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Geheimnis

Von einem Schlosse sag' ich, das vergessen
an stillen Flusses wald'ger Krümmung schimmert.
Ich weiß es heut nicht mehr zu sagen, wessen

es sei gewesen, wer sein Dach gezimmert
und das Gebälke der Zyklopenmauern,
die nächtlich Fledermaus und Kauz umwimmert.

Es schien, so hoch es stand, doch nur zu kauern
vor einer Steilwand, die zur andern Seite
des Stroms sich hob: man sah sie nur mit Schauern.

Sie trug auf ihrer Höhe eine weite
Hochfläche, die noch nie ein Mensch erstiegen,
ein grünendes Oval nach Tief und Breite.

Dort oben sah man fremde Vögel fliegen
wohl einmal auch längs roter Sandsteinwände,
doch nie zur niedren Welt herunterbiegen.

Nur einmal hielten bleiche Mädchenhände
eins dieser bunten Paradiesgeschöpfe,
das sterbend sie gefunden im Gelände.

Die großen Vögel trugen goldne Schöpfe
und Farben, wie die Erde sie nicht kannte.
Rubinmais füllte ihre Scharlachkröpfe.

Von fremdem Lichte das Gefieder brannte;
vielleicht vom Tag Saturns und seines Ringes
und seiner Monde waren's Abgesandte.

Das bleiche Kind, das sich des Märchendinges
bemächtigt hatte, trug es heim zum Schlosse
und wies es seiner Amme: »Sieh, ich fing es!«

Sie war des finstern Burgherrn zarter Sprosse,
der einsam, unbeweibt, sich hier verborgen.
Er hatte oft weittragende Geschosse

nach solchem Wild gesandt. All seine Sorgen,
sie galten jenem seligen Gefilde
von früh bis spät, vom Abend bis zum Morgen,

das unerreichlich, ob er gleich im Schilde
den Adler führte, blieb. Es sprach die Amme
erschrocken zu dem süßen Mädchenbilde:

»Dem Vater zeige diese Federflamme.«
Und also tat das Kind. Es saß der Grimme
im Turmgemach: es war das Wundersame,

als ob er selber abendlich verglimme.
Der leichenfarbne Grübler aber fragte:
»Was bringst du mir?« mit hoffnungsloser Stimme,

als sich sein Kind in das Gewölbe wagte.
Und dann erschreckt: »Wo hast du dies gefunden,
wonach ich lange so vergeblich jagte?«

Da heiterte es leicht um Rosamunden.
Sie sprach: »Ich weiß nicht, Vater, wo ich gehe,
denn sieh, ich lebe pfadlos leere Stunden.« –

»Ich zittre, da ich solche Beute sehe,
die sich dir schenkte, wie du sie mir schenkest,
und dennoch fühl' ich doppelt, wehe, wehe,

Durst, heiße Sehnsucht, die du in mich senkest,
nach Auen, die den Purpurfelsen krönen.
Oh, wie du friedlich deine Arme schränkest,

indes ich hier verurteilt bin mit Stöhnen,
zu grübeln, wie das Flußtal zu durchschwimmen,
und Felsenwände drüben mich verhöhnen,

die zu erfliegen nicht, noch zu erklimmen.«
Die Tochter ging, des Vaters Augenweide.
Allein, sie hörte plötzlich süße Stimmen

zum Rauschen ihres Kleids aus grüner Seide.
Die Stimmen schienen hoch herab zu lallen
und nagten ihr das Herz mit süßem Leide.

Sie dachte an des Vogels goldne Krallen
und an das Paradies, drin er geboren,
und daß er aus den Himmeln nun gefallen,

in ihrem tiefen Erdental verloren. –
Doch dann vergaß sie. Nun auf hoher Warte
der Vater klirrte mit den Rittersporen;

dem Himmel näher, der ihn ewig narrte,
sah man das Schloßkind wandeln unter Bäumen,
als ob so hier wie dort nichts seiner harrte.

Sie horchte auf der Uferwellen Schäumen
den Fluß hinab. Da bot sich eine Brücke:
jenseits des Stromes einsam fortzuträumen.

Oftmals in Tagen kam sie nicht zurücke,
einst aber blieb sie aus und kam nie wieder.
Riß sie der Wolf? Schlang sie der Wellen Tücke?

In Gram brach der verwaiste Vater nieder.
Sein Sinn verrückte sich. Er schlich in Nächten
schlaflos umher. Er sprach von Goldgefieder,

sprach von Saturnens Ring und seinen Prächten
zu niemand als sich selbst. Aus weißem Glanze
des Mondes schien er Strahlen sich zu flechten.

Er sprach mit Sternen, sprach mit Fels und Pflanze,
und einmal überschritt er dann die Brücke:
so angezogen von dem Wellentanze

und daß er zu der Höhe sich verzücke,
des Felsenhorstes unbekanntem Lande,
und dort im Geiste fremde Blumen pflücke. –

Da sah er einst hochlagernd, hold am Rande
den Liebling, sah die Tochter, die ihm winkte:
es blinkten ihre himmlischen Gewände.

Und wie der Widerstrahl im Strome blinkte,
da war's ein uferloses mächt'ges Rufen,
das plötzlich ihn zu sel'gem Flug beschwingte.

Und sieh, er kam ans Ziel, auch ohne Stufen.


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