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Drittes Kapitel

Jakob kömmt nach Basel und kriegt Gift, aber nicht in den Leib

In Basel fand er Arbeit, aber der Mut, die Schweizer zu lehren, wie man arbeiten müsse, war ihm vergangen. Den Glauben, daß er es könnte, hatte er nicht abgelegt, aber er fühlte, daß er, Jakob, die Stadt Basel nicht wohl werde reformieren können, er fühlte das Ehrfurchtgebietende der großen Stadt. Freilich drückte er sich anders aus, er sagte, wo die Kerls so reich seien und in Kutschen führen wie Prinzen, da gelte ein armer Kerl, wie er sei, gar nichts, und wäre er hundertmal gescheuter als sie alle. Es gehe halt verflucht ungerecht zu in der Welt!

Wenn Basel nach der Zahl seiner Einwohner zu den kleinen Städten gehört, so trägt es doch das Gepräge einer großen, auf der europäischen Völkerwaage bedeutend ins Gewicht fallenden Stadt und macht auf alle Fremdlinge, welche zu seinen Toren aus- und eingehen, diesen Eindruck. Der mächtige, schöne Rhein trägt viel dazu bei, auch die für die verhältnismäßig kleine Einwohnerzahl große Ausdehnung der Stadt, indessen sind dies nur Nebendinge. Aber unwillkürlich wird, wer im Herzen der Stadt um die Brücke herum, oder wo von der Brücke weg die Straßen zusammenlaufen, steht, vom Gefühl ergriffen, er stehe an einer Pulsader Europas, an ihm vorbei rolle ein bewegend Etwas (Fluidum), dessen Anfang, dessen Ende er nicht kennt, dessen Bestandteile er bloß teilweis zu erforschen vermöge. Da läuft zusammen wie in einen Knoten und dann wieder auseinander in vieler Herren Länder, was reiset und handelt in Deutschland und Frankreich, in England und Italien; und in den großen, altaristokratischen Gebäuden zählt und sondert ein fester, nicht schwindelnder Sinn das flüchtige Geld, das leichte Papier und läßt es rollen durch die Adern der Welt, dessen reichliche Wiederkehr in die Herzkammer mit gleicher Sicherheit berechnend wie die Gelehrten das Kommen und Gehen der ausschweifungssüchtigen Kometen. Wer an der Ecke der Eisengasse steht, hineinsieht in die Bewegung, der wird von einem jämmerlichen Gefühle seiner Ohnmacht ergriffen; ohne an den Himmel zu sehen in die Schwingungen der himmlischen Welten, sieht er hier am Ende der Eisengasse so vieles, und das meiste begreift er nicht, weiß weder das Woher noch das Wohin, weder das Darum noch das Warum, er begreift nichts, als daß er ein arm Menschenkind ist, welches wenig fasset, und dessen wenige sich achten.

Während bei solchem Gefühl der Christ von Herzen demütig wird, Gott, der ihn erhält, den Bruder, der seiner sich annimmt, um so inniger liebt, so ward Jakob, ein Kind der Zeit, darüber um so bitterer, daß ihn, den Jakob, niemand nach Gebühr und Vermögen ästimierte, daß er stehen konnte an einer Ecke und kein Mensch sich nach ihm umsah. Jakob war noch immer ein guter Junge, aber in der Pein der ersten Gesellenmonate; im Staub der Straßen, auf denen er mühselig, vereinzelt wandern mußte, war seiner Seele ein Gift angeflogen, welches Anfliegen er aber ebenso wenig bemerkte, als man den Hauch inne wird, welcher die Ruhr, das Nervenfieber, die Blattern in unsern Körper absetzt. Er hatte Arbeit in einer großen Werkstätte, die Kost dagegen in einem Kosthause mit vielen andern Gesellen. Es war das erste Mal, daß er, wie man zu sagen pflegt, um Speise und Lohn arbeitete, der Meister nicht Hausvater und Erhalter war. Im Hausvater liegt eine ganz eigene Kraft und Macht, auf dem Hausvatertum ruht das Deutschtum und das Christentum, vom Hausvater aus geht die erziehende Kraft und die väterliche Liebe; er ist die sichtbare Vorsehung, nimmt Anteil an den Freuden und Leiden des Leibes, vermittelt der Jugend übersprudelnde Lust mit dem christlichen Fortschritt, kümmert sich um das Heil der Seelen und um die Ehre seines Hauses, welche vom Betragen aller abhängt. Das Auge des Meisters ist über dem Gesellen auch außerhalb der Werkstätte, der Geselle muß sich anständig am Tische betragen, muß beten vor dem Essen und wenn er gegessen; er erfährt es, daß sein Fortkommen nicht bloß von seinem Geschick im Handwerke abhängt, sondern ebensoviel von seinem christlichen Wesen und sittlichen Betragen, er wird freundlich ermahnt, wenn er gegen die Hausordnung sich verstößt, er wird fortgesandt trotz seiner Handwerksfertigkeit, wenn sein Betragen Ärgernis gibt. Er fühlt es, er ist nicht bloß eine Handwerksmaschine, sein Meister zieht nicht bloß Vorteil von ihm und nährt ihm den Leib, sein Meister gibt ihm etwas, welches mehr wert ist als Lohn und Arbeit, er gibt ihm den christlichen Halt im Leben, er ist ihm, was dem aus dem Baumgarten genommenen, ins Weite gepflanzten Bäumchen der Pfahl, an welchem dasselbe gebunden wird, damit es die Stürme überwinde und der eigenen Schwäche nicht erliege; das Gefühl wird ihm erhalten, er lerne auf der Wanderschaft mehr als nur das Handwerk, der Lohn sei nicht das Höchste, sei jedenfalls nicht zu messen an den sinnlichen Gelüsten, die sich steigern in dem Maße, je weniger die Seele taugt.

Die Handwerke steigerten sich zu Etablissements, das Fabrikartige, wo jeder Arbeiter nichts ist als der Zahn in einem großen Rade, ragte ins Handwerk hinüber, das christliche Band ward zerschnitten, das Benutzen ward die Hauptsache: der Meister benutzte den Gesellen, der Geselle den Meister. Welchem es am besten gelang, der war mit dem andern nicht bloß am besten zufrieden, sondern er machte aus der Weise, wie er es getrieben, dem andern gedient, ein Recht, dessen Fortbestand er auf jegliche Weise zu sichern suchte. Das, was man einmal hat, zu sichern und, glaubt man es gesichert, es zu mehren, ist den Menschen vom Schöpfer beigegebene Art, es kömmt dabei aber auf die Richtung des Erwerbs und die Weise des Sicherns an. Der Erwerb und der Genuß ward beidseitig die Hauptsache, es entstanden gleichsam zwei Mächte, welche um die Macht stritten, sich gegenseitig Boden abzugewinnen suchten, und die Materie wars, um welche sie sich stritten und immer heftiger, je mehr das geistige Element entwich.

