Paul Grabein
Das stille Leuchten
Paul Grabein

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VI.

Zwei Tage waren vergangen, aber keine Gelegenheit hatte sich Holten geboten, sich Frau Jutta ungezwungen wieder zu nähern, da sie an den letzten Abenden nicht mehr in den Saal hinaufgegangen war. Holten war in diesen Tagen schlechtester Stimmung gewesen. Er ärgerte sich nun hinterher doch, daß er neulich Dr. Adlon gegenüber so ruhig geblieben war, daß er so den Anschein erweckt hatte, als fürchte er sich etwa vor den letzten Konsequenzen eines Wortwechsels. Fast noch mehr aber ärgerte ihn die Tatsache, daß er den Alpensport so summarisch verurteilt hatte; so hatte er sich ja selbst der einzigen Gelegenheit beraubt, sich in den Augen dieser Frau zu rehabilitieren, alsbald durch irgendeine schwierige Besteigung seinen Mut auch für sie außer Zweifel zu setzen.

Wie oft er sich auch immer wieder sagte: Es ist ja doch lächerlich. Was geht dich überhaupt diese Frau an? Du bleibst, wer du bist, auch wenn sie dich falsch beurteilt – so nutzte all das doch nichts. Ein einziger geringschätzig spöttischer Blick von ihr, der ihn an der Table d'hote streifte, warf alle diese Vernunftgründe um und brachte sein Blut zum heißen, ingrimmigen Aufwallen. Er ärgerte sich schließlich über sich selber, daß er sich nicht zum gleichgültigen Übersehen dieser Frau zwingen konnte, aber was half's? Mit all dem machte er den fatalen Zustand nicht besser. Manchmal dachte er daher schon ans Abreisen, um dieser seiner Mißstimmung ein Ende zu machen; aber dann durchfuhr es ihn gleich wieder: Nein, nicht vor ihr fliehen. Ausmachen mußte er seine Sache mit ihr.

So warfen Holten seine Stimmungen hin und her, und einsilbig saß er auch am dritten Tage mittags an der gemeinschaftlichen Tafel. Da horchte er plötzlich auf. Er hatte schon die voraufgegangenen Tage davon sprechen hören, daß die drei am oberen Tischende eine schwierige Tour vorhatten, nämlich die Besteigung des Wildkogel im nahen Sulztal. Für morgen war die Partie geplant; nun hörte er plötzlich, wie Bencken erzählte, der Doktor hätte ihm heute wegen seines kürzlich versprungenen Fußgelenks die Teilnahme an dieser volle Gewandtheit erfordernden Tour für unstatthaft erklärt. Darüber großes Bedauern bei Frau Jutta und Adlon, denn sie hatten die Partie, wie immer führerlos, zu dritt unternehmen wollen. Mit einem Führer zu gehen, erklärte der große Alpinist bei dieser ihm wohlbekannten Tour, die er persönlich natürlich für keine große Affäre hielt – für eo ipso ausgeschlossen; andererseits aber war doch um Frau Juttas willen die Teilnahme noch eines zweiten Begleiters geboten. Aber wer? Unter den übrigen Gästen des »Hirschen« befand sich ja leider kein firmer Bergsteiger weiter. Einen Augenblick hatten zwar Adlons und Frau Juttas Blicke, verdrießlich die Tafelrunde überfliegend, auf Holten gehaftet: Der ja wohl allenfalls. Aber das war ja unmöglich, nach der Häkelei neulich. Zu dumm!

Sofort war in Holten, als er das vernommen, der Gedanke aufgeblitzt: Das war die ersehnte Gelegenheit, seine Persönlichkeit in Frau Juttas Augen in anderem Licht zu zeigen. Wohl kam ihm auch der Einwurf in den Sinn, daß er sich damit einer groben Inkonsequenz schuldig machen würde, denn das war ja gerade eine jener immerhin gewagten Touren, die er neulich so schroff verurteilt hatte. Aber in einem blinden Zorn über sich selbst schob er diesen Gegengrund heftig beiseite. Zum Teufel! Er war doch schließlich in seinen Entschlüssen souverän und brauchte sich nicht durch die von ihm selbst geschaffenen Grundsätze sklavisch festlegen zu lassen. Wenn es ihm so beliebte, so schlug er eben auch einmal seinen Prinzipien ins Gesicht. In seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung reizte ihn gerade diese plötzliche Auflehnung gegen die Tyrannei seiner philisterhaften Vernunft, und der feste Entschluß brach sich durch, nun gerade einmal das Gegenteil von seiner eigentlichen Überzeugung zu tun. Um so mehr, als ihn plötzlich zugleich ja ein so starkes dunkles Verlangen, aus einer unbekannten Tiefe seiner Seele her, dazu trieb.

In der Tat dunkel. Denn was war es denn schließlich, das ihn insgeheim immer wieder zwang, sich mit jener Frau in seinen Gedanken zu befassen? – Liebe?

