Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Begräbnistag in einer armen Familie

(1838)

Die alte Jungfer Magdalena, Luise, Ernestine Knaken ist vor drei Tagen gestorben und soll heute begraben werden. Sie war, wie man in Berlin zu sagen pflegt, ein altes Meuble in des Schuhmachers Knake Wirtschaft oder Familie, und wurde vom Hausvater, von der Hausmutter, von den Kindern, vom Gesellen und Lehrjungen, vom Dienstmädchen, von den Bekannten und Freunden, kurz von allen »Muhme« genannt. Sie mußte das bißchen Leben teuer mit Arbeit, Kummer, Zurücksetzung und mit dem Umgange der zänkischen Hausfrau, welche ihre böse Laune am meisten auf sie ausströmen ließ, bezahlen. War die Familie ausgebeten oder ging sie spazieren, so mußte die alte Muhme das Haus bewahren, und fand in diesem einmal ein Fest statt, so hatte sie in der Küche zu tun. Nach einem heftigen Zanke, welchen sie abends elf Uhr von der Hausfrau ertragen mußte, legte sie sich zu Bette, weinte bitterlich, bat den himmlischen Vater – zu dem sie alle Sonntage um neun Uhr, wenn die Kinder gewaschen und angekleidet waren, in der Kirche betete – daß er sie von ihrem jammervollen Leben befreien möge, und bekam den Brustkrampf.

Am andern Morgen zankte die Schuhmacherfrau in der Wohnstube, daß die Muhme noch nicht aufgestanden sei und fragte das Dienstmädchen, bei welcher diese schlief, ob denn die alte Hexe noch nicht wach sei.

»Sie lag noch in't Bett, wie ick uffstand«, antwortete die Magd.

»Jeh' jleich hinten, Rieke, un wecke ihr!« befahl Madame Knaken. »Frage ihr man, ob wir ihr etwa erscht Blumen streuen sollten, eh' sie ufstände?«

Rieke lief nach ihrer Schlafkammer, kam mit bleichem Gesicht zurück und meldete, daß die Muhme tot sei.

»Tot?« rief Madame Knaken und war sehr erschrocken. »Ach, Du bist woll nich klug, Mächen!«

Aber die alte Muhme war wirklich tot. Gott hatte sie in dieser Nacht den letzten Tropfen aus dem Wermutbecher ihres Lebens trinken lassen und sie zur ewigen Ruhe eingewiegt. Ihr letzter Gedanke war Vergebung gewesen, Vergebung allen denen, die ihr Unrecht getan und das schlichte, anspruchslose Dasein verkümmert hatten, denn um das gebrochene Auge lag eine himmlische Milde, und der wehmütig lächelnde Mund schien noch die Seligkeit des Friedens aussprechen zu wollen, welcher ihr nun geworden war.

Die Kinder standen um das Bette und weinten. Das Dienstmädchen netzte ein weißes Tuch mit ihren Tränen und band dasselbe der Toten um den knöchernen Hals. Der Schuhmachermeister Knake stand in einiger Entfernung, betrachtete die alte Muhme mit stillem Schmerze und sagte: »Du bist ein jutes Jeschöpf jewesen; ich werde Dir anständig begraben lassen.«

Selbst Madame Knaken weinte, denn man weint einmal immer, wenn ein alter Gefährte des Lebens gestorben ist; auch war das Zanken bei ihr mehr üble Gewohnheit als Ausbruch eines schlechten Herzens. Wir wollen nicht glauben, daß ihr während der Tränen der Gedanke durch den Kopf ging, wie hübsch sie die weiße Haube mit den schwarzen Bändern und der neue, graublümige Kattun kleiden würde, und daß dieser bei Eduard Tietz in der Jägerstraße für fünf Silbergroschen die Elle zu haben, und echt in der Wäsche sei. Und wenn sie's auch gedacht hätte, es wäre nur menschlich gewesen. Der Mensch kann nie etwas ganz und gar sein; vor dem Heiligsten und in der heiligsten Stimmung blitzen ihm die profansten Gedanken durch die Seele, und umgekehrt, mitten in voller Heiterkeit die ernstesten und traurigsten. Diese geistige Zerrissenheit zu versöhnen ist die Aufgabe jedes Dichters und namentlich des Humoristen.

