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Fünfzehntes Kapitel

Wie Jakob endlich nach Genf kommt, wieder Erfahrungen macht, bis es ihm übel wird und schwarz vor den Augen

Für Arbeit war in Genf gesorgt worden, wahrscheinlich hatte sie Jakob ebenfalls in der Vorstadt Saint-Gervais, denn dort war der Herd, wo die schmutzige Brühe gekocht wurde. Jedoch war der Lohn gering, die Kost teuer, desto reicher aber die Vertröstungen auf den Lohn nach getaner Arbeit. Wenn Jakob die gewaltigen Häuser, die Paläste sah, die Equipagen, die herrlichen Kaufladen, so schmolz ihm ordentlich das Herz und löste in lauter goldene Hoffnungen sich auf. Wie Milch, welche auf dem Feuer steht, nach und nach sich erwärmt, dann leise singt und brummt an den Rändern der Pfanne, dann das Brodeln anfängt, dann das Tänzeln einzelner Milchatome, bis endlich die ganze Masse in Bewegung kömmt, der Kamm ihr schwillt, die Pfanne ihr zu enge wird, eine hohe Erhebung geschieht, das Ganze über die Pfanne braust und platscht zu großem Schreck der Köchin, die daran nicht gedacht oder die sich sonst vergafft hatte, und nun alles davon abhängt, ob die Köchin rasch Fassung gewinnt, die Pfanne beim Stiel kriegt und von dem Feuer stellt, so ging es auch bei ihnen zu.

Ihre Versammlungen wurden lebendiger, die Führer gingen ab und zu. Jeder, der kam, brachte ein wichtig Gesicht und eine neue Kunde. Wenn man alles verglich, was gesagt wurde, so hätte man glauben sollen, hundert Stunden in der Runde brenne alles von Zorn und Verlangen, und Hunderttausende würden sich erheben wie mit einem Schlage. In Lyon, sagte einer, sei alles Feuer und Flammen, ein Wink, so seien fünfzigtausend Bursche da, Seidenweber, Kerls wie Felsen, mit Elefantenfäusten. Ein anderer brachte die Nachricht, Italien bewege sich, eine ungeheure Gärung herrsche, nur ein einziger Zug frische Luft, so brause es auf, sprenge den Deckel und ergieße sich einem glühenden Lavastrome gleich über Aristokraten und Pfaffen, über die ganze Welt. Ein dritter kam schnaufend, erhitzt und berichtete, das ganze Waadtland sei wie ein Pulverfaß, ein Funke, ein einziger, so gehe es los, und hunderttausend Waadtländer schneie es zu den Toren ein, wahre Höllenbrände, welche dem Teufel zwischen die Hörner sprängen und dort seine Gesundheit tränken. Hinterdrein kämen noch die Walliser, wenigstens zweihunderttausend Leute wie Ungeheuer, zentnerschwere Kröpfe am Halse, welche sie in Schiebkarren vor sich herstießen, an den Feind gekommen, sie aufhöben, als seien es Wollsäcke, und dreinschlügen mit diesen Kröpfen, daß auf einen Schlag wenigstens sieben Dutzend die Beine streckten. Es werde gräßlich zugehen, man könne versichert sein, aber sie hätten es so gewollt, die bougres, so müßten sie es jetzt nehmen, wie es käme. So kam einer um den andern und berichtete, daß die Bursche brennten und fragten: »Warum gehts nicht los?« Denn bei solch herrlichen Nachrichten kam sie der Kummer an, daß, wenn so viele kämen, die Beute für den einzelnen gar zu klein würde. Absonderlich die zweihunderttausend Walliser schienen ihnen ganz überflüssig, sie dachten, wenn es ans Teilen ginge, so seien diese imstande, mit ihren verfluchten Wollsäcken alles zu erzwingen.