Zu dieser Umgestaltung der handwerklichen Verhältnisse trug noch ein Zweites bedeutend bei. Je mehr die Stände sich sonderten, desto eiliger taten die Weiber, so weit hinauf als möglich in die Stände sich zu flüchten, akkurat wie die Mäuse, wenn das Wasser steigt und Gefahr des Ertrinkens ist; so schnell als möglich avancierte die Meisterin zur Madam, die Madam zur Dame usw. Wenns bloß bei den Titeln geblieben wäre, so hätte es sich gemacht, aber mit den Titeln änderten sich auch die Beschäftigungen. Die Töchter der Madam trieben feine Handarbeiten, und wer Aussicht zur Dame zu haben vermeinte, ließ auch die Arbeiten sein und trieb das Klavier oder Piano, daß die Dachziegel sturm wurden, hantierte auf der Gitarre, daß Ohrenschmerz epidemisch wurde, ja, zuweilen ward auch gezeichnet und zwar schön, so daß man einen Ochsen von einer italienischen Landschaft wirklich unterscheiden konnte, besonders wenn man die Brille aufsetzte. Begreiflich kostete es solchen Fräuleins oder Mesdemoiselles Mühe, eine Mehlsuppe von einem Reisbrei zu unterscheiden, wenn beide auf dem Tische standen. Zu wissen jedoch, wie die Mehlsuppe oder der Reisbrei entstand in der Küche, das mutete kein Christenmensch solch hochgebildeten Kulturpersonen zu.

Hatte nun ein Meister, das heißt der Vorstand eines Etablissements, das Glück, ein so hochgebildetes Frauenzimmer zur Gemahlin zu kriegen, so konnte er derselben nicht zumuten, die Frau Meisterin vorzustellen, ihren eleganten Haushalt mit Gesellen zu beflecken; er fand die Gesellen mit Geld ab, ließ sie ihre Wege gehen, ihre Speise suchen, wo es ihnen beliebte. Je eleganter und vornehmer der Meister und seine Gemahlin lebten, desto verschiedener war ihre Lebensweise von derjenigen ihrer Gesellen, desto mehr bildete sich bei diesen der grollende Gedanke aus, sie seien es, welche mit ihrem Schweiße dem Herrn ein so kostbares Leben verdienten, während sie kaum das Nötigste hätten, das Liebste entbehren müßten. Diesem Gedanken nimmt leider kein christlicher Sinn seine Schärfe; denn wenn Meister und Gesellen nicht mehr aus einer Schüssel essen, zu einem Gott zusammen beten, so ists, als ob der milde, vermittelnde Sinn, der sonst verband, das Ungleiche ausglich, entwichen sei.

Unser Jakob hatte noch alle seine Religion beisammen, aber auf das Verhältnis zu seinem Meister wandte er dieselbe halt nicht an. Sein Meister war ein stattlicher Mann, verstand das Handwerk, war selbst gewest, wie man zu sagen pflegt, hatte ein sogenanntes gutes Herz. Daneben war er rauh und barsch und oft nicht bei den Gesellen, dieweil er Ratsherr war in irgendeinem der verschiedenen Räte, welche Stadt und Republik Basel zu besitzen das Glück haben. Es war ein kurioses Gemisch von Verachtung und Respekt gegen den Meister in unseres Jakobs Seele. Von einer Republik, in welcher kein Fürst sei, nicht einmal Vornehme vom Adel, wo ganz gemeine Bürgersleute und gar noch dumme Bauern, welche er als Handwerker gründlich verachtete, regieren täten, konnte er sich keine rechte Vorstellung machen, er urteilte bloß, das Kind auf der Gasse könnte es begreifen, wie das schlecht gehen müßte, wo kein Fürst sei wie bei ihm zu Haus und keine Minister vom hohen Adel, welche alles kennen täten. Deswegen spottete er oft über den Meister, was der wohl für ein Ratsherr sein werde, und wie er die Sache kennen täte. Und doch hatte Jakob trotz seiner Reden unwillkürlich Respekt vor dem Meister. Derselbe war ein Mann, war reich, war Ratsherr, ging aufs Rathaus, und jeder Titel machte auf Jakob Eindruck. Das menschliche Gemüt ist halt ein seltsam Ding, und was ins Blut sich gesetzt hat gründlich, das bringt die ganze Welt und keine Theorie daraus fort.

Die Frau Meisterin dagegen haßte er, obgleich er in durchaus keine Berührung mit ihr kam, und wahrscheinlich eben deswegen. Sie stolziere einher, als wenn sie vom Adel wäre, und sei doch nur Frau Meisterin, sagte er, und akkurat nicht mehr als einer von ihnen, rede mit keinem, ja täte, als kenne sie keinen von ihnen. Wahrscheinlich kannte sie wirklich keinen; da die Gesellen in kein häuslich Verhältnis zu ihr kamen, so kümmerte sie sich durchaus nicht um sie, sie waren ihr eben nichts als Handwerksmaschinen, die keinen Wert für sie hatten als eben die Arbeit und den Gewinn, welchen dieselben dem Meister abwarfen.

So war Jakob also ganz frei und seine Person außerhalb der Arbeitsstunden durchaus keiner Aufsicht unterworfen. Aber eben diese Freiheit hat anfänglich für jeden etwas Unheimliches, und gerne vertrocknen in ihr die bessern Gefühle, die gemütlichen Empfindungen. Besonders wer eine Großmutter gehabt, an ihre vorsorgliche Teilnahme gewöhnt gewesen ist, dem wird es unheimlich, wenn er am Sonntag ein frisches Hemd anziehen will und keines ist gewaschen, oder wenn er eins gefunden und angezogen, kein Knöpflein am Hemdekragen findet, weil es die Wäscherin zerwaschen hat oder beim Plätten abgesprengt. Er steht nun da im gewaschenen Hemde, aber was hilft ihm das frische Hemd ohne Knopf am Kragen, und muß er jetzt am schönen Sonntage zu Hause bleiben, darf er nicht spazieren gehen? Nun hilft ihm wohl eine erfahrne und barmherzige Seele mit einer Stecknadel aus, woran er in seiner Einfalt nicht gedacht, oder er hat das Glück, einen kundigen Schneiderburschen in der Nähe zu haben, welcher den fehlenden Knopf durch neue zu ersetzen weiß. Doch ist das nur noch Nebensache. Aber wenn es ihn fröstelt über den ganzen Leib herauf, der Kopf ihm weh wird, als wäre er mit Blei ausgefüllt, oder als stecke eine ganze Kanonenkugel darin, und diese dränge sich an die Augen und wolle es erzwingen, durch diese engen Pässe hinaus ins Freie zu gelangen, und niemand sieht es ihm an, keine Großmutter, keine Meistersfrau fragt ihn: »Jakob, ist dir weh, wo fehlt es dir? Geh ins Bett und decke dich zu! Ich bringe dir Tee, und besserts nicht, so schick ich zum Arzt«, da wird ihm gerne weh ums Herz, dasselbe brennt ihm heißer als der brennende Kopf. »Ach, niemandem bin ich«, denkt er, »sterbe ich, oder lebe ich, niemand kümmert es, und legt man mich ins Grab, so vernehmen sies zu Hause nicht, und niemand weint um mich, und niemand weiß es, wie verlassen ich gestorben.«

