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Elftes Kapitel

Jakob changiert mit der Liebe, macht Profit, findet sich veranlaßt, Bern ade zu sagen in aller Stille

Seine Kameraden hatten also köstliche Freude an dem Zorn Jakobs und freuten sich absonderlich auf den Eindruck, welchen derselbe bei Melanie machen werde. Sobald sie merkten, daß Jakob den Brief seinem Schatz verheimlichen wollte, ermangelten sie nicht, der Melanie es heimlich zu stecken, die Großmutter habe geschrieben und wie! Als am nächsten Sonntag die Schönen wieder ins Freie flatterten, ihre Schätze nachtrampelten und sich endlich auf dem Breitenrain zusammenfanden in all ihrem Glanze, da hatte Melanie den Kopf hoch aufgesetzt, machte ein aufgeworfen Mäulchen, kannte den Jakob nicht, saß neben einem neu eingerückten Preuß, der, ein recht unschuldig Bürschchen, ein fein Hemd anhatte, in welchem eine schöne Nadel stak, kurz, dessen Äußeres für eine praktische Person, eine bestandene Liebhaberin ungemein viel Ansprechendes hatte. Melanie hatte des Jungen Bekanntschaft kürzlich ganz unter der Hand gemacht, wir glauben, kürzlich an einem blauen Montag im Maienrysli, wo es hieß, der Jakob habe das Fieber und liege im Bette, was aber ohne Fieber sehr begreiflich war, sintemalen sein Unentbehrliches in des Schneiders Händen war. Sie hatte die Bekanntschaft in aller Stille unterhalten, des Abends im Zwielicht oder später, wenn ihre Herrschaft in Gesellschaft war, bald an der Schütti, bald auf der Rathausterrasse, wo so leise die Aare rauscht. Selbst auf der Plattform, wo so gewaltig wie junge Liebe die Aare braust, will man die Melanie und den jungen Preußen, der ganz glücklich war, weil er einen Edelstein vom reinsten Wasser erobert zu haben glaubte, eine edle Bernerin, und zwar ganz wie Cäsar: kommen, sehen, siegen im ersten Anlauf -- also auch auf der Plattform will man das süße, liebe Paar gesehen haben. Melanie wußte, wie man zwei Liebhaber zugleich haben kann, ohne daß einer um den andern weiß, denn glücklicherweise für solche Mädchen ist den Liebhabern die Eigenschaft, allgegenwärtig zu sein, nicht gegeben. Auch hatte Melanie es mit ihren Liebhabern, wie die Schlangen mit ihrer Haut es haben, sie stieß keinen alten ab, ehe sich hinter dem alten ein neuer formiert hatte. Ganz glücklich saß der junge Preuße neben seiner »juten, jeliebten Seele«, selbst sein blondes Schnäuzchen glitzerte vor Freude, glaubte sich in nobler Gesellschaft, denn Melanie hatte, als sie die wirklich goldene Nadel gesehen, welche der Preuße im Hemde stecken hatte, nicht ermangelt, zu sagen, sie halte sich zum Vergnügen bei ihrer vornehmen Verwandten in der Stadt auf, sonst aber wohne sie bei ihrem Vater, einem reichen Edelmann, auf dem Lande, daher sie auch die Landestracht noch trage. Natürlich hatte das der Preuße, dem die Schweiz ein böhmisch Dorf war, geglaubt und war janz jlücklich und janz zjärtlich.

Jakob machte ganz bedenkliche Gesichter, als er seine schöne Melanie so urplötzlich und öffentlich ihm untreu sah, er strich sich den Schnauz, blies sich auf und kochte in sich einen gewaltigen Zorn, und immer heißer kochte der Zorn, weil er rundum höhnische Gesichter und spöttisches Lachen wahrzunehmen glaubte. In offenen Streit auszubrechen, ging da nicht, es war heller Tag und die Gesellschaft ganz vornehm, und doch mußte Jakob was machen. Er tippte Melanie auf die Achsel und sagte, er möchte ein Wort mit der Jungfer sprechen. Melanie folgte ohne Zaudern mit zornigem Gesicht, und als er anfangen wollte zu fragen und zu richten, fuhr sie ihn an mit giftigen Blicken und ebenso giftigen Worten: was er von einem solchen Mensch, wie sie eins sein solle, wolle; was er ihr da nebenaus zu rufen habe, ein Mensch, das in keinen Schuh gut sei! »Potz Donner, so laß ich mir nicht zweimal kommen, adies derweilen, Bürschli!« So Melanie, und einer Göttin gleich marschierte sie an ihren Platz zurück, stieß sich aber unvorsichtigerweise an die Hühneraugen, mußte die Majestät fahren lassen und mit schmerzlichen Gebärden, welche aber auf den jungen Preußen tiefen Eindruck machten, denn er hatte noch keine Ahnung von den Hühneraugen, weitergnepfen.

Jakob stand da wie angedonnert, noch weit verblüffter als der Meister in Zürich, als er denselben mit Grundsätzen und Ideen praktisch angerannt hatte. Melanie hatte ihm unerwartet einen giftigen Pfeil in den Leib gestoßen, an dem er nichts zu machen wußte, den er mußte sitzen lassen. Er konnte Melanie nichts antworten, diese hinkte bereits neben dem Preußen, und wenn sie geblieben wäre, was hätte er ihr antworten sollen auf Sprüche aus der Großmutter Brief, den er hatte verheimlichen wollen?