Heute sollte die alte Muhme, welche auf dem Hausflure in einem gelben Sarge lag, begraben werden.

Zu dieser Feierlichkeit, welche in den niedern und ärmlichen Familien Berlins oft zu einer Festlichkeit ausartet, waren gebeten: der Webermeister Stiebeke nebst Frau, der Drechslermeister Hamplich nebst Frau, der Unteroffizier Neumann, ein Verwandter des Hauses, Herr Grünspan, der lebensfrohe Diener aus dem Material-Laden nebenan, der Viktualienhändler Kurisch mit seinen beiden Töchtern und die Witwe Lange. Alle erschienen zur bestimmten Stunde, nachmittags um drei Uhr, mit Ausnahme des Hamplichschen Ehepaares, welches vergebens auf sich warten ließ.

»Ne«, sagte der Webermeister Stiebeke nach den ersten Begrüßungen, »deß die alte Muhme so schnell hat sterben müssen, des hätt' ich nich gedacht nich! Sie war immer noch so flink uf de Beene, un wenn se sonntags so adrett nach de Kirche bei mir vorüberjing, so dacht' ich immer so vor mir: na die lebt denn ooch wat zusammen, die alte Schachtel! Na trösten Se sich, Frau Jevatterin, een Mal müssen wir doch nu mal alle dran.« Bei diesen Worten nahm er eine Prise und hielt seiner Frau Gevatterin Knaken seine Dose hin, worauf diese »Ja wohl!« sagte und auch eine Prise nahm.

»Na, Jeerens!« rief der Hausvater seinen Kindern zu, welche sich um den Kaffeetisch drängten, »drängt Euch nich so um den Kuchen rum, immer bescheiden, immer anständig! Ede, laaß Dir mal von de Rieke draußen en Licht jeben, un mach' mal aus eens von Deine alten Schreibebücher en paar Fidibusse, damit man noch en paar Züge roochen kann, eh'r die Jeschichte vor sich jeht. Die Hamplichs kommen so noch immer nich! Nich wahr, Stiebeke, Du roochst ooch ne Pfeife, un Sie woll ooch, Herr Neumann?«

Beide bejahten.

»Laaß man!« rief Stiebeke Knaken zu, der ihm eine Pfeife holen wollte, »ick habe mir meine mitjebracht. Die drag' ick immer hier in de Tasche bei mir, wenn ick ausjehe.«

Die Damen saßen bereits um den Kaffeetisch und »stippten« Kuchen ein, als Herr Grünspan, der lebensfrohe Diener aus dem Material-Laden nebenan in die Tür trat, sich vor jeder Dame einzeln verneigte, seinen Hut auf einen Schusterschemel stellte, welcher in einer Ecke des Zimmers stand, und, sich vergnügt die Hände reibend, zum Kaffeetisch setzte. »Lassen Sie sich nicht stören, Verehrungswürdigste«, fing er an. »Ihre Unterhaltung betraf gewiß die alte Muhme, welche da draußen ihr neues Logis bezogen, das einzige, für welches man keine Mietssteuer bezahlt, nicht wahr? Sprechen Sie gefälligst weiter, aber, wenn ich bitten darf, nicht traurig. Sie ist perdu, das ist wahr, aber darum dieserhalb deswegen keinen Jammer nicht. Ein großer Philosoph des Altertums weinte nur bei einem neugeborenen Kinde, bei einem Roggenkorn zum dereinstigen Backfisch, aber bei Toten freute er sich, daß diese die Leiden dieses Erdenlebens überstanden hatten. Seien wir also wie dieser Philosoph, meine Herrschaften. Keine Träne! Kurz ist der Schmerz und ewig das Pläsier!«

»Der Mensch ist jar nich eeklig«, flüsterte Henriette Kurisch, die älteste Tochter des Viktualienhändlers Herrn Kurisch, eine kleine runde Blondine mit zwei starken, kirschroten Wangen und ebenso vielen großen, hervorquellenden Augen.

