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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Um der Liebe willen läßt der Jakob sich herab und will das Christentum prüfen, und wie da das Christentum über ihn kommt und ihn prüft

Nun, so wollte Jakob prüfen und forschen, was am christlichen Glauben sei, ob er ein Christ werden könne oder nicht, das heißt, ob er auch den Glauben kriegen könne an das, was man nicht mit fünf Fingern greifen kann, etwas mehr als das sogenannte Vernunftmäßige. Denn er hatte es, wie oben angedeutet worden, wie viele Gelehrte, welche sagen, es seien ganz schöne Sachen im Christentum, welche ganz von der Vernunft bestätigt und gutgeheißen würden, und wegen dieser schönen Sachen, und so weit sie gingen, seien sie auch Christen, und also sei es eine verfluchte Lüge, wenn man sage sie seien keine Christen, sie seien bessere Christen, das heißt von ihrem Standpunkte aus, als die, welche sie verleumdeten und verdächtigten. Und wenn man ihnen dann sagt: »Glaubt ihr dies, glaubt ihr jenes, glaubt ihr an Christus?« so fahren sie mit einem Kauderwelsch um diesen Standpunkt herum, daß man sturm wird und am Ende so viel hat als ein Jäger, der mit einer langen Stange im Nebel herum nach Schnepfen und Enten gestochen.

Nun, also der Jakob wollte prüfen, ob im Christentum neben den schönen Sachen, welche er bereits kannte, noch andere seien, welche ebenfalls schön seien, daß ein Gebildeter sich ihrer nicht zu schämen brauche. Ach, der gute Jakob begriff so wenig als mancher andere Gelehrte, was eigentlich Prüfen sei, und worauf es dabei ankomme, weder auf Griechisch noch Hebräisch, weder auf Hegel noch auf Hengstenberg, sondern auf das Armsein im Geiste und das aus der Wahrheit Sein, daß man des Hirten Stimme hört. Einer, der verflucht gelehrt tut und alle Tage was neues weiß, um Professor zu werden, wenn auch nur provisorischer, und einer, der um ein schön Mädchen buhlt und es nicht bloß provisorisch, sondern zur wirklichen und ordinären Frau kriegen möchte, sie taugen beide nicht zum Prüfen, sie suchen halt die Wahrheit nicht, sondern sie suchen halt was, um damit was zu kriegen, eine gute Professur, eine schöne Frau oder gar einen Orden, und seis nur der Bärenorden. Indessen, an Unfähigkeit denkt so ein Jakob nicht und so ein Professor, wenn er aus der neuen Schule ist, sondern er glaubt an die eigene Unfehlbarkeit noch viel fester als irgendein Papst, und wenn er zehnmal irrt, ja zehnmal des Tages seine Ansicht ändert, so glaubt er doch alle Tage fest an seine Unfehlbarkeit.

Nun, der Jakob begann also zu prüfen, das heißt, er machte es wie bei dem seligen Mütterchen, er machte weniger Opposition in die religiösen Gespräche hinein, und was da gesagt und ausgelegt ward. Besonders was Eiseli auslegte, begann ihm zu gefallen und viel besser und schien ihm viel vernunftgemäßer, als was das alte Mütterchen ausgelegt und gesagt hatte, was die meisten meiner Leser und Leserinnen begreiflich und naturgemäß finden werden.

Ferner ging er zur Kirche, aber dies kostete ihn sehr viel, er schämte sich vor den Menschen. »Was werden sie sagen«, dachte er, »wenn sie dich, den Jakob, in der Kirche sehen? Himmelsapperment, wie werden sie dich auslachen, die Kinder auf der Straße werden dir nachlaufen, und in kein Wirtshaus hinein darfst du mehr!« Indessen, die Kinder auf der Straße liefen ihm nicht nach, die meisten Menschen achteten es ebensowenig, daß er jetzt kam, als sie früher sein Ausbleiben bemerkt hatten, nur einige Schnapphähne der Sorte »Außen fix und innen nix« zogen ihn auf und frugen, ob er Betschwester werden wolle. Bei denen entschuldigte er sich stark und sagte, er sei ein grausamer Liebhaber vom Gesang, und da man hier keine Liedertafel hätte, so müsse er in die Kirche gehen, wenn er singen hören wolle. Es sei einer ein schlechter Schütze, wenn er keine Ausrede wisse, kriegte er zur Antwort; wenn lauter alte Weiber zur Kirche gingen und singen täten, er liefe dem Singen so wenig nach als dem Beten. Dabei blieb es, und niemand achtete sich weiters Jakobs Kirchengehn. Ins Tal hinauf war die Unduldsamkeit der Jungen Schule noch nicht gedrungen, welche nicht will, daß einer anders schneuze, spucke, niese, gränne, geschweige meine, als die Meister es vorgemacht und Maß und Form bestimmt und zwar vermittelst ihrer Unfehlbarkeit, welche alle Tage was anders macht und sagt auf ewige Zeiten. Die Junge Schule treibt nämlich eine Unduldsamkeit, von welcher die Jesuiten alle Tage lernen könnten, und not täte es, daß alle rechten Christen alle Tage beten würden, daß Gott uns bewahre vor Ketzerrichtern, welche namens der Jungen Schule, der sogenannten modernen Bildung Dörfer und Häuser durchstöberten, Unglückliche aufzusuchen und sie zu hängen oder sonst zu erwürgen, welche an die Unfehlbarkeit und wahre sogenannte Rechtgläubigkeit der Jungen Schule nicht glaubten.