Vielleicht sieht ein Nebengeselle, wie er fiebert, wie er schlottert, heißt ihn heim ins Kosthaus gehen. Dort achtet sich niemand seiner; wie er wankt die Treppe hinauf, bemerkt niemand, wenn auch viele ihn sehen, denn seiner achtet man sich nicht; der Fünffrankentaler Kostgeld, den er zahlt, der nur gilt was hier im Hause! Beim Essen fragt vielleicht der Nebengeselle, ob der Nassauer oder der Hanauer oder der Moldauer nach Hause gekommen, und wie es ihm ergehe. Dann weiß niemand was von ihm, und geht man hinauf in die Kammer, so findet man ihn vom Fieber geschüttelt, halb verschmachtet oder bewußtlos. Da war keine Großmutter, welche dem lieben Kinde nachsah, nachtrappte, nachtrug was sie ihm gut glaubte. Nun ist so ein Anfall oft vorübergehend, am andern Morgen ist alles wieder gut, am Leibe nämlich, aber in der Seele setzt sich denn doch, wenn nicht eine gewisse Bitterkeit, so doch das Gefühl fest, daß jeder für sich selbst zu sehen und zu sorgen habe, der Geist der Liebe weicht, der Kannibal der Selbstsucht setzt sich fest im auf sich selbst angewiesenen Menschen. An vielen Orten hat man Krankenkassen, es ist recht schön, aber Krankenkassen sind keine Menschen mit warmen Herzen, sie haben nur kaltes Geld, höchstens gewärmte Betten. Wird aber ein Mensch krank in der Fremde, so wird auch sein Herz krank, und für ein krankes Herz gibt es kein Heilmittel als ein warmes, teilnehmend Herz.

Wir wollen nicht sagen, daß es Jakob gar übel an Leib und Leben ging in Basel. Wenn ihn auch zuweilen Hemden und Knöpfe wild machten, und ein Fieberchen ihm die Zähne klappern ließ, so ging es doch nicht bis ans Leben, ja selten eigentlich an den Appetit, welcher zumeist recht munter blieb. Er trug bloß eine Krankheit davon, er erkältete sich das Herz, und das ist hundertmal ärger, als wenn man sich Füße, Kopf und über und über die ganze Haut erkältet. Unsere Erde wird alle Tage älter, und wie die Gelehrten sagen, kühlt sie sich immer mehr ab auf der Oberfläche, so daß es ganz sittig und manierlich auf ihr zugeht, während in frühern Zeiten auf ihr lauter Saus und Braus war und ein wilder, ausschweifender Jugendtaumel, daß ein vernünftiger, gesetzter Mensch kaum sicher war auf ihr. Aber ihr Herz bleibt heiß, glüht fort und fort in allerheißester Glut, und diese Glut des Herzens erhält die Erde, bewahrt ihre Fruchtbarkeit, bereitet uns das milde, liebe Wohnen auf der alten, guten Mutter. So soll es auch beim Menschen sein. Das Haar wird grau, steif werden die Beine, langsamer bewegen sich die Glieder, langsamer rollt das Blut durch die Adern, aber warm soll das Herz bleiben, feurig in der Liebe, und schöner ist wohl nichts auf Erden als ein grau Haupt über einem warmer Liebe vollem Herzen. Aber bös wirds, wo das Herz erkaltet, während die Sinne glühen; wie schön auch die Locken um das Haupt flattern mögen, wüst wird doch das Tun, ein bös Leben gestaltet sich, und ein gräßlich, kalt Grab wartet am Ende dem schon hier erkalteten Herzen.

Dieses Verlassensein oder diese Freiheit, man kann es ja nennen, wie man will, trug Jakob den Baslern sehr stark nach, denn jetzt, von der Großmutter weg, empfand er diese sogenannte Emanzipation schmerzlich, ohne daß er eigentlich wußte, wo ihn der Schuh drückte. Verflucht hoch trügen es diese Bosler, meinte er, und wären nicht einmal Adliche, hätten keinen Fürsten, während doch bei ihnen der dümmste Bauer einen hätte. Daneben behagte es ihm in Basel, der Verdienst war gut, das Essen auch, die Arbeit nicht übermäßig. An einem Orte mußte er doch bleiben, durch die »Welt läuft niemand, ohne die Sohlen der Stiefel abzulaufen, als der ewige Jude. Von hier aus wollte er dann über Geneff (Genf) nach Parnis, wie er sagte. Freilich rühmte er weder Speise noch Trank, wie es überhaupt heutzutage Mode ist, über alles zu klagen und allenthalben unglücklich zu sein von wegen dem verfluchten Ding, das allenthalben und zu jeder Zeit war, und dem man doch eigentlich keinen bestimmten Namen geben konnte: hier ists die verfluchte Arbeit, dort die verfluchte Speise, dort der verfluchte Wein, dort die Verfassung, dort der Mangel an Verfassung, dort die Jesuiten, dort die Pfaffen überhaupt, am Ende eigentlich der Herrgott selbst, der nicht jedem Schlingel ein Kissen unter die Füße schiebt und eine Zigarre ins Maul steckt. So schimpfte unser Jakob zum Beispiel gar mörderlich über den Wein, rühmte, wie sie zu Hause Bier hätten, daß ein Glas desselben stärker sei als ein Eimer Wein, wie daheim überhaupt ein ganz ander Leben sei; die Gänse seien bei ihnen so groß wie hier die ausgewachsenen Mädchen, und zu einem Pfannkuchen brauche man eine ganze Speckseite.

Er schrieb von hier aus seiner Großmutter zum ersten Male. Es gehört zum Handwerksgebrauch, nicht zu oft zu schreiben, ja die Seinigen oft jahrelang ohne Nachricht zu lassen, um hinterdrein sie desto schöner zu überraschen. Manchmal hat man auch nicht viel Gutes zu melden, manchmal macht man sich mit dieser Unabhängigkeit groß, und manchmal hat ein erkaltet Herz die bedeutendste Schuld. Auch hatte die Großmutter oft erzählt, wie lange der eine oder der andere der Väter nicht geschrieben, und wie unerwartet ein jeder wieder vors Haus gerückt. Sie hatte ihm gesagt, er solle ihr einmal schreiben, wie es ihm ergehe, aber daß es zu oft geschehe, verlange sie nicht, man müsse unserm Herrgott etwas anvertrauen dürfen, derselbe sei ja so gut in der Fremde als hier zu Hause Herr und Meister. Er schrieb:

Liebe Großmutter!

