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Dreizehntes Kapitel

Wie Jakob in Freiburg herumläuft, was er träumt, was er erfährt, und wie ihn einer dem andern zuschiebt

Sie lag endlich vor ihnen, die wunderliche, seltsame Stadt, die ältere Schwester Berns, von der Saane umarmt wie Bern von der Aare, Freiburg genannt und doch die Freiheit der Jüngern Schwester nicht gönnend, wie oft die ältere Schwester die blühendere jüngere anfeindet. Die wunderliche Stadt, oben welsch und unten deutsch, oben die Jesuiten, welche ihre Faden spannen über die ganze Welt, unten die freie, schöne, luftige Drahtbrücke, die getrennte Klüfte bindet, aber nach Art der Drahtbrücken nicht ohne Wanken ist und nicht für Jahrhunderte gebaut. Die seltsame Stadt mit der schönen Orgel, der wilden Saane, den derben Bewohnern, den feinen Jesuiten, den hohen Adelichen, den schmutzigen Kapuzinern, den Trappisten in der Nähe, den schnatternden welschen Weibern, die alles in einem Hafen kochen und in einem Munde, wie die Bäcker in einer Mulde, die ganze Stadt verarbeiten, in der Mitte. Diese seltsame Stadt lag vor ihnen, mit seltsamem Bangen betrat sie Jakob, während der Johann darin sich zurechtfand, als ob er schon hundertmal darin gewesen sei. Sowohl die gewaltige Jesuitenburg, die wie ein steinern Geheimnis über Freiburg schwebt, als die luftige Brücke über die tiefe Kluft, der wilde Fluß jagten dem Jakob Bangen ein. Er war froh, als er wieder weit von der Brücke war, und in weitem Bogen umging er des mächtigen Ordens gewaltiges Haus. Aber Arbeit fand er wieder nicht, kein Meister hatte Mitleid mit seinem trübseligen Angesicht; aber ganz sicher war manchem Meister sein Erscheinen nicht unwillkommen gewesen. Nichts macht wohl die Gesellen zahmer und fleißiger, als wenn in arbeitsloser Winterzeit von Zeit zu Zeit so ein hungriger, frierender Bruder in der warmen Werkstätte erscheint, und wenn er ohne Arbeit weitermuß, ein Gesicht macht, als ob ihm das Weinen zuvorderst sei.

Und warum sollte es ihm wirklich nicht zuvorderst sein, dem armen Teufel? Der arme Bursche ist hundert bis zweihundert Stunden von der Heimat, und zwischen sich und der Heimat kennt er keine freundliche Seele, kein freundlich Haus, wo er für einige Wochen Herberge fände. Wo er gewesen war, ging er im Unfrieden fort, hatte Groll mitgenommen, hatte Groll hinterlassen. Auf die kalte Straße muß er wieder, hat kein Heim als für eine einzige Nacht eine kalte Kammer in der Herberge. Dort muß er am Morgen weiter, hinaus in Schnee und Frost, durch unbekanntes Land, dessen Sprache er nicht kennt, hat nichts als einige Kreuzer, die traurig klappern im weiten Sacke wie Totengebeine im Totenhause, wenn Wind oder Mäuse damit spielen. Denke man sich doch so einen armen Burschen ohne Arbeit, ohne Geld, ohne einen warmen Strumpf, ohne ein freundlich Gesicht, geschweige eine freundliche Seele, zweihundert Stunden von der Heimat! Aber vor allem sollte der Bursche selbst an solche Lage denken und zwar zu lustiger, warmer Sommerszeit, wo er Arbeit vollauf hat, voll Lustbarkeit die ganze Welt ist, sollte daran denken, daß die blauen Montage des Sommers im kalten Winter wieder aus dem Grabe steigen, blau die Hände färben, blau die Lippen, in Angst und Frost Seele und Glieder klappern lassen, wie im Sommer lustig die Gläser klirrten, die Mädchen schnatterten. Warum sollte also dem armen Burschen das Weinen nicht zuvorderst sein oder wenigstens zuvorderst scheinen; denn die Lage, wenn man ihr recht ins Auge sieht, ist jämmerlich, ist schrecklich, möchten wir sagen, und namentlich, wenn der arme Bursche den vergessen hat, der die Lilien kleidet, die Vögel speiset, sich dessen nicht mehr trösten darf, daß der gute Gott bei ihm sein werde auf ödem, kaltem Wege, daß er ihm wieder öffnen werde zu rechter Zeit eine milde Hand, ein warmes Haus.