Jakob war es zuerst unheimlich in der Kirche, und wenn es nicht wegen etwas anderm gewesen, er wäre nach dem ersten Male ausgeblieben, denn er konnte gar nicht begreifen, was vernünftige Leute bestimmen konnte, stundenweit zu laufen, um eine Stunde dazusitzen, um Gebete anzuhören, welche für ihn hohle Töne waren, und eine Predigt, die vernunftgemäße Sachen enthielt, welche man aber daheim beim warmen Ofen ganz bequem in jedem Buche lesen könnte. Allgemach bekam er Interesse, die leeren Töne kriegten Leib und füllten sich nach einigen Worten, welche ihn nahe berührten, so daß er fast zu glauben angefangen hätte, der Pfarrer stichle auf ihn, er ward gespannt auf die Predigt, und er fand wirklich, der Pfarrer sei nicht ganz so dumm, als er sich die Pfaffen sonst in Bausch und Bogen gedacht hatte. Er dachte zuweilen, es sei kurios, es gebe Leute, welche man sich von weitem ganz schrecklich und schlecht vorgestellt, und kriege man sie näher zu Gesichte, so sei ihr Aussehen ganz manierlich, und möglich sei es, daß noch ganz passabel mit ihnen zu leben wäre. Wenn ein Teufel wäre, so müßte er fast glauben, daß wenn man sich mal daran gewöhnt hätte, es einem in seiner Nähe recht heimelig zumute werden könnte, denn schwärzer als so ein Pfarrer würde er doch jedenfalls nicht sein.

Es kamen die Tage, an welchen in sieben Predigten die Leidensgeschichte des Herrn dem erlösten Volke vor Augen gestellt wird, damit es zu würdigen nicht vergesse die Liebe, welche den Sohn gesandt, und das Lösegeld, welches der Sohn gebracht, welches nicht ist vergänglich Silber oder Gold, sondern sein teures Blut. Der Pfarrer hatte die Gabe, Zeit, Ort, Personen klar vor Augen zu stellen, daß es den Zuhörern heiß ward ums Herz, daß sie meinten, sie seien dabei, erlebten alles mit, daß in ihre Herzen die lebendige Überzeugung kam, was sie hörten, sei die Wahrheit und kein ersonnen Märlein. Das wußte der Pfarrer darzustellen mit ganz einfachen Worten und einfachem Wesen und weit entfernt von Deklamieren und Schauspielerei. Die Öde in den Herzen der Völker, das Harren auf die Erfüllung der Verheißung eines Messias, die verschiedenen Richtungen der Harrenden, je nachdem sie geistig oder fleischlich arm waren, die Erscheinung des Messias in seiner wunderbaren und doch so einfachen Größe, so unansehnlich äußerlich, aber in so großer geistiger Herrlichkeit über allen Verstand der Verständigen hinaus, seine Stellung zu den Parteien, das Wogen am Feste zu Jerusalem, der letzte Abend und die Einsetzung des Abendmahles, das Gedächtnismahl des neuen Menschen in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit ging als Einleitung voran. Jakob hatte dieses nie so im Zusammenhange gehört, nie gehört, wie der Messias der Schlußstein im Walten Gottes auf Erden, der Eckstein im Leben der Völker sei. Er hatte sich ihn immer gedacht wie ein vom Himmel gefallener Meteorstein, und das war ihm, wenn nicht dumm, so doch unglaublich vorgekommen. Er hatte ihn betrachtet als etwas ganz Überflüssiges, welches man auf die Seite stellen könne gleich wie irgendeine andere alte Geschichte, zum Beispiel die der vier Haimonskinder oder die der heiligen Melusine. Namentlich auf seiner Wanderschaft hatte er in seinen Vereinen immer mit dieser Leichtfertigkeit und höhnischen Verächtlichkeit von Christus sprechen hören, und wenn man auch Lehren von ihm gelten ließ, so hieß es doch immer, diese seien nicht neu, man finde sie bei den Heiden, Römern und Griechen viel besser und klarer.

