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Sechzehntes Kapitel

Jakob erwacht, aber nicht freudig

In gleichmäßigem Laufe rollt die Erde fort und fort; was wir arme Sterbliche treiben mögen, in ihrem Gange stört es sie nicht: ob Weiber spinnen, ob Männer Schlachten schlagen, die Erde läuft ihre Bahn sicher und unbewegt. In gleichmäßigem Flügelschlage rauscht die Zeit über die Erde durch die Welt: ob Menschen die Schläge zählen, ob sie wachen oder schlafen, geboren werden oder sterben, die Zeit kümmert es nicht, in ewig gleichem Gang rauscht sie vorüber. Und wenn aller Menschen Ohren zugehen, und wenn die Erde vergeht, so bleibt unveränderlich der Flügelschlag der Zeit, sie schlägt die Stunden der Ewigkeit, Augenblicke vor Gott sind Jahrtausende dem Menschen. Die Zeit ist auch Ewigkeit, die Ewigkeit, deren Flügelschläge die Menschen hören, deren Schläge sie zählen können. Aber auch die einzelnen Stunden zu zählen, eine nach der andern, welche über das eigene Leben rauschen, hat Gott kein menschlich Ohr verdammt. Kurz ist das menschliche Leben, aber eine unbeschreibliche Pein wäre es, und zu Ewigkeiten würden die Stunden werden, wenn der Mensch sie zählen müßte von der ersten bis zur letzten, eine nach der andern. Aber ob sie gezählt werden oder nicht, es kümmert die Stunden nicht, die Zeit steht nicht still, sie zieht vorüber für und für. In süßen Schlaf hüllt die göttliche Huld wenigstens einen Dritteil jedes Menschenlebens, entrückt den Menschen dem Jammertale und stärkt ihn für das Jammertal, haucht die Kraft ihm ein, es zu verwandeln mehr und mehr in das verlorne Paradies. Oh, wenn zu rechter Zeit jeder Mensch fassen würde, welch süße Gabe der Schlaf ist, es würde keiner mehr ihn so mutwillig auf das nichtswürdigste verschleudern, an das hohe Gut nicht tauschen Sünde um Sünde, Schande um Schande, es würde keiner spielen mit demselben, bis er allen verspielt, keinen Schlaf mehr hat. Keinen Schlaf mehr haben ist noch ganz was anderes als keinen Schatten mehr haben. Aber der Mensch kennt selten den wahren Wert eines angebornen Schatzes eher, als bis er ihn verloren hat; so kennt er den Wert der Gesundheit nicht, bis sie sich in Krankheit verwandelt hat, so hat er es auch mit dem Schlafe: erst wenn kein Schlaf mehr kommen will, begreift er, was schlafen ist. Auch hier ists der Sünder, der am meisten und mutwilligsten an dieser Gabe frevelt, wo eine christliche Obrigkeit sie schirmen will, am wildesten lärmt gegen diesen Schutz.

Während man schläft, schlagen die Stunden ungezählt, der Schlafende ist entrückt in ein ander Land, gehoben über die Schranken der Zeit und des Orts, wandert besondere Wege, auf welchen Gott selbst ihn durch Bilder unterrichtet, die aus seiner väterlichen Hand kommen, ihn kennen lehrt seine Schwächen, den Glücklichen den Becher des Unglücks kosten läßt, den Unglücklichen tröstet durch glückliche Träume, den Unzufriedenen durch Zustände führt, daß er beim Erwachen zufrieden ist, die alte Bürde aufzunehmen und geduldig zu tragen. In den Träumen liegt ein Schatz göttlicher Liebe und Weisheit, aber selten finden sich die Seelen, welche ihn zu heben vermögen.