Als Jakob zurück ins Wirtshaus kam, halb zornig über die verfluchten Meister, welche aus Bosheit einem armen Kerl das Brot nicht gönnten, halb niedergeschlagen durch das Gefühl seiner Verlassenheit und die Ungewißheit seiner Lage, fand er seinen Gefährten auch wieder dort. Es ist schade, daß wir die Gespräche der beiden nicht wiedergeben können, sie verhandelten alles im Himmel und auf Erden. Der Jakob redete am meisten, der Johann mischte das Gewürz und streute den Pfeffer aus über alles mit freigebiger Hand. Pfeffer macht bekanntlich durstig, und Jakob trank mehr, als ihm bei seinem Geldvorrat es erlaubt war, ganz duselig suchte er das Bett und freute sich, daß er recht eingeheizt, so könne er mal warm schlafen.

Als Jakob am Morgen erwachte, dämmerte es in der dunkeln Kammer, draußen wird wahrscheinlich bereits die Sonne geschienen haben. Wie es an trüben Tagen lange dämmert, ehe es wirklich Tag wird, so ging es auch bei Jakob lange, bis er in seinem trüben Kopfe das Bewußtsein zusammengefunden hatte und wußte, wo er war. Als endlich das Wort Freiburg ihm einfiel, sprang er mit einem Satze aus dem Bette, sah mit weiten Augen um sich und war endlich ganz verwundert, als es noch die gleiche Kammer war, in welcher er sich niedergelegt hatte. Denn plötzlich war ihm eingefallen, wie es ihm in der Nacht vorgekommen, es nehme ihn jemand beim Kopf, hebe ihn auf, und als er erwacht, seien es vier Jesuiten gewesen in langen, schwarzen Röcken mit greulichen Gesichtern, die hatten ihn genommen bei Händen und Füßen, hatten ihn geschleppt hinauf in ihr Haus. Schreckliche Tore seien daselbst auf- und zugegangen, schwarze Jesuiten mit greulichen Gesichtern, zahllos wie Krähen und Dohlen, wenn sie im Herbst auf spät gesäete Äcker sich lagern, hätten die Höfe gefüllt. Auf eine Bahre sei er geschraubt worden, schrecklich durch die Waden geklemmt; je mehr er die Beine an sich gezogen, desto schrecklicher sei der Klamm geworden. Darauf habe man ihm den Kopf eingespannt zwischen zwei schreckliche Schrauben, welche ausgesehen wie zwei alte, schwarze Türme, und aus dem unzählbaren Jesuitenhaufen seien die greulichsten der Gesichter gekommen mit Augen wie Glutpfannen, halbroten Barten und Nasen gleich Stücken aus ungeheuern Schiffsankern. Sie trugen eine Waldsäge, hoch wie ein Schloßtor und lang wie die Drahtbrücke, und begannen zu sägen an seiner Stirne und sägten und sägten daran, daß Funken sprühten und Höllenpein Wollust war gegen seinen Schmerz, und trotz dem Schmerz ohne Namen konnte er nicht schreien, und sie sägten fort und fort. Es sprühten die Funken wie in einer Hammerschmiede, und doch brachten sie die Säge nicht in den Kopf hinein, hindurch wollte sie nicht. Da erschien einer unter dem hohen Portale, zehn Ellen größer als alle andern, seine Nase schien ein einziger Schiffsanker zu sein, seine Augen ein brennender Meiler oder ein Schmelzofen, und mit donnernder Stimme rief dieser Halt. Und als sie hielten, donnerte er, sie sollten ablassen von dem