Paul Grabein
Das stille Leuchten
Paul Grabein

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VII.

Schon wenige Stunden später stiegen Adlon, Holten und Frau Jutta den Weg nach Gries im Sulztal empor. Wetterkundige Leute hatten zur beschleunigten Unternehmung der Tour geraten, denn gewisse Luftveränderungen ließen in nächster Zeit auf einen Witterungswechsel, Regen oder vielleicht gar Schneefall, schließen.

Hinter der Kirche waren die drei hinaufgestiegen an dem Hang mit dem üppig wuchernden dunkelgrünen Blattgewirr der Alpenrose und hatten den schmalen Pfad begonnen, der an steiler Felswand mit schwindelndem Absturz in der vielfach gewundenen Schlucht des Fischbachs sich hinzieht. Zornig rauschend wälzte ihnen zu Füßen der Wildbach seine milchig trüben Fluten dahin, die der Sonnenkuß vom Ferner droben am Schluß des Sulztales abgeschmolzen hatte. Dann hatte sie der Weg fast eine Stunde lang immer im Tannenwald dahingeführt, und nun bot sich ihnen, die sie auf den schmalen Wiesenplan des Dörfchens Gries hinausgetreten waren, der erste Ausblick auf die Häupter des Hochgebirges, die ihr Ziel bildeten. Über den dunklen Saum ernster Wälder hinweg stieg der Blick empor auf öden, trümmerbesäten Karen an den felsigen Flanken des Gebirges, dessen höchste zackige Spitzen weit hinten aus dem weißen Bett ewigen Schnees und Eises in den tiefblauen Himmel aufragten.

Zwischen den enger aneinander rückenden Talwänden waren dann die drei Wanderer weiter aufwärts gedrungen, durch den spärlicher werdenden Baumwuchs phantastisch geformter Zirbeln und Föhren hinauf in die Alpenregion, bis sie endlich nach vierstündiger Wanderung bei der Unterkunftshütte oberhalb des kleinen Schwefelsees angelangt waren – ihrem heutigen Ziel.

 

»Ah!« Die Arme weit nach hinten streckend und die Brust zum vollen Schwellen bringend, atmete Frau Jutta mit tiefen Zügen die kühle Luft ein, die frisch durch das Tal strich, droben von den Eisregionen her bis hier unten zu der Rasenkuppe, wo die Hütte, sicher vor Lawinen und Steinschlag, weltverloren in dem eisstarrenden Felsgewirr ringsum, lag.

Mit heimlicher Bewunderung blickte Holten auf die Frau, die dicht vor ihm stand, ihm halb den Rücken zukehrend. Wie sie sich eben so reckte, lag etwas von der weichen Grazie und doch elastischen Kraft einer Pantherkatze in ihr, bei der unter der sammetweichen Fellhülle die stählernen Muskeln prachtvoll spielen. Ohne eine Minute zu rasten, war sie leichten Fußes mit den beiden Männern hier heraufgestiegen. Selbst ihr Gepäck, das sie im kleinen Rucksack trug, hatte sie Holten verweigert: Im Hochgebirge hörten die Galanterien auf. Die Frau, die sich anmaße, hier mit dem Manne zu wetteifern, müsse auch das gleiche Maß von Beschwerden mit ihm tragen.

Wie sie in ihrem Äußern heute ganz verändert war – anstatt der eleganten, kapriziösen Robe bekleidete sie nun das ernste, einfache Bergkostüm – so schien sie Holten auch im Innern eine andere geworden auf dieser Gebirgswanderung – schweigsamer, nicht mehr so ironisch abweisend, vielmehr kameradschaftlicher, ruhiger und steter in ihrem ganzen Wesen.

Sie war jetzt mit ihm allein hier draußen. Adlon war mit dem Hüttenwart noch ein Stück hinaufgegangen, um den Felsvorsprung herum, drüben die steile Wand des Wildkogels zu studieren, deren noch nicht oft gemachte Besteigung sie morgen unternehmen wollten. Er hatte die Tour schon vor mehreren Jahren gemacht und wollte sich an der Hand seiner Karte noch einmal alle Einzelheiten des Angriffs auf den trutzigen Berggegner ins Gedächtnis zurückrufen.

Scharf beobachtend hingen Holtens Blicke an der Frauengestalt vor ihm. – War es eine Pose bei ihr, dieses durstige Hinunterschlürfen der frisch belebenden Hochgebirgsluft – wollte sie nur die weichen Linien ihres Leibes in dem lose fallenden Bergkostüm zur Geltung bringen?

Es war, als ob sie seine Gedanken erraten hätte; denn sie wandte jetzt das Haupt herum und fing seinen Blick auf, der an ihrer Gestalt herunterglitt. – Da war wieder das spöttische Leuchten in ihren Augen. Sie sagte nichts, aber indem sie sich auf einem Stein ihm gegenüber niederließ, streckte sie nachlässig die derben Nagelschuhe unter dem Kleidersaum hervor, wie um ihm ironisch zu verstehen zu geben: Du bist im Irrtum, mein Lieber. Eine Frau in einem solchen Aufzuge ist von Koketterie fern, und der Mann soll hier auch in ihr nichts anderes suchen als eine Gefährtin.