»Mir gefällt er ooch pansabel«, antwortete ihre Schwester Emmeline, ebenfalls eine kleine runde Blondine mit zwei starken, kirschroten Wangen und ebenso vielen großen, hervorquellenden Augen. Beide waren in physischer und geistiger Hinsicht sich so ähnlich wie ein Strohhalm den andern. Was die eine an Verstand nötig hatte, fehlte der andern, und sogar in ihren etwas schlotterig sitzenden Kleidern, in ihren Leidenschaften und Wünschen waren sie ganz dieselben. Was die letzteren betraf, so konzentrierten sich alle Hoffnungen Henriettens in einen Mann, und Emmeline gestand sich in den Stunden ihrer Einsamkeit oft leise, daß sie sich je eher je lieber verheiraten möchte.

»Wie haben Sie sich neulich im Elysium amüsiert, Fräulein Henriette?« fragte Grünspan, welcher zwischen diesen beiden saß. »Ich hatte die Ehre, Sie daselbst zu sehen.«

»Wie der Doggen-Palast von Venedig illumniert war?« antwortete Henriette mit zärtlichen Blicken, »o ich danke Sie, Herr Jrünspan, so hallweje.«

»Sie auch, Fräulein Emmeline?« fragte der lebensfrohe Diener aus dem Material-Laden.

»Ich danke wejen jütje Nachfrage«, antwortete diese ein wenig geziert und warf dem Materialisten einen idealen, sirupsüßen Blick zu. »Nich janz besonders. Mich war sehr unwohl; ich hatte mir erkältet und hustete und schnupfte in eins weg.«

»O ich bedaure«, sagte Grünspan, nahm ein großes Stück Kuchen vom Teller, tauchte es in den Kaffee und wollte es in den Mund stecken; der feucht und locker gewordene Kuchen brach aber unterwegs, die eine Hälfte fiel in die Tasse und spritzte den Kaffee so weit umher, daß die Kleider der beiden Schwestern naß wurden, und jede sogleich nach ihrem Taschentuche griff und sich zu säubern begann.

»Bitte tausendmal um Excüse!« rief Grünspan, sprang auf und wollte jeder behilflich sein.

»Bitte, des hat jar nischt zu sagen«, antworteten beide auf ein Mal. – »Kaffee schadt nischt, der jeht wieder raus«, fügten sie beide nach einer kurzen Pause hinzu.

»Merkwürdig«, fuhr Grünspan fort, indem er sich erst in die künstlich gebrannten Locken griff und diese ordnete, dann sein seidenes Taschentuch, welches nur in der Mitte ein einziges Loch hatte, aus der Tasche zog, und damit bald auf Henriettens, bald auf Emmelinens schwarz- und rotgeblümtem Kattunkleide umherfuhr. »Merkwürdig, daß ich grade eine Schmeichelei jejen sie loslassen wollte, als das bißchen Kuchen runterfiel un so'n Geplansche machte! Als ob ich davor bestraft werden sollte. Ich wollte Ihnen nämlich sagen, daß das Elysium erst seitdem wirklich ein Elysium ist, seitdem Sie dagewesen sind.«

»O ich bitte!« sagten zufälligerweise beide Schwestern auf einmal. »Na endlich, da kommen Hamplichs aus 'ne Kutsche!« rief der Schuhmachermeister Knake, welcher bisher mit dem Vater der beiden Schönen, dem Viktualienhändler Herrn Kurisch, mit dem Webermeister Herrn Stiebeke und dem Unteroffizier Herrn Neumann über politische Angelegenheiten gesprochen, darin sehr schätzbare konservative Ansichten offenbart, und soeben einen Blick aus dem Fenster geworfen hatte.

