
so lacht sie, »steigt denn ein! Zerbricht das Wäglein
bei unsrer Lustfahrt, so zerbricht's vor Lust.
Vierblättrig macht' ich euer Kleeblatt, und
wer wüßte nicht in Hellas, daß dies Glück bringt?«
Und hei, das Rößlein fliegt, die Peitsche knallt.

Bergan! »Was tust du, kleine Honigfliege?
Als erster Bote des Hymettos zwar
sei mir gegrüßt, doch zwischen meinen Brüsten
ist nicht dein Platz!« So Berenike. Doch
der gleichen Meinung scheint das Bienchen nicht.
Hier ist Hymettos, denkt es, nirgend sonst,
ob dies Gebirg auch nimmer ruht und bebt
und bebt. – »Ja, schnaube, Pferdchen, schnaube nur,
vom duft'gen Blütenstaube lasse dir
getrost die Nüstern kitzeln! Kinder, niest
wie ich, hapsi! Denn das bringt Glück, ihr wißt.
Wie süße Mandeln riecht die Erika,
seht doch die dicken Büsche! Oh, nun kommen
wir zur Narzissenwiese
und dem Zypressenwäldchen mittendrin,
in dem ein Heiligtum des Bromios
langsam zerbröckelt. Wohl, da sind wir, kommt!« –
Das Söhnlein springt leichtfüßig aus dem Wagen,
die Mägdlein hüpfen an der Mutter Hals
und lassen sich an ihr hinab ins Grün.
»Da sind wir nun«, lacht Berenike, »laßt
uns Primeln suchen, Veilchen, Leberblümchen.
Ah, hier ist Thymian! Haltet eure Näschen
daran und quetscht den Saft aus.
                                    Philolaos,
sei du jetzt Küchenmeister, breite uns
den mitgebrachten Imbiß auf die Schwelle
des heiligen Getrümmers. Eine Quelle
gluckst hier: o Klarheit, spiegelnder Kristall!
Willkommen hoch, den schwarzen Wein zu mischen.«
Was ihm geheißen, tut das zarte Knäblein.

»Wer ist dies, Mutter?« fragt es plötzlich. – »Hört,
ihr Kleinen, setzt euch, faltet mir die Händchen.
Die Stele dort, die ein verwittert Haupt,
ein flechtenüberdecktes, krönend schmückt,
inmitten der vergrasten Fläche, die
ein Mauerhalbkreis einschließt: das ist er,
der Gott, dem dieses Heiligtum geweiht war.
Hier spielten ihm zu Ehren Erntetänzer
auf der Empore dort. Brecht Lorbeerzweige,
wir binden einen Kranz für seine Stirn.
Er ist es, der den Wein uns in die Kelter,
den Weizen auf die Tenne schüttet, er –
Dionysos!«
                        Gesagt, getan. Das Göttlein
mit abgeschlagner Nase harrt des Lorbeers.
Und leise kichert Berenike, als
sie ihre Arme mit dem Kranze streckt
zur Götterscheitelhöhe und dabei
ein seltsam hartes, schräges Ding berührt
mit ihrem Schoß, das ohne Sinn, so scheint's,
schräg aus der toten Säule ragt ins Leere.
Die Kinder schreien laut, als ein Eidechslein
smaragdfarb dieses eigne Ding beschlüpft.

»So sind wir nun im Schutz des Gottes«, sagt
mit schönem Klang der Kehle Berenike.
»Eßt drum und trinkt mit Lust!« Und so geschieht's.
Man schmaust vergnügt im Grünen. – »Dies wohl war
ein ländliches Theater. Wandermimen
besuchten's wohl, das arme Hirtenvolk
mit ihrer Kunst erfreuend.« Berenike,
die so gesprochen, unterbricht sich jäh.
»Seht, Kinder, was ist das?«
                        Nun ja, was war es?
Auf einem Trümmer der vergrasten Bühne
versonnen sitzt ein Knabe, etwas sich
aus einem Zweige schnitzend. Hin und wieder,
doch nur verstohlen, trifft sein Blick die Städter.
Ein Hirtenjunge? Dafür ist er noch
zu klein, fünf Jahre höchstens. Zu klein?
Genau betrachtet, mag er größer sein
als Berenike: Ein Gigantenkind,
fünfjährig, überragte wohl Achillen
vor Troja. Doch wie hübsch ist dieser Bursch
unter der Löwenmähne braunem Gold
mit seinem still versonn'nen Löwenhaupt.
Natürlich ist er barfuß, trägt ein Jäckchen
aus grober Leinwand, Höschen, die nur grade
die Scham bedecken. Ist er furchtsam? Scheu
zum mindesten? Ein wenig wohl. Verlegen
ein bißchen sicherlich.
                        »Wer bist du, Kind?«
fragt Berenike. Doch der Bube schweigt.
So ist es Bauernkinderart. Er nimmt
aus seiner Hose hartes Brot und Lauch
und Zwiebel, beißt hinein und schnitzelt fort.
Die holde Berenike wiederum:
»Sind deine Eltern hierherum behaust?
Es möchten keine Griechen sein, denn Mütter,
die Söhnen solchen Schlags das Leben geben.
ich fürchte, sind in Hellas unbekannt.« –
Der Bube schweigt und schnitzelt fort. Mitunter
erhascht ein schnelles Blicken Berenike.
Ihr ist, als öffne sich in Kinderaugen
ein Feuerabgrund, zuckend und dem Feinde
verderblich. Anders ist nun die Natur
ringsum. So scheint's der jungfräulichen Mutter.
Die Luft, die Erde, alles Blühn ringsum
aus anderm Stoff. Sie denkt an stille Flucht,
allein, die Kinder tanzen um sie her.
Aus ihrem seidnen Hemdlein hat die zweite,
die andre Berenike sich geschält,
hält's in der Linken, hüpfend, in der Rechten
die Gürtelschnur. Dem Löwenmähnigen
hat sie mit Singsang drehend sich genaht.
Nach Kinderart singt sie: »Mein Hemd, mein Hemd,
mein Hemd! Mein liebes Hemd, mein süßes, schönes Hemd!
Dem Bauernjungen stockt das Schnitzelmesser.
Er starrt das nackte Mädchen an: es knospen
ihm allbereits die Brüstlein.
                        Mittagsglut
macht schon die Lüfte zittern, bunte Falter
wühlen im Schöße duftender Narzissen.
In blauen Kelchen hochgestielter Lilien
im Steingerölle des Theaterchens
verschwinden schwarze Hummeln oder stoßen
betäubt, so scheint's, an Berenikes Stirn.
Ein Bienenschwarm, gleich einer dunklen Traube,
hängt brausend unterm Kopf der letzten Säule
des Heiligtums.
                        Auf Berenike legt
es süß und bleiern sich, wie sel'ger Schlaf
der Blumen und der Götter. Ist es wirklich,
das löwenmähnige Kind? Es züngeln, scheint es,
aus seinem Auge Blitze: – Traum! 's ist Traum nur!
Götter und Menschen, Mensch und Gott, nur Traum! –

Nun aber mit Gedankenschnelle fährt
die Jungfrau-Mutter auf, erzittert, schreit,
und neben ihr liegt eine grüne Schlange,
drei Ellen lang und länger, doch erwürgt!
Das Haupt der Viper sah sie über sich,
schon aber auch die Faust des Gottesknäbleins,
des löwenmähnigen, das sie erwürgte,
fortwarf und selbst verschwand. –
                                    Sie weiß es, es war Er!
der Schlangenwürgerheros Herakles!

Rapallo, März 1938.


 << zurück weiter >>