Schweigend blickte sie dann an ihm vorbei in die Felswildnis. Eine Weile folgte er ihrem Blick hinüber nach der unendlich-starren Öde der Trümmerfelder, auf denen sich nur hie und da ein spärlicher Grasstreifen hinaufzog, die einzigen Spuren des Lebens an kalter Felsbrust. Dann brach er die Stille.

»Der strenge Geist des Hochgebirges hat für Sie keine Schrecken?« Er heftete seinen Blick auf ihr stolzes, unbewegliches Antlitz. »Sie fühlen sich ihm verwandt?«

Langsam sah sie zu ihm hin, wieder mit jenem kalt musternden Herrenblick, den er schon an ihr kannte, und zugleich hochmütig abwehrend: Laß dir nicht beikommen, in mein Innerstes dringen zu wollen – vergebliches Unterfangen.

»Sie sind Psycholog im Nebenfach,« spöttelte sie.

»Es braucht keiner besonderen Psychologie, um das Schroffe, Spitzige, stets Abwehrende in Ihrem Wesen zu erkennen,« gab er ihr in ruhigem Ton zurück.

»Ah – der Vergleich ist recht schmeichelhaft!« lachte sie. »Aber das Hochgebirge hat doch sonst auch noch einige Eigenschaften.«

»Sie meinen überragende Größe? – Ich habe leider noch nicht den Vorzug, sie genau genug zu kennen, um Ihnen auch dies Attribut zu Füßen legen zu können. Aber ich stehe nicht an, Ihnen zur Entschädigung ein anderes zu offerieren.«

»Und das wäre?«

»Die in der Tiefe schlummernde Gefahr.«

»Ah – Sie fürchten sich vor mir?« In ihren Augen stand ein dämonisches Leuchten und Gleißen, wie sie ihm nun mit hellem Lachen ins Gesicht sah.

»Ich sprach nicht von mir, gnädige Frau.«

»Also von Ihren armen Mitbrüdern?« spottete sie. »Ich bin ein männerwürgender Dämon – vielleicht ein Vampyr, ein weiblicher Moloch – nicht?« Und es leuchtete noch heißer auf in ihren Augen, die nicht von ihm wichen.

»Vielleicht eine Sphinx,« scherzte er, ihrem unergründlichen Blick fest standhaltend. »Sie locken den Fremdling, das dunkle Rätsel Ihres Wesens zu lösen – aber dem Allzukühnen, der es wagt, droht die Vernichtung im Abgrund kalten Spottes.«

»Schrecklich,« machte sie. »Nur ein Glück, daß eines Tages der große Held Theseus kommen und die arme Sphinx mit seinem überlegenen Mannesgeist selber in das dunkle Nichts hinabschmettern wird.«

Herausfordernd blickte sie ihn an, dem ihr satirischer Vergleich galt.

»Ich glaube kaum, daß Theseus das tun würde,« erwiderte er sicher. »Es dürfte ihm völlig genügen, das dunkle Rätsel der Sphinx gelöst zu sehen – damit wäre das Interesse an dem dämonischen Fabelwesen erloschen – dann möchte sie ruhig weiter hausen und harmlose Wanderer schrecken – ihm kann sie ja nichts mehr anhaben.«

Es zuckte einen Moment in den weißen Händen, die ihr nachlässig verschlungen im Schoß ruhten, wie zu leidenschaftlichem Auffahren? aber sie meisterte sich klug.

»Herr Theseus ist also gegen allen Zauber gefeit?«

»Gegen den der Sphinx sicherlich,« warf er hochmütig hin. Aufflammenden Auges nahm sie seine Aufforderung an. Beider Blicke kreuzten sich einen Moment, blitzend wie scharfe Klingen – zwei Fechter im Ehrengang, die die Waffe zum beginnenden heißen Strauß banden. Dann sagte sie spöttisch:

»Ich wäre gespannt, Ihren Theseus, diesen Wundermann, kennen zu lernen. Vielleicht führt ihn das Schicksal mir einmal über den Weg.« Lässig stand sie dabei auf. »Wenn Sie ihm etwa einmal begegnen sollten, so lassen Sie ihn jedenfalls wissen: Die Sphinx wäre begierig, seine schätzbare Bekanntschaft zu machen.«

Auch Holten erhob sich.

»Leicht möglich, daß ich ihn treffe,« ging er auf ihren Ton ein. »Alsdann wird er sich Ihnen sicherlich stellen – der Kampf könnte ihn reizen.«

Sie sah ihn aus halbgesenkten, umschatteten Lidern an: War er wirklich im Innersten so leidenschaftslos ruhig, wie er tat?

Da schollen Tritte und Stimmen, um den Felsvorsprung hinten bogen Dr. Adlon und der alte Hüttenwart, und sie schritten den Zurückkehrenden entgegen.

 


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