Doch nicht der Schlaf allein umhüllt das Bewußtsein des Menschen, verschließt sein Ohr dem Schlage der Stunden; Ohnmacht, Krankheit haben die gleiche Macht, es Nacht werden zu lassen in des Menschen Seele, diese Nacht lichter und schwärzer zu gestalten. Lichter ist diese Nacht, aber um so peinlicher, wenn einzelne Vorstellungen, Bilder hineinragen in dieselbe, zumeist unerträgliche, fixe, welche nicht weichen wollen, wie feste Ideen in der Nacht des Wahnsinns. Bald steht eine schauerliche Gestalt vor dem Bette, zwickt, reißt mit feurigen Zangen, will nicht schlafen lassen; bald steht ein Mann zu den Häupten des Bettes, sägt oben am Schädel, sägt immer und immer, sägt nie zu Ende; bald steht einer da mit einer Schraube, setzt sie an am Kopfe, schraubt und schraubt immer schrecklicher, die Augen quellen aus den Höhlen, quellen armslang heraus, und nicht lassen will der Mann mit dem Schrauben. Bald strömt Feuer über den Menschen, er wälzt sich im Feuer, es strömt Feuer durch den Schlund; wie er nach Wasser schreit, er kommt nicht aus dem Feuer, und das Feuer wird immer feuriger. Bald steht er im Schlamm, will heraus und sinkt immer tiefer, immer ängstlicher arbeitet er, immer todesmüder wird er; je peinlicher seine Müdigkeit wird, um so größer wird auch die Angst, um so hastiger sein Hasten im Schlamme, und wenn auch zuweilen sein Bewußtsein erlischt, mit um so größerer Angst und Pein sitzt er im Schlamme, wenn er erwacht. Ganz schwarz wird aber auch diese Nacht, kein Bild taucht in der Seele auf, kein Gefühl zuckt in das Bewußtsein hinein; der Nacht des Todes ist diese Nacht vergleichbar, auch wird sie oft vom Tode verschlungen. Manchmal lichtet sie sich allmählich, es zuckt ein Bild empor und fährt vorüber wie ein Blitz, es dämmern nach und nach andere Bilder auf und schweben vor der Seele, bis es taget mehr und mehr, bis das volle Bewußtsein wiederkommt wie die verschwundene Sonne über die Berge. Zuweilen bricht dieses Bewußtsein plötzlich auf, es ist, als ob eine gewaltige Hand eine Decke von der Seele risse, das Auge erhält die Sehkraft wieder, die Ohren gehen auf, der Mensch erwacht und staunt: es ist das Erwachen dessen, der tot war und wieder lebendig wird. Sie sind wunderbar und unerklärlich, die Zustände unserer Seele, unerklärlich und wunderbar fast wie die Ratschläge Gottes.

In einem großen Saale standen viele Betten, düstere Lampen gaben düsteres Licht, in den meisten Betten war Unruhe, viel seufzen und stöhnen hörte man, ein lauter Schmerzensruf hallte zuweilen schauerlich an den Wänden wider. Am obern Ende des Saales war ein Bett, in demselben war es stille, ein Mensch lag darin auf dem Rücken, seine Augen standen offen; es war unser Jakob, aber seine besten Freunde hätten ihn kaum wiedererkannt, so hatte ihn wochenlange Krankheit gezimmert. Sein Bewußtsein lichtete sich allmählich, und je mehr es sich lichtete, desto größere Todesangst preßte ihm das Herz zusammen. Als er beim Erwachen die Augen aufschlug, sah er den weiten, endlosen Raum um sich, aber wo er war, und wie er daher gekommen, wußte er nicht. Ihm dämmerte bloß ein Dünken, als ob er in schrecklichen Kriegen gewesen und getötet worden sei. Sein Erwachen kam ihm vor als das Erwachen aus dem Tode. Aber wo erwachte er? Nicht im Grabe, das ist ein gar eng Kämmerlein, und gar weit war es um ihn, denn im Räume sah er kein Ende. Auch war es nicht finster wie im Grabe, es dämmerte um ihn, in der Ferne sah er feurigen Schein, sah Flammen, wie ihm dünkte, seufzen, stöhnen, zähneklappern hörte er, ein Weheruf, ein lauter Schrei tönte zuweilen von ferne her, ihm selbst war so weh, nicht hier, nicht dort, aber ein unbeschreiblich Mattsein lag mit unsäglicher Pein ihm in allen Gliedern. War er am Orte, wo Heulen und Zähneklappern ist ewiglich, wo der Wurm ist, der nicht stirbt, wo das Feuer ist, welches nicht erlöscht? Woher sonst das Wehgeschrei in der Ferne, rundum das Wimmern und Webern, Feuer und Dunkel? Schatten sah er schweben in der Ferne, und Ketten hörte er klirren. Lautlos lag er da in Angst und Schweiß, atmete kaum, hütete sich vor jedem Lebenszeichen, damit die Peiniger sein Erwachen nicht merkten, nicht kämen und ihn schleppten in die feurigen Marterkammern, woher das Wehgeschrei der Gepeinigten er zu hören glaubte. Er wollte wieder sterben, er schloß die Augen, er rief dem Tod, daß er ihn vom Teufel rette. Es dünkte ihn, sie stritten sich um ihn, er schwebe zwischen Teufel und Tod, dann mußte er doch wieder die Augen aufreißen in schwerem Bangen, zusehen, ob er noch nicht tot sei, nicht anderswo, ob die schwebenden Schatten sich genähert, die Reihe bald an ihm sei, geschleppt zu werden in die Marterkammern. Wie lange dieser Zustand dauerte, wußte er nicht, sein Ohr folgte dem Flügelschlage der Zeit noch nicht, aber als er einmal die Augen wieder aufschlug, war es licht um ihn, voll Sonnenschein war der weite Raum, der Raum war mit Betten angefüllt, von Bette zu Bette schwebten leise Wärterinnen mit Löffeln und Tassen, Köpfe tauchten aus den Betten auf, schlürften aus Löffeln und Tassen, sanken dann mit Seufzen und Ächzen zurück in die Kissen, oft ehe sie aufgeschüttelt und zurechtgelegt waren.