Nun sah er es anders und hörte mit immer steigender Teilnahme den Verlauf der Leidensgeschichte. Er lebte sie gleichsam mit, fühlte das Beben des Fleisches im Garten Gethsemane, sah die schlafenden Jünger, den nahenden Verräter, hörte das Rasseln der Waffen, das Zurückfahren der erschrockenen Schar, als der, den sie suchten, dessen Macht ihnen bekannt war, unerwartet vor ihnen stand, sie erwarten mußten, aus seiner Hand, welche sonst die Wunden heilte, würden jetzt Blitze fahren und sie verzehren. Er wohnte den Gerichten bei, und sein Herz empörte sich über die schlechten Richter, welche ihren Zwecken und ihren Rücksichten den Unschuldigen opferten, keinen Sinn hatten für seine Herrlichkeit, weil sie nicht äußerlich war, und über das schwache, blinde Volk, welches bewußtlos hin- und hergewebet ward von seinen Führern, heute »Hosianna!« schrie und morgen »Kreuzige ihn!« Sein Herz erhob sich wieder an der sanften, klaren Ruhe des Erlösers, dem das rechte Wort nicht fehlte und der die Beleidigungen des Gesindels ertrug, als fühle er sie nicht. Ihm graute vor dem Volke, als es so leichtfertig das unschuldige Blut auf sich und seine Kinder nahm, als er hörte, wie es über sie kam und in Graus und Blut Jerusalem unterging, durch Hunger, Pest und Schwert verzehrt. Ihm graute vor dem Volke, das in wilder Lust dem Kreuzigen zusah und in teuflischer Roheit des Gekreuzigten spottete, und seltsam heiß ward es ihm ums Herz, als er die großen Worte hörte: »Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.« Es schien ihm, als wölbe über dem Kreuze sich der Regenbogen, das Zeichen der Gnade über die wüste, wirre Welt, die öden, grausigen Herzen der Menschen.

Seltsame Wochen verlebte Jakob in Weh und Wohl. Was er als ein altes Hirngespinst betrachtet hatte, war ihm nahegerückt, er lebte mitten darin, er ging mit dem Herrn durch die Straßen Jerusalems, er sah die weinenden Jungfrauen und vernahm die trostlosen Worte: »Weinet nicht über mich, weinet über euch und eure Kinder! Wenn dies am grünen Holze geschieht, was soll mit dem dürren werden?« Er gedachte mit Graus, was daraus geworden ist. Es ergriff ihn, wie alles so innig zusammenhing und zwar nicht bloß so Wort mit Wort wie in einem Märlein, sondern Wort und Leben, was Christus sagte, und was in der Weltgeschichte geboren ward und zur allbekannten Tatsache wurde.

Der Charfreitag kam, der liebe, bittere Tag, wo dem Menschen unwillkürlich vor Augen treten die große Liebe Gottes und das bittere Bewußtsein seiner Sünden nicht nur, sondern seiner Sündhaftigkeit, in welcher er untüchtig ist zu allem Guten und geneigt zu allem Bösen und der Gnade bedarf, welche die Sünden vergibt, die Gebrechen heilet. Es war, als ob eine gewisse Feierlichkeit in den Lüften schwebe, feierlicher ums Tal die Berge ständen, feierlicher die Fälle rauschten, ernster die Herzen der Menschen pochten, schweigsamer alle würden, die Blicke in sich kehrten, in Wehmut die eigene Natur betrachteten, in inbrünstiger Andacht zum Himmel schauten.