Hier bin ich in der Schweiz, in einer Stadt, welche man Basel heißt. Unglück ist mir keines passiert bis hieher, aber auch nicht viel Glück. Die Heerstraßen waren gar lang, und wenn man schon einen ganzen Tag darauf fortlief, so fand man doch keiner ein Ende. Arbeit habe ich gehabt, aber da das Handwerk ganz schlecht getrieben wird, so war nichts für mich zu lernen, und ich ging alleweil weiter, bis ich hieher kam. Hier ist Arbeit genug, aber der Meister könnte noch viel von mir lernen, wenn er nicht zu stolz wäre, dieweil er Ratsherr ist und alle Wochen aufs Rathaus geht; ich bin aber auch stolz gegen ihn und sage ihm nichts, was ich besser weiß als er, und treffe ich ihn Sonntags auf der Straße an, so ziehe ich ihm die Kappe nur ganz wenig ab, was ihn ganz verflucht wild macht. Der Wochenlohn »wird alle acht Tage ausbezahlt, es kriegen viele mehr als ich, darum bin ich nicht so dumm, so viel und so gut zu arbeiten, als ich könnte, dem Meister täte ichs nicht zu Gefallen. Zu essen kriegt man genug, aber schlecht, bei uns ist alles viel besser, und der Wein ist auch schlecht, er ist so sauer als bei uns der Essig, aber ich trinke ihn doch, weil die andern ihn auch trinken.

Ich bin noch nie krank gewesen, das hat alle gewundert, in der ganzen Stadt hat man davon gesprochen, daß ich noch nicht krank geworden, alldieweil es sonst alle werden. Aber meine Kleider gehen kaputt, die neuen Stiefel muß ich vorschuhen lassen, und der schöne Rock ist auch schon genickt, was ein großes Geld kostete. Eine Krawatte habe ich gekauft, kostete mich einen Gulden, und das Waschen ist auch sehr teuer, und habe noch zwei Kameraden Geld leihen müssen, hätten mich sonst angesehen für einen schlechten Kerl. Darauf sind sie nach Parnis gegangen und wollen mir es wiedergeben, wenn wir dort einander finden im Deutschen Bären, wie sie mir die Adreß gegeben. Aber jetzunder, liebe Großmutter, habe ich fast kein Geld mehr und sollte mir neue Hosen machen lassen, und es wäre auch viel an der Wäsche zu flicken. Am Sonntag geht man in Basel in die Kirche, da kostet es allemal ein frisch gewaschen Hemde, anders darf man nicht gehen. Es wird Gottes Wort gepredigt fast wie bei uns, aber begreiflich baslerisch. Wer im Kopf nicht dumm ist und schon in der Welt herumgekommen, der versteht es recht gut. Aber die Adresse, wie sie unten steht, mache Sie nur deutsch, es verstehn Deutsch fast alle Leute, aber sprechen tun es nicht alle, und wer nicht baslerisch kann, der versteht sie gar nicht. Wenn Sie mir was schicken will, liebe Großmutter, so tue Sie es bald, sonst könnte es mich nicht mehr antreffen, denn hier bleibe ich nicht mehr lange. Es ist gar langweilig hier für einen Handwerksburschen, zu sehen kriegt man nichts, und was tun und treiben darf man auch nicht, sonst nehmen sie einen gleich beim Kopf, und dann heißts: »Marsch, zur Stadt hinaus!« Habs zwar noch nicht erfahren, hab auch nicht Lust, den Ratsherrn noch reicher machen zu helfen, der ist schon viel zu reich, und wunder tut es mich nehmen, was sie in Parnis sagen werden, wenn ich mal hineinkomme. Jetzunder lebe Sie wohl, liebe Großmutter, und vergesse Sie mich nicht, und den Meister und die Frau Meisterin lasse ich grüßen, auch den Gottfried, wenn der noch dort ist.

Ihr getreuer Großsohn
Jakob.

Es war Jakob in Basel ergangen wie daheim, seine Schwäche ward den Kameraden alsobald offenbar und alsobald auch von ihnen benutzt. Gar feinen Sinn haben die Menschen für die Schwäche des Nächsten; wenn der Sinn in allem so fein wäre, so wären wir sehr feine Menschen. Schon das halbjährige Kind kennt die Schwäche des Vaters oder der Mutter und weiß sie zu benutzen. Er war nicht klug genug gewesen, seinen kleinen Schatz gehörig zu verbergen. Sobald seine Kameraden Geld gewittert, hatten ihre armen Seelen keine Ruhe, bis sie dem Jakob davongeholfen. So viel möglich liehen sie ihm ab, den Rest mußte er vertun, mußte den Großen spielen, gastfrei die andern halten. Bald rühmten sie seine Freigebigkeit, bald schalten sie seine Knauserei und zapften ihm auf beide Weisen sein Geldlein ordentlich ab. Damit der Verlust desselben ihn nicht schmerzte, brachten sie ihm nach der Sitte der Zeit, welche die schlechteste Praxis durch spitzfindige Theorie zu begründen und zu rechtfertigen sucht, den Glauben bei, ein rechter Handwerksgeselle müsse kein Geld haben, und sei er nicht imstande, am Sonntag seinen Wochenlohn zu vertun, so müsse er am Montag blau machen, um den Rest durchzujagen. Zugleich gingen sie ihm mit gutem Beispiele voran; wie sie lehrten, so trieben sie es auch, und es war wirklich, als ob sie eine Ehre darin suchten, ihr Lebtag nie mehr zu einem ganzen Hemde zu kommen. Was dann das für ein mühsam, verdrießlich Arbeiten war am Dienstage mit beträchtlichem Katzenjammer an Leib und Seele, Blei in den Gliedern, Schlaf in den Augen, Weh im Kopf, das Bewußtsein in der Seele: »So und so viel hast du vertan und mußt jetzt so und so lang wieder schaffen, bis du es wieder eingebracht!« An solchen schwermütigen Dienstagen, wenn die Arbeit so eine rechte Pein war und nicht von der Hand gehen wollte, setzt sich die Unzufriedenheit so recht in die Seele, und das Grollen gegen Gott und Menschen wird immer lauter und giftiger. Warum ist man verdammt zur harten Pein der Arbeit, während Herren und Damen in schönen Karossen durch die Straßen rollen, behaglich in weiche Kissen gelehnt, behaglich der Kutscher auf dem Bocke mit fettem Gesichte und gelben Handschuhen an den dicken Händen?

