Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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[Mittwoch 28. August bis Sonntag 1. September]

d. 28. Abends im Garten.

Ich dachte mit dem Prinzen nach Tiefurt zu fahren als ich hörte es ginge alles hinaus. Darauf entschloss ich mich kurz und gut unter mein altes Schindeldach zu kriechen und im Stillen mir und dir zu leben. Einige Geschäfftgen sind beyseyte gebracht, ein Leben im Plutarch gelesen, und nun sag ich dir einen guten Abend. Morgen wird mich die alte mit einem Zettelgen erfreuen, nun hast du meine Post, und denckst gewiss an mich und bist vielleicht auch begriffen mir es zu sagen. O du beste! was deine Briefe einen Glanz von Liebe und Treue haben, wie ich mir dein Herz so sachte und schön geöffnet sehe! Wie ich mich auf den Montag freue!

d. 29ten.

Heute hab ich den grösten Theil des Tags mit dem Prinzen Aug[ust] zugebracht er hat den Braten nicht verzehren, sondern nur anschneiden helfen, schade daß es nicht eine grose Gesellschafft war.

Dein Brief und Schachtel kamen über Tisch. Ich erfreute mich recht herzlich ieder Sylbe. Montags lade ich dich mit den deinigen ein, ich will es auch in deinem Quartier sagen. Welch ein schöner Tag wird es mir werden.

Der Herzog geht auf Dresden, er hat mich gar gut eingeladen mit zu gehn oder zu folgen, ich werde aber wohl bleiben. Der Prinz bleibt. Übermorgen wird die Comödie gegeben. Dies sind unsre Neuigkeiten. Gute Nacht liebste. Das zweyte Buch W[ilhelm] M[eister] ist balde fertig.

d. 31. Aug.

Gestern war ich den ganzen Tag in Bewegung und Zerstreuung. Heute früh erhalte ich dein liebes Packet und die Versicherung daß du kommst. Ich träume alle Nacht von dir und hoffe es soll bald wahr werden.

Heute wird die Comödie gegeben, die du auch nicht sehen sollst. Wäre der Herzog nicht gegangen, so wäre es später geworden.

Die Anstalten zur Dresdner Reise sind mir zuwieder. Der Herzog macht sie auf seine Art, das heist nicht immer die nächsten, und disgustirt einen nach dem andern. Stein ist auch ungehalten daß er im Oberlande hat für Wedeln vikariren müssen der nunmehr mitgeht.

Ich bin ganz ruhig denn es ist nicht zu ändern und es freut mich nur daß es keine Fürstenthümer gilt, um welche offt mit dergleichen Karten gespielt wird.

Isenflamm ist angekommen mit dem will ich brav politisiren. Der soll mir Wien inn und auswendig schildern.

d. 1 Sept.

Das Stück ist ziemlich gut abgelaufen.

Ich höre daß heute Abend die Pferde zu dir gehen also nur Ein Wort.

Ich erwarte dich morgen zu Mittage in meinem Garten wo ich dir ein Essen bereiten will. Welche Freude dich wieder zu sehen und neues Leben von deinem daseyn zu nehmen.

Adieu liebste, zärtlichste und zärtlich geliebteste.

G.

961

[Dienstag 3. September]

Wie vergnügt bin ich daß ich dir wieder in der Nähe guten Morgen sagen kann. Leider wird dieses Glück nicht lange währen. Ich gehe in's Conseil, esse bey Schnaus, sehe dich noch vorher, und erfahre wie du deinen Tag eingetheilt hast.

Hier schick ich Knebels Brief und Lavaters. Liebe mich und hilf mir leben.

W. d. 3. Sept. 82.

G.

962

[Donnerstag 5. September]

Zum guten Morgen Eine Frucht. Ich stehe mit meinem täglichen Verlangen auf dich zu sehen und dir angenehm zu seyn.

Über unsern politischen Diskurs von gestern habe ich dir noch verschiednes nachzuholen. Adieu ich sage dir balde was heute mit mir wird.

d. 5. Sept. 82.

G.

963

[Sonntag 8. September]

Sage mir l. L. wie du geschlafen hast, wie du dich befindest? Du mein geliebtes erstes und letztes. Könnte ich dich doch immer wohl wissen.

Adieu gegen eins bin ich bey dir.

d. 8. Sept. 82.

G.

964

[Sonntag 8. September?]

Ja liebe Lotte du bists und wirsts bleiben. Vor Tische seh ich dich, und bedaure schon meinen einsamen Abend. Morgen soll es desto besser werden. An's Scheiden mag ich gar nicht dencken. Ich bin dir so fest angebunden daß ich mein Leben zerreisen würde, wenn ich an eine Trennung dächte. Leb wohl Liebste und froh am fröhligen Tage.

d. 10. Sept. 82.

G.

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[Montag 9. September]

Zum Morgengrus erhalte ich deine gute Nacht.