Jakob war auch der Mann nicht, der so aus Stegreif und Ärmel Unerwartetem begegnen konnte, er stand da, als wäre ihm die Sonne vor der Nase zerplatzt. Er wurde im Gemüt ganz demütig und zerknirscht gegen die Melanie, ihr Betragen war also Weiberrache und zwar eine gerechte. Aber wer war der Hund, der geplaudert, Melanie die Laus hinter das Ohr gesetzt? Den wolle er in den Boden wettern, daß er unten wieder ausfahre! Er konnte aber nicht erraten, wers getan, und immer heftiger stauchte sein Zorn auf, da er ihn an niemand auslassen konnte und doch fortwährend spöttische Blicke wahrzunehmen glaubte. Da klopfte es ihm leise auf die Achsel. Als er wild sich umsah, stand hinter ihm ein Mädchen, welches er wohl gesehen, aber nie beachtet hatte. Es war so eine Art von Aschenbrödel in ihrer Gesellschaft und war noch zu keinem Schatz gekommen, und war doch die Liebe so stark in seinem großen, weichen Herzen! Es war nicht elegant gekleidet; was es trug, war stark, aber nicht fein, die Mutter hatte es ihm noch angeschafft. Es hatte ganz grobe Manieren, hatte weder Ringe an den Händen, noch brauchte es viel Seife, und was besonders auffiel, es verstand kein Schöndeutsch, das heißt, es war noch nicht lange in der Stadt und in keiner Schule erzogen worden, in der man ein Mordiodeutsch sprach und durch die Sprache die Verbindung mit Handwerksgesellen gründlich vermittelt. Ein alter, ehrlicher Schulmeister hatte ihm bloß das Berndeutsch gründlich eingebläut ungefähr von der nämlichen Sorte, wie es auch von Vater und Mutter gesprochen wurde. Zu allem dem war es äußerlich nicht schön, eine kleine, dicke Person mit einem Gesicht, so wie von ungefähr aus Holz geschnitzt, hatte nichts als ein grausam groß Herz, gewaltig voll Liebe, und doch noch keinen Schatz! Ach, ein Herz, gewaltig voll Liebe, und noch keinen Schatz, was will das heißen, man denke!

Indessen, so vierschrötig Kathri auch war, weiblichen Instinkt hatte sie doch, sie fühlte, wenn je, so sei der Augenblick gekommen, die höhern Mächte ihr günstig, endlich zu dem so inbrünstig ersehnten Ziele zu gelangen. Sie hatte zudem schon lange mit süßen Augen den Jakob betrachtet, er verstand so schön das Schweizerdeutsch, es dünkte die Kathri, sie paßten so gut zusammen, er sei auch nicht so hoffärtig angezogen wie die andern und doch auch nicht so eine magere Brunnröhre, so ein erbärmlicher Hanfstengel. »Hört«, sagte Kathri zu Jakob, »macht nicht so ein Gesicht, als ob der Henker Euch nehmen wolle! Tut es dem Mensch nicht zu Gefallen, es war schon lange falsch an Euch, und Ihr dauert mich, ich kann nicht sagen wie. Kommt, sitzt neben mich, diesen Abend sage ich Euch mehr, jetzt darf ich nicht.«

Jakob gehorchte unwillkürlich, diese süße Teilnahme gab ihm seine volle Fassung wieder, und ganz wie ein Mensch, der die Welt gesehen wie ein Weltmann, von der gröbern Sorte freilich, gebärdete sich Jakob selben Abend. Er machte sich lustig, tat zärtlich mit der Kathri, versuchte zu tun wie einer, welcher eine Bürde abgeworfen hat und nun in freien Sprüngen sich ergötzt. Oh, was die Kathri glücklich war, aussprechen läßt es sich nicht, schreiben noch viel weniger, und wenn man Engelsfedern hätte. Melanie ärgerte diese Wendung der Dinge sehr, doch suchte sie es so gut wie möglich zu verbergen, gebärdete sich ungeheuer fein und vornehm, daß der Preuße völlig selig wurde. Sowie sie es aber unbemerkt tun konnte, grinsete sie Kathri über die Achsel an. Aber Kathri war zu glücklich, um das zu bemerken.