Voll Erstaunen saß Jakob unwillkürlich auf, mit Erstaunen erblickte ihn eine Wärterin. Seit Wochen war er betäubt gelegen, seinen Tod hatte man erwartet, nicht sein Auferstehn. Alsbald ward der Arzt gerufen. Diesem war Jakobs Erwachen ebenfalls unerwartet, jetzt, hoffte er, sei das Schlimmste überstanden und Genesung möglich, doch nur langsam. Jakob erfuhr nun, daß er in einem Spital sei, wohin ihn eines Abends bewußtlos ein großer Mann gebracht habe, dem Aussehen nach ebenfalls ein Handwerksbursche. Derselbe sei anfangs öfters gekommen und habe mit Teilnahme nach ihm gesehen, seit einiger Zeit sei er ausgeblieben, möglicherweise sei er fortgeschickt worden, denn in letzter Zeit habe man die Stadt stark gesäubert von müßigem und unruhigem Gesindel, oder sei freiwillig gegangen bösen Gewissens wegen. Es dämmerte Jakob eine dunkle Erinnerung an den letzten Augenblick seines Bewußtseins, er gedachte des Brandenburgers, sehnte sich nach ihm, sah nach der Türe, so oft sie aufging, aber umsonst, der Brandenburger blieb weg. Nun war wohl die Höllenangst fort, aber Freude am Leben kehrte bei Jakob nicht ein, er wäre lieber eingeschlafen geblieben für immer.

Er schlief noch immer viel, und wenn er zum Schlafen sich legte, konnte er sich des Wunsches selten enthalten, nicht mehr erwachen zu müssen. Wachte er, so sammelte er mühsam seine Erinnerungen, seine ganze Vergangenheit schien in Trümmer gegangen, mühselig las er die Bruchstücke zusammen, mühselig setzte er sie zusammen, oft fehlte ihm der Zusammenhang, und lange ging es, ehe er denselben hergestellt hatte. Diese Arbeit förderte seine Genesung nicht, diese ging sehr langsam, und noch langsamer kamen die Kräfte nach, sie machte ihn bald zornig, bald traurig, daß er weinen mußte. Jahre lagen hinter ihm, und was hatte er mit ihnen gewonnen bei voller Kraft? Jahre lagen vor ihm, was sollte er von diesen erwarten, geschwächt und elend, wie er war? Über ihn kam es wie über die meisten Schwerverwundeten auf dem Schlachtfelde, und war er nicht auch ein Schwerverwundeter auf dem weiten Schlachtfelde des Lebens? Ihn faßte, wenn auch nicht das Heimweh, so doch ein Sehnen nach heim, ein inniges Verlangen, noch einmal die Großmutter zu sehen, ihr zu klagen, wie es ihm ergangen in der bösen Welt und unter den schlechten Menschen.