In ihren Versammlungen erschienen aber noch Männer in weiten Mänteln, die Hüte im Gesicht, die radbrechten Deutsch, redeten daneben rührend von confrères und »deutsch Brüder« und von den enfants de Genève, und wie sie eyns Lyb hätten und eys Seel und alle amateurs für die Freiheit. Die schönst Herz zu Genf seien alle für sie et toutes les braves gens. Dann ward wohl ein Glas erhoben, und der Verhüllte sprach: » Allons, buvons un verre a la sante de toutes les braves gens et surtout und Hauptsach für die deutsch Brüder, à la santé du peuple libérateur!« Solch eine verhüllte Gestalt machte ungeheuern Eindruck. Jeder wollte wissen, wer es gewesen sei, man drängte sich zu den Wissenden, doch hörte man selten einen Namen nennen, aber eben das wars, was den Eindruck nur um so größer machte. Denn nun geriet man in das Erraten, bei den Bürgermeistern von Genf fing man an oder beim Schultheiß von Bern und kam zuletzt gewöhnlich bis zum türkischen Kaiser, ja, es dachten welche sogar an den Napoleon.

Waffen, Patronen, jedoch spärlich, wurden an einzelne verteilt, man ward nicht satt, sie anzusehen, zu demonstrieren, wie man zielen müsse und wann losschießen, jedenfalls nie, wenn man nicht glaube, wenigstens zwei Dutzend auf einmal die Köpfe abschießen zu können. Das Ding nahmen sie eben um so leichter, weil die wenigsten unter ihnen je einen Schuß losgebrannt hatten. Daß aber auch die andern Flinten hätten, allfällig auch schießen und treffen könnten, daran dachte keiner. Der Tag wurde festgesetzt, aufgeschoben, bald dies, bald jenes trat dazwischen, die Ungeduld wuchs schrecklich. Mancher sagte, wenn es nicht bald losgehe, so lasse er sein Hemd waschen und gehe weiter. Auch war schon hier und da die Rede von Verräterei, man sah zuweilen die Bedeutendsten unter ihnen die Augen rollen, mit den Zähnen knirschen und die Fäuste ballen. Wer solch Mißtrauen am besten an den Tag legte, zog die meiste Aufmerksamkeit auf sich und gewann das größte Zutrauen.

Endlich hieß es: » En avant, enfants de Genève!« »Jetzt gehts los, Himmelsackerment!« hieß es von Werkstatt zu Werkstatt, man griff nach den Schießprügeln, und gerne hätte mancher gewußt, wie eine Flinte zu laden sei, aber er schämte sich, zu fragen, und dachte, im hintern Glied sei es besser, wenn man nicht geladen habe, wie leicht könnte man nicht den Vordermann verletzen! Im hintern Glied fechte man am sichersten mit dem Bajonett von weitem. Man lief auf die Sammelplätze, doch war es sonderbar, in der wohlbekannten Stadt fand auf einmal mancher sich nicht zurecht, verirrte sich schrecklich und kam nicht zum Vorschein, bis alles zu Ende war, und klagte dann bitterlich, wie er erst im Eifer sich verlaufen, später von den Feinden abgeschnitten, in eine Ecke gedrängt, aber dort sich so tapfer gehalten, daß der Feind sich genötigt gesehen habe, ihn von ferne zu belagern, um ihn durch Hunger zur Übergabe zu nötigen.

Auf den Sammelplätzen ging es munter her, die Helden schritten durch die Reihen und strichen sich die Schnäuze, man hörte hier und da ein Gebrüll, hie und da huschte eine Gestalt heran, es zeigten sich auch die geheimnisvollen Männer in Mänteln mit den Hüten auf der Nase. Dann gingen herrliche Nachrichten durch die Reihen, auf dem Stadthause sei man hintereinander, turmhoch lägen dort die Leichname, mit dem Stadtrat sei man bereits fertig, nur der Staatsrat mache die Sache noch streitig. Die einen drängten zum Vorrücken, andere meinten, man habe Befehl zu erwarten, unterdessen feierte man die herrlichen Botschaften mit Hurra und Vivat. Indesen, sobald man verbrüllet hatte, spitzte man doch die Ohren und horchte, ob man nicht die Trommeln der Lyoner höre oder das Murmeltiergepfeife der Savoyarden, die chansons der Waadtländer, und hie und da konnte einer sich nicht enthalten, zu sagen, es wäre doch vielleicht gut, wenn die Walliser bald kämen und ihre Kröpfe brauchten. Je geschwinder so was gehe, desto besser sei es, man könne nie wissen, ob der Teufel nicht ein Schelm sei und der besten Sache einen bösen Schwanz anhänge. Wer aber so redete, der ward billig verhöhnt. Indessen wollten die Lyoner nicht trommeln, die Waadtländer nicht singen, keine Walliserkröpfe prätschten an die Stadttore, lange ging es, wie es schien, auch auf dem Stadthause.