Ach, was das für ein ganz ander Heimgehen war ehedem, wo sie alleine, mutterseelalleine mit ihrem großen, gewaltigen Herzen hinterdreintrampeln mußte, und jetzt, wo sie an Jakobs süßer Seite ging Arm in Arm! Ach, es kam ihr vor, sie sei ein Seraphim und Jakob ein Cherubim, sie schwebten nur so gleichsam über den Erdboden, himmlische Wege über das Breitfeld den Stalden ab und endlich noch der Schütte nach, weil Kathri des Schwebens auf himmlischen Wegen gar nicht satt werden konnte. Ach, und was das für ein himmlisch Vergnügen war, reden zu können zu einer fühlenden Seele, das große Herz wollte gar nicht leer werden, wie handlich auch Kathri das Reden ging. Ach, es war aber auch ein Gegenstand, welcher Kathri beredt machen mußte. Sie pries ihren Jakob glücklich, daß er den Klauen Melanies, die eigentlich ganz simpel Mädi heiße, entronnen sei, es wisse kein Mensch, wie es ihm noch mit ihr hätte gehen können. Das sei das ärgste, wüsteste, schlechteste Mensch, welches auf dem Erdboden herumlaufe, urteilte Kathri, und Kathris Mund entquoll ein Sündenregister, fast dem Stammregister eines hohen Hauses, welches ein Jahr nach der Sündflut beginnt und nie zu Ende kömmt, gleich. Bei den Urureltern fing es an, und lange, lange war es nicht zu Ende, als sie längst über den Waisenhausplatz hinaufwaren und wieder die Stadt hinunter und endlich geschieden sein mußte. Ach, das tat weh, erst gefunden und wieder scheiden, ach, Kathri hätte ihm gerne ihr Herz mitgegeben zur Bewahrung, und da sie das nicht konnte, so drückte sie ihm ihre Barschaft, ein ganzes Halbguldenstück, in die Hand und sagte: »Nimm nur, nimm, ich meine es nicht wie die andern und brauche das Geld nicht wie sie für Schmöckwasser und Bäcklifarb oder für anderes Pflaster; nimm nur, nimm, was mein ist, ist dein, und zehnmal lieber gönne ich es dir als mir.« Das war eine Liebe, wie sie in Israel selten gefunden wird. Kathri war es Ernst damit, und Jakob gefiel sie nicht übel.

Wir haben oben angedeutet, wie bedenklich es sei, wenn man heute verzehrt, was erst morgen verdient werden oder sonst eingehen soll. Die Lust dazu kömmt die meisten an, und wer sich ihr ergibt, der gerät in tausend falsche Rechnungen hinein, die sich nach und nach um seine Glieder winden und ihn in den Abgrund ziehen. Falsche Rechnungen macht jeder Mensch, und nicht selten im Leben wird es begegnen, Glücksfälle ausgenommen, daß man am Ende des Jahres nicht vieles ausgegeben, an das man nicht gedacht, und vieles nicht eingenommen, worauf man gerechnet. Nun, wer nicht vorfrißt, sondern erst erwirbt, ehe er ausgibt -- und dies kann namentlich ein lediger Mensch, ein Wandergeselle, der Arbeit hat und gesund ist -- den ärgern wohl diese Mißrechnungen, bestärken ihn aber um so mehr in seiner besonnenen Vorsicht, so kömmt er nicht bloß in keine Verlegenheit, sondern sicher und unvermerkt zu einem Notpfennig. Ganz anders aber geht es dem, der auf die Zukunft hinaus gebraucht hat und zwar nach der Rechnung, welche er über Einnehmen und Ausgeben gemacht, der erfährt es nun auch am Leibe, was alle geistig erfahren, daß die Schuld täglich größer wird. Aber während der langmütige, gnädige Gott den Tod der Sünder nicht will und Schulden tilget, ist bei Menschen nicht diese Langmut und Gnade; dem leichtsinnigen Schuldenmacher wird selten ein Gläubiger die Schulden schenken, solange noch ein Fetzen von dessen Habe zu kriegen ist. Jakob hatte auf die Großmutter gerechnet, vielleicht auch auf größern Wochenlohn, an Partien in und außer der Stadt, an dies und jenes, was Melanie so fein und versteckt zu wünschen wußte, nicht gedacht, hatte Kleider machen lassen, wozu er das Geld nicht hatte. Wie jetzt zahlen, da die Großmutter nur fünf Gulden gesandt hatte und an den großen, allgemeinen Teilungstag hier in Bern einstweilen nicht zu denken war? Nun, da war das Übliche versucht worden, Entbehrliches versetzt, weichherzige, besonders junge Kameraden angepumpt worden; aber wie sich herauswinden, wenn die Schuld täglich größer ward? Wie sollten zwei Gulden zwanzig Kreuzer, welche er in der Woche über die Kost hinaus verdiente, langen für Partien, Geschenke, Kleider, Wäsche und gar noch Schulden? Wir wollen gefragt haben. Nun fiel, was er bei nüchternem Sinn als einen eigentlichen Glücksfall betrachten mußte, die Melanie aus der Rechnung, statt ihr kam die Kathri hinein; das machte einen bedeutenden Unterschied, Melanie war ein fressender Posten, Kathri schien zu einem abträglichen sich zu gestalten.

Ach, noch war es nicht manchen Monat her, daß Jakobs Herz ein Altar gewesen war, auf dem das Feuer der ersten Liebe brannte, und jetzt war seine Liebe zu einem Rechnungsexempel geworden, und ein Halbguldenstück war die Hauptsumme, welche seiner Liebe Richtung und Ausschlag gab. Die Liebe ist einer Pflanze gleich, und wie verschieden sind nicht die Pflanzen in ihrer Dauer und Größe! Wie man tausendjährige Bäume hat, so kennen wir Pflanzen, deren Leben wenige Tage zählt. Die Liebe teilt das Los aller menschlichen Dinge: je fleischlicher etwas ist, desto rascher gehts vorüber, je mehr Geistiges ihm beigemischt ist, desto länger dauert es. Die Liebe wird durch nichts mehr gekältet und abgekühlt als durch die Selbstsucht und den Eigennutz, welcher auf die Liebe spekuliert, sie ausbeuten will wie eine Goldgrube, einen Kramladen, eine Suppenschüssel, ein Kartoffelfeld. Doch, wie es unerschöpfliche Goldgruben (bei Kramladen kömmt man immer an die nackten Wände, bei Suppenschüsseln auf den harten Boden), so gibt es auch Herzen und namentlich Mädchenherzen, aus welchen die gierigste Selbstsucht die Liebe nicht bis auf den Boden auszuschöpfen vermag, die Liebe gestaltet sich wohl wie Höllenpein, brennt im Herzen mit unaussprechlichem Schmerz, aber sie bleibt Liebe, und wenn sie das Herz bricht, so ist es eben, weil sie sich nicht in Haß verwandeln kann, weil sie wahre Liebe ist und wahre Liebe bleiben muß. Wie aber die Pflänzchen, wenn sie aus dem Boden kommen, nur vom Kundigen zu erkennen sind, da sie alle gleich klein und untereinander sich ähnlich sind, so weiß man ebenfalls kaum, wenn eine erste Liebe erscheint, von welcher Sorte sie ist, und wie lange sie dauert.