Als der Morgen dieses lieben, bittern Tages kam, war still die Luft, bedeckt der Himmel; so war es auch in den Gemütern der Menschen. Ernster ward es, je näher die Zeit kam, wo man den Ruf der Glocken hörte, zu begehen die heilige Sterbestunde des hochgelobten Erlösers. Wer je eine teure Leiche im Hause gehabt, der weiß wie ihm ward, wenn die Stunde nahte, in welcher sie aus dem Hause weggetragen werden sollte zu Grabe, wenn die Leidtragenden sich sammelten, der Ruf kam zum Aufbruch und langsam und feierlich aus dem Hause der Tote getragen wurde, langsam und feierlich hinter ihm her das Geleite schritt zur heiligen Ruhe, der weiß, wie in frommem Lande am Charfreitag die Stimmung ist, wessen die Herzen voll sind. Und wie sonst die Kirchenleute mit den Marktleuten verglichen werden Schwatzens halber, so scheint jetzt versiegt der Fluß der Rede, oder wo er noch fließt, fließt er langsam, ernst sind die zu hörenden Worte, meist drücken sie bloß das Bangen aus, zu spät zu kommen; und zu spät zu sein heute, schiene manchem eine Vorbedeutung, als ob er auch zu spät an die enge Pforte käme. Es ist allen, als müßten sie mit einer heiligen Leiche ziehen, als gingen sie nach Golgatha, zu empfangen den Leib des Herrn, ihn zu balsamieren und zu geleiten in Josephs neues Grab, daß er dort harre den Engeln des Herrn und auferstehe am heiligen Morgen, wenn sie kämen und wälzten von des Grabes Türe den versiegelten Stein. Ja, wohl ists so wunderbar und ahnungsschwer, am Charfreitage zu empfangen die heiligen Zeichen des vergossenen Blutes und gebrochenen Leibes dessen, der gesagt hat: »Wer nicht meinen Leib isset und trinket mein Blut, der ist nicht mein«, zu empfangen diese Zeichen in das Grab, dessen Gewölbe unser Leib ist, ein steinern Grab, in dem keine gute Frucht, die nicht aus Sünde geboren oder mit Sünde je befleckt war, gewachsen ist, in welchem jetzt gesäet wird verweslich und auferstehen soll unverweslich der neue Mensch, der nach Gott geschaffen ist, und der die Verheißung hat beides, des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens -- nun zu harren in gläubigem Vertrauen des Tages, wo die Engel des Herrn kommen und aus dem Grabe das neue Leben hervorgehen lassen, das neue Leben, welches ewig ist und in immer vollkommnerer Herrlichkeit erblüht.

Und wenn auch nicht in allen das volle Bewußtsein ist, ein dunkel Ahnen von des Tages Bedeutung weht doch alle an. Nicht lange her war es, da hätte Jakob gespottet, wenn er das Strömen der Menge, welche wie dunkle Bäche die engen Bergpfade hinunter sich wand, gesehen hätte. Jetzt wanderte Jakob mit, ernst allerdings, als ob ein seltsam Ahnen einer andern Zukunft sein Herz umwehen würde, als ob er fühle, auch er sei ein Grab, in welches neues Leben kommen werde, welches bis dahin übertüncht gewesen, innerlich aber voll Moder und Totengebein.

Die große Kirche war mehr als voll und ernster als gewöhnlich auch der Pfarrer. Er verkündete die Liebe, die ausharrt bis ans Ende, die sagen kann: »Vater, es ist vollbracht, in deine Hände befehle ich meinen Geist«, und den gewaltigen Eindruck der einfachen Worte auf unbefangene Menschen, daß der heidnische Hauptmann unwillkürlich ausrufen mußte: »Wahrlich, dieser Mensch war gerecht und Gottes Sohn!« Es ergriff Jakob, daß es ihm war, als müsse auch er aufstehen und Zeugnis ablegen: »Ja wahrhaftig, so ists, der war gerecht und Gottes Sohn!« Der war Gottes Sohn, der arme Nazarener, der vor mehr als achtzehnhundert Jahren, viele hundert Stunden weit, gekreuzigt und dessen Todestag und Leichenfeier begangen wurde, als ob sein Tod erst eben erfolgt und seine Leiche mitten unter ihnen sei, seine Leiche mitten in tausend und abermal tausend Gemeinden sei rings auf dem Rund der Erde und seine Liebe und sein Weh in Millionen Herzen. Das war weder Menschenwerk noch Pfaffentrug. Menschenwerk vergeht, und an die Sonne kömmt der Trug, und über Millionen hat weder Menschenwitz noch Pfaffentrug Macht durch so viele Jahrhunderte. (Die Radikalen mögen bedenken aus eigener und allerneuster Erfahrung, wie lange Witz und Trug bestehen, was sie vermögen und wie weit sie kommen.) Es war Jakob wirklich, als hätte er alles selbst gesehen und selbst gehört, als stände er weinend bei den Jüngern unterm Kreuze, und schmerzlich fühlte er, daß ihm der Balsam fehle und die Spezereien, um Christus würdig zu begraben, daß er von ferne stehen müsse, damit er sehe, wohin er gelegt würde, und wenn er für das Rechte gesorgt, ihm die Ehre geben könne, die ihm gebühre. Es war ihm eigen um das Herz, es drängte ihn hin, wie es die Liebenden drängt ans Totenbett, an des Grabes Rand, aber er schämte sich und fürchtete sich und blieb in der Ferne stehen, aber immer und immer klang es im Herzen wieder: »Ja, das war ein gerechter Mensch und Gottes Sohn!«