Ich legte mich zeitig zu Bette, mein gewöhnlich Mittel wenn mir's in der Welt unheimlich wird, und las und schlummerte und dachte an dich. Der Herzoginn Befehle sind mir lieb da sie mich schneller zu dir bringen meine beste. Punckt achte sind wir wieder da. Leb wohl. Glaube, daß mir nichts am Herzen liegt als deiner Werth zu seyn.

d. 9. S. 82.

G.

966

[Dienstag 10. September]

Guten Morgen leider bald nicht mehr so nah. Du weisst daß der beste Theil meines Lebens mit dir weggeht. Ich werde bestellen daß ich noch wenn du vorbeyfährst dich einen Augenblick sehe. Lebe wohl und bringe mir bald dich und deine Liebe zurück.

d. 10. Sept. 82. G.

967

[Dienstag 10. September]

d. 10ten Abends.

Du mußt die beiden letzten Tage bemerckt haben, daß ich nicht ganz bey dir war.

Ich fand mich in einen unangenehmen Handel verflochten, eigentlich von keiner Bedeutung, aber nach meiner Art Sachen an einander zu knüpfen, und Entschliesungen auf die Spitze zu stellen, von Folgen die sich nicht über sehen liesen. Ich habe mir nicht nachgesehn, mich so wacker als möglich gehalten. Das Glück hat mich begünstigt und alles ist abgethan.

Der erste freye Augenblick war Sehnsucht nach dir, und ich fühlte erst daß du weg warst, schickte dir tausend Gedancken nach und erfreute mich deines Daseyns auch in der Ferne. Der Abend war köstlich im Thale. Um sechse ritt ich auf Tiefurt, wo Schlick spielte. V[illoison] schwätzte, und übrigens iedes sich nach seiner Art verhielt.

Bey Tische saß ich neben der Gräfinn und redete einmal laut für mich. Sie sah mich steif an und sagte was rechnen Sie? Sie mogte gehört haben als spräch ich Zahlen aus. Nun Gute Nacht. Hier die schönsten Ballen von der Welt. Addio tausendmal Geliebteste.

G.

968

[Mitte September]

Von mehr als einer Seite verwaist,
Klag ich um deinen Abschied hier
Nicht allein meine Liebe verreist
Meine Tugend verreist mit dir.

Denn ach bald wird in dumpfes Unbehagen
Die schönste Stimmung umgewandt,
Die Leidenschafft heist mich an frischen Tagen
Nach dem und ienem Gute iagen,
Und denck ich es recht sicher heim zu tragen,
Spielt mir's der Leichtsinn aus der Hand.
Bald reiht mich die Gefahr ein Abenteur zu wagen,
Ich stürze mich hinein und halte mutig Stand,
Doch seitwärts fährt die Lust auf ihrem Taubenwagen,
Die Luft wird balsamreich mein Herz geräth in Brand;

Mein Schutzgeist eil es ihr zu sagen
Durchstreiche schnell das ferne Land.
Sie soll nicht schelten soll den Freund beklagen.
Und bitte sie zu Lindrung meiner Plagen
Um das geheimnißvolle Band.

Sie trägts und offt hat mir's ihr Blick versprochen pp.

969

[Donnerstag 12. September]

Du solltest sehen wie ich dich überall suche Liebe Lotte! Meine Geschäffte gehn stille hin, Zerstreuung hab ich nicht, meine Erhohlungen selbst sind absichtlich und gebunden, zu dir allein kann meine Seele noch einen Flug nehmen, denn in irrdischen Dingen gilt waten, nicht schwimmen. Sonst gehn meine Sachen gut.

Du solltest sehn wie der Sonntag vor mir steht und wie ich wünsche daß der Himmel auch Amen dazu sage. Dem Lande wollt ich Regen gönnen, Morgen und übermorgen damit wir dann trocken und erquickt reisten.

Gestern früh that ich allerley ab, war mit dem Prinzen in der Zeichenschule. Hatte die Schrötern, Probsten, und den Bruder der leztern der auf Leipzig geht zu Tische. Spazierte, war zum Thee und Abendessen bey der Herzoginn, wo es artig zu ging. Der Herzog will von Dresden wieder auf Dessau, er vergisst über die Parforce Jagd daß der Prinz hier ist, und im stillen Glossen darüber macht. Wenn auch vielleicht nicht er, doch gewiss die Gothaner.

Gastfrey ist der Herzog, und er weis auf iede Art sich von seinen Gästen frey zu machen. Gut daß es die Menschen nicht so genau mit einander nehmen, und Fürsten sich immer wechselsweise viel zu verzeihen haben wenn sie mit einander leben wollen. Zwar mit dem Prinzen ist dies der Fall nicht.

d. 12. Abends.

Dein Brief begrüst mich wie ich nach Hause komme. O Lottgen wie gut wie süs bist du. Gute Nacht. Jetzt lebe ich eigentl. nur dem Sonntag entgegen. Morgen führe ich die Mädgen an und den Prinzen dazu. Wenn's gelingt giebts eine Geschichte auf Zeitlebens.


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