Der Drechslermeister Hamplich und seine Gemahlin traten ein. Er war ein äußerst kleiner Mann, den Kopf ein wenig links der Brust zugeneigt tragend, und hinten mit einer ziemlich bemerkbaren Erhöhung versehen, welche man in der unedlen Sprache des gewöhnlichen Lebens mit dem Worte »Buckel« bezeichnet; sie dagegen war eine große und starke, stattliche Frau, welche zwei Köpfe über ihren Herrn Gemahl hinausreichte, und bei der der Nachbilder einer Juno, hätte sie ihm gesessen, nichts weiter ändern durfte, als etwa die Taille, welche sich bei der Madame Hamplich nicht deutlich genug zeigte, und die Füße, welche sich bei ihr zu deutlich zeigten, und von einer so bequemen und sichernden Gestaltung waren, daß sie – ohne der Madame Hampel zu nahe treten zu wollen – mehr der Schwerfälligkeit einer Erdbewohnerin als dem idealen Wesen einer Göttin angemessen erschienen. Ein Gleiches war bei näherer Betrachtung von den Händen zu sagen, welche – wir müssen das, um nicht etwa für hämisch zu gelten, der Wahrheit gemäß berichten – an außerordentlich kurzen Armen hingen, an und für sich aber von solcher Ausdehnung in der Länge und auch in der Breite waren, daß dadurch die Proportion mit dem Körper völlig hergestellt wurde. Ein Übelwollender hätte freilich meinen können, daß die Finger trotz aller Nachsicht doch zu lang und zu dick wären: das Nützliche ist aber immer dem Angenehmen vorzuziehen, und Madame Hamplich bedurfte niemals einer aparten Elle, wenn sie Zeug messen wollte, sondern sie legte dasselbe an ihren Mittelfinger, und wenn dies viermal geschehen war, so hatte sie eine Berliner Elle, so richtig, als wäre ihr langer Finger von der hochlöblichen Polizei gestempelt worden.

»Bon jour, bon jour, bon jour!« sagte der kleine Drechslermeister, welcher immer sehr heiser sprach und sich dabei bald links bald rechts herumwendete, während seine Gemahlin jeder unnützen Bewegung abhold schien. »Wie geht's Euch, meine Lieben, wie geht's Euch? Mir geht's so so, la la, so so, la la, ich hole Atem und drage die Strümpfe uf die bloße Beine, uf die bloße Beine. Muhmeken dodt, Muhmeken dodt? Ja ja ja ja, der Tod ist einmal da, und – und – und wenn er mal ankommt, denn ist es mit dem Leben reene Essig, reene Essig. Bon jour, Unteroffziereken! Wie geht's in's Milletär, in de Infantrie, in't Rejement, in de – in de Linie, immer noch hübsch Frieden, immer noch allens hübsch gesund und munter? Det is recht, Unteroffziereken, det is recht! Hol' der Deibel den Krieg, den Krieg, der stört des Milletär, stört es.« Bei diesen Worten schlug er mit den dicht zusammengehaltenen Fingern der rechten Hand auf die linke, welche er zur Faust geballt hatte und vor den Bauch hielt: was er auch jedes Mal zu tun pflegte, wenn er sprach.

»Schön Dank!« sprach in tiefster Baßstimme der Herr Unteroffizier Neumann und drückte Herrn Hamplich dabei dermaßen die Hand, daß dieser vor Schmerz in die Höhe sprang, seiner Frau Gemahlin auf den Fuß trat und mit dem Kopf gegen ihren Kinnbacken flog, daß ihr die Zähne klapperten. Madame Hamplich aber, einesteils empört über die Ungeschicklichkeit ihres kleinen Mannes, andernteils in der ersten Aufwallung des furchtbaren Schmerzes, welchen ihr der mit zahllosen Hühneraugen begabte Fuß mitteilte, setzte schnell ihre oben näher beschriebene Hand unter den einzelnen Hügel, welcher sich auf dem Rückenfelde ihres Mannes erhob, und versetzte demselben solchen Stoß, daß er gegen den Kaffeetisch flog, und Kannen, Tassen, Kuchen und Teller auf die Erde stürzten.

»Bezahle alles, bezahle alles!« rief der kleine Drechslermeister Herr Hamplich, und half auflangen, was nicht entzweigegangen war. Dies bestand aber nur in einer Unterschale, welche er triumphierend in die Höhe halten wollte, und sie dabei gegen den eben aufgerichteten Tisch zertrümmerte.