Als man heimkehrte, blieb es stille, wie es stille bleibt, wenn man heimkehrt von einem Leichengeleite. Ernst und sinnend ging jedes der Arbeit nach. Der Charfreitag ist wohl ein heiliger Tag, doch kein Feiertag im Kanton Bern, man würde diesen Tag sehr ungern missen zur Arbeit. Der Same, welcher an diesem Tage in die Erde kömmt, wird lebendig und stehet auf vor allem andern Samen. Am Morgen empfängt die treue Hausfrau im Herzen heiligen Samen, nachmittag streuet sie in die Erde den Samen ihrer Lieblingspflanzen, und wenn schön und voll die Levkoien blühen und wohl der Flachs gerät, so sinnet sie auch an das, was inwendig gesäet ist, unvergänglich erblühen soll, freut sich dessen und pfleget es wohl.

Dem Jakob war auch sehr ernst zumute. Christus hatte er zum ersten Mal so recht gesehen, wie er leibt und lebt ehemals und noch jetzt in jedem Christen. Er fing an zu begreifen, daß man ohne Christus kein Christ sein könne, er verlangte, ein Christ zu werden, er war überzeugt, an Christus könne er glauben und zwar aufrichtig.

Am Abend frug er, wie es wohl wäre, wenn er Ostern zum Abendmahl gehen wollte, ob er sich beim Pfarrer melden müsse oder ohne weiteres hingehen könne. Der Meister meinte, es brauche hier keine weitern Formalitäten; wer zu des Herrn Tisch komme, dem reiche der Pfarrer das Brot, ohne darnach zu fragen, was er glaube, und wie er es meine. Die andern sahen ihn etwas seltsam an, doch ließ man ihn in Ruhe, bloß die Mutter sagte, es müsse ihm anders gekommen sein, seit er hier sei. Damals habe er Reden geführt, es hätte ihr gegraut, mit ihm aus einer Schüssel zu essen, sie habe immer gefürchtet, der liebe Gott donnere hinein. Es sei aber gut, daß es zuweilen einem Menschen anders komme und besser, es gebe dagegen deren viel zu viele, die dem Teufel zuliefen, der immer heftiger herumstürme wie ein brüllender Löwe und suche, wen er verschlinge.

Am folgenden Morgen, als Jakob alleine an der Arbeit war, der Meister war im Gemeinderat, kam Eiseli zu ihm und sagte: »Hört, Jakob, es plagt mich etwas. Ihr wollt morgen zum Nachtmahl, das ist recht und gut, aber ehe Ihr geht, prüfet Euch recht! Es heißt, so wir uns selbst richten, so würden wir nicht gerichtet werden. Und vergeßt ja nicht, daß Heuchler und Unbußfertige sich selbst das Gericht essen! Geht Ihr um meinetwillen, so hilft es Euch nichts, und Ihr verliert die Seele, denn Euer Weib werde ich nie und nimmer.«

So sprach Eiseli und wartete die Antwort nicht ab, auf welche sich Jakob besann, denn das schwere Wort hatte betäubend in seine Seele geschlagen. »Euer Weib werde ich nie und nimmer«, sauste und brauste ihm wie ein Gewittersturm in der Seele. Also das Mädchen will mich nicht, und seinetwegen bin ich hier, bin in die Kirche gegangen, habe mich dem Glauben wieder ergeben, werde wacker ausgelacht werden, wenn ich wieder unter die Bursche komme, und Eiseli, meine Eiseli soll ich nicht haben! Es erhoben sich in ihm wilde Gewalten: Weh und Leid, daß er Eiseli nicht haben solle, Reue, daß er ihretwegen so viel getan, die Sucht, sich zu rächen an Eiseli, nicht zum Nachtmahl zu gehen, wüster zu werden und glaubensloser sich zu zeigen als je. Es ist gar merkwürdig, daß ein Mensch so oft, um sich zu rächen, jemand das Messer des Wehs und des Grams ins Herz zu stoßen, sich an sich selbst versündigt, sich selbst zum Racheopfer bringt. Wie mancher hat nicht einen Rausch getrunken, ein Verbrechen verübt, ja sich selbst gemordet, nur um Eltern, Gatten, Kindern, Verwandten Schmerz und Herzeleid anzutun? Es ist ein eigentümlicher Zug im Menschen, daß wenn in ihm Zorn und Rache recht groß werden, er sich fast eher an sich als an Verwandten vergreift, sich am Körper ein Leid antut, um jene am Geiste zu verwunden, oder auch, wie es Jakob einfiel, sich dem Teufel in die Arme wirft, um jenen eine ewige Verantwortlichkeit aufzubürden.

