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Die Weihe

Mir träumte! Und im Traume schließ' ich schweigend
des Traumes Traum in stumme Rätselzeichen:
Es kamen Wolken, schwollen an dem bleichen
Saume des leeren Himmels, langsam steigend.

Wo war ich? Wo ich bin: in Traumesreichen
und ganz in fremde Wunder eingeboren.
Auf Tempelbergeshöh', im Raum verloren,
späht' ich, wie jetzt, hilflos nach Vogelzeichen.

Und als die Wolken schwebend näher drangen
und dunkel über Attikas Gefilde
sich breiteten – zergingen sie in wilde
Schwärme von Vögeln, die den Tag verschlangen.

Und hangend mit den Augen meiner Träume'
an diesem unerklärlichen Gewimmel,
stund ich erbebend unterm Griechenhimmel,
erschauernd vor dem Flug-Gebraus der Räume.

Aus Tempeltiefen wehte schwere Kühle:
und bange vor der heiligen Kraft des Hügels,
fühlt' ich ... wie bittren Schmerz gebrochnen Flügels
da sank ein Schwan herab aus dem Gewühle!

An einer Säule reichem Kapitale
klebt' er alsbald, schräg über mir, gefangen,
der Schwingen stolze Fächer voll Verlangen
anschmiegend: und aus liebesbrünstiger Kehle

ließ er ein heißes Sterbelied erschallen,
machtvoll und tief die Gottheit mir erschließend,
qualschwer! von Schönheitsgluten überfließend!
Und ich betrat, ein Gott, der Götter Hallen.

Und als ich mir mit beiden nackten Händen
vom Altar nahm das blanke Gottesfeuer,
zerging in nichts das marmorne Gemäuer,
und ich entstieg mit den Prometheusbränden.

Und dem gewaltigen Fluge mich gesellend,
stürmt' ich im Licht ob aller Vögel Rücken,
vernahm das Rauschen unten voll Entzücken
und hörte Festeszimbeln, fern und gellend.

Agnetendorf, Mai 1903.


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