Kerl, das sei ein deutscher Kopf, der müsse gebeizt und gebuttert werden, nicht zersägt, so kriege man ihn nicht zurecht. Alsbald hielten sie inne, zogen die lange, lange Säge weg, schraubten die Türme auseinander, die Beine frei, nahmen ihn bei den Händen und Füßen und schmissen ihn durch ein schwarz, wüst Loch, das aussah wie ein Hundestall, war es aber nicht. Es war ein Maul, und durch das Maul gefahren, fiel er in die Beize, in ein schrecklich kalt Naß. Wars ein groß Essigfaß, ein Beizehafen für ganze Elefanten, Nilpferde, Rhinozeros, wars eine Gerbergrube, wo vorsündflutliche Felle von den Kindern Kains zu Pariserstiefeln präpariert wurden, war es ein Eiskeller, wo Noah den Champagner aufbewahrt hatte, war es eine Art holländischer Flachsröste, wo man Seelen weich röstete, um sie zu jeder beliebigen Tuchart verarbeiten zu können, das wußte er nicht, aber er fühlte, daß er ganz windelweich wurde in der verfluchten Brühe, ganz aufgelöst an Leib und Seele, ganz erbärmlich, jämmerlich; die kleinste Faser im Leibe, das gröbste Bein, alles schien ihm aufgelöst zu einem gräßlichen Schneebrei. Und als er so ganz elend war, kamen sie und luden den ganzen Brei auf ungeheure Schaufeln, warfen die ganze Beize in ein Butterfaß hinein, trüllten dasselbe mit rasender Schnelle, viel stärker als Milchmägde das ordinäre Butterfaß. Erst schien es ihm, als sei es um wirkliche Butter zu tun, und trotz Elend und Angst mußte er selbst im Traume lachen bei dem Gedanken, wie die Leute ob dieser Butter die Nase rümpfen würden. Aber bald verging ihm das Lachen, denn er fühlte, daß er in der Trülle sei, in welcher man die Jesuiten mache, er fühlte, wie ihm die Nase wuchs und sich bog, auf dem Kopf ein Ring sich machte, seine Haut zu einem schwarzen, langen Rock wurde, wie Haut und Haar jesuitisch wurden, bis er endlich in einem Winkel des Butterfasses kleben blieb wie die Arche Noah auf dem Berge Ararat, das Drehen aufhörte, das große Loch im Faß sich öffnete, ein ungeheurer Schnabel hineinfuhr und drüber ein funkelnd Augenpaar. Erst war er erschrocken, meinte, es sei ein ungeheurer Habicht, aber gleich sah er, daß es der Buttermeister der Jesuiten war. Denn als derselbe ihn betrachtet hatte, sagte er: »DSach ist recht«, drückte ihm ein dreieckigt Hütlein aufs Haupt, ein Büchlein in die Hand und sagte: »Mach auf und bete!« Darauf zog derselbe den Schnabel raus und machte das Loch zu. Jakob, sitzend als Jesuit im Butterfaß, machte das Büchlein auf und wollte darin beten, denn ihm war gar jämmerlich im Gemüte, er schien wirklich zu einem Schneebrei geworden zu sein. Aber wie er sich auch mühte, die Schrift konnte er nicht lesen, bald dachte er, es sei hebräisch, bald hielt er es für welsch, so fremd und seltsam kamen die Buchstaben ihm vor. Ihm kam eine greuliche Angst an, weil er nicht beten konnte. Zum Jesuiten hätten sie ihn bereits gemacht, dachte er; was sie jetzt noch aus ihm fabrizieren würden, wenn er nicht bete, das wars, was ihm so schrecklich Angst machte.