Unser Jakob hatte sich auf diese Liebe im voraus gefreut, weil Bern ihretwegen berühmt ist, weil dort die einen Mädchen so heillos dumm sind, daß sie meinen, ein fremder Liebhaber mit einem Schnauz sei das größte Glück, und durch Schande und Jammer von Tausenden nicht klug werden, und andere so heillos schlecht, daß sie solche Bursche eben als Liebhaber brauchen, als Steine für zwei Würfe, erstlich von ihnen zu ziehen so viel sie können, und zweitens als Schild, um hinter ihnen ihre ganze übrige Schlechtigkeit zu verbergen. An die letztere Sorte geriet Jakob zuerst, wie gewöhnlich die Neulinge, lebte in großer Freude und Herrlichkeit, bis die Bedrängnis kam, auf das Juchhe das O weh! Seine Großmutter mit ihrem alten, deutschen, keuschen Sinn hatte die Melanie vollkommen richtig beurteilt, hatte nicht Lust gehabt, ein solch Mensch und den Leichtsinn ihres Großsohns zu unterhalten. Melanie lebte nicht aus Luft und Liebe, sog aus Jakobs warmer Liebe Vorteile, solange welche zu saugen waren, und in dem Maße, als Jakob ausgesaugt ward, kühlte sich seine Liebe ab, sintemalen sie eben auch nicht einer Goldgrube glich.

Ihm kam es eben wohl, daß fremde Gesellen in der Schweiz noch Schulden machen können, daß Kostleute noch vier Wochen auf das Kostgeld warten, daß Krämer selbst Fremden auf gute Worte hin auf Borg geben, daß es in der Beziehung noch ganz anders ist als in Frankreich, wo der Fremde nichts kriegt, als wenn er das Geld auf der Hand hat. Das ist noch die Ehrlichkeit des Schweizers, welcher selbst ein Wort hat und den Worten anderer glaubt. Es ist die gleiche Ehrlichkeit, welcher vor kurzer Zeit noch die Schweizer auf gewissen Universitäten es zu verdanken hatten, daß sie Dinge auf Borg kriegten, daß ihre Mietsherren nie ängstlich waren, wenn auch zuweilen die Wechsel ausblieben. Wie es aber Schweizer gibt, welche im Ausland überhaupt und auch auf Universitäten den schweizerischen Kredit durch ein hundsföttisches Betragen schwächen und untergraben, so versündigen sich viele an ihrem Stamme, an ihrer Nation, denn was der einzelne tut, der Russe, der Polack, der Franzose, der Bayer, das wird alsobald dem ganzen Stamme zugeschrieben. Das sollte jeder sich bewußt werden, der in die Fremde geht, daß er dort seinen ganzen Stamm repräsentiert und darstellt, daß der Name, den er sich macht, auf den ganzen Stamm zurückfällt, daß er durch sein Betragen den Stammsgenossen, welche nach ihm kommen, die Türen schließt oder öffnet. Ist mal ein Meister mit einem Sachsen besonders zufrieden gewesen, so wird er es nicht vergessen, und jedem nachkommenden Sachsen wird er den Vorzug vor andern geben und Zutrauen ihm schenken, aber auch umgekehrt das Gegenteil, wenn der erste Sachse ihn angeführt hatte. Schon der Apostel Paulus ermahnt die ersten Christen, sich ja nicht Sünden und Lastern hinzugeben, nicht bloß um ihret-, sondern auch um der Genossen willen nicht, damit nicht wegen einem einzelnen die ganze Gemeinde geschmäht werde.