Es begannen die, zu denen man das rechte Vertrauen gefaßt hatte, weil sie von Verräterei sprachen, die Augen zu rollen, mit den Zähnen zu knirschen, die Fäuste zu ballen und zu murmeln wie ein beginnender Wasserfall. Dann stieß wohl der eine oder der andere seine Waffe auf die Steine, daß Genf zitterte, strich noch zum Überfluß den Schnauz und sprach: » Je m'en vais von où sont ces bougres!« schoß dahin, und man sah ihn nicht wieder. Daß er sich im blinden Eifer wieder auf einen Schneidertisch verirrt haben könnte oder gar auf ein Schuhmacherstühli, daran dachte man nicht, man dachte, die Hitze hätte ihn fortgerissen, vielleicht sei er gefallen. Auf der Stelle wollten einige aus den Gliedern, wollten dem Bruder nach, wollten ihn suchen, ihn retten womöglich, aber man ließ sie nicht, man schlug vor, in Masse vorzurücken, die Verlornen zu suchen, vielleicht stoße man auf die Savoyarden oder die Walliser, könne eine Hauptmacht bilden, das Nest endlich in Gewalt kriegen, da man es ja eigentlich schon habe, oder in die Luft sprengen, wenn man auf Widerstand stoße.

Da krachte es, Schüsse hörte man, nun wars los, Himmelsackerment, nun gings zum Tanz, zum fröhlichen Jagen! Man fuhr zusammen, einer stand so schnell als möglich hinter den andern; wer nicht geladen hatte, suchte das hinterste Glied, um mit dem Bajonett von weitem den Ausschlag zu geben Napoleon gleich, der sichern Nachrichten zufolge eben mit dem Bajonett die größten Siege errungen hätte. » En avant«, hieß es, » enfants de Genève!« Einige rückten vor, einige schossen. »Himmelsackerment, wo nur die verfluchten Lyoner sind?« schrie ein kleiner Jude aus dem Elsaß, er wolle gehen und sehen, wo sie seien, er verstehe die Sprache, und verschwunden war er um die Ecke. Unten in der Straße wurde ein Trupp Menschen sichtbar, sie waren bewaffnet und riefen etwas, die Deutschen verstanden es nicht, wer aber Welsch konnte, rief, so stark er konnte, die einen deutsch, die andern französisch: »Feinde, Feuer, Feuer, Feinde!« Nun schossen die, welche konnten, die mit den Bajonetten stellten sich etwas weiter hinten auf, um der Vordermänner zu schonen und besser Platz für ihren Mut und ihre Bajonette zu haben. Es schoß zum zweiten Mal, wer das Loch im Gewehr fand, aber unten in der Straße wollte niemand fallen, statt ein Dutzend auf einen Schuß fiel auf ein Dutzend Schüsse nicht einer. Das verbreitete Schrecken allenthalben, das Munkeln von Verräterei ward stärker, andere dachten an Hexerei, und die Pfaffen hätten die Hunde gefeit und festgemacht, so daß sie die auf sie geschossenen Kugeln aus den Schuhen schütteln konnten. Von Vorrücken war keine Rede, aber von hinten schlichen welche heran und berichteten, von den Lyonern sei noch keine Spur, und wie man sich anstrengte, man hörte weder die chansons der Waadtländer, noch die Kröpfe der Walliser donnern wie Wollsäcke an die Tore der Stadt. Da war man also, und was rundum vorging, wußte man nicht, es zeigte sich keine Hülfe, es schloß sich kein Volk an, nur einige Gassenjungen spielten die Rolle der Hunde bei den alten Schweizern, liefen kläffend herum, lieferten sich gegenseitig Vorpostengefechte, die kühnsten unter ihnen vermaßen sich sogar zu einigen Steinwürfen gegen die feststehenden Feinde.

