Johann Wolfgang von Goethe
Briefe an Charlotte Stein, Bd. 1
Johann Wolfgang von Goethe

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Gestern hatt ich's bald satt und strich mich. Heut will ich in die Wüste fliehn, mich lagern unterm Wachholderbaum. Addio liebe Frau.

G.

171

[Dienstag 3. Juni]

Kommen kann ich nicht, da haben Sie Abdrücke. Das Scheidewasser war nicht so lind als der Pinsel. Doch freut michs zu sehn wie's worden ist, denn es ist immer wie's ist. Wir sind mit dem Fürsten v. D[essau] und freuen uns eines neuen Wesens. Adieu beste.

G.

172

[Sonntag 8. Juni]

Wie übel ich dran bin beste aus dem Wasser ins Feuer geworfen, und von einem Orte zum andern. Sie gehn noch nicht hör ich. Heut sehe ich Sie doch wohl in Belvedere! Adieu allerliebste.

d. 8. Jun. 77.

G.

173

[Donnerstag 12. Juni]

Im Garten unter freyem Himmel! Seit Sie weg sind fühl ich erst dass ich etwas besizze, und dass mir was obliegt. Meine übrigen kleinen Leidenschafften Zeitvertreibe und Miseleyen, hingen sich nur so an dem Faden der Liebe zu Ihnen an, der mich durch mein iezzig Leben durchziehen hilft, da Sie weg sind fällt alles in Brunnen.

Heut früh war ich in Belveder, und haben gefischt und auf der Stelle gebacken, ich und der Waldnern Charlott ein trefflich Essen bereitet.

Harnische werd ich puzzen und neue Einrichtungen und Ausrichtungen werd ich machen. Meine Bäume versorgen! – und werde sehr von den Mücken gestochen.

Mit beschmierten Baumwachsfingern fahr ich fort. Ich habe meine Bäume versorgt, und die Räuber abgedrückt! – diese heilung heischten sie schon Monate her und ich ging immer vorbey. – Ein Poet und Liebhaber sind schlechte Wirthe! – Ists wohl weil der Poet ein Liebhaber, oder weil der Liebhaber ein Poet ist??! – –

Adieu beste! – Bleiben Sie mir! Wie ich Ihnen. Adieu Gold.

d. 12. Juni 77.

G.

174

[Kochberg, Montag 16. Juni]

Sie können fühlen wie sauer mir's wird Kochberg zu verlassen. Da es seyn muss ist der schnellste Entschluss der beste. Sie fühlen aber auch dass ich eigentlich nicht weg gehe. Adieu. Möge Freude bey Ihnen seyn wie mein Andencken bey Ihnen ist. Ade Ade.

G.

175

[Weimar, Montag 16. Juni]

Um achte war ich in meinem Garten fand alles gut und wohl und ging mit mir selbst, mit unter lesend auf und ab. Um neune kriegt ich Brief dass meine Schwester todt sey. – Ich kann nun weiter nichts sagen.

G.

176

[Kochberg, Sonnabend 5. bis Weimar, Montag 7. Juli]

Sonnabends d. 5. Jul. Abends halb 10, Kochberg in Ihrem Schlafzimmer. Nur noch eine gute Nacht. Heute komm ich von Dornburg, und bin in dem Ihrigen mit den Ihrigen. Es ist eine wehe Empfindung dass Sie nicht da sind. Gute Nacht. Die Waldner und ich haben immer vergebens auf Briefe gehofft, seit der üblen Zeitung die uns Schardt brachte. Gute Nacht. Müde bin ich und 1000 Gedanken iagen sich mir im Kopfe. Ich mag ich kann nichts anfangen.

Sonntag früh. Guten Morgen beste! Wie ich erstaunt und vergnügt war da ich aufwachte. Ich hatte von Weimar geträumt und wache auf und finde mich hier. – Und Sie nicht! Vorm Jahre waren Sie da und mir wars versagt. Ich bin mit meinem Daseyn und meinen Hoffnungen wie zwischen Himmel und Erde aufgehangen. Ich höre die kleinen Singen und wirthschafften und will zu ihnen.

Sonntag Nachts. Heut früh hab ich im grosen Garten gezeichnet am Plazze wo wir neulich stillstanden und Sie mir die schöne Gegend zeigten. Ich war heut glücklich im Zeichnen, nicht eben mit der tiefen Liebe, aber eben drum in fröhlicher unbefangnerer leichtigkeit. Es ist mir ganz wohl worden von Leib und Seele alle Bürden gelüftet, als wären sie weg. Nach Tisch gingen wir Kästner und die zwey nach Weissenburg wo ganz herrliche Gegend und einzelne vollkommen schöne Pläzze sind. Kästn[er] und ich zeichneten liessen die andern vorausgehn mit dem Boten, und verirrten uns von Mezelbach auf Kuhfras und von Kuhfras auch wieder dass wir über Neusis erst um 10 nach Kochb[berg] kamen gute Nacht Engel es ist iezt mein einziges dass ich Sie noch liebe wie immer.