Wie hielten die Alten auf des Stammes Ehre, wie freudig starben nicht die ersten Christen zur Ehre der Gemeinde und deren Haupte, was duldet noch heute der Indianer, um Schmach von seinem Stamme abzuwenden, und wie ist dieses hohe Gefühl, welches in der Fremde und in Todesnöten so herrliche Früchte getragen, abgestumpft, ertötet, ja, wir möchten sagen, lächerlich geworden! Ja, es wird täglich wirklich lächerlich gemacht und zwar durch die heillose neue oder sogenannte moderne Bildung oder Kultur, welche fast in allen Bildungsanstalten von den obersten bis zu den untersten den Jungen eingeimpft worden ist. Sind die Jungens nicht damit vergiftet worden, so kriegt man sie in den Vereinen beim Schopf und träufelt sie ihnen ein. Es ist eben die heillose Lehre von der Kultur und von der Allgemeinheit und von der Weltbürgerschaft, alles mit einem merkwürdigen, wüsten gnostischen Anstrich. Es waren nämlich Gnostiker, welche zuerst lehrten, es komme alles auf den Geist an, das Fleisch könne tun, was es wolle. Diese Lehre gestaltete sich viel wüster als jede Muckerei, es ist die Lehre, welche heutzutage so sich ausdrückt: es komme alles auf die Gesinnung an, zum Genüsse sei jeder geboren. Unter Gesinnung versteht man freches Aufbegehren gegen jede Autorität, freche Begehrlichkeit nach allem, was andere besitzen; unter Genuß versteht man alles, was das Fleisch gelüstet, sonder jeglicher anderen Schranke als allfällig die, daß einer nicht frißt, von welchem er im voraus weiß, daß es ihm Bauchweh macht. Daß in dieser Lehre das Leugnen des Jenseits, des persönlichen Fortbestehens insbesondere liegt, versteht sich von selbst. Diese verruchte, verkappte Lehre, welche viel ärger ist als jede andere schlechte dieser Zeit, zerstört jeden sittlichen Halt, wenn man unter sittlichem Halt nicht den Klubgeist begreift und die Angewöhnung, auf dem gleichen Loche, gleich Mark und Ohr zerreißend, jede ehrliche Seele empörend, zu pfeifen und zu brüllen, wie die Führer vorpfeifen und -brüllen.

Sie zerstört die Achtung gegen die eigene Seele, den Trieb der eigenen Fortbildung, des wahren Fortschrittes in tüchtigem, treuen Wandel gegen Gott und Menschen, in Übung seiner geistigen und leiblichen Kräfte, um einst vom Anvertrauten Rechnung ablegen zu können. Sie sucht den Wert des Ichs nur im möglichst feinen und allumfassenden Genüsse. Wo diese Gesinnung, dies hohe Ding, wie man es zu benennen beliebt, die Achtung vor dem eigenen ewigen Werte ertötet, da ehrt man die Eltern nicht mehr, da sterben die Familienbande ab, kümmert man um seinen Stamm sich nicht, verhöhnt Gott und Vaterland, da bringt man es in der Fremde dahin, daß niemand einem einen Kreuzer anvertraut, daß man für einen Spitzbub gilt und der Name »ein Fremder« gleichbedeutend mit den ärgsten Schimpfnamen wird. So weit bringt es die neue Lehre und zwar nicht bloß bei Sachsen und Bayern, Franzosen und Polen, sondern auch Schweizern und Amerikanern. Daher auch, daß der arme Handwerksbursche in der Schweiz je länger je weniger den Kredit finden wird, den er früher gehabt, und den doch der arme, kranke oder arbeitslos gewordene Bursche in der Fremde so notwendig hätte. Freilich, dem Liederlichen wäre es besser, er fände nirgends Kredit, wie es auch dem faulen Bettler besser wäre, wenn er kein Almosen kriegen würde. Aber wenn der Faulen wegen keine Almosen mehr gegeben werden sollten, wie mancher arme Alte, den unverschuldetes Unglück heimgesucht, müßte es büßen! So ists auch mit dem Kredit in der Fremde, und welche schwere Schuld liegt auf denen, welche ihn zerstört, welche den Namen ihres Stammes anrüchig gemacht und entehrt haben in der Fremde auf Jahrzehnte hinaus!

So weit war es nun zu Jakobs Zeiten noch nicht, wenn auch das Borgen sein Lästiges und Schwieriges hatte. Jedenfalls war ihm Kathri eine große Erleichterung. Das gute Mädchen war selig in seiner Liebe, und bei dem ersten halben Gulden ließ sie es nicht bewenden; was es auf- und anbringen konnte, hing es dem Jakob an aus Liebe und Dankbarkeit, daß er sein Schatz sein wollte. Es kramete ihm bald ein Nastuch, bald ein Halstuch, sogar zu einer Weste verstieg es sich. Es darbte sich den Wein ab, welchen es von seiner Herrschaft erhielt, und wenn es zu einem guten, eßbaren Stück kam, welches sich ohne Gefahr für seine Existenz, in Papier gewickelt, transportieren ließ, Braten, Schinken, Kuchen usw., so wanderte dasselbe dem Jakob zu. Zu diesem Zwecke waren besondere Stelldichein verabredet, denn am Sonntag vor aller Welt einen Wurstzipfel aus der Tasche zu ziehen und ihn dem Jakob in den Mund zu schieben, das schickte sich doch nicht wohl.