Da ward es doch manchem wunderlich, auf fremdem Boden stehend, mit fremder Waffe in der Hand, meist fremde Kameraden um sich, fremd mit allem was vorging, nicht begreifend, was eigentlich werden sollte. Zu einem Weltereignis war man ausgezogen, nun stand man da, wenige gegen wenige, durfte eigentlich weder vorwärts noch rückwärts, die Hintern jedoch suchten unvermerkt immer freiern Raum zu ihren Manövers mit den Bajonetten. Man ward ungeduldig und sprach nun im wirklichen Ernst von Verrat und Auseinanderlaufen, aber einige wirkliche Kinder Genfs widersetzten sich, taten kühn und sprachen noch immer vom Sieg. Es war stillschweigend Waffenstillstand eingetreten, es kamen wiederum geheimnisvolle Gestalten, dann nahten Offiziere von der Stadt, die welschten mit den Kindern Genfs heftig hin und her, aber kein Wort verstunden die Deutschen. Diese hofften, man unterhandle die Übergabe der Stadt, wahrscheinlich höre man die Savoyarden kommen oder die Waadtländer, und redeten unter sich von Hunger und Durst, und wie sie es den Genfern eintreiben wollten, daß sie sie so lange unnötigerweise aufgehalten hätten.

Plötzlich hieß es, die Sache sei einstweilen aus; da die erwartete Hülfe ausgeblieben, die Bürger Zöpfe seien und Lust zeigten, es mit der Regierung zu halten, so habe man Frieden geschlossen, und jeder könne gehen, wohin er wolle. Ein ander Mal gehe es vielleicht besser. Nachdem die Sache auf diese Weise abgetan war, steckten die Kinder Genfs eine Zigarre ins Maul, gingen heim, steckten die Füße in Pantoffel, ließen sich aufwarten, kurz, machten sich so recht behaglich, wie sich eben die gelegene Zeit und das ander Mal am besten erwarten ließ. Die armen fremden Bursche aber, die schlotterten in der Kälte, hungrig und durstig waren, diese hatten kein Heim, keine weichen Schlafröcke, keine warmen Pantoffel, hatten an den goldenen Pforten ihrer goldenen Zeit, welche auffallende Ähnlichkeit mit dem Tausendjährigen Reiche der Juden hat, sich geträumt, und jetzt war der Traum aus. Als arme, schlotternde Bursche standen sie auf der Straße. »Ein ander Mal!« hatte es geheißen, aber was sollten sie machen, bis das andere Mal kam? Wenige Kreuzer klapperten in ihren Taschen, kalt wehte der Wind, und öde und leer wars im Magen.

Zugeschnappt vor der Nase war ihnen das Schloß der afrikanischen Höhle Xaxa, und nichts wirkt so entmutigend, als wenn enthuscht, was man nach großen Mühen endlich in der Hand zu haben glaubte, und man nicht weiß, nach welcher Seite, und steht nun da und hat nichts und weiß nicht wo aus, steht dazu noch auf fremdem Boden, weiß kaum, wohin die Straße führt, in der man steht, weiß nichts, als daß man kein Heim hier hat, daß man ein Fremdling und Pilgrim ist, zweihundert Stunden nach Hause und nicht viel mehr als zwei Kreuzer in der Tasche hat. Ein solch Erlebnis gleicht an betäubender Kraft dem Keulenschlag eines Wilden, das Bewußtsein wird betäubt, man taumelt dahin, weiß aber kaum wohin. So gings den armen, verlassenen, angeführten Kerls, sie fuhren auseinander wie Hühner, in die ein Habicht fährt, schlichen, strichen, zwirbelten dahin, jeder durch das nächste Gäßchen oder um die nächste Ecke. Allmählich erwachte in jedem der Instinkt, wenn auch nicht das Bewußtsein, und unwillkürlich richteten sich eines jeden Schritte nach seinem Kosthause. Das war doch so eine Art Heim, wo man ein vertraut Wort reden konnte, freundliche Gesichter, das Bedürfnis aller Menschen, fand, nämlich solang man Geld hatte. Ach wie oft, doch nicht immer, täuscht sich der arme Bursche, meint, er habe an Wirt und Wirtin Vater und Mutter gefunden, am Stubenmädchen eine Schwester oder gar ein Schätzchen, er sei Liebling, Hahn im Korbe, des Hauses Kind, die Leute wirteten eigentlich bloß noch seiner Liebenswürdigkeit und Holdseligkeit wegen. Möglich, daß sie ihm einigen Vorzug zeigen, vielleicht drei Tage ihm länger Kredit geben als einem andern, weil er ein lustiger Vogel ist, Schwänke macht, gut singt, andere Gäste lockt und festhält. Den Lockvogel liebt man; wenn der Lockvogel nicht wäre, der arme Kerl könnte sein, wo er wollte, einer hohlen Rübe gleich würde er durch die Türe geworfen. Wie gesagt, es gibt Ausnahmen, doch in kommunistischen Kosthäusern werden sie selten gefunden werden. Da ist die Selbstsucht zu Hause, freilich im Mantel der Bruderliebe. Glücklich, wer nicht enttäuscht wird! In der Täuschung liegt immerhin, solange sie dauert, ein Glück, wie falsche Edelsteine den unkundigen Besitzer so glücklich machen als echte.

