Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

950

[Sonnabend 17. August]

Meiner Geliebten kann ich sagen daß das Zahnweh so ziemlich ruht. Daß ich wohl geschlafen, ia sogar die Kanonenschüsse überschlafen habe. Daß ich mich freue ihr Angesicht zu sehn, und daß ich an ihre Augen gebunden bin.

d. 17. Aug. 82.

G.

Wenn nur der Donnerstag nicht bevorstünde.

951

[Sonntag 18. August]

Ich habe gut geschlafen, meine Zähne necken mehr als daß sie schmerzen. Meine Hoffnung ist dich zu sehen eh ich in meinen Garten gehe und dann um sechse. Lebe wohl. Liebe mich, das ist das einzige und schönste Band meines Lebens.

d. 18. Aug. 82.

G.

952

[Montag 19. August]

Der Fr. v. Palm wenn sie eine gute Frau ist mag ich gern die Freude deiner Bekanntschafft gönnen, wenn sie mir nur nicht die paar letzten Tage raubte die ich mit meiner Lotte zu zubringen hoffte. Es will mir gar nicht ein. Adieu ich stehle einen Augenblick dich zu sehen. Adieu tausendmal.

d. 19. Aug. 82.

G.

953

[Dienstag 20. August]

Wie hat meine vielgeliebte geschlafen, und wie findet sie sich mit ihrem Gaste. Der alte Parent grüst sie freundlichst zum guten Morgen, und versichert ihr, daß er recht glücklich ist, wenn er mitten unter den Menschen fühlt daß sie ihn liebt. Adieu ich suche dich heute auf.

d. 20. Aug. 82.

G.

Dein liebstes Zettelgen ladet mich so süse ein daß mir das Herz warm wird, und ein Wohlbefinden sich über mich ganzen ausbreitet. Ich komme! Adieu bis dahin Allerbeste.

954

[Mittwoch 21. August]

Ist dein Gast fort? und was habe ich von dem heutigen Tage zu hoffen. Ich will im Garten essen, wenn du mit einigen wolltest zu mir kommen, Thee trincken und Abends bleiben! Was ihr wollt; so würdest du mich glücklich machen der Mond würde recht schön aufgehen und mir an deiner Seite leuchten. Lebe wohl.

d. 21. Aug. 82.

G.

955

[Donnerstag 22. August]

Mögtest du dich doch den lezten Tag in meiner Nähe recht wohlbefinden und mir mit Fröhligkeit sagen, was ich so gern höre, damit ich auf den langen Zwischenraum gestärckt werde den ich durchleben muß biß ich dich wiedersehe.

Lebe wohl und bleibe mir.

d. 22. Aug. 82.

G.

956

[Freitag 23. und Sonnabend 24. August]

d. 23. Aug. Die erste schrifftliche gute Nacht, nach dem ersten leider ohne dich verlebten Tage. Um 9 und 10 begrüßt ich den Mond, mit dem H[erzog] auf dem Platze herumgehend.

Wie viele Gedancken an dich kehrten wieder zu mir zurück, wie vieles musst ich verschweigen was ich nur dir sagen kann.

Dem fürstlichen Ehpaare laß ich Wilh. IItes Buch unter dem Zelte vor, und es ward gut aufgenommen, ich eile damit fertig zu werden eh du zurückkommst.

Das an Lav[atern] geschickte Portrait ist Villoisons, ich habe ihm sein Elogium in's französche übersetzt.

Was ich dir auch schreibe, will die Feder immer nur sagen: ich liebe! ich liebe!

Wie verlang ich deine Hand zu sehen!

Gute Nacht. Ich kann heute nicht schwäzen und würde dir wenn ich meinem Herzen folgte dir wie die Herzoginn Mazarin ihrer Freundinn einen ganzen Brief voller Kreuze schicken.

Morgen steh ich Gevatter bey Schnaus, dem ein Sohn gebohren worden.

d. 24ten Aug.

Wie die Mädgen dieses Briefes Boten worden, mögen sie dir selbst erzählen, es hat die Lust von einem ganzen Abend gemacht.

Gerne wäre ich mit gegangen und sie baten mich gar schöne darum. Der Prinz August ist erst gekommen und ich mag da nicht aufbrechen.

Wie du mir fehlst mag ich dir nicht sagen. Heute war viel Welt bey mir. Die Herzoginn war ganz allerliebst, laß dir es die Affen erzählen, die Gräfinn B[ernstorff] war auch da, blieb nicht zu Tische. Die Oberhofmeisterinn habe ich auch eingeladen, sie lies durch die Wöllw[arth] eine Entschuldigung machen.

Mitkommende Pfirschen hab ich für dich erbettelt und erbeutet.

Das neue Kegelspiel that gute Würckung.

Du weist doch l. Lotte wie ich dich liebe.

Dancke für dein Zettelgen.

Gute Nacht! Meine Gedancken verlassen dich nicht. Lebe tausendmal wohl.

Grüse Stein und die Kinder.

G.

957

[Sonntag 25. bis Dienstag 27. August]

d. 25. Aug 82.

Wie sehr gönn ich den Kindern um dich in diesem Augenblicke zu springen und zu iubiliren, und wie sehr beneide ich sie. Wenn ich an diesem schönen Tag dein Angesicht sehen könnte wie glücklich wäre ich.