»Haben Sie nicht noch mehr Tassen, Madam Knaken?« fragte er sich erhebend, und lächelte. »Ich bin einmal in'n Zug, und da laß' ich mir so bald nich stören, so bald nich stören; immer enzwee, allens enzwee! An die janze Jeschichte is überjens blos mein Frauchen mit ihrer Hitze schuld; nur durch ihre Hitze bin ich jejen den Disch jefallen.«

Man sieht durch Benutzung des Wortes gefallen statt geworfen sehr deutlich, wie gut Herr Hamplich gegen seine Gemahlin gestimmt war, und wie fein er jene Unart mit dem Stoße zu entschuldigen oder vielmehr zu verdecken suchte. Er trippelte auch jetzt noch von diesem zu jenem, machte scherzhafte Bemerkungen über seine Ungeschicklichkeit und wendete sich dabei, mit den Fingern der rechten Hand gegen die linke Faust schlagend, immerfort bald links, bald rechts. Herrn und Madame Knaken versprach er Ersatz des zerbrochenen Sanitätsgeschirres, wie er dasselbe nannte, tröstete die andern Damen der begossenen Kleider wegen, und drohte dem handfesten Unteroffizier Neumann, indem er schelmisch lächelnd hinzufügte: »Sapperloterchen, Sie, Unteroffizier! Sapperloterchen! Sie haben das sicher aus Witz jethan, sicher aus Witz, daß sie mir die Hand so drückten!«

Die Gesellschaft war noch nicht völlig wieder beruhigt, als sich der Küster durch die neugierige Menge der Kinder, Dienstmädchen und Ammen auf dem Hausflure drängte, die Leichenträger um die Tote postierte, und in das Knaksche Gastzimmer trat. Er blieb an der Türe stehen und nahm seinen dreieckigen Hut ab, von welchem der lange Trauerflor wie eine Fahne abflatterte, unter der man ihm in das gelobte Land, zu ewiger Freiheit folgen sollte. Sein Gesicht. welchem er in jedem Augenblicke einen höchst tragischen Anstrich geben konnte, zeigte sehr abgelebte, lebensmüde, sich langweilende Augen, dagegen tat sich die Nase vorteilhaft hervor, teils durch ihr natürliches Selbst, nämlich durch ihre umfangreiche Gestalt – denn sie sah gerade aus, als hätte ihn jemand mit der Faust ins Gesicht geschlagen und selbige Faust wäre sitzen geblieben – teils durch einen Rubin, welchen sie trug. Derselbe war, wie jedem tieferdenkenden Physiognomiker einleuchten mußte, nicht natürlich, sondern künstlich, und zwar durch den etwas häufigen Genuß des gebrannten Wassers hervorgebracht worden.

»Die geehrten Anwesenden«, sagte er mit sehr angegriffener und belegter Stimme, ohne irgendein Wort mehr oder weniger zu betonen, »welche so gütig sein wollen, der nunmehr seligen Jungfrau Magdalena, Luise, Ernestine Knaken die letzte Ehre zu erweisen, frage ich hiermit ergebenst an, ob es Ihnen beliebt, die Tote noch ein Mal zu sehen?«

Es meldete sich niemand; alle schwiegen.

Der Küster setzte seinen dreieckigen Hut wieder auf, ging hinaus und befahl, den Sarg ungesäumt zuzumachen, und in den Leichenwagen zu schieben, welcher bereits mit drei Trauerkutschen und den andern der Gäste auf der Straße wartete. Als dies geschehen war, ging der schwarzgekleidete Subaltern-Beamte Gottes wieder zurück, legte seinen Hut mit der langen Kreppfahne auf einen Stuhl, nahm ein Papier aus der Tasche und las: »Die geehrten Anwesenden, welche so gütig sein wollen, der nunmehr seligen Jungfrau Magdalena, Luise, Ernestine Knaken die letzte Ehre zu erweisen, werden hiermit ersucht, derselben in folgender Ordnung zu folgen. In den ersten Wagen kommen: der Bürger und Schuhmachermeister Herr Knake und dessen Sohn Eduard; in den zweiten Wagen: Madame Knaken und ihre beiden Töchter Leopoldine und Theresia; in den dritten Wagen: der Bürger und Webermeister Herr Stiebeke, der Bürger und Viktualienhändler Herr Kurisch und der Handlungsdiener Herr Grünspan; in den vierten Wagen: die Mademoisellen Henriette und Emmeline Kurisch; in den fünften Wagen: der Bürger und Drechslermeister Herr Hamplich und der Unteroffizier Herr Neumann, und in den sechsten Wagen: Madame Hamplich, Madame Stiebeke und Madame Lange.«