Wie am Himmel, wenn ein nächtlich Gewitter getobt hat, durch zerrissene Wolken der Mond tritt und mit seinem freundlichen Gesichte die erzürnten Elemente zu beschwichtigen scheint, ein friedliches Licht über die zerzauste Erde wirft, sie tröstet über die erlittenen Gewalttaten, so stieg in Jakobs Seele der Stern der Hoffnung auf und brachte Ruhe in das Toben der Seele. Das sei vielleicht bloß eine Prüfung, dachte er, Eiseli wolle sehen, ob sein Glaube Wahrheit oder Heuchelei sei. Weil sie so fromm sei, wolle sie nicht, daß er um was Irdisches zum heiligen Tische gehe. Da habe sie eigentlich ganz recht. Er glaube auch, man solle mit einem Herzen gehen, welches zum Opfer bereit sei und nicht nach Lohn begierig. So sei es ihm wirklich auch. Wohl habe Eiseli ihn in die Kirche geführt, aber zum Tische des Herrn geleite ihn wirklich der Glaube und zwar nicht bloß der Glaube an einige Lehren, sondern der Glaube an den, dessen Leib gebrochen, dessen Blut vergossen worden. Diesen Glauben wolle er nun nicht wieder von sich werfen aus Zorn über ein Weibsbild, wie lieb es ihm auch sei, seiner armen Seele möchte er dies nicht zuleide tun. Sei es Eiseli auch Ernst gewesen mit den Worten: »Euer Weib werde ich nie und nimmer«, so sei er doch zum Glauben gekommen, und den wolle er nicht wie ein töricht Kind, welches nichts wolle, wenn es nicht alles haben könne, von sich werfen. So dachte er. Indessen, dachte er weiter, glaube er, Eiseli verstelle sich und wolle sich nach Mädchenart ein wenig zwingen lassen. Am besten sei es, er schweige und tue nach seinem Vorhaben, und sobald er könne, rede er mit dem Meister. Der gebe ihm die Tochter sicher gerne, ein Tochtermann mit Vermögen und Geschicklichkeit sei ihm sicher nicht gleichgültig, und wenn der Meister ein ernsthaft Wort rede, so habe er noch nie gesehen, daß eins seiner Kinder Widerspruch oder Ungehorsam gewagt. Er wolle dann aber auch Eiseli zeigen, wie er sie liebe, und ob er ein Heuchler und sein Glaube nur Verstellung sei. So faßte sich Jakob, brachte den Tag still und ernst zu, suchte Eiseli nicht, mied sie nicht, berührte mit keinem Worte ihr ausgesprochen Urteil.

Selbe Nacht schlief Jakob wenig. Es wogte heftig in seiner Seele: Liebe, Glaube, Hoffnung schlugen hoch ihre Wellen, Grollen, Zweifel, Bangen regten sich ebenfalls, mischten ihre Wellen mit den andern. Unruhig wälzte Jakob sich hin und her, und wie es geht in solch fieberhaftem Zustande, es rissen alle angesponnenen Gedanken schnell ab, ähnlich der Wolle, auf einen Knäuel gewunden, in welche die Motten gekommen, und welche abgewickelt werden soll, oder wie ein flachsener Faden, von einer schlechten oder schlafenden Spinnerin gesponnen. Früh war er wach. Es war ein wunderherrlicher Ostermorgen, eine grüne Ostern, kein Schnee war mehr im Tale, die sonnigen Bergwände frei davon, es war ein wahrer Auferstehungsmorgen. Was so ein sonntäglicher Morgen in schönem Lande die Seele erhebt, in welcher sonntägliche Gefühle wallen, wie es wunderbar glüht und kreißt an einem solchen Ostermorgen in einer Seele, in welcher der neue Mensch sich regt zum Auferstehen und Engel niedersteigen vom Himmel zum Grabe, das Siegel brechen, den Stein abwälzen, die Hände legen an die Leichenbinden!