Es gibt allenthalben und in jedem Handwerk ältere, gelb angelaufene Gesellen mit düstern Augen und noch düstererm Gemüte. Die besten Jahre liegen hinter ihnen, unter ihnen liegen begraben ihre Hoffnungen; sie wissen es, sie werden nimmer Meister, sie leben für nichts mehr, als um ihr Leben zu fristen, sie arbeiten zu keinem andern Zwecke, als um was zu haben zum Verzehren. Sie haben gewöhnlich eine gewisse Handwerksfertigkeit, Bestimmtheit und Sicherheit im Betragen, welche sehr oft selbst im Rausche sie nicht verläßt. Diese grollen der Welt, denn in der Welt haben sie nichts davongebracht als einen finstern Sinn, der düster auf dem Grabe ihrer Hoffnungen steht, als eine oder zwei schlimme Gewohnheiten, welche an einem Grabe für ihren morscher werdenden Leib graben tagtäglich. Die Schuld ihres Zustandes suchen sie nicht in sich, in den eigenen Abweichungen; christlichen Sinn, der nach dem Balken im eigenen Auge sucht, haben sie längst keinen mehr, ja, sie haben gar keinen Gott mehr, sie haben nichts als den feindseligen Geist, der Feind ist allem außer ihm selbst, der am Verderben und Zerstören seine Lust und seine Freude hat. Diese Menschen sind niemands Freund, aber am gefährlichsten denn doch ihren jungen Handwerksgenossen; sie wären auch die gefährlichsten Feinde jeder bestehenden Ordnung, wenn nicht ein gewisses Phlegma sich ihrer bemächtigt hätte, sie hetzen wohl, aber das Gefährliche meiden die meisten von ihnen. So elend ihr Leben ist, so lieb sind ihnen ihre schlechten Gewohnheiten. Junge Wandergesellen sind ihnen aber, was den Spinnen die Fliegen sind, welche sich fangen in ihren Netzen.

Solch verwitterte, gelb gerunzelte Gesichter, manchmal auch bärtig, mit den scharfen Blicken, den kurzen Worten, den sichern Bewegungen im Handwerke machen allweg Eindruck auf die junge Mannschaft, es ist fast der Eindruck, welchen Napoleons alte Garde auf die Rekruten machte, mit dem Unterschiede jedoch, daß die alten Gardisten sich geschämt hätten, die jungen Rekruten auszubeuten, wie viele alte Gesellen die jungen ausbeuten. Wie aber auch die alte Garde sich betrachtete als den Mittelpunkt der Welt, welchem Gott zum Frühstück und Imbiß Königreiche, zu den Hauptmahlzeiten aber Kaisertümer beschieden hatte, so meinen es diese Gesellen auch; dieweilen es aber nicht so ist, so sind sie unzufrieden und hetzen und verbittern junge Gemüter, so viel in ihrem Vermögen ist.

Dies gelingt ihnen nie besser als an unglücklichen Diensttagen, wenn es wüst ist im Kopf und öde im Sack. Da wird es ihnen leicht, die Welt als nichts nutz darzustellen und die Arbeit als einen Fluch, der auf ihnen liege, den sie abzuschütteln, auf andere Achseln zu rütteln hätten. Daß Gott die Arbeit dem Menschen verordnet hat als Heilmittel seiner sündigen Natur, als Schleifstein seiner Kräfte, den Segen in der Arbeit erkennen diese Menschen nicht mehr, dieweil sie Gott nicht mehr erkennen und an eine sündige Natur, welche der Heilung bedarf, nicht mehr glauben. Sie sind die Gesunden im Geiste, die arm sind fürs Fleisch und einen Messias möchten für das Fleisch, einen, der die Arbeit abschaffete und Wein und Fleisch und sonstige Dinge, nach was den Menschen gelüstet, gratis herbeischaffte. Diesen Messias für das Fleisch, welcher nie kommen wird, welchen dennoch die Juden noch dato erwarten vom Himmel, den erwarten unsere Gesellen aber nicht vom Himmel, von dem wissen sie wenig mehr, sie erwarten ihn nicht in einer Person, sie wollen ihn selbst fabrizieren in einer Form, und diese Form heißt Revolution, Revolution, nicht bloß eine politische, sondern eine totale; sie wollen abschaffen die zehn Gebote, und was auf ihnen beruht, und wollen die fünf Sinne, die fünf Könige, die mit Sodom hielten, zur Herrschaft erheben. Sie predigen diesen fleischlichen Messias am eifrigsten bei zerknirschtem Fleische, das heißt am Dienstagabend bei leerem Sack, müden Gliedern und wüstem Kopfe, wo sie nichts im Glase haben, aber viel Zorn in der Seele, und zwar nicht Zorn gegen den, welcher den Kopf wüst, den Sack leer gemacht, den Zorn gegen sich selbst, sondern den Zorn gegen alle, welche was im Glase haben und doch nicht wüst im Kopfe sind. Wie andächtig da die armen, durstigen Schlucker, die eben nichts zu schlucken haben als diese giftigen Worte, diese ungottseligen Predigten anhören, kann sich niemand denken, als wer die katzenjämmerlichen Gesichter bei den katzenjämmerlichen Dienstagspredigten selbst gesehen hat.

So wird der heitere Jugendsinn ganz verzehrt, an nichts, was Gott erschaffen oder die Menschen geschaffen in irgendeiner Kunst, hat man Freude, die ganze Welt gefällt einem ja nicht, also auch das einzelne nicht, durch das Schönste wird man geärgert, weil es ein anderer besitzt, einem andern Freude macht. Es wird verzehrt der Sinn für die Arbeit, der Trieb, sich auszubilden, durch die eigene Kunst seine eigenen Verhältnisse umzugestalten, zu Ehre und Ansehen zu gelangen. Man schafft, um wieder Geld zu kriegen zu einem wilden Tag und darauf folgenden Katzenjammer. So ist allerdings das Leben ein jämmerliches und allenthalben Krieg in den Gemütern, wenn auch die Waffen der Fürsten ruhn, und Krieg ist darum in den Gemütern, weil man den Frieden Gottes daraus verjagt, des Fleisches Lust, den tierischen Sinn auf den Thron gehoben hat. Nun ist im Tierreich ein ununterbrochener Vertilgungskrieg. Es beißt der tierische Sinn in die Ketten und Gitter, in welche er in christlichen Staaten gebannt ist, rasselt schrecklich, und schrecklich gehts, wenn es dem Tier gelingen sollte, aus seinem Zwinger zu brechen. Das ist der Sklave, vor dem man erzittern muß, wenn er seine Kette bricht.

Die Großmutter eilte mit der Antwort nicht; sie war nicht der Meinung, daß man einem jungen Burschen auf den ersten Wink alsbald zu Diensten stehen solle. Endlich schrieb sie ihm also:

Lieber Jakob!

Daß du gesund nach Basel gekommen, das hat mich wohl gefreut, und noch mehr hätte es mich gefreut, wenn du nicht gleich um Geld geschrieben hättest. Nun muß ich denken, wenn das Geld nicht gewesen wäre, die Großmutter hättest du noch lange mit Briefen in Ruhe gelassen. Ich und dein Meister haben schrecklich gelacht, daß du noch immer der gleiche dumme Junge bist. Darauf habe ich sehr weinen müssen, als ich nachgedacht, wie erschrecklich es dir bei deiner Dummheit ergehen könne.