Wie es Kinder haben, wenn sie so recht wehlich sich ängstigen, daß endlich der Schlaf kömmt und der Angst ein Ende macht, so war es auch Jakob gegangen, im ruhigem Schlaf war der Traum verschwommen, er hatte vergessen, daß er mit dem Hütlein, dem Büchlein als ein klein Jesuitlein saß im Butterfaß in einer Ecke. Als er aber wirklich erwachte, gedachte, daß er in Freiburg sei, stand der Traum vor ihm, daher sein Schreck, sein Aufspringen, seine Freude, als er sich nicht im Butterfaß sah, sondern in der gleichen Kammer, in welcher er sich niedergelegt hatte, und ohne Hütlein und ohne Rock, sondern im alten Hemde, welches freilich eher schwarz als weiß zu nennen war. Er sah nach dem Kameraden sich um, doch der war weg, was Jakob nicht wunderte, da es so spät schon war. Rasch machte er sich hinter die Kleider, denn mörderlich kalt war es in der Kammer. Sonderbar eng und kurz kamen ihm die Hosen vor, und als er den Rock anzog, fuhren seine Arme einen halben Schuh lang aus den Ärmeln ins Freie, zum nämlichen schienen auch die Schultern Lust zu haben. Da merkte Jakob, daß es nicht seine Kleider waren, hielt es für einen dummen Witz seines Kameraden und suchte ihn drunten in der Gaststube auf, wo er ihn auf dem warmen Ofen zu finden erwartete. Dort war er aber nicht, und als er nach ihm frug, hieß es, er sei schon vor zwei Stunden fort. Jakob meinte, vielleicht bloß um Arbeit zu suchen, er werde wohl wiederkommen, allein, es hieß, man zweifle daran, denn er habe seine Zeche bezahlt, sein Bündelchen mitgenommen. Das fuhr dem Jakob durch das Gebein, immer so arg als sein Traum, in der Nacht. Mit seinen Kleidern war also der Kerl fort, die, wenn auch nicht die besten, doch zehnmal besser waren als die, welche er dafür gekriegt, welche ihm überdies zu eng und zu kurz waren.

Man kann sich denken, daß Jakob einen grimmigen Spektakel erhob, denn mit den Hosen war auch sein wenig Geld fort, und in denen, welche er erhalten, war nichts als ein leer ledern Beutelchen, doch besaß er glücklicherweise seine Schriften noch, welche er zufällig beiseitsgelegt hatte. Er beschuldigte den Wirt, forderte von ihm Schadenersatz, fluchte über das Jesuitennest, behauptete, der Kerl sei ein verkappter Jesuit gewesen, der ihn hierher verlockt und bestohlen hätte, damit er hier bleiben, katholisch oder gar Jesuit werden müsse, der Wirt sei unter der Decke, sei einverstanden mit der Bande. Nicht umsonst hätte er den Traum gehabt, aber er wolle es ihnen zeigen, daß er der Jakob sei, Himmelsackerment! Der Wirt, durch den Lärm herbeigezogen, war ein heißblütiger Berner, verstand nicht Spaß und donnerte seinerseits den Jakob an, Lumpenpack seien sie alle, von den Schlingeln hätte man nichts als Verdruß, er wollte, er sähe keinen mehr. Sie beide seien als Kameraden miteinander gekommen, und wenn die einander bestehlen wollten, so könne kein Wirt das hindern. Übrigens sei das Ganze wahrscheinlich ein abgeredet Spiel, um ihn zu prellen, aber sie seien an den Unrechten gekommen, solchen Kerls sei er noch lange gewachsen, und sage er ihm noch einmal, daß er mit den Jesuiten unter einer Decke sei, so gebe er ihm eins zum Kopf, daß er zwirble wie ein Kegel, und werfe ihn zum Haus hinaus wie einen Hund.