Das alles ließ sich Jakob recht gut gefallen, es war so eine Art von Vorgeschmack der großen Teilung, wo Jakob dazu zu kommen hoffte, aus fremdem Gute hoch und wohl zu leben; doch hatte dieses Verhältnis auch seine Schattenseite. Bekanntlich liebt der Mensch seinen Schatz nicht bloß, sondern er ist gewöhnlich auch eitel oder stolz auf denselben und läßt sich denselben gerne rühmen. Bekanntlich hatte Jakob große Anlage zur Eitelkeit, und nun mußte er mit der weder schönen noch eleganten Kathri sich zeigen, mußte die spöttischen Blicke hinnehmen auf der Promenade oder auf den Bällen und Partien, mußte in der Werkstätte oder beim Glase Schnaps den Spott über sein Trampeltier, wie die Kameraden die Kathri zu nennen beliebten, hören. Höchstwahrscheinlich war bei manchem Kameraden der Neid die Quelle des Spottes. Eine so schmackhafte Verbindung, welche zu Wurst und Braten und andern Dingen brachte, wäre wohl manchem sehr erwünscht gewesen. Solcher Spott erbitterte Jakob sehr, war Ursache zu vielen Händeln, aber die Säure, welche derselbe ablagerte in Jakobs Gemüte, mußte doch hauptsächlich Kathri empfinden. Jakob behandelte sie schnöde, tyrannisch, ihre Liebe war die Handhabe, an welcher er alles ertrotzte, was ihm beliebte. Er glaubte gleichsam ein Recht zu jeglicher Schadloshaltung zu haben.

Wir wollen nicht verhehlen, daß Jakob roh geworden war, ein wüstes Wesen in seiner Seele Platz gewonnen hatte, und in dem Maße als er in äußere Bedrängnis kam, setzte er sich über jegliche Schranke weg und glaubte sich alles erlaubt, von welchem er Erleichterung oder Entschädigung hoffte. Er fragte längst nicht mehr: »Herr, was soll ich tun, daß ich das ewige Leben erwerbe?« er fragte auch nicht mehr: »Was ist erlaubt, was ist verboten von Gott oder in dem Lande, in welchem ich wohne?« er hatte sich in offene Feindschaft gesetzt gegen jegliches Gebot, er lästerte und fluchte über jegliches, als sei es unwürdig der Menschheit, nichts als ein verfluchter Zwang der Reichen, Aristokraten und Pfaffen gegen die Armen, eine Beeinträchtigung der Freiheit, zu welcher jeder geboren werde. Jede Übertretung eines Gebotes betrachtete er als eine Eroberung auf feindlichem Gebiete. Wegen dieser hohen Gesinnung wurde er von den Führern hoch gepriesen; wenn alle Gesinnung hätten wie er, sagten sie, dann wäre der Sieg bald entschieden, und der große Tag stiege herauf, einstweilen jedoch sei es klug, wenn er diese Gesinnung nicht allzu auffallend hervortreten lasse.

Gestohlen hatte er nie. Tief unten, wohin sein Auge vor Nebel nicht mehr sah, ruhte noch ein Schatz von der Großmutter, und zuweilen kam ein Goldkorn davon auf die Oberfläche, er sah es aber auch nicht, und wenn er es sah, wußte er nicht, woher es kam. Stehlen möge er nicht, wegen Kleinem großen Gefahren sich auszusetzen, so dumm sei er nicht, er wolle warten, bis alles fällig und frei sei, dachte er. Ob aber die Kathri stahl, der Tabak, die Zigarren, der Wein usw. usw. wirklich ihr gehöre auf rechtmäßige Weise oder gestohlen sei, darum kümmerte er sich nicht, es genügte ihm vollkommen, wenn das eine oder das andere ihm wohl schmeckte. Wenn ihn jemand darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sein Schatz auf diese Weise in große Schmach kommen könnte, so hätte er wie die Pharisäer dem Judas kaltblütig geantwortet: »Meinethalben wohl, da sehe sie zu!« Und diese Gesinnung nannte man unter Brüdern eine sittliche, dem Zeitgeiste und der wahren Kultur angemessene!

Mit seinem Meister stand Jakob ganz in neutralem Verhältnis, der Meister bekümmerte sich nicht um Jakob und Jakob nicht um den Meister. Der eine arbeitete, weil er mußte, der andere zahlte, was er schuldig war. Oft fluchte der Meister über die verdammten Lumpenhunde von Fremden, mit welchen man beständig Verdruß hätte, bald so, bald anders. Wenn dann Peter, der alte Gardist, sagte, es nehme ihn wunder, daß er doch immer wieder Fremde anstelle, und wenn er wüßte, wie sie erst gesinnet seien, und was sie im Schilde führten, er ließe keinen über die Schwelle, so antwortete der Meister: »Meinst du etwa, ich hätte nicht davon gehört? Aber das ist ein dumm Gestürm. Man muß sie reden lassen, wenn sie Freude daran haben, und singen lassen und vereinlen, so viel sie wollen. Wenn sie Freude haben, sich den Speck durchs Maul ziehen zu lassen und wohl daran leben, so mag ich es ihnen wohl gönnen. Probieren werden sie nichts, und probieren sie es, so werden sie schon erfahren, wer Meister ist, die Tröpfe. Aber haben müssen wir sie. Warum will keiner von unsern Buben das Handwerk recht lernen und Meister sein, wenn er seine Nase noch nicht selbst putzen kann!« So sah der Meister die Sachen an und dachte nicht daran, daß auch der Peter von den gleichen Grundsätzen angesteckt sei, bloß feindselig den Fremden, die er haßte, als sei jeder ein Neapolitaner. Auch vor den Fremden selbst packte der Meister ungeniert seine Meinung aus und lachte über das Gestürm. Die Gesellen schwiegen dazu und dachten: »Warte du nur, du wirst es schon einmal erfahren!« Unter sich lachten sie über den alten Philister, und was der mal für Augen machen werde, wenns losgehe. Wenn der Schlag ihn nicht rühre auf der Stelle, so werde er doch wenigstens sein Lebtag das Maul nicht mehr zubringen vor schrecklicher Verwunderung über die neue Ordnung der Dinge.