Nach Parnis kömmst du nie, denke daran, ich habe es gesagt; und kämest du dahin, so müßtest du gute Augen haben, wenn du den Deutschen Bären finden wolltest, dummer Junge, der du bist! Wie du von deinem Meister schreibst, gefällt mir ganz und gar nicht, so schreiben nur nichtsnutzige Gesellen, ein ehrlicher Bursche ehrt den Meister, er will auch Meister werden und geehrt von den Gesellen. Als ich es las, hätte ich auch fast weinen müssen, darauf dachte ich, du seiest ein dummer Junge, und deine Meinung sei es nicht, du habest es dir nur so angeben lassen. Lassest du dies aber nicht bleiben, so gehst du mit Haut und Haar zugrunde. Ist der Meister reich und vornehm, so soll das dich freuen, du dummer Junge, es ist ja auch eine Ehre für dich, bei einem solchen Meister zu arbeiten. Du kannst an ihm alle Tage sehen, was aus einem Meister werden kann, wenn er das Handwerk versteht und ein rechter Mann ist. Mit deiner Kleidung mußt du liederlich umgegangen sein oder hast mir was vorgelogen; laß dir das ein- für allemal gesagt sein, du kömmst an die Unrechte! Ein Geselle wie du, der gesund ist und Arbeit hat, der soll nicht um Geld nach Hause schreiben, hast du doch bei zwanzig Gulden von Haus getragen. Du mußt anders tun, sonst kommts nicht gut, ich sage es dir noch einmal. Das hat mich gefreut, daß du noch in die Kirche gehst, das Beten vergiß auch nicht; solange dich Gott nicht verläßt, können dich deine dummen Streiche, wenn auch ums Leben, doch nicht um die Seele bringen. Doch nimm dich in acht auch fürs Leben, in der Schweiz soll es hergehen wie beim Turmbau zu Babel und dazu niemand seines Lebens sicher sein. Wäre es nicht besser, du gingest nach Holland, dort ist der Lohn gut und das Essen auch. Dein alter Meister und die Frau Meisterin lassen dich grüßen, sie haben sehr gelacht über deine Dummheit. Von wegen der Dummheit fällts mir ein, daß ich unsere alte Kuh habe verkaufen müssen, sie konnte nicht mehr fressen und wollte keine Milch mehr geben, jetzt habe ich eine junge, die kann fressen, daß mir die Haare zu Berge stehn, aber Milch gibt sie noch weniger als die alte, ich wollte, ich hätte diese noch.

Deinen Meister lasse ich grüßen und die Frau Meisterin auch, sollen nur ein scharf Auge auf dich haben, unser Herrgott werde es ihnen vergelten, ich kanns nicht. Wäre es näher, so würde ich ihnen eine Gans schicken, war ein ganz besonder gut Jahr für die Gänse, und unsere Frau Amtmännin hat Zwillinge gekriegt, sollen ihr und dem Herrn Amtmann wie aus den Augen geschnitten sein. Nun lebe wohl, lieber Junge, denke daran, daß drei deiner Väter ehrlich heimgekommen und ehrliche Meister geworden sind! Du weißt, ich gehe zumeist gleich nach neun Uhr zu Bette, und Schlag fünfe stehe ich auf, beidemal bete ich und auch für dich; bete zu gleicher Zeit und auch für mich, dann kömmt beides zugleich vor des Herrn Ohr, es wird von Basel und von hier gleich weit sein dazu. Gott behüte dich, und bleibe kein Esel!

Deine alte Großmutter

Nachschrift. Im Brief sind zehn Gulden, aber mach mir nicht die Schande und schreib alleweil um Geld, daß alle Leute sagen, der dumme Junge käme nicht zehn Stunden weit, wenn ihm die Alte nicht alleweil Geld schicken täte!

Jakob hatte es gemacht, wie so viele es machen, er hatte seinen Kameraden vorgeflunkert, was er zu Hause wäre, und wie er zu Hause säße. Als Deutscher konnte er nicht sagen, daß er dem Fürsten in gerader Linie verwandt sei, nicht bloß hätte es ihm kein Deutscher geglaubt, sondern es fiel ihm wirklich auch nicht ein. Aber dem Schulzen war er nahe verwandt, seine Großmutter war Base von des Schulzen Frauen Großvater, und wenn der Amtmann ins Dorf komme, so habe er sich schon manchmal vor ihr Haus gesetzt und einmal sogar einen guten Schluck Steinkorn mit Kümmel bei der Großmutter getrunken. Seine Großmutter sei erbärmlich reich, flunkerte er weiter, sie besäße einen großen Bauernhof und hätte noch Aktien auf Eisenbahnen. So ein dummer Bauer habe er aber nicht werden mögen, ein reich Mädchen, das ebenfalls des Schulzen Base gewesen, nicht heiraten wollen, wie seine Großmutter es im Kopfe gehabt. Darum sei er zu großem Verdruß der Alten in die Fremde gegangen; wenn die vernehme, wo er sei, so lasse die anspannen und schicke einen Knecht mit einem ganzen Fuder Taler und Schinken, komme vielleicht gar selbst angefahren und bringe ihm einen großen Beutel Geld oder ein Buch voll Banknoten von der Eisenbahn und werde ihn heimholen wollen. Als er lange keine Antwort erhielt, hatte er mit allerlei Ausreden geholfen und namentlich damit, es wäre möglich, daß die Großmutter selbst komme oder jemand sende. Als endlich der Brief mit den zehn Gulden kam, da ward er erst schrecklich böse und ließ vor seinen Kameraden zornige Worte über die Großmutter fahren; hintendrein kam ihm in Sinn, was er in Basel über die Großmutter sage, falle auf ihn selbst zurück, er erfand allerlei Ausreden und Entschuldigungen, warum die Großmutter ihm nicht mehr Geld gesandt habe. Bald waren ihre Scheuern verbrannt, bald war ihr die Ernte verhagelt worden, bald hatte sie sehr wohlfeile Aktien eingekauft um all ihr bar Geld. Jakob erfuhr es, wie schwer es hält, eine Lüge als Wahrheit behaupten, Aufschneidereien glaubwürdig machen zu wollen. Je mehr er an seinen Erzählungen besserte, desto mehr verriet er die Unwahrheit, desto mehr wurde er von seinen Kameraden aufgezogen und ausgelacht; und je mehr er ausgelacht wurde, desto größere Anstrengungen machte er, sich wieder in Respekt und Ansehen zu setzen. Mit diesen Anstrengungen geht es aber zumeist wie mit den Anstrengungen, Lüge in Wahrheit zu verwandeln. Respekt und Ansehen müssen von selbst kommen, sie sind der Eindruck, den unsere Person auf andere macht. Nun macht es auf rechte Leute immer schlechten Eindruck, wenn einer mehr scheinen, mehr gelten will, als er von Natur im Werte steht. Freilich gibt es Leute, denen der Sinn für Wahrheit abgeht, welche die Lüge lieber glauben als Wahrheit und vor Lügnern und Aufschneidern größere Achtung haben als vor einfachen, wahrhaften Menschen, und wären es Propheten und Apostel Gottes; das sind aber eben die Menschen, welche nicht aus der Wahrheit sind.