In den Kosthäusern fanden sie sich allgemach zusammen, doch nicht alle. Auf unbegreifliche Weise waren gerade die Führer verschwunden, die mit den düsteren Augen und giftigen Zungen, welche das Feuer hauptsächlich angeblasen und unterhalten hatten, und wie man sie auch suchte, sie fanden sich nicht wieder. Das waren die alten Füchse, die allenthalben dabei waren, wo Aussicht war, einen Hühnerstall zu plündern, einen Taubenschlag zu zerstören, die aber immer ein versteckt Hinterloch offen hatten, um alsobald zu verschwinden, wenn Gefahr kam, Widerstand oder gar Untersuchung, gleich den Füchsen, die zumeist ein geheim Loch in ihrem Bau haben, wo sie hintenaus sich machen, während der Jäger vornen lauert oder gräbt.

Dieses Verschwinden verbreitete große Niedergeschlagenheit, sie mußten daraus schließen, daß ihr Unternehmen nicht bloß in allem Ernste aus sei, sondern daß die Sache einen langen Stiel haben, den darin Verwickelten und namentlich den Fremden trotz dem verkündeten Frieden Gefahr bringen könnte. Sie fanden aber noch was anders nicht mehr, nicht mehr die alten freundlichen Gesichter im Kosthause. So ein Wirt kann eben nicht zum hintern Loch hinaus, er müßte zu viel im Stiche lassen, und läuft als Platzgeber immerhin Gefahr und namentlich, wenn er bei einer allfälligen nachträglichen Untersuchung sich nicht gesäubert hat, die gefährlichen, verdächtigen Elemente sich noch vorfinden. Trotz allem Frieden kann die Polizei immer Grund finden, ein solches Haus zu schließen, ja den Besitzer, wenn er ein Fremder ist, fortzuweisen -- man hat Exempel! Nun ist, wie gesagt, an solchen Orten die Bruderliebe selten groß; um der Menschheit aufzuhelfen, hält man kein Kosthaus, sondern zunächst sieht man auf sich, schiebt alles, wodurch man gefährdet werden könnte, so schnell als möglich von sich.

Saure Gesichter fand man also, und mürrische oder gar keine Antworten kriegte man. Der Wirt munkelte von saubern Helden, die, wenn irgendwo eine alte Pistole losgehe, davonliefen über Hals und Kopf wie Hasen, wenn es hinter ihnen kläffe. Begreiflich nahmen dieses die Bursche, welche sich mit irgend etwas gestärkt hatten, nicht so hin, sie schimpften über Betrug, wie man mit falschen Vorspiegelungen sie gelockt und endlich im Stich gelassen. Denen, welche dazu geholfen, die Lage hätten kennen sollen, zieme es nicht, hintendrein noch aufzubegehren und zu räsonieren.