Montag Abends. Ich bin wieder in Weimar und gleich aus der reinen Stimmung des gestrigen Tags. Ihr Zettelgen hab ich gekriegt, ich vermuthete den Inhalt, und das erstemal wars dass ich eins von Ihnen ungerne aufbrach. Was kan ich Ihnen sagen! Leben Sie wohl.

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[Kochberg, Sonnabend 12. bis Weimar, Donnerstag 17. Juli]

Kochberg Sonnabend d 12. Jul. früh 8 Uhr. Mir ists diese Woche in der Stadt wieder sehr wunderlich gangen ich habe mich gestern herausgeflüchtet, bin um halb sechs zu fuß von Weimar abmarschirt und war halb 10 hier, da alles schon verschlossen war und sich zum Bett gehn bereitete. Da ich rief ward ich von der alten Dorthee zu erst erkannt und mit grosem Geschrey von ihr und der Köchinn bewillkommt. Kästner kam auch mit seinem Pfeifgen herab und Carl der den ganzen Tag behauptet hatte ich würde kommen, Ernst der schon im Hemde stand zog sich wieder an, Friz lag schon im Schlafe. Ich tranck noch viel Selzer Wasser wir erzählten einander unsre Wochen Fata, die Zeichnungen wurden produzirt, und iezzo solls weiter dran adieu beste.

Abends 9. Weissenburg wir sind wieder herüber marschirt und werden beym Pachter schlafen! nun ich habe heut den Göttern sey danck von 8 Uhr früh bis Abends 8 gezeichnet, in Kochberg und hier immer mit gleicher Freude, und gleicher Hoffnung dass es Ihnen auch Freude machen soll, so wenig Hoffnung dazu ist! denn wenn die Natur Sie nicht mehr freut wie soll Sie mein stammeln dran vergnügen. Gnug auf dem Papier sind allerley treue gute Augenblicke befestigt, Augenblicke in denen immer der Gedancke an Sie über der schönen gegend schwebte. Die Nacht ist ganz herrlich durch das weite Thal. Die Jungens sehr lustig und vergnügt ihrer Wandrung, sie wickeln sich auf und bereiten sich zu Bette. Gute Nacht Beste.

Sonntag früh 10. In der Höhle von Weissenburg. Wir haben uns herausgesezt und gezeichnet, es fängt ein Regen an und ich sezze mich unter einen Busch Ihnen guten Morgen zu sagen. der Tag ist grau aber schön! wie schön die Nacht war und der Mond auf der Saale im Thal lässt sich nicht sagen.

Weimar Donnerstag d. 17. Jul. Der erste schöne Tag seit ich von Kochberg zurück bin. Hier sind ein Paar Briefe von den Affen. Ich höre dass es mit Steinen besser geht, das ist mir sehr lieb. Von mir ist nichts zu sagen, das Wetter hält uns alle gefangen in Catharren, Zahnweh und Unbehaglichkeit. Dieses schreib ich unter den Bäumen in meinem Garten, es ist schön, doch feuchtlich warm. Der Herzog ist wohl sonst seh ich niemanden. Hier kan ich auch nicht zeichnen. Neulich dacht ich so auf der Weissenburg da ich mir's so angelegen seyn lies und so viel Freude dran hatte: Wen sie nun wiederkommt und sie nichts freut wozu solls alles! – Adieu.

178

[Weimar, zwischen Montag 14. und Donnerstag 17. Juli?]

Ernst war sehr übel gestimmt und weinte fast als ich fort wollte und er mit seiner Beschreibung nicht weiter konnte. Ich nahm auf mich das übrige zu melden. Es würde mir aber auch gehen wie Ernsten drum beruf ich mich wie er auf Carlen.

G.

179

Ich schlafe, ich schlafe von heute biß morgen
ich träume die Wahrheit ohne Sorgen,
habe heute gemacht den Kammer Etat,
bin heute göttlich in meinen selbst gebad.
Die Geister der Wesen durchschweben mich heut
Geben mir dumpfes, doch süßes Geleit.

Wohl dir Gute, wenn du lebest auf Erden
Ohne andere Existens gewahr zu werden.
Tauche dich ganz in Gefühle hinein,
Um liebvollen Geistern gefährtin zu seyn.
Sauge den Erdsaft, saug leben dir ein,
Um liebvoller Geister Gefährtin zu seyn.

C. A.

Und ich geh meinen alten Gang
Meine liebe Wiese lang.
Tauche mich in die Sonne früh
Bad ab im Monde des Tages Müh,
Leb in Liebes Klarheit und Krafft,
Thut mir wohl des Herren Nachbarschafft
Der in Liebes Dumpfheit und Krafft hin lebt
Und sich durch seltnes Wesen webt.


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