Das weite Basel wird am Sonntag den Menschen oft zu enge und namentlich auch den Gesellen von allen Sorten; es zieht sie ins Freie. Doch ist es mehr Instinkt und Sitte, welches sie aus den engen Mauern zieht, als der Sinn für das Schöne, welches außerhalb den Steinen dem Wanderer entgegentritt. Es gibt allerdings Wanderbursche, welche Augen haben, Gottes Herrlichkeit zu schauen, und Herzen, sie zu empfinden. Doch die Mehrzahl bilden sie nicht, von ihnen reden wir auch hier nicht. Die, von denen wir reden, bewunderten den herrlichen Rhein nicht, sie sagten höchstens, es sei verflucht viel Wasser drin, sie wollten, der Bürgermeister von Basel müßte ihn alle Sonntage aussaufen, dann wollten sie fischen gehn, so kriegten sie alle Montage, wenn sie blau machen täten, gebackene Fische. Dann entspannen sich wohl bedeutende Streitigkeiten, indem jeder zu Hause die besten Fische haben und die beste Manier wissen wollte, sie zuzubereiten. Ja, wenn es geschah, daß solche, welche an der zornigen Donau wohnten, und andere von der breiten Elbe her und andere vom schönen Strande des schönen Rheines zusammentrafen, und sie hatten eben Geld genug, um ihren Streit sattsam mit Wein zu begießen -- ungefähr wie man Kalk mit Wasser begießt, um ihn zu sieden und abzubrennen -- so ward der Streit auch so heiß, als gings ums Vaterland, und gings doch nur um gebratene oder gesottene Fische, das heißt, auf welche Weise sie delikater seien, und er kühlte sich bloß im Blute einiger Köpfe ab. Vom schönen Lande sahen sie nichts, höchstens die Weinberge und vielleicht auch die Rübenacker. Über die Rüben war man gewöhnlich einstimmig, nannte sie ein verflucht Kraut, und unter ihnen lief eine Erzählung um, wie es eigentlich Hagelsteine gewesen, groß wie kleine Kürbisse, mit welchen der Herrgott die dummen Schweizer habe erschlagen wollen, weil sie ihm doch gar zu dumm geschienen. Das habe ein schlauer Pfaff vernommen, und alsbald habe er alle Tage dreimal das Vaterunser gebetet, worauf Gott nicht hätte können hageln lassen. Darauf sei Gott zornig geworden, hätte Schwänze an die Hagelsteine gemacht und sie über Nacht in die Äcker fallen lassen und hätte gesagt, wenn er die Schweizer nicht verhageln solle, so wolle er den Hagel doch nicht umsonst gemacht haben, wolle ihnen denselben zur Speise geben, bis sie weise würden und erkennen, was besser sei, sich verhageln lassen oder Rüben essen. Aber zu dieser Erkenntnis seien die dummen Schweizer bis zu der Stunde nicht gekommen und täten Rüben fressen wies Vieh.

Des Weines wegen gab es Streit wie bei den Fischen. Darin war man einig, daß der hiesige Wein kein Wein sei für Menschen, sondern bloß für die Hunde, und daß es eine heillose Ungerechtigkeit sei, daß sie ihn trinken müßten, weil sie einmal trinken wollten und nicht bessern zu bezahlen vermöchten. Wenn sie dann aber von dem zu Haus zu reden begannen, dann begann auch der Krieg, wenn auch nicht um eine Idee, so doch um die Meinung, welche jeder von dem Weine zu Hause hatte, und Hitze und Dauer des Krieges hing wiederum nicht von der Würde des Gegenstandes ab, sondern von dem Quantum Öl, welches ins Feuer gegossen wurde. Ja, wenn sie auch nach St. Jakob kamen, so gedachten sie nicht des vergossenen Heldenblutes und der Helden, welche da unten ruhten, sondern schimpften bloß über das saure, dünne Schweizerblut, welches noch dazu so hundemäßig teuer sei. Bei St. Jakob, eine halbe Stunde von Basel, schlugen sich nämlich im Jahr 1444 fünfzehnhundert Schweizer mit einem Heere von dreißigtausend Mann, angeführt vom Kronprinzen von Frankreich. Zweimal siegten die Schweizer; als sie aber den Feind über die Birs, welche steile Ufer hat, tollkühn verfolgten, wurden sie getrennt durch grobes Geschütz und schwere Reiterei. Bis an dreizehn fielen alle, starben als Helden, achttausend Feinde lagen rundum erschlagen. An den Hügeln, welche wie Kränze um ihre Gräber liegen, wächst ein leichter Rotwein, allbekannt unter dem Namen Schweizerblut. Dieses Schweizerblut tranken sie, schimpften darüber, aber woher der Name komme, das wußte selten einer, darum kümmerten die meisten sich nicht.

An einem Sommersonntagnachmittag hatten viele ihre Sonntagsstiefeln angezogen, waren zur Stadt hinausgewandert dem Birsfelde zu. Dort vernahmen sie, daß viele nach Muttenz gewandert, wo großer Tanz sei und allerlei sonst. Nachdem sie den Staub etwas hinuntergewaschen, stürzten sie sich aufs neue in den Staub und steuerten Muttenz zu, welches lieblich liegt am Auslauf des Jura und ein großes, reiches Dorf ist in Baselland. Dort war allerdings Musik und Tanz, viele Leute füllten die Gassen, und voll waren die Wirtshäuser, die großen Tanzsäle zitterten von Jubel und Stampfen der Tanzenden, vom Wehgeschrei der Klarinetten, das markdurchschneidend durch Fugen und Fenster drang. Wie ehedem, wenn Napoleons alte Garde in der Schlacht erschien, jeder Gardist von dem Bewußtsein getragen ward, aller Augen ruhen auf ihnen, und bei Freund und Feind werde es heißen: »Sie kömmt, sie kömmt, die alte Garde!« fast so zogen unsere Freunde in Muttenz ein, im langsamen Schritt und mit Bedacht, daß lange man nicht wußte, wollten sie in den »Schlüssel« sich setzen oder in die »Sonne«. Kaum so lange zögerten die alten, wilden Eidgenossen am Rande der Birs, ehe sie die steilen Wände hinab sich stürzten auf den zwanzigfach überlegenen Feind. Freilich wußten unsere Bursche auch, daß sie nicht unter lauter Freunden sich befanden, daß blutige Köpfe in Muttenz nicht selten sind, dieweilen die Bewohner kein geduldig Völklein sind, welche willig und zahm sich von Fremden in Schatten stellen, in die Winkel drängen lassen. Es ist klassisch kriegerischer Boden um Muttenz, denn wie gegen Osten St. Jakob liegt, so ist gegen Westen Dornach, wo an heißem Sommertage bei Schlaf und Bad die Östreicher von den Eidgenossen überfallen wurden, bei großer Überzahl sich derselben jedoch erwehret hätten, hätte ein eidgenössischer Zuzug sie nicht erschreckt und in wilde Flucht getrieben, auf welcher manch österreichischer Reiter durch die Gassen von Muttenz gesprengt, manch anderer auf den weiten Feldern begraben sein mag neben den wilden Franzosen, welche ein halb Jahrhundert früher auf wilder Flucht von Pratteln her über Muttenz über die Birs bis St. Jakob geflohen waren. Die Schatten der wilden Reiter sieht man nicht umgehen in dunkler Nacht, aber an hellen Tagen, wann heiß die Sonne brennt, Staubwolken wirbeln durch die Luft, da hört man noch oft durch Muttenz' lange Gassen ein wild Geschrei, Schlachtgetöse, doch donnern nicht Kanonen, sprengen nicht Reiter, aber wild steigt Geschrei und Staub gen Himmel, und hier und da sieht man einen laufen gegen Pratteln oder der Stadt zu. Wer sich näher wagte, würde sehen, wie wilde Gesellen kriegerischer Baslerlandschaftler sich die blauen Jacken ausklopfen, im Staube sich wälzen, im Kleinen wiederholen, was die Alten im Großen getan.