Als das zweite Zeichen seine klaren Töne ausgesandt hatte über das Tal, die Berge hinauf, in die Gründe hinein, da ward es lebendig im Tale. Der Fremdling wäre zweifelhaft gewesen, ob zauberische Töne große, neue Blumen aus der Erde gerufen oder verklärt die Toten aus den Gräbern. In schönem, malerischem Schmuck eilten die schönen Haslerinnen der Kirche zu, mit ihnen die schönen, schlanken Männer, genährt von süßer Milch und reiner Luft und doch hungernd und dürstend nach anderer Speise, anderem Tranke, nach dem Tranke, der das ewige Leben gibt, nach der Speise, die für den Himmel kräftigt. Als Jakob hinter Mutter und Töchtern her neben dem Meister durch das Tal schritt dem Hause Gottes zu, da dachte er nichts, aber es ward ihm so weich und doch so wohl im Gemüte, daß es ihm war, als möchte er knien, beten, dann die Augen zutun, um sanft zu entschlafen im Herrn, getrost, daß, was verweslich gesäet werde, unverweslich auferstehe. Er freute sich, an Jesu Tafel zu erscheinen, zu bezeugen, daß er sein Jünger sein wolle, es verlangte ihn, das Pfand seiner Kindschaft zu empfangen, an Eiseli dachte er wirklich nicht. Noch war die Kirche des Tales Magnet und Mittelpunkt, ein großer Teil der Bevölkerung strömte an solchen Tagen hier zusammen, absonderlich an einem solchen Ostermorgen. Die Alten, welche glücklich den Winter überstanden, kamen, Gott zu danken für das erhaltene Leben und ihn zu bitten, daß er es immer reiner sich gestalten lasse, auf daß, wenn er sie bettete ins Grab, dasselbe nur das Tor zu einem neuen, reinen Leben sein möge. Man sah sie stehn, diese Alten, auf dem Kirchhofe, sie betrachteten die neu gewordenen Grabhügel, sie schauten sich um nach einem freundlichen Plätzchen, wo der matte Leib sanft schlummern möge. Sie dachten, wo dann ihre Seele sei, wenn am nächsten Ostermorgen ihr Leib im Grabe ruhe und die Ostern Feiernden an ihrem Grabeshügel stehn und ihrer in Liebe gedenken würden. Die Jüngern suchten ihre Bekannten, suchten Plätze in der Kirche, man sah, sie lebten noch mehr diesseits, ihre Gedanken schweiften seltener über das Grab hinaus; ein Platz in der Kirche lag ihnen noch dringlicher am Herzen als ein Platz im Grabe.

Der Pfarrer predigte kurz: Christus der Auferstandene sei den Unmündigen das äußere Pfand der eigenen Auferstehung; der neue Mensch, der da aus Gott geboren sei, habe das ewige Leben, trage das Bild des Unvergänglichen und sterbe nimmer, sei das innere Pfand der Geburt des ewigen Lebens. Wie draußen der Frühling mit seinen sprossenden Blumen Zeuge und Pfand sei, daß eine Zeit komme, in welcher die Blüten zu Früchten reifen und eingesammelt werden, so sei die Geburt des neuen Menschen in uns der Frühling eines neuen Lebens in Heiligkeit und Gerechtigkeit, welches alles aber nur stückweise sei, mit Sünde noch befleckt, weit, weit von der Vollendung entfernt, Zeugnis und Pfand, daß eine Zeit der Vollendung komme, wo in Kraft erwachse, was sich hier in Schwachheit gestaltet, zur Frucht reife, was hier als Keim und Blüte erschienen. Er wies sie auf ihr Inwendiges, daß sie forschen sollten, ob der alte Mensch im Grabe liege, der neue zur Welt gekommen sei mit seiner Freude an Gott, mit seinem Trachten nach Gott. Wer diesen in sich trage, der fühle es klar und fest, er werde nicht sterben, sondern ewig leben, es werde ihm ein Ostermorgen anbrechen, das ewige Licht die Schläfer wecken, und seine Augen werden Gott schauen in seiner Majestät und Herrlichkeit.