Von der Frau Meisterin nahmen sie wenig Notiz, da sie mit ihr in keine besondere Berührung kamen, nur wurden hier und da Müsterchen ihrer Dummheit herumgeboten und belacht, welche die Magd ihrem Liebsten mitteilte, um sich schadlos zu halten für die leibliche Erniedrigung des Dienens. Sie meine, was sie wisse, sagte die Magd, und wolle die Gelehrte spielen, sei bis zur Unterweisung in eine Töchterschule gegangen und nachher zwei Jahre ins Welschland und wisse doch auf aller lieben Himmelswelt nichts, sei das dümmste Babi von Paris bis nach Jerusalem. Erst letztlich habe sie den Holzfuhrmann auf ihr Zimmer kommen lassen und ihm gesagt: »Lieber Mann, ich möchte Euch was fragen, worüber Ihr mir am besten Auskunft geben könnt. Ich glaube es zwar zu wissen, aber ich möchte der Sache recht sicher sein. Nicht wahr, das Tannen- und Buchenholz unterscheidet man an den Scheitern, weil die tannenen Scheiter viel länger sind als die buchenen?« Letzthin habe sie einen Hasen vom Markte gebracht und ihr befohlen, denselben noch am gleichen Abend zu rupfen. Darauf, als die Magd erwidert: »Verzeiht, Frau, die Hasen bälgelt man aus«, habe sie geantwortet: »Überredest mich doch nicht, meinest, ich habe nicht mehr Hasen gegessen als du? Die Gänse bälgelt man aus, die Hasen, die rupft man.« So dumm sei sie, und doch sei sie, wenn sie nicht Visiten mache, den ganzen Tag über den Büchern. Die Magd hätte schon manchmal gedacht, wenn es die Bücher wären, welche die Leute gescheut machen würden, die Frau müßte ein Weisheitsbündel sein zum Zerplatzen, und doch wollte sie wetten, wenn man die Frau ausbälgete, man fände nicht einen Stecknadelkopf groß Weisheit bei ihr. Das war die einzige Berührung, welche Jakob mit der Meisterfrau hatte; eine geistige war es also.

Der Großmutter hatte Jakob nicht geantwortet. Anfangs wollte er es tun, wollte ihr den Abstand zwischen ihr und ihm fühlbar machen, ihr zu verstehen geben, daß ihr solche Sprache nicht mehr zieme, daß sie übrigens auch die Pflicht hätte, ihm Geld zukommen zu lassen so viel als er begehre, und daß eine alte Frau gar kein Urteil habe über die neue Zeit und den Wert der Dinge darin. Doch schrieb er nicht. Einer alten Frau Verstand predigen und Krähen singen lernen sei das gleiche. Aber wenn er heimkomme, dann werde er ihr zeigen, wer der Jakob sei, und was so eine alte Frau zu bedeuten hätte. So sprach der Jakob. Im Grunde des Herzens fürchtete sich aber der Jakob doch noch vor der Großmutter, und darum schrieb er nicht. Indessen den Grund, den er vorausstellte, glaubte er selbst, und seine Furcht im Herzen kannte er selbst nicht.

Es ist etwas Eigentümliches mit einem Respekt, der durch überlegene Kraft eingeprägt worden ist, der schmilzt nicht wie Schnee in der Aprilsonne. Ein solcher Respekt bleibt so lange im Herzen, als der lebt, welcher denselben eingeprägt hat, auch wenn derselbe gliederlahm im Bette liegt. Die wahre Kraft wird ihre Gewalt und Macht behalten bis an der Welten Ende, wohne sie in einer gebrechlichen Großmutter oder einem Weltbeherrscher. Die Welt mag sie verleugnen, verhöhnen, mit Füßen treten, wie sie will, es ist dieses Aufbegehren dagegen nichts als das Sträuben des Kindes gegen die Rute, welcher es doch nicht entläuft. Kann es sich derselben auch gegen die Menschen erwehren, so gibt sie ihm Gott und zwar um so schärfer. Die Nachwelt errichtet ihre Denkmale nicht den Knechten der Welt, den Volksschmeichlern und Heuchlern, sondern den Überwindern der Welt, den Volksbändigern, den Helden der Wahrheit. Diese werden die Lieblinge der Nachwelt, auch wenn die Mitwelt sie geschmäht, sie gesteinigt, gekreuzigt hat.

Winter wars geworden, schaurig und kalt. Hoch lag der Schnee zu Berg und Tal, lang hing der Reif an den Bäumen, schaurig sauste die Aar- oder schwarze Bise, der kälteste unter den kalten Winden, über die Felder, durch die Wälder, trüb und düstrer Nebel voll war die Luft, sie glich einer Seele ohne Liebe, aber voll schwarzer, trüber, herzloser Gedanken. In Pelz und Mantel schritt, wer welche hatte, gemessen einher; wen aber nur dünne Hosen spärlich schützten oder ein leicht Kleidchen am Leibe Schutz zu suchen schien gegen den jämmerlich, erbärmlich kalten Wind, der schoß durch Luft, Schnee und Wind so schnell als Atem und Beine es ihm erlaubten. Schwer und langsam, dem Gerichte Gottes gleich, knarrten die gewaltigen Güterfuhren durch den Schnee; flüchtig und schnell mit munterm Geläute, wie Mädchengedanken durch die Männerwelt, flogen lustige Schlitten der glatten Bahn entlang.