Unser Jakob war in heidenmäßiger Laune, er hatte das beste Hemd an, rauchte Zigarren und fühlte zwei Guldenstücke von der Großmutter Geld in der Tasche, brannte am ganzen Leibe, anzubeißen mit der ganzen Welt, damit die Welt erfahre, welch Kerl der Jakob sei. Bei solchen Anlagen ist in der Welt wohl nichts leichter, als Streit zu kriegen, absonderlich in Muttenz -- eine baslerische Helena ward der unschuldige Zankapfel. Jakob wollte den Paris spielen, sie ihrem inländischen Liebhaber verlocken; die Schöne tat zweideutig, dachte wahrscheinlich, wenn sie heute dem Gesellen sein Geld vertanzen und vertrinken helfe, so schade das ihrem inländischen Schatze nicht nur nichts, sondern er habe auch Nutzen davon, nämlich am Montag noch Geld in der Tasche. Der verstund das Ding aber nicht, schätzte wahrscheinlich den Schaden anders, und bald entbrannte der Krieg, der rasch zum allgemeinen wurde, doch nicht zehn Jahre dauerte wie der trojanische. Es ging wild her, gewaltig wehrten sich die Fremden, aber auf eigenem Boden standen die Heimischen, kannten Stein- und Scheiterhaufen, die nächsten Wege dazu und sonst jede Gelegenheit. Aus dem Felde geschlagen wurden die Fremden, es gab eine harte Retirade, verloren freilich weder Kanonen noch Kriegskassen, wohl aber Hüte und Tabakspfeifen, doch gelang es ihnen, ihre Verwundeten mitzuschleppen, unter diesen auch Jakob. Als Urheber des Streites war er ehrlich im Vorstreit gestanden, hatte nicht die Arrieregarde verstärkt, wie es sehr oft solche tun, welche hetzen können, aber nicht streiten dürfen. Er hatte seinen Nebenbuhler zu Boden geschlagen, wollte ihn ferner dreschen, da schoß ihm seine Schöne mit langen Nägeln ins Gesicht, einer wütenden Henne gleich, und während er mit Manier seine Augen vor den Klauen zu sichern suchte, ward ein Stuhlbein auf seinem Kopf zerschlagen, ein geworfenes Scheit traf ihn in den Nacken, er brach in die Knie, und dunkel ward es ihm vor den Augen. Doch, wie gesagt, die Freunde verließen sich nicht, schleiften die Verwundeten mit sich, wie sie konnten und mochten, und kriegten darob noch manch harten Schlag; und manchem ward der Tag immer so heiß, wenn er auch in keiner eisernen Rüstung stak, als er manchem Östreicher bei Dornach geworden war. Auf dem Birsfelde sammelte man sich, mitleidige Hände wuschen die Verwundeten, während andere für den Durst der Gesunden sorgten, der so ungeheuer war, daß es ihnen wirklich vorkam, wenn der Rhein Wein wäre und sie Bürgermeister von Basel, so wollten sie nicht absetzen, bis sie fertig mit dem Rheine wären.

So geschah es denn, daß, als sie endlich aufbrachen, der klügste Professor der Mathematik nicht herausgebracht hätte, welches die Verwundeten und welches die Gesunden seien, denn in krummen Linien marschierte jedes Bein, und wer einen Augenblick gradauf stand, schoß im nächsten Augenblick mit vorgestrecktem Kopfe vorwärts oder taumelte zur Seite. Bloß der Unterschied fand statt, daß die einen, nachdem sie einige Schritte vorwärts geschossen, sich durch innere, eigene Kraft aufhielten und wieder gradauf sich stellten, während die andern dahinfuhren, bis entweder ein Kamerad oder ein Baum oder der Boden selbst ihrem entschiedenen Fortschritt, Fortschuß oder Fortflug ins Unendliche ein Ende machte.

Am folgenden Morgen freilich war der Unterschied schon ein dreifacher: die, welche noch Geld oder Kredit hatten, machten blau, die, welchen beides fehlte, schlichen sich an die Arbeit, einige vermochten weder das eine noch das andere, sie mußten im Bette bleiben. Unter diesen war Jakob, der am ganzen Leibe wie zerschlagen war und zerkratzt im Gesichte, als ob man ihn durch eine Dornhecke gezogen hätte. Am zweiten Tage brachten die Kameraden ihm die Nachricht heim, wie der Herr Ratsherr nach ihm gefragt, zornig ausgesehen und harte Worte über Liederlichkeit, schlechte Aufführung und Fortjagen habe fallen lassen. Es versteht sich von selbst, daß jeder sagte, solche Zurechtweisungen vom Meister würde er nicht dulden, er würde sagen: »Mit Gunst, Meister, die Welt ist groß, und der Meister gibt es viele.« Man sei nicht mehr auf der Welt, um sich schikanieren und kujonieren zu lassen. Der Jakob sei ein rechter Kerl, der werde dem Meister schon aufläuten, wie es ziemlich sei.

Bekanntlich ist seit Eva her das Menschenkind für nichts empfänglicher als für solche Reden. Am Donnerstag konnte Jakob seine Glieder wieder ordentlich brauchen, doch sein Gesicht sah noch nicht ursprünglich aus, er ging daher zur Arbeit, aber mit trotzigem Sinn, und harrte des Meisters fast wie eine Katze, welche einen Hund gegen sich kommen sieht. Zur gewohnten Stunde erschien derselbe, sah nach der Arbeit, trat endlich auf Jakob zu und frug, warum er mehrere Tage ausgeblieben. Jakob antwortete kurz, er sei krank gewesen. Was er mit seinem Gesicht angefangen habe, daß es so schmählich aussehe, frug der Meister weiter. Er sei umgefallen, antwortete Jakob, hatte aber schon auf der Zunge, zu sagen, sein Gesicht gehe den Meister nichts an. Er solle sich hüten, sagte der Meister, daß er ihm nicht mehr so umfalle, er könne Gesellen nicht brauchen, welche die halbe Woche an den Folgen des Sonntags im Bette lägen. Da meinte Jakob, es werde wohl niemand was angehen, wenn er wieder so umfallen wolle, es sei halt sein Gesicht. Dawider hätte er nichts, sagte der Meister, aber sein sei die Werkstätte, und von Stund an wolle er dieses Gesicht nicht mehr in der Werkstätte sehen.


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