Die andächtige Menge horchte gespannt des Pfarrers inbrünstigen Worten, und als er geendet hatte, verließen wenige die Kirche, die meisten wollten an des Vaters Tische die Speise empfangen, welche das ewige Leben wirken solle, wollten Siegel und Pfand der Kindschaft empfangen. Stille ward es in der Kirche, einer Fliege Flügelschlag hätte man gehört, es war ein feierlicher Augenblick. Da stieg der Pfarrer von der Kanzel, trat an den Altar, betete stille und mit ihm die ganze Gemeinde. Dann brach er das Brot, hob den Kelch, sprach die Einsetzungsworte, und seine Stimme klang in jedes Herz hinein wie eine Stimme aus einer höhern Welt. Dann traten Männer heran, des Tales ehrwürdigste, empfingen aus des Pfarrers Hand erst das Brot, dann den Kelch, behielten diesen, stellten hinter dem Pfarrer als Kelchhalter sich auf, um der Gemeinde den schwer errungenen Kelch mit dem Tranke zu bieten, der den Dürstenden erquicken soll, daß er fortan nicht mehr dürstet. Nun wallte die Gemeinde, erst die Männer, dann die Weiber, hin zu des Herrn Tische, der Zug der Gläubigen wollte kein Ende nehmen, er dauerte weit über eine Stunde. Unterdessen ward vorgelesen aus der Heiligen Schrift, schöner Gesang wechselte damit ab und erhielt brennend die Flamme der Andacht.

Es war Jakob bang und seltsam zumute, als er nach so langer Unterbrechung wieder erneuern wollte den Bund, dem er untreu geworden war. Die Arme Gottes sind immer offen für verlorene Söhne, welche in sich schlagen, sich aufmachen, den Vater wieder suchen, und noch immer ist Freude im Himmel über einen Verlorengewesenen und Wiedergefundenen, mehr als über neunundneunzig Gerechte. Und doch kommen die verloren gewesenen Söhne mit Bangen und Beben, es schwillt das Herz, es wird schwer der Atem, und wenn sie auch nichts laut zu sagen, zu bekennen brauchen, nicht einmal: »Vater, ich habe gesündigt vor Gott und Menschen, bin fürder nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen«, so legt doch die bebende Hand, mit welcher sie die Zeichen empfangen, das Bekenntnis ab, wie tief sie ihre Schuld fühlen, wie sehnlich sie Gnade suchen, wie innig sie die versöhnende Liebe empfinden. So war es Jakob. Als er von des Herrn Tisch zurückkehrte, ging er fast bewußtlos seinem Meister nach, und was er auf diesem heiligen Gange empfunden, was er gedacht, bis der Gottesdienst ganz zu Ende war, er wußte es nicht zu sagen.

Als das Amen gesprochen war, läutete es, die Türen der Kirche taten sich auf; wie aus dem Schoße der Erde Blumen und Bäume, wie aus dem Grabe das Leben, strömte aus dem steinernen Hause das blühende Volk, gespeiset, getränkt und sichtlich erquickt am heiligen Brunnen. Hell leuchteten die Augen, munter förderten sich die Schritte, und selbst alte Weibchen schritten rüstiger, husteten weniger, stiegen leichter hinauf an die Halden, wo ihre Heimat war. Langsamer schritten die Männer den Weibern nach, um ihnen Zeit zu lassen, das Haus zu beschicken, das Mittagsbrot zu rüsten, damit bereit sei das Mahl und sie sich nur an den Tisch zu setzen brauchten, wenn sie nachkämen. Es war Jakob frei und leicht ums Herz, als hätte er eine schwere Bürde von sich geworfen und könne nun wieder gradaufgehen mit aufgerichtetem Haupte und jedem ins Auge sehen mit unbeschwertem Gewissen. Es war ihm, als möchte er singen, jauchzen, pfeifen, und beim geringsten Anlaß hätte er es sicherlich getan, zu großer Erbauung Gottes und zu großer Ärgernis christlich ängstlicher, pedantischer Seelen, welche glauben, alle Bekehrten und Auserwählten dürften nur nach einer Note singen und auf einem Loche pfeifen, und haben Augen und sehen nicht, wie wunderbar mannigfach Gott Gaben und Kräfte ausgeteilt, wie viele Töne er erschaffen, auf wie viel tausend Weisen er sein Lob bereitet hat und namentlich auch im Munde unmündiger Kinder, und die haben doch wirklich oft seltsame Töne und wunderliche Sangesweisen. Der Grundton, den Ostern im Herzen des christlichen Volkes anklingt, ist Freudigkeit. Warum sollte man nicht freudig und fröhlich sein, wenn der Tod den Stachel verloren, dem Grabe der Sieg entrissen worden, fürder der Himmel offen ist und die Engel auf- und niedersteigen?


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