Wachte er, so ging keine Stunde vorüber, in welcher er nicht an sie dachte, dachte, was sie mache, ob sie seiner noch wohl gedenke, was sie sagen würde, wenn sie wüßte, in welchem Zustande er sei. Er war überzeugt, wenn sie es erführe, sie käme her, ihn zu pflegen, die ersten Worte aber, welche sie ihm sagte, wären: »Jakob, hab ichs nicht gesagt, du seiest ein Esel und werdest ein Esel bleiben?« Schreiben wolle er nicht, dachte er. Stürbe er, so werde es heimgeschrieben werden, und sterbe er nicht, so trage es nichts ab, heimzuschreiben und zu bekennen, in welchem Elend er sei. Genese er, dann wolle er sich aufmachen und gen Hause wandern, und wenn er heimkomme, wolle er der Großmutter erzählen, wie es ihm ergangen, und dann sagen: »Großmutter, ich war ein Esel, aber ich bin keiner mehr, für keinen Menschen rühre ich mehr einen Finger.« Daß ihm die Großmutter darauf antworten würde: »Bist doch noch ein Esel, Jakob!« daran dachte er nicht. Aber welche Kluft war zwischen ihm und der Großmutter, fast zweihundert Stunden breit war sie, wie hinüberkommen mit gelähmten Kräften und im Winter obendrein? Wenn ihm diese Gedanken kamen, kam ihm das Weinen, kam ihm die Angst, was aus ihm werden solle, wenn er entlassen werde in hartem Winter, ohne Geld, und wo die Arbeit so selten sei. Dann dachte er wohl auch daran, wie er in diese Lage gekommen, und ballte die Fäuste der Welt, daß sie ihn in dieses Elend gebracht, und sagte: »Himmelsackerment, wart du nur!« Er war ein Weltkind, das torrechte Kind einer torrechten Mutter; torrechte Kinder schlagen oft ihre Mütter, während torrechte Mütter ihre Kinder ins Verderben bringen. Der Himmel über seinem Gemüte ward durchaus nicht klar, er sah bloß die Begebenheiten, ihr innerer Zusammenhang blieb ihm verborgen, verborgen wie eine aus der andern folgte und alles endlich aus dem eigenen Sein und Tun. So zerreißt oft die schwarze Wolkendecke am Firmamente, aber deswegen wird die Luft weder klar noch lieblich, wild und wirr treiben die zerrissenen Wolken durcheinander, zweifelhaft bleibt, will es sich besser, will es sich schlimmer gestalten am Himmel. Jakobs gespanntes Selbstbewußtsein, sein gewaltiger Mut, die waren hin, seine Ansichten, Hoffnungen jagten zerrissenen Wolken gleich in seinem Gemüte herum, machten ihn bald zornig, bald weich, bald fluchte er, bald weinte er, aber besser ward er nicht, er betete nicht, er sah sein Irren nicht ein, nicht seine Torheiten, nicht den Grund des Übels in sich selbst, fegte seinen Tempel nicht rein, er schaffte die Trümmer seiner Hoffnungen und Erwartungen nicht weg, sondern weinte eben, daß sie in Trümmer gegangen, und fluchte denen, welche er schuld daran glaubte.

Langsam schlichen ihm die Tage vorüber bei diesen bittern Gedanken, Unterhaltung fand er selten. Er verstand die Sprache nicht, Deutsche waren wenige da. Zwei ganze Schiffe voll, welche man bei der Affäre beteiligt glaubte, hatte man den See hinunterspediert, gratis, sonst ohne Komplimente. Wer Deutsch konnte, ließ sich nicht viel mit ihm ein. Da es bekannt war, daß Jakob bei der unglücklichen Geschichte beteiligt gewesen, mied man gerne den Schein, als sei man mit ihm bekannt, als habe man der Geschichte nahegestanden und wisse Genaueres darüber. So gehts! Gelingts, so ist jeder der Erste dabei gewesen, will den ersten und größten Fetzen des Gewinns; mißlingts, streicht sich jeder so rasch er kann ins Weite, leugnet wie ein Ketzer oder akkurat wie Petrus, was um die Geschichte gewußt zu haben, und schimpft wie ein Rohrspatz über alle Teilnehmer.