Nachdem sie einander eine Weile angebrüllt, begriff endlich Jakob, daß der Wirt kein Jesuit, nicht einmal katholisch sei. Als Jakob das begriff, ließ auch der Wirt sich nieder, begann zu glauben, Jakob könnte wirklich bestohlen sein. Sie verständigten sich allmählich, indem beide schrecklich über die Jesuiten herfielen, die verfluchten Kerls. Diese Eintracht führte zum Mitleid, doch den Wirt nicht so weit, daß er dem Jakob in seiner Meinung beistimmte, daß die Geschichte ein Komplott der Jesuiten gegen ihn gewesen und der Quasikamerad einer ihrer Kundschafter, welche sie in der Nähe herum auf der Lauer liegen hätten, um die arglosen Wanderer in ihre Netze und Fallen zu locken. Schlecht genug dazu wären sie, sagte der Wirt, und er wolle nicht sagen, daß es nicht sein könnte, aber er hätte noch nie so was gemerkt, und müßten sich doch in acht nehmen, was sie machten. Auch laufe sonst viel Lumpenpack herum, und es dünke ihn, es sei gar keine Kameradschaft mehr. Wenn ein Kamerad den andern ausplündere, und der andere gehe und hänge sich, so sehe der erste nicht nebenum und sage: »Hätte er geluget, er ist selbst schuld.« Sei es aber, wie es wolle, einmal müsse immer das erste Mal sein, so sollten sie nicht die Freude haben, daß er da bleiben müsse, er sei dann noch imstande, zu machen, daß Jakob fortkomme. So redete in mancher Wechselrede der Wirt mit dem Jakob, schenkte ihm die Zeche, verhalf ihm zu einem bequemern Rock, der freilich auch nicht schön war, und einigen Batzen Geld.

So wanderte Jakob weiter beschwerten Gemüts, denn in diesem Aufzuge konnte er doch in Paris sich kaum sehen lassen, und fand er früher Arbeit und Verdienst, so nahm er sich vor, ihn nicht auszuschlagen, damit er Parnis würdig sich zustutzen könne. Er dachte einige Male an die Kathri, ob er ihr nicht schreiben, sein Malheur erzählen und sagen solle, daß sie ihm Geld schicke, er war überzeugt, sie täte es. Bloß die Furcht, sie sei imstande, ihm nachzukommen in eigener Person, um die Unterstützung zu bringen und nachzufragen, wie er ins Welschland gekommen, und ob denn hier durch der Weg nach Deutschland gehe, hielt ihn ab. Kamen seine Gedanken von der Kathri ab, so glitschten sie auf den Kameraden, und er ward nicht satt, zu grübeln, ob derselbe eigentlich ein Jesuit oder ein Kommunist gewesen oder beides in einer Person. Jakobs Grundsätze hatte derselbe vollständig losgehabt, wandte sie aufs Leben an, daß grundsätzlich kein Wörtchen dagegen zu sagen war, und doch fand Jakob die Anwendung in Beziehung auf sich schändlich. Daß man, wenn man keinen Glauben habe, mit dem Glauben machen könne, was man wolle, und diesen oder jenen Glauben heucheln, wenn es kommod sei, das begriff Jakob, aber daß man auch dem Kameraden die Hosen stehlen könne, wenn er die bessern habe und es eben kommod sei, das fand er verflucht. Wenn er es auch grundsätzlich zugeben mußte, so war er doch überzeugt, um so was tun zu können, müsse man Jesuit sein mit Haut und Haar. Er war also überzeugt, der Kerl war der Person nach ein wirklicher Jesuit gewesen. Dem Glauben nach hätte er Kommunist sein können, aber der Tat nach mußte er Jesuit sein; so meinte es Jakob. Nun aber war derselbe Kerl bekannt mit allen kommunistischen Persönlichkeiten, schien persönlich mit ihnen verkehrt zu haben; hatten also die Jesuiten ihre Spione unter den Kommunisten, ihre Wegelagerer und Kundschafter? Oder war es zwischen beiden wie zwischen zwei feindlichen Heeren, wo Deserteurs hin- und hergingen, bald auf dieser Seite kämpften, bald auf jener, je nach Laune oder Lohn?