Lächerlich. Dafür war überhaupt kein Raum mehr in seinem Herzen, seitdem er den letzten lichten Traum vom Glück zu Grabe getragen hatte. Sie war ihm ganz gleichgültig. Viel eher Haß. Ja, wahrhaftig, er haßte sie im Ernst, diese kalte, hochmütige Frau, und es verzehrte ihn der glühende Wunsch, ihr den Fuß auf den trotzigen Nacken zu setzen. Aber dennoch. Wie kann man jemanden hassen, der einem so gleichgültig ist? Da mußte doch irgendwo ein unbekanntes Interessenband zwischen ihnen hin und her laufen, so lehrte ihn seine Logik. Aber welches?

Doch es war jetzt keine Zeit, dem nachzuspüren. Ihn beschäftigte jetzt ganz die Frage: Wie konnte er sich den beiden da als Dritter bei der Partie antragen, ohne sich einer Ablehnung auszusetzen?

Man stand von Tisch auf, ohne daß sich Holten klar darüber geworden wäre. Höchst unzufrieden mit sich selber, sich nervös auf die Lippen beißend, blieb er allein sitzen. Er nahm noch so viel wahr, daß Dr. Adlon sich von Frau Jutta verabschiedete, um irgendwie einen Versuch zu machen, den fehlenden Dritten aufzutreiben. Dann sah er sie mit den anderen Damen sich ins Innere des Hauses zurückziehen.

Vergeblich sich abquälend, irgendeinen unauffälligen Annäherungsversuch an Frau Jutta zu ersinnen, saß Holten immer noch an der Tafel, wo er sich auch seinen Kaffee hatte servieren lassen. Er saß ganz allein und blies gedankenverloren den Rauch seiner Zigarre in dichten Wolken vor sich hin. Da hörte er plötzlich hinter sich die Tür aufgehen und ein Rauschen von Frauenkleidern. So seidenknisternd schritt nur eine Dame im Hause – Frau Jutta.

Holten drehte sich um. Sie kam noch einmal herein, um eine Boa zu holen, die sie am Garderobenhaken in der Ecke hatte hängen lassen. Mit einem schnellen Entschluß stand Holten auf, nahm das weiche Toilettenstück aus schwarzem Straußengefieder, das einen zarten Parfümgeruch ausströmte, und brachte es ihr auf halbem Wege entgegen.

»Ah, wie aufmerksam!« Sie dankte mit einem sehr liebenswürdigen Neigen des Kopfes, aber das leise, ironische Lächeln lag wieder um ihre Mundwinkel. Mit einer graziösen Bewegung warf sie sich die Boa um, die sich ihr weich und schmeichelnd um den feinen Hals schmiegte, und wollte wieder hinaus. Aber da trat ihr Holten entgegen.

»Meine gnädigste Frau – ich hörte vorhin, daß Ihnen noch ein Teilnehmer an der geplanten Tour morgen erwünscht wäre. Würden Sie gestatten, daß ich mich Ihnen anschließe?«

»Sie?« Mit großen Augen sah sie ihn an.

»Es scheint, daß Ihnen meine Begleitung nicht erwünscht ist. Freilich begreiflich, nachdem ich neulich das Mißgeschick hatte, mir Ihre Ungnade zuzuziehen.

»O – ich bitte,« machte sie mit leichtem Achselzucken. »Es wundert mich nur, daß Sie nach den erst kürzlich hier entwickelten Ansichten nun doch noch eine solche Tour machen wollen. Sie wissen doch, der Wildkogel ist kein Promenadenweg.«

»Sie haben ganz recht, gnädige Frau. Ich bin inkonsequent.«

»Sie sind der erste Mann, den ich das zugeben höre!« lachte sie.

»Was mir hoffentlich in Ihren Augen nicht zur Unehre gereichen wird?«

»Im Gegenteil. Ich bewundere Sie!« spöttelte sie. »Nur verraten Sie mir, bitte, den Grund Ihrer Meinungsänderung. Launen, denk' ich, haben sonst bloß wir schwachen Frauen?« Ihre großen grüngrauen Augen blitzten ihn herausfordernd an.

»Wenn Sie wollen – ja, eine Laune,« erklärte er ruhig, seine Blicke fest in die ihrigen senkend. »Ich gestehe es offen: Es gelüstet mich, diesem großen Bergsteiger zu beweisen, daß man auch, ohne sportlicher Alpinist zu sein, seinen Mann stehen kann.«

Es schillerte in ihren Augen auf, und schnell entfuhr es ihr:

»Ist Ihnen soviel an der Meinung des Herrn Doktor gelegen?«

Er wußte genau, daß sie ahnte, ihr galt der Beweis, aber er ließ sich nicht in die Enge treiben.

»Es geschieht schon um meiner selbst willen.« entwich er ihr. »Der Versuch reizt mich nun einmal. Und Sie wollen mir also die Teilnahme gestatten, gnädige Frau?«

»Aber, bitte, natürlich – vorausgesetzt, daß Herr Adlon nach neulich nicht etwa –«

»Ich hoffe, er ist dazu zuviel Mann und Sportsfreund. Ihm ist an der Tour – wie ich hörte – ja viel gelegen.«

»Gut, wir wollen sofort zu ihm, wenn es Ihnen recht ist.«

Mit zustimmender Verneigung trat er an ihre Seite, und so gingen sie, den Doktor aufzusuchen.

 


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