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Die Tauben

O ihr weißen maurischen Städte! Ihr südlichen Hänge!
Schwarze Zypressen und goldene Kuppeln im Gartengedränge.
Weht ihr und winkt mit langen Tüchern von weißer Seide,
braune Frauen im bunten, golddurchwirkten Kleide? –!
Wem doch winkt ihr? – Seht, es beginnt zu dunkeln –
über den alten, hohen Zypressen im tiefen Blauen silbern zu funkeln;
und das reine Symbol des hohen Propheten
hebt sich: der Halbmond! – Horch, der Muezzin! Beugt eure Knie, zu beten! –
Und das Gebet ist beendet. Langsam durch weiße Hallen
wandeln die Frauen. Klingende Wasser rauschen im Steigen und Fallen.
Sieh, der Halbmond spiegelt mit hellen Wolken sich unten im Becken!
Zitternde Ringe rollen und können das heil'ge Juwel nicht decken;
und da seufzen die Frauen. Eine beginnt zu klagen;
»Morgen, ja morgen, da wird eine blutige Schlacht geschlagen!
Hassan, Kalut, Kafur, so Gatte als Brüder,
führen die scharfen Klingen wider die Christen-Barbaren. Wann kehren sie wieder?«
Spricht die zweite: »Allah ist mit uns! Unsere Scharen
werden wie Engel Gottes unter die Völker der Feinde fahren.
Weiße Tauben aus unseren Söllern nahmen die Krieger,
sprachen: ›Fliegende Boten sollt ihr uns sein! – Ja, Boten der Sieger!‹« –
Da – mit flatterndem Sausen, licht und gespenstig, entschweben
Tauben, ein Schwarm, den besternten Räumen, wippen und kleben
um den leuchtenden Rand der marmornen Schale. Ein Rucken und Girren,
Flügelschlagen, durstiges Durcheinanderhüpfen, Drängen und Schwirren.
»Tauben! Die Tauben! Sittulhassan, komm, meine Taube!«
Und schon kommt sie herbei mit zierlich nickender Federhaube.
Um den braunen Finger der Herrin klammern sich rosige Krallen;
nun – ein Schütteln: Dunkle Tropfen sprühen und fallen.
»Freundin, komm und sieh, in meiner Wimper hangt eine Feuchte!«
Jene, erwartungsbebend, nahet mit Tuch und Leuchte,
und die Herzen der beiden Frauen ineinander pochen und klopfen. –
»Siehe, an meinem weißen Tüchlein haftet ein blutiger Tropfen ...
Blut!! –«
            Es ist ein Schrei. –
                        In Büschen und Hallen
jäh verstummen die wohllautquellenden Nachtigallen.
»Blut!« –
In fernen Bergen blonde Barbaren, wild lachende Sieger,
werfen Tauben, in Blut getaucht, hinaus in die Nacht: Normannenkrieger!

Schreiberhau, 3. August 1897.


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