So dachte der Jakob und hatte Zeit dazu, denn der Weg von Freiburg bis Vivis (Vevey) war grausam lang. Die Hauptstraße ging eigentlich direkt auf Lausanne, aber der Wirt, der nicht gerne den Schaden des armen Teufels alleine trug und gutmachte und doch ihm gerne zum Ersatz geholfen hätte, jedoch auf anderer Leute Kosten, welche Art von Barmherzigkeit noch viele Menschen mit ihm gemein haben, hatte diesen Weg ihm angeraten und auf Vivis eine Adresse ihm gegeben. Dort, hatte der Wirt gesagt, seien ganz kannibalisch freisinnig und liberale Leute, glaubten an kein Pfaffengewäsch, und wo sie hinkämen, deckten sie Pfaffen und Aristokraten ihre Lumpenstücke auf, man könne nicht satt sich hören. Die könnten reden, es dünke einem, man höre die Engel im Himmel singen. Da die Wirte auf die Sinnlichkeit spekulieren, die Pfarrer den Geist pflegen sollen, so sind die Pfarrer den Wirten allerdings sehr oft ein Dorn im Auge; die Weinreuter aber wissen wohl, welche Saiten sie anzuschlagen haben, die angenehm tönen, ihnen die Herzen der Wirte und Wirtinnen öffnen, bis ein Faß Wein oder zwei hineinmögen. Sie reisen halt auf der Sinnlichkeit, leben zumeist als derselben würdige Priester, und auf den Glauben halten sie so viel, als sich allfällig hier oder dort was darin machen läßt. Treffe er dort, wo der größte Weinhandel sei und viele Leute, welche weit herumkämen, die Rechten an, unterrichtete ihn der Wirt, so solle er ihnen erzählen, wie es ihm ergangen, doch nicht so geradezu sagen, die Jesuiten hätten es getan, denn zu weit von Vivis bis Freiburg sei es nicht, und er könnte in Ungelegenheiten kommen. Was dann diese aus dem, was er sage, machen wollten weiterhin, solle er ihnen überlassen, die wüßten mit den Sachen umzugehen wie ein Zuckerbäcker mit dem Teig. Allweg werde er dort Geld kriegen und vernehmen, wo er Arbeit kriege, vielleicht schon in Vivis, dort sei ungeheuer viel Geld, und groß gehe es her, nirgends so als in Paris. Wenn er dorthin käme, so gehe er nie zu Bette, er sei denn selben Tages dreimal betrunken gewesen. So hatte der Wirt gesprochen.

Während der Wanderung dachte Jakob viel an die zukünftige Herrlichkeit in Vivis, wo man nie zu Bette gehe, ohne dreimal besoffen gewesen zu sein und zwar notabene, ohne daß es was koste, wie der Wirt gesagt hatte. So ging es auf und nieder in Jakobs Kopf. Zu sinnen hatte er viel, er klagte aber darüber, daß das Sinnen weder Speise, Trank noch Wärme brächte. Endlich kam er nach Vevey oder Vivis, dem kleinen, das sich aber doch in die Brust wirft, als wäre es groß, akkurat wie ein kleiner Knirps, der aber Wein im Leibe hat, entweder brav guten oder noch halb so viel schlechten, was bekanntlich in Beziehung auf das Aufschwellen des Kopfes und das Wachsen des Glaubens über das Ich ungefähr von gleicher Wirkung ist. Unser Jakob nahm nicht viel Notiz von der großartigen Natur, konnte er sie weder beißen noch trinken. Er suchte das Haus, welches die Adresse ihm bezeichnete, fand dort Herberge, aber von der gehofften großartigen Teilnahme war keine Rede. Er hatte zwar Gelegenheit, viel zu erzählen, und er erzählte schrecklich, er kam nach und nach dahin, daß seine Erzählung dem Traume viel ähnlicher ward als der Wahrheit, daß ihm manchmal selbst die Haare zu Berge standen und es ihn dünkte, es sollte gar nicht möglich sein, daß er das alles hätte ausstehen können. Es hörten viele Menschen und nicht bloß Schiffer, Küfer und Handwerker, sondern Leute, vor denen der Wirt Respekt zeigte und hintendrein von jedem sagte, das sei ein ganzer Donner, vornehm, und meine es doch gut mit dem Volk. Wenn derselbe Pfaffen und Aristokraten in einem Tage fressen könnte, so würde er nicht zwei daran machen. Diese hörten ihm wohl zu und sagten » Bougre!« und » Tonnerre de Dieu!« schenkten ihm ein Glas Wein ein, verstiegen sich vielleicht zu einem halben Batzen, aber weiter entfaltete sich ihre Großherzigkeit nicht. Was sie aus dieser Geschichte machten, und wie sie dieselbe ausbeuteten, das wissen wir nicht, jedenfalls wird das möglichste geschehen sein, und je weiter vom Schauplatz derselben, desto stärker wird sie gezogen worden sein, desto grader und struppiger die Haare zu Berge gestellt haben.