Es ging wie in allen solchen Fällen, wo ein leichtfertiges und unbesonnenes Unternehmen scheitert, es gab Streit. Keiner fand die Schuld bei sich, schob sie den andern zu, überhäufte sie mit Vorwürfen und Drohungen. Feigheit, Verräterei, Bosheit usw. schlug man sich gegenseitig um die Köpfe, aber von der Hauptsache, daß das Unternehmen an sich von der einen Seite eine Schlechtigkeit, von der andern eine Tat des Wahnsinns war, redete niemand, auf den Grund geht man bei solchen Dingen nicht. Ein Frevel war es und eine Schlechtigkeit von den Einheimischen, ein Frevel gegen Vaterland und Gesetz, eine Schlechtigkeit gegen die armen Teufel, welche sie anlogen und mit falschen Vorspiegelungen betörten, während sie bereits den Entschluß fertig bei sich trugen, im Fall das Unternehmen gelingen sollte, der fremden Helfer sich zu entledigen so bald als möglich und unter jedem Vorwande. Ein Wahnsinn wars von den armen Handwerksburschen, daß sie sich einspinnen ließen in den Wahn, in fremden Landen, unbekannt mit Volk, Sitten und Sprache, eine Weltverbesserung, eine Umgestaltung der bestehenden Ordnung beginnen und durchführen zu können, sie, deren Mehrzahl weder eine Flinte ordentlich laden konnten noch irgendeinen Begriff hatten von staatlichen Verhältnissen, denn kommunistische Träume sind keine Verhältnisse, und kommunistische Phrasen enthalten keine gesunden Begriffe.

Die Bursche mahnen uns an die römischen Gladiatoren, der Wahn, in den sie gesponnen werden, an die Zwinger der Gladiatoren: beide werden aufgespart, gestachelt, zusammengetrieben bei besonderen Anlässen, um für fremde Zwecke ihr Blut zu vergießen, vielleicht einmal in großen Schlägen das Leben zu lassen. Nur ergeben sich merkwürdige Unterschiede. Die Gladiatoren wurden besonders gut gehalten und gefüttert, wurden mit dem größten Fleiße in den Waffen geübt und warum? Um einige Stunden lang die blutige Lust des römischen Volkes zu kitzeln in blutiger Lustbarkeit, die mit dem Tode der meisten endigte; wer aber überblieb, ward hochgeehrt, gekränzt, gefüttert, besonderer Aufmerksamkeit und Teilnahme gewürdigt. Die armen Handwerksburschen werden auch aufgestachelt zur Lust anderer, aber es wird ihnen ein großer Zweck vorgefaselt, bei dessen Erreichung sie die beste Beute machen würden. Um sie in ihren Wahn recht einzuspinnen, treibt man sie in Kosthäuser zusammen, füttert sie sehr schlecht und zwar auf ihre eigenen Kosten, von Waffenübungen ist begreiflich keine Rede, und wenn man mal was losläßt mit einem Haufen zusammengetriebener Handwerksbursche zum Versuch, wie weit man sei mit der auflösenden und zersetzenden Arbeit am Volke, so kümmert sich kein Mensch um die armen übergebliebenen Teufel, und je eher man sich ihrer entledigen kann, desto lieber ist es denen, die eben die Handwerksbursche zu Werkzeugen ihres Frevels und ihrer Schlechtigkeit erkoren haben.

