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Das Grauen regiert

Das Grauen regiert. Die Sonne lacht. Es ragt
die Straße. Schwärzlich wimmelt unter uns
die neue Menschheit und bedeckt den Damm.
Sie zieht, bewegt sich wurmhaft drängend, ruft,
schreit, und Gekreische löst sich los und dringt
verhallend hoch zu uns an die Gesimse:
denn auf den Dächern stehen wir, wir stehn
erneut und staunend, durch das Graun beselig:.
Tritt nicht so weit an das Gesims, sonst packt
dich Schwindel. Welche Tiefe, welch ein Bett
dem kriechend brausenden Getön des Volks!
Nun schlagen alle Uhren in den Türmen
als wie von selbst. Sie schlagen keine Stunde.
Sie sind ein einziges breites Glockenspiel,
das überall den Sieg der Freiheit hämmert.
Und nun der Dom. Die Glocken donnern. Oh,
der Dom, der schwarze Dom steht gegenüber:
der heilige dunkle Fels von Menschenhand,
versteintes wildes Graun im Licht des Mittags.
Ein Turm, vollendet-unvollendeter;
Greifen, Dämonen hocken um die Plattform.
Dazwischen steht der Henker. – Ah, dies ist,
ich weiß es wohl, ein übergreller Traum,
der weh tut, und wir alle wissen es,
die jubelnd hier die Dachgesimse säumen.
Wir überblicken Babels Dächer weit.
Sie wimmeln, schwarz von Menschen. Türme donnern. –
Nun ja, nun ja: heut ist der große Tag.
Ja, dies irae, dies illa! Ja!
Was tut der Henker? Tag des Herrn! Es blickt
nach oben, was das tiefe Rinnsal füllt
der Straße und die Menge auf dem Domplatz.
Das Heil ist da? Gewiß, da ist es; doch
es wird nun erst dem Volke ausgeteilt.
Wir wogen ziellos zwar, allein, der Blick
hebt sich schon zielgewiß und fest empor.
Herr Kardinal! Er ist nicht schwindlig, nein,
der scharlachrote Henker, denn er tritt
mit seiner linken Sohle fest heraus
auf eines Wasserspeiers Kopf. Doch der
speit Blut: armsdick herunter geht ein Strahl
und wird in halber Höhe zum Gestäube.
Die Menge lacht, und unten färben sich
geputzter Dämchen grüne Schirmchen rot.
Fest steht der Henker! – Ah, die Orgel klingt,
und Bach erbraust im steinernen Gehäuse.
Laudamus te, te Deum! Welch ein Schrei!
So birst die Hölle! Alles übertönt
heulend der Kraterbruch graunvoller Tiefen.
Herr Kardinal! Da fliegt sein Haupt. Es springt
von Ros' zu Rose. Welch ein tolles Ballspiel!
Wie unbeweglich ist ein Haus von Stein!
Der Rumpf folgt nach. Der Weg ist lang und macht
die Menge johlen. Welch ein Schlenkern! Doch
der Rumpf erreicht das Straßenpflaster nicht.
Und wieder braust das Steingehäus' von Gott
im Innern. Fallbeil wechselt unterdes
noch immer oben mit des Henkers Schwert:
Häupter, Kadaver fliegen in die Menge.
War das ein König, eine Herzogin,
ein Kind, ein Volksmann, ein Apostel? Gott,
der Henker und das Volk verwirft sie alle.
Der Henker wächst gewaltig, scharlachrot.
Am Mittagshimmel scheint er rot zu zünden.
Und dort im Osten Brunst. Schon brennt die Stadt.
Jetzt tanzt die Menge um die große Hure.


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