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Anstieg

                     So lös' ich mich in dich, Natur,
                     in Vogellaut, in grüne Flur,
                     in kleiner Blümchen Sternenglanz,
                     in klarer Bäche Wellentanz;
                     so viele Kindheit blüht um mich:
                     verlärmtes Herz, nun schweig und sprich!

Ich gehe einen stillen Schritt
durch die Haine, durch die Wiesen.
Der Steg, der mich führet,
ist heilig:
Gestein, Blumen, zertretenes Gras
locken meinen Fuß
durch den Tag. –
Weg meines Lebens: dein Bild!
Bald eben, bald abwärts,
führt er doch allmählich hinan.
Scheint zu enden,
schlängelt sich nur,
biegt in die Enge des lieblichsten Tales
voll Frühling.

Kein Abend zu sehen!
Kein Abend zu fühlen,
lauter Morgen ringsum:
und doch finstert es sicher heran.

Willst du beschwerlich werden, Weg,
wo die göttliche Schönheit blüht? –
Aber schon breitest du dich,
lind und bequem,
wie gehorsam dem leisesten Wunsch
meiner stillen Seele, versöhnlich dahin.

Ein Wässerlein rinnt
mir zur Seite,
mir entgegen,
von Stufe zu Stufe herab:
wer bist du?
Bist du vielleicht das Leben selbst?
Rinnsal der Geister,
Rinnsal der Seelen, Rinnsal des Blutes,
Rinnsal der Welt, der Welten, des Alls?

Altes Gemäuer, das selbst das Echo vergaß,
schläft inmitten des Lichts:
Tod im zeugenden Bett der Natur.
Turm, wer hat deine Steine getürmt? –
Hände, aus Erde gemacht,
heute längst wiederum Staub!
Doch immer noch schwingt seine Hacke der Bauer
und wecket die Scholle mit saurem Schweiß,
daß sie bildend wird
und dem Bilde dient. –
Laß dich nennen mit reiner Zunge,
Schöpferin du!
Geschaffene Schöpferin du, Mutter Erde!
Deine Geschöpfe erfüllen sich:
Bäume wallen in Blüten auf,
Blätter zerbrechen die Nacht,
tun sich wie bettelnde Kinderhändchen auf
über der Feige krummem Geschling,
gegen den strahlenden Geber im Himmel.
Falten aus grünem Damast,
allenthalben, o Mutter,
umhüllen sie dich,
deine spendenden Brüste aber
nur scheinbar verbergend.

Nun vergaß ich den Weg
zugleich mit mir selbst.
Doch nicht so verlor ich des Mentors Hand,
der sicher geführt meinen blinden Tritt:
am Abgrund dahin,
zwischen Mauern gezwängt,
von Efeu schwarz übergossen.
Er hob mich empor wie ein schlafendes Kind.
Ich öffne das Auge und blicke hinab
auf versunkene Tiefen des Daseins.
Wer die Höhen erreicht, der die Tiefen verliert!
Verlust und Gewinst
sind der Atem der Brust,
kein Mensch und kein Gott kann sie scheiden.

Rapallo, 21. April 1931.


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