Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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[Dienstag 17. bis Donnerstag 19. September]

d. 17. Sept. 82 Abends

Ganz stille hab ich mich nach Hause begeben, um zu lesen, zu kramen und an dich zu dencken. Ich binn recht zu einem Privatmenschen erschaffen und begreiffe nicht wie mich das Schicksal in eine Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie hat einflicken mögen.

Dir lebe ich meine Lotte, dir sind alle meine Stunden zugezählt, und du bleibst mir das fühle ich.

So lang ich dich gestern sehn konnte wehte ich mit dem Schnuptuche, auf dem Weege war ich bey dir, nur wie ich die Stadt erblickte fühlt ich erst den Raum der mich von dir trennte.

Ich versuchte mir den ersten Theil, vielmehr den Anfang meines Mährgens ausführlicher zu dencken und stellenweise Verse zu versuchen, es gienge wohl wenn ich Zeit hätte, und häusliche Ruhe.

d. 18ten früh.

Die ersten Tage meiner Entfernung von dir sind immer sehr schmerzhafft ieden Augenblick mögte ich zu dir laufen, und kann meine Gedancken nirgendhin ableiten. Sehnsuchtsvoll erwarte ich ein Briefgen von dir, und wie dir es in Rudolstadt gegangen ist.

Wie schön wird es seyn wenn du wieder da bist und nur die Ackerwand uns trennt du einzige.

Nachts.

Die Fischerinn ist gespielt. Wie bey allem und nach allem ich dein verlange!

Sie haben schlecht gespielt, und hundert Schweinereyen gemacht, am Ende war freylich das Stück vorüber, wie wenn einer nach einem Reh schösse es fehlte und durch ein ohngefähr einen Hasen träfe. So ists mit dem Effeckt! pp.

Der beste Effeckt ist den zwey gleiche Seelen auf einander machen. Der auch in der Entfernung nicht fehlen kann und der von keinen dritten, Ackteurs oder Instrumentalisten abhängt. Ich habe dir einen Vorschlag zu thun doch den Morgen frühe. Heut gute Nacht.

d. 19ten früh.

Mein Vorschlag ist der du sollst mir Sonntags in Blanckenhahn begegnen. Ich ritte zu guter Zeit hinaus und fände dich, wir blieben den Tag zusammen und gingen Abends zurück. Ich kann nicht bis Michæl warten, und kann täglich weniger ohne dich seyn.

Auch kann ich nicht warten bis ein Bote kommt, ich schicke meinen Purschen zu Pferde der mag sich durch Wind und Wetter schlagen.

Hierbey empfängst du allerley.

Und die eifrigste Versicherung meiner Liebe.

G.

Wenn du willst kann Götze uns gleich bey Schleusing melden.

Hier auch ein Bittet von den Kindern ein Tiefurter Journal pp.

Eben fällt mir ein daß die Lengefelds mit dir kommen vielleicht hindert dich das. Dein Bruder kommt erst den Montag.

971

[Montag 23. bis Mittwoch 25. September]

d. 23. S. 82.

Als ich aufwachte und noch halb im Schlafe war sagte ich zu mir: Es ist zeit daß du aufstehst und fortreitest! denn es war mir nicht anders als wenn ich vorhätte zu dir zu gehn. Mit dem völligen Erwachen, trat auch die Wahrheit ein und die süse Hoffnung verschwand für diesmal.

Aber nicht das fröhliche Gefühl daß du mir angehörst, und ich dir. Ich kann dir nicht sagen wie angenehm mir der Ritt nach hause war. Tausendfältig ist meine Freude dich zu sehn, auch tausendfältig das Gefühl wenn ich dich verlasse. Diesmal war es still, beruhigt, mit Gewißheit auf die Zukunft.

Es ist heut Abend Abschieds Thee bey der Herzoginn, der Prinz geht morgen fort. Die übrige Woche will ich fleisig sein und Sonntags mein Glück aufsuchen.

den 24ten.

Der Prinz ist weg und hat noch bey mir sein Frühstück eingenommen. Ich bin ihm herzlich gut und wollte er wäre unser, es wär ihm nütze und uns auch. Er hat die Kenntnisse und das Intresse das unsern fürstl. Personen fehlt, um das in Bewegung zu sezen und zu erhalten was so reichlich bey uns vorräthig ist, und was auserdem ieder für sich behält. Wie verlangt mich mit dir zu reden, und zu seyn, und dir vielerley zu erzählen und auszulegen.

d. 25ten.

Ich fertige meinen Boten ab, der zugleich sechs Zitronen überbringen soll, willst du ihrer mehr, so schreibe ich kann sie Sonntags mitschaffen. Vergebens habe ich nach Obst und sonst etwas mich umgethan, es fehlt an allem. Weintrauben brachte man mir, die waren sauer und meine Liebe soll bey nichts Saurem sich meiner erinnern.

Lebe wohl, bald kann ich dich wieder unterhalten von dem was meines Lebens bestes Theil ist. Ein guter Brief von Knebeln ist mir zugekommen.