Langsam, wie gesagt, genas Jakob, und noch langsamer kamen seine Kräfte wieder. Nun sind aber das zwei Dinge: nicht mehr krank, des Arztes nicht mehr bedürftig, und hergestellt und arbeitsfähig sein. In einem Spital wird man kuriert, das heißt, die Krankheit wird gehoben, und wie lange man dann den Genesenen noch behält zur Herstellung seiner Kräfte, das hängt hie und da von der Humanität des behandelnden Arztes, zumeist aber von den Umständen des Spitals, dem stattfindenden Zudrange ab. Ist der Zudrang groß, herrschen lang dauernde Krankheiten, da entsteht die Notwendigkeit, vor abzustoßen, um den Neuhinzugekommenen Platz zu machen. Das Spital erweitern kann man nicht, und notwendiger scheints, die aufzunehmen, in welchen noch der böse Geist der Krankheit sitzt, als die zu behalten, aus welchen er bereits getrieben ist. Jakob traf es in einen sehr schlimmen Zeitpunkt, die Not machte Humanitätsrücksichten unmöglich, wer den Arzt nicht mehr bedurfte, wurde entlassen. Gerne verläßt das Spital, wer ein Heim hat, es ist doch am heimlichsten daheim, da ist man auch frei, absonderlich wenn dazu noch Frühlingslüfte wehen oder traut und warm die Sonne scheint und süße Früchte an den Bäumen reifen. Aber wer kein Heim hat als die Straße, kein Geld, nichts hat als dünne Kleider, darunter eine empfindliche Haut und schlotternde Glieder? Auf der Straße knarrt der Schnee, eisige Winde fegen sie, und aus dem Spitale wird er entlassen, steht vor der Türe, sie schließt sich hinter ihm, und er weiß keine andere, die sich ihm öffnet, vielleicht eine einzige sieht, aber sie ist zweihundert Stunden weit. Er sieht rechts, sieht links, weiß nicht, wohin sich wenden, eisig fährt ihm der Wind durch den dünnen Leib, hastig schlottern die losen Glieder, und kein Heim, nirgends eine Türe, die auf seinen Ruf sich öffnet, es ist schrecklich, diese Lage!

Als Jakob vor der Türe des Spitals stand, wußte er noch nicht, wie trostlos er dran sei, wußte nicht, wie in politischen Wirren nichts fest ist, jede Lage eine Sandbank ist, welche jede Flut verändert, und wie in Meeresstürmen die kleinen Boote am schnellsten untergehn, in politischen Stürmen das Dasein und das Behagen der untern Klassen am meisten und dauerndsten gefährdet wird. Jakob steuerte seinem Kostorte zu, wo er sein Felleisen hatte mit dem Reste seiner Habe. Er hatte es mit dem Kostorte gehabt wie Noah, als er einen Raben aussandte, um Botschaft zu bringen, der aber nicht wiederkam, er hatte dorthin Bescheid machen lassen, aber Bericht erhielt er entweder keinen oder solchen, welchen er nicht glauben wollte. Kalt wars, schrecklich kalt, Jakob glaubte, er habe kein Mark mehr in den Knochen, kein Blut mehr in den Adern, er sei eine saft- und kraftlose Maschine, so matt war er, und so fror es ihn, als er endlich an seinen Kostort kam. Aber wie ward ihm, als das Haus ganz anders aussah, inwendig fremde Gesichter ihn anglotzten, ihn nicht verstehen wollten, ihm Bescheid gaben, den er nicht verstand! Als er endlich begriff, hier sei kein Kostort mehr und fort der frühere Wirt, da stand er stumm. Jetzt war er arm und verlassen, und die einzige Türe, welche er sich offen glaubte, verschloß sich hinter ihm. Er schleppte sich weiter von Kneipe zu Kneipe, bis er eine deutsche Zunge fand, welche ihm Auskunft geben konnte, aber lange mußte er suchen, sie waren rarer geworden, die deutschen Zungen in Genf. Er vernahm, daß man nicht bloß Gesellen fortgeschickt hätte, sondern auch Meister und Kosthalter, welche in die Unruhen verwickelt gewesen oder ihnen Vorschub getan, dieweil die Genferbürger gefunden hätten, wer bei ihnen das Gastrecht genieße und seinen schönen Verdienst habe, solle sich in die Ordnung schicken, welche den Genfern anständig sei, und sich nicht üppig machen, nicht befehlen wollen, nicht tun wie der Kuckuck in fremden Nestern. Wolle der Fremdling das nicht, so könne er weiterwandern. Viele fanden, weit neben das Recht hätten die Genfer nicht geschossen, andere wollten es nicht glauben, begehrten höllisch auf, doch einstweilen bloß halblaut, und wenn es kein rechter Genfer hörte. Dieses Schicksal, fortgewiesen zu werden, hätte namentlich Jakobs Wirt betroffen, der gar schrecklich erbittert gegen die Genfer getan, dieweil sie reicher und vornehmer seien als er und Bürger und er nicht. Wohin er sich gewendet, wußte man nicht, wahrscheinlich gegen das Waadtland, meinte man.


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