Jakob wurde wild, daß seine Hoffnungen nicht erfüllt wurden, er wußte halt nicht, daß zwischen Gläubigen und Spekulanten ein großer Unterschied ist. Der Gläubige opfert, der Spekulant spekuliert, macht Geschäfte in den Artikeln, welche ziehn: Pfeffer, Baumwolle, Safran, Farbhölzern, Liberalität, Radikalismus, Kommunismus. Wer aber Geschäfte macht, sucht seine Artikel so wohlfeil als möglich zu beziehen, so teuer als möglich abzusetzen, voilà tout! Möglich auch, daß die Leute aus eigener Erfahrung geübt waren, Aufschneidereien zu begreifen, und dafür hielten, Jakob pfusche in ihr Handwerk und wolle mit seiner Geschichte nichts als schröpfen.

Am späten Abend kamen einige Kameraden, trösteten ihn wieder einigermaßen. Sie setzten ihn ins klare über den Stand der Dinge und ihre Hoffnungen. Es herrsche große Bewegung, sagten sie ihm, die Verbindungen seien stärker als je, und in Genf werde das Werk beginnen, alles sei auf das beste eingeleitet, man harre nur noch auf gelegene Zeit. Von Genf solle es sich einem Lauffeuer gleich verbreiten durch die ganze Schweiz, die Schweiz solle wieder das Bollwerk werden der wahren Freiheit, aber die dummen Schweizer werde man so wenig als möglich dazu brauchen, sie verständen es nicht, und wenn es an das Teilen ginge, so würden sie doch den besten Teil wollen. Sie seien selbst stark, wohl bei dreißigtausend brave Bursche nur alleine in der Schweiz, aus Frankreich her würden ganze Heere strömen, und hätten sie einmal die alten Aristokratennester besetzt, die alten, grauen Neffchateller- und Baslertaler an Licht und Luft gebracht, so würde Deutschland ihnen die Arme öffnen, der junge Tag der Freiheit komme herauf, und alle würden Brüder. Dann gings nach Rußland hinein, dort müsse aufgeräumt werden, sonst sei man nicht sicher, dort sei auch das goldene Land, man fände bereits Goldklumpen so groß wie Häuser und Edelsteine wie Mannshüte, er solle mal denken!

So nahe hatte Jakob das nicht geglaubt. Er wurde ganz frisch im Gemüte, vergaß den gestohlnen Rock, die vornehmen Handelsreuter und ließ sich erzählen, auf welche Weise man das neue Reich einzurichten gedenke, erzählte, wie ihm schon in Zürich eine der Oberstellen verheißen gewesen sei, wie er einstweilen, ehe es nach Rußland ginge, in Bern oder Basel residieren würde, dort sei was zu finden, und alte Rechnungen hätte er auszugleichen, möchte mal so einem alten Ratsherrn und Bürger zeigen, wozu ein Zopf gut sei, und was in einem Gesellen stecken könne. Es war ihm also ganz recht, daß er in Vivis keine Hoffnung zur Arbeit hatte, daß man ihn nach Lausanne wies, wo man ihm welche verschaffen wolle. War er dort doch um so näher bei der Hand, wenn es mal losging.


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