Je weniger man auf dem rechten Boden der Sache ist, desto wilder wird, wenn man einmal hintereinander gerät, der Streit, denn, solange man im Trug streitet, so lange ist keine Verständigung möglich, höchstens eine augenblickliche auf Kosten eines dritten. Das Ende des Streites mit dem Wirte war, daß die einen sagten, hier blieben sie nicht lange mehr, der Wirt aber erklärte, je eher sie gingen, desto lieber sei es ihm, auf der Stelle, wenn sie wollten, aber bezahlt wolle er sein bis auf den letzten Kreuzer von jedem; für solche Bursche sei er nicht auf der Welt. Jakob verstand nicht Spaß und war ohnehin in einer Gemütsstimmung, für welche wir keinen Namen haben. Es war nicht Verzweiflung, nicht Schwermut, nicht Menschenhaß, nicht simpler Zorn, es war alles untereinander, durchsäuert mit dem Gefühl, Jahre des Lebens geopfert, nichts gewonnen, viel verloren zu haben. Wenn ein Spieler sechs Gulden verliert, so plagt es ihn, verliert er seine ganze Barschaft, so zieht er ein flämisch Gesicht, verliert einer sein ganzes Vermögen, so denkt er an die Pistole oder an den Strick, und mancher hat gebraucht, woran er gedacht. Und doch sind sechs Gulden kein Geld, Barschaft kann man wieder kriegen, Vermögen wieder gewinnen, aber verlorne Jahre sind dahin, kehren nimmer wieder, lassen sich nimmer wieder gewinnen für den Menschen dieser Welt. Bloß dem, der ein Christ wird, kehren alle die sogenannt verlornen Jahre, mit Schätzen reich beladen, wieder, Schiffen gleich, die, in starrem Eise festgefroren, frei werden, wenn der Frühling kömmt, die Sonne höher steigt, warme Winde das starre Eis brechen, und wiederkehren und reich machen den Eigner, der bereits arm sich glaubte und verloren und nicht dachte, wie reich ein Frühling wieder machen kann. Verlorne Jahre, verlorne Hoffnung hatte Jakob, festgefroren waren sie, kein Frühling war für sie, nichts hatte er mehr, kaum mehr so viel, um ein Nachtlager zu bezahlen in einer andern Herberge. Was er an Kleidern noch besaß samt dem Felleisen, hatte er zurücklassen müssen, da er nicht Geld genug hatte, sie zu lösen. Da stand er jetzt und hatte nichts und tappte mit Mühe durch die Finsternis und fand mit noch größerer Mühe ein Nachtlager, denn bei solchen Anlässen werden die Wirte bekanntlich auf einmal vorsichtig.

Am folgenden Morgen begab er sich in die Werkstätte. Die einen Arbeiter waren da, andere fehlten, endlich kam der Meister und sagte, er sei genötigt, die meisten zu entlassen und namentlich die, welche beteiligt sein könnten bei den letzten Ereignissen, übrigens sei auch keine Arbeit mehr, viele sei abgesagt worden, und wenn es einmal Lärm gegeben, so erschrecken die Leute, hielten das Geld zurück, und auf Monate hinaus sei kein Verdienst. Unter den Entlassenen war auch Jakob, und mit wenigen Batzen, welche der Meister ihm zu zahlen hatte, stand er wieder vor der Türe, und kalt war der Morgen, und sauer blies der Biswind durch die engen Straßen, als sei er gepreßt in enge Röhren. Da stand er nun, konnte von der Sprache wenig mehr, als er von Melanie gelernt und durch Murten mitgeführt hatte, arbeitslos und obdachlos. In stummem Weh und Zorn ging er nach dem nächsten unbekannten Kosthause in der Hoffnung, dort Kameraden anzutreffen und Arbeit zu erfragen. Dort fand er Wirtsleute mit sauern Gesichtern, die unfreundlich die Gäste anfuhren und umgekehrt waren wie ein Handschuh, kommen sahen sie keinen gerne, gehen jeden. Er fand fluchende Kameraden, die entlassen worden waren und über Meister und die alten Führer, welche nirgends zu finden waren, schrecklich schimpften. Er weilte nicht lange, stürzte ein Glas Schnaps hinab, suchte in einem andern Kosthause Trost, fand dort die gleichen Gesichter, die gleiche Stimmung.

