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Turmzimmer

Von diesem Zimmer ist zu sagen,
es weiß von schlimmen Stunden und Tagen,
einsam verwachten, kranken Nächten,
wo das Fenster, durch das der Schlummer
floh, hereinließ Sorge und Kummer.
Freilich auch in all ihren Prächten
Mondmagie und Glutenhauch,
schweren, kitzelnden Wiesenrauch.
Ja, durch angstvoll drückende Helle
drang erschreckten Rehbocks Gebelle.
Und vom Abend bis zum Morgen,
endlos, endlos, ein hartes Geknarre,
das ein Vogel, im Grase verborgen,
endlos zetert, die Wiesenschnarre.

Nun, ich selber, ich war der Kranke,
und mir selbst gilt mein Gedanke,
als ein angstvoll großes Fühlen
mich ins Hoffnungslose drängte
und verlorner Seele Wühlen
mit dem Rauschen sich vermengte
unsichtbarer Felsenbäche,
die sich in die Markung teilen
und getrennt zu Tale eilen.

Ach, dem Schnarren, ach, dem Rauschen
mußt' ich lange Wochen lauschen.
Und das Rauschen glich dem Meere
in der nächtlich stillen Leere.
Oh, es schlüpften durch das Fenster
zahllos, lautlos Nachtgespenster.
Ob sie meiner Brust entschwebten,
ob im Mondlicht sich gebaren
diese fremd-vertrauten Scharen,
wüßt' ich nicht, nur daß sie lebten
durch das bleiche Blut der Leiden,
um von kranker Seelenaue
Schmerzensgräser abzuweiden,
durstig nach dem bittren Taue,
drein sich ihre Rispen kleiden.

Agnetendorf, 2. Juni 1929.


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