Abends. 8.

Wenn Lav[ater] predigt eins ist noth! So fühl ich auch das Eine das mir Noth ist, dich meine Geliebte mir fehlen. Wie eine süse Melodie uns in die Höhe hebt, unsern Sorgen und Schmerzen eine weiche Wolcke unterbaut, so ist mir dein Wesen und deine Liebe. Ich gehe überall herum bey allen Freunden und Bekannten als wenn ich dich suchte, ich finde dich nicht und kehre in die Einsamkeit zurücke.

Ein grimmiges Wetter bricht herein und wird deinen Gästgen unfreundlich nach Hause leuchten, ich erwarte sehnlich einige Worte von dir. Heute den ganzen Tag Hab ich mir stille Vorwürfe gemacht daß ich nicht mit der Gesellschafft gegangen bin.

Um 10.

Sie sind noch nicht da und ich hoffe so sehnlich auf ein Blättgen von dir.

So hab ich noch nie an dich geschrieben, so noch nie deine Entfernung gefühlt. Ich sehe dich immer unter den deinigen, bin in euch transsubstanziirt. Liebe Lotte! hab ich wieder zwanzigmal des Tages mit leisen Lippen ausgesprochen.

Ich kann dir nichts melden.

Der Prinz ist gut, freundlich und gesprächig.

d. 26. früh.

Endlich erhalt ich dein Blätgen. O du liebe. Ja glaube mir und fühle daß ich dir immer gegenwärtig bin.

Die Kinder sind erst um 1 Uhr angekommen ich weis nicht wie es ihnen ergangen ist. Hier eine Frucht.

Rousseaus Briefe, ein köstlicher Theil seines Nachlasses.

Und das Landschäfftgen.

Und meiner Bleibenden Liebe und Leidenschafft Versicherung. Grüse die deinigen. Tausend adieu.

G.

d. 26 Abends.

Die Melonen wollen nicht reifen und so liegt das Blat noch da.

Wenn ich einen Tag gearbeitet habe, ohne dich Abends zu finden, so weis ich eben nicht wozu alle die Mühseligkeit soll.

Heute habe ich ganz alleine zugebracht, indem in Tiefurt gros Essen und Versammlung war. Die schöne Gräfinn und die abgeschmackten Grafen.

Ich bin so gewohnt ausführlich gegen dich zu seyn, dir alles zu sagen was ich dencke, daß mir es schweer wird dir zu schreiben. Es stellt sich mir alles auf einmal vor und ich mögte dir alles sagen.

d. 27 früh.

Liebe Lotte komm zurück! Ich weis bald nicht mehr warum ich aufstehe.

Abends.

Diesen Abend war allgemeiner Frost unter dem Zelte. Um achte ging ich nach hause. Die Sterne standen über dem deinigen und deine Fenster waren nicht erleuchtet, die Sterne die mich sonst so schön führen. Ich schlich durch meine Ackerwand und bin nun bey dir.

Soll ich denn noch dich Donnerstags erhoffen!

Der Prinz ist gar verständig und lieb, es läßt sich mit ihm etwas reden und treiben. Ich schicke dir einen artigen Aufsatz über Rousseau, von ihm. Er ist auserordentlich bescheiden, bey sehr richtigem Gefühl, und hat keine fürstliche Queeren.

Die Herzogin ist so angenehm als man seyn kann, der Herzog ist wacker und man könnte ihn recht lieben, wenn er nicht durch seine Unarten das Gesellige Leben gerinnen machte, und seine Freunde durch unaufhaltsame Waghalsigkeit nötigte über sein Wohl und Weh gleichgültig zu werden.

Es ist eine kuriose Empfindung, seines nächsten Freundes und Schicksaals Verwandten Hals und Arm und Beine täglich als halb verlohren anzusehen und sich darüber zu beruhigen ohne gleichgültig zu werden. Vielleicht wird er alt und grau, indeß viele sorgliche abgehn.

Gute Nacht liebe Lotte morgen ist mein Geburtstag. Mit dir will ich enden und anfangen wie immer.

G.

958

[Mittwoch 28. August]

Aug. d. 28. früh.

Guten Morgen meine Geliebte. Ungern trete ich aus einem Jahre meines Lebens das mir so viel Glück gegeben hat, und das mir durch die Versicherung deiner Liebe unvergeßlich werden wird. Ich habe für das nächste wenig Wünsche, nur den sehr eifrig daß du mir bleiben und gleich bleiben mögest. Warum bist du eben abwesend daß ich den Segen nicht von deinen Lippen erhalten kann.

Mein Bote muß fort. Adieu tausendmal.

959

[Mittwoch 28. August]

Mein Bote war weg als der deinige kam, ich dancke dir für dein Andencken, deine Liebe und Güte. Auf den schönen Braten will ich den Prinzen zu Gaste bitten, und dabey dein gedencken.

Fritz soll ein Stück Kuchen für sein Ey erhalten.

Grüse alles. Liebe mich! Lebe wohl.

Ich dachte wohl daß du morgen nicht kommen würdest. Adieu.

d. 28. Aug. 82.


 << zurück weiter >>