So fand er es allenthalben, wo er einkehrte. Was er auch trank, wollte ihn nicht wärmen, es war, als sei es Wasser, das in herber Winterkälte auf Steine gegossen wird. Wie dieses mit eisiger Kruste die Steine überzieht, sie durchfriert, so war es ihm, als werde eisig sein Gebein, und eisige Schauer rieselten ihm durch Mark und Adern, während die ganze Glut des Körpers hinauf zum Haupte drang, brausend und brennend, den Schädel zu zersprengen drohte, den Augen den Platz in ihrem Kämmerlein nicht mehr gönnte, daß sie weiter und weiter hinaustreten mußten auf die Schwellen ihrer engen Häuschen. Es kam Angst und Bangen, was er anfangen solle in der weiten Stadt ohne Arbeit, ohne Freunde, ohne was anders als die Kleider, welche er am Leibe trug. Er dachte wohl an Lausanne, aber wie dahin kommen, und hatten dort die Gesichter sich nicht auch gewandt, und waren unsichtbar geworden die, welche die ganze Welt ins Maul genommen hatten samt allen Fürstentümern und Gewalten? Und die Angst und das Bangen legten sich wie ungeheure Lasten ihm aufs Herz, er vermochte es kaum mehr zu tragen, so schwer war es geworden, und mühsam rang sich der Atem unter dem Hämmern des Herzens hervor. Doch zwang er sich, und aus den Kosthäusern lief er nach den Werkstätten, aber bessern Trost fand er nicht. Die einen waren geschlossen, in andern fehlte der Meister, und wo ein Meister bei Hause war, da war es einer mit zornigem Gesicht, der den klopfenden Gesellen mit Blitz und Donner entgegenfuhr, daß sie erschrocken davon stolperten und froh waren, wenn sie mit ganzen Knochen wieder auf der Straße standen.

Es war Abend geworden, Jakob hatte es nicht bemerkt. Schwarz war der Himmel über dem ungewöhnlich stillen Genf, finsteres, nördliches Gewölke hing bis auf die Giebel der Dächer herab, wild sauste es durch die Luft, lockere Ziegel machten luftige Sprünge, und was Lebendiges auf den Straßen sich zeigte, eilte in ängstlicher Hast, als sei es auf der Flucht vor einem grimmigen Feinde. So eilte auch Jakob in wilder Hast und ward ihrer sich nicht bewußt. In ihm brannte, brauste und sauste es, und vor sich hörte er es gewaltig brausen und branden, und als er die Augen hob, sah er unterm schwarzen Gewölke eine noch finstrere schwarze Wüste, endlos, schaurig wie ein Tor der Hölle. Aber die Wüste war nicht starr und tot, sie war lebendig, im wilden Aufruhr jagte sie daher, schäumend und drohend in gewaltiger Wut. Es war, als ritten aus der Hölle weitem Tore auf lang gestreckten, sich bögelnden Schlangen der Hölle dunkle Gespenster, jagten daher die grausen Höllenscharen, zu stürmen die Stadt, hochauf spritzte Schaum und Dampf, an den mächtigen Mauern donnerte betäubend der Sturm.

Da loderte es in Jakob noch heißer auf, und betäubend brandete die innere Glut an Jakobs Stirne, es wirrten sich seine Gedanken. Waren es die Savoyarden, die stürmend und brausend die ersehnte Hülfe brachten, war es die weite Heide bei seiner Heimat, die brausend daherkam, ihn heimzuholen, war es Wasser, das ihm kühlen wollte den Brand an der Stirne? Es streckte die Arme nach ihm aus, es rief ihn, es zog ihn mit unwiderstehlicher Gewalt, und über die Mauer stürzte er sich in die Brandung. Aber er fiel nicht, eine mächtige Faust ergriff ihn im Nacken, hob ihn herauf. Mit dunkelm, brechendem Blicke bog er den Kopf, sah hinter sich eine hohe Gestalt, die mit starker Hand ihn hielt. Im Dunkeln des Abends sah er ein bekannt Gesicht, das Gesicht ward ihm zur hellen, lieblichen Mondnacht, wo am blauen Himmel die Sterne schimmerten, silbern die Wellen glänzten auf weitem See und freundlich plätscherten am Hügel, auf welchem eine Kirche stand, neben welcher Zürichs wohlbekannte Türme stolz sich erhoben. Doch kaum war das Gesicht ihm aufgegangen wie eines Blitzes Schein, so kam die Nacht, und schwarz ward es ihm vor den Augen, und wie mit schwarzem Leichentuche verhüllte die Hand des Allmächtigen das Bewußtsein des armen Jakobs, der nicht mehr beten konnte, aber dennoch in der Hand des Allmächtigen blieb.


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