Grüse Steinen und deinen Bruder. Ich binn immer bey dir.

G.

972

[Mittwoch 2. und Donnerstag 3. Oktober]

Hab ich meine Briefe und Packete erbrochen und durchsucht; so wendet sich meine Seele schon wieder zu dir, und ietzt empfinde ich erst das Glück bey dir und dein zu seyn, da ich so weit von dir entfernt bin und noch eine Ferne von mehreren Tagen uns scheidet.

Ich wollte dir nicht schreiben und finde bey meiner Zurückkunft einige schöne Früchte, die ich selbst zu essen, für einen Raub halte. Hier sind sie, mögen sie dir statt meiner recht viel süses vorsagen. Lebe wohl und sey und bleibe mein Glück.

d. 2. Okbr. 82.

Ich bin an deiner Seite zu diesem Monat hinausgekommen, ich weis nicht wie, möge mir es auch mit dem Leben so gehen.

Von meiner Mutter hab ich einen Brief gefunden der fürtrefflich ist. So lang ich euch beyde habe kann mir's an nichts fehlen. Lebe tausendmal wohl, du meine einzige.

d. 3. Oktbr.

Beym Erwachen glaubte ich in meinem Kochberger Bette zu liegen und habe wieder die ganze Nacht von dir geträumt.

Es ist ein leidlicher Tag. Meine Alte mag wandern. Behalte sie heute Nacht dorten, fertige sie aber diesen Abend ab, damit sie Morgen in aller frühe aufbrechen kann. So betrüge ich die Abwesenheit. Und werde in Hoffnung tüchtig etwas zu thun. Lebe wohl du bleibende sey gesund und fröhlich.

G.

973

Ich kann meiner L. nur ein kleines Wort schreiben. Wie sehr habe ich nöthig in deiner Nähe zu seyn! Wenn ich mich auch entschliesen muß von dir zu gehen, so möcht ich doch gleich wieder zurück. Lebe wohl beste. Es giebt allerley zu thun. Adieu. Grüse St[einen] und die Kl[eine].

G.

974

[Dienstag 8. Oktober]

Endlich ist der liebe Morgen da der sich von so vielen andern dadurch unterscheidet daß meine Geliebte nur 300 schritte weit von mir erwacht.

Ich binn und lebe mit und bey dir und werde diesen und alle Tage so einrichten daß mir von deinem köstlichen Umgange von dem glücklichen Seyn mit dir so wenig als möglich verlohren geht.

d. 8. Oktbr. 82.

G.

975

[Donnerstag 10. Oktober]

Es ist schon neune und das versprochne Wort von meiner lieben kommt noch nicht.

Mit Mühe hab ich mich vom Aristoteles losgerissen um zu Pachtsachen und Trifftangelegenheiten überzugehen.

Sage mir wolltest du nicht von 12 bis 1 mit mir spazieren gehn ich möchte dich gerne noch einmal in meinen Garten führen.

Nimm allenfalls Fritzen mit.

Ich hole dich ab. Dann äsen wir zusammen schieden für den Nachmittag um Abends wieder da zu seyn wo es gut seyn ist.

d. 10. Oktbr. 82.

G.

Eben kommt dein liebes Zettelgen, nun bitte ich noch um Antwort auf dieses.

976

[Sonnabend 12. Oktober]

Es ist mit unserm Umgange, mit unserer Liebe, wie mit den ewigen Mährchen der berühmten Dinarzade in der Tausend und einen Nacht, Abends bricht man sie ungern ab, und Morgends knüpft man sie mit Ungeduld wieder an.

Du hast gefühlt daß ich gestern mit Absicht zauderte du kannst mich heute nur schadlos halten.

Ich habe allerley zu thun.

Diesen Mittag musst du mich zu Tische haben und nur die Aussicht auf Nachmittag und Abend kann mich an meinem Schreibtische halten. Lebe wohl, du aller aller liebstes.

d. 12. O. 82.

G.

977

[Sonntag 13. Oktober]

Auch ich wollte schon lange schreiben, und war immer abgehalten.

Der Engländer war bey mir. Ein wundersam Original.

Ich bin bey Hofe, und komme vorher dir zu dancken und zu sagen und zu hören was man nicht satt wird.

d. 13. O. 82.

G.

978

[Mitte Oktober?]

Meiner einzigen lieben sage ich noch eh sie in Gesellschafft geht, einen guten Tag, und versichre sie daß ich in ihrem Andencken hier haussen in dem alten Garten recht glücklich lebe.

Das Camin das ich zu Hause entbehren muß ist mir in dieser Regenzeit sehr angenehm. Und viele alte Ideen steigen mit dem Feuer auf. Adieu. Ich sehe dich um sieben, bis dahin stärcke mich noch mit einem Wörtgen. Lebe wohl.

979

Es wird hoffe ich gehen meine Lotte die Leute sind angestellt, mich treibt auch dazu das Verlangen dir ein Vergnügen zu machen. Lebe wohl. Ich bin mit Leuten besezt.

G.


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