Draußen vor dem obern Tore, ob in Bümpliz-Bethlehem, wo es manchmal allerdings etwas morgenländisch zugehen mag, oder in Weiermanns Haus, wir wissen es nicht mehr genau, war Tanz gewesen. Absonderlich lustig war es zugegangen drinnen an der Wärme, desto schauriger war das Heimgehen, dem kalten Nord entgegen, der durch dichte und dünne Kleider den Menschen auf den Leib fuhr, wie der gröbste Zollbeamte es nicht vermag. Absonderlich gesund ist ein solches Heimgehen vom heißen Tanz in kalter Bise eine ganze oder halbe lange Stunde. Gar mancher klagt bitterlich über schweren Beruf, harten Meister und schwindende Kräfte. Daß am Schwinden der Kräfte weder Beruf noch Meister schuld sind, sondern ein solcher Heimgang nach heißem Tanz eine ganze kalte Stunde weit, das würde er keinem glauben. Die Schuld legt eben wieder die Welt selten dahin, wo sie hingehört; Gott wird es einmal anders machen.

Dort hatte auch Jakob getanzt mit seiner dicken Kathri, hatte mit ihr sich gedreht, so gut es der Kathri gehen wollte, die eben keine Hexe im Tanzen war und es auch nicht ward trotz dem Glück, daß sie einen hatte, der mit ihr tanzte einen langen, lieben Abend durch. Was sie aber auszeichnete vor allen Schönen zu Bethlehem, war wohl das, daß die andern Schönen köstlich lebten auf die Kosten ihrer Liebhaber, Kathris Liebhaber sich behaglich tat auf die Kosten seiner Schönen. Spät brach man auf, schneidend pfiff der Wind durch den langen Baumgang. Am Arme führte jeder sein Liebchen, und jedes Paar drängte eng sich zusammen, sonst kümmerte sich kein Paar um das andere, jedes Paar vergaß, was hinten, was vornen war, vergaß die ganze Welt, doch nicht wegen der heißen Liebe, sondern wegen der kalten Bise. Die Kälte drang bald durch die Kleider, drang durch den Leib bis ins Herz hinein, daß es zu zittern und zu zagen begann, jeder Funke Mut erlosch, zu einem eisigen Wesen, dem Tode ähnlich, es erstarrte. So wie es kalt und schauerlich den Wandelnden ward und eng aneinander sie sich schmiegten, so wuchs der Kathri auch etwas. Wars Angst, wars Vertrauen, wars ein unnennbares Etwas, das in Worten sich kaum ausdrücken läßt, wir wissen es nicht. Sie schmiegte noch enger an Jakob sich, ging langsamer, frug endlich; »O Jakob, wollen wir etwa einander heiraten? Es dünkt mich, es solle und müsse sein.« Dem Jakob zuckte das Herz zusammen, er wußte lange nicht, was sagen, endlich meinte er, über so etwas ließe sich besser in der Wärme reden als hier in sausender Bisluft. Es wäre besser, sie gingen schneller, denn sie seien die Hintersten, ihn friere es durch und durch. Wie er wolle, sagte Kathri. Er solle nicht zürnen, sie hätte gedacht, sie wolle es ihm sagen, einmal müsse es doch sein. Es sei ihr so kalt und angst geworden auf einmal, daß sie nicht gewußt, müsse es gestorben sein, oder gebe es was anderes. Des erschrak Jakob gar sehr, machte die arme Kathri der Stadt zuzulaufen, daß sie außer Atem kam, und trotz der Eile, welche sie schneller heimbrachte, als sie gerechnet hatten, hatte er selben Abend keine Zeit mehr, ein vertraut Wort mit ihr zu reden.

Ans Heiraten und sonst was hatte Jakob nie gedacht, von allerlei Fällen wohl reden hören, aber ihnen weiter keine Aufmerksamkeit geschenkt. Heiraten wollte er nicht, absonderlich die Kathri nicht, wie hätte er sich schämen müssen, einen solchen Kürbis als Frau nach Hause zu bringen! Aber wie machen, um los- und wegzukommen? »Gib dem Mensch gute Worte, sage, du wollest heim, die Sache in Ordnung zu bringen, oder wollest nach Paris und auf der Rückkunft es mit dir heimnehmen, wenn es nicht Lärm mache, dich nicht in Verlegenheit bringe! Das Mensch glaubt dir das, zähle darauf, und bist du einmal zum Tor hinaus, so bist du der Kathri los, die weiß den Weg durch die Welt nicht weiter als bis Bümpliz.« So riet ihm ein alt, verwettert Gesicht. Wie ihm geraten ward, so tat er auch, und die arme Kathri glaubte ihm nicht nur, sondern was sie auf- und anbringen konnte, hing sie ihm noch an, half ihm sich flott machen allenthalben, so daß er doch noch mit dem Felleisen auf dem Rücken zum Tor hinauswandern konnte. Freunde wollten ihn gen Neuenburg senden, dort würde er Arbeit finden, meinten sie, allweg hätte er hierdurch einige Stunden näher nach Paris, aber Geneff stak ihm im Kopf, dort durch wollte er.


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