Die Erweiser der letzten Ehre waren, mit Ausnahme der beiden Schwestern Kurisch, glücklich in die Kutschen gestiegen. Diese wollten nämlich fast zu gleicher Zeit hinein, Henriette aber, die obere, glitt auf dem Tritt aus, nahm ihre Schwester mit sich, und beide rutschten in so auffallender Weise auf die Straße hinunter, daß die Zuschauer in ein, die Feierlichkeit der Handlung störendes Gelächter ausbrachen. Zum Glück sprang der lebensfrohe Materialist, welcher auch gerade einsteigen wollte, hinzu, half den, in den Augen der Welt für unbeschädigt erachteten, Jungfrauen in die Kutsche, und flüsterte dabei Henrietten ins Ohr: »Sie sind ein Engel!« und Emmelinen: »Ich liebe Sie, mein Fräulein!«

Im ersten Wagen ging es sehr ruhig her. Vater und Sohn hielten es für ihre Schuldigkeit, in voller Andacht zu folgen; sie sprachen daher keine Silbe bis zu dem Kirchhofe, sondern saßen mit sehr ernsten und nachdenkenden Gesichtern da, und dachten vielleicht an gar nichts. Ein Gleiches geschah im zweiten Wagen, nur mit dem Unterschiede, daß die Mutter, Madame Knake, ihre beiden kleinen Töchter von Zeit zu Zeit hinten an die Röcke faßte und sie von den Kutschenfenstern zurückzog, aus welchen sie sich legen wollten. Um so lebhafter war die Unterhaltung im dritten Wagen, denn Herr Grünspan sprach in einem fort und zeigte ein sehr deutliches Bestreben, seine beiden Mitpassagiere durch Witz zu erheitern. Daß ihm dies wenig oder gar nicht gelang, konnte er selbst nicht merken, einmal, weil er zu sehr sein Bestreben im Auge hatte, zweitens, weil die Herren Stiebeke und Kurisch seine Reden fortwährend mit Lachen begleiteten, welches zu dem ernsten und feierlichen Zwecke ihrer langsamen Fahrt einen hübschen Kontrast bildete.

Was im vierten Wagen geschah, muß etwas umständlicher mitgeteilt werden. Damen unter sich sind nämlich viel offenherziger, als wenn sie in Gesellschaft von Männern sind. (Wir müssen hier der Wahrheit gemäß bekennen, daß diese Aphorisme nicht unser Eigentum, sondern vielmehr das eines großen Altertumsforschers ist, der sie in einer geistreichen Stunde entdeckt hat.) Ein ebenso scharfer Beobachter, wäre er der Begleiter der Demoisellen Henriette und Emmeline Kurisch gewesen, hätte sogleich bemerkt, daß beiden etwas auf dem Herzen lag, von welchem sie sich je eher je lieber befreit hätten.

»Ich möchte Dich etwas vertrauen«, sagte Henriette zu ihrer Schwester.

»Dieses könnte ich auch«, antwortete diese.

Hierauf stritten sich beide eine lange Zeit, wessen Geheimnis zuerst mitgeteilt werden sollte.

»Na jut«, fing endlich Henriette an, »so will ich Dich meins vertrauen. Der Herr Jrünspan ist in mir verliebt.«

Emmeline rümpfte höhnisch die Nase. »In Dir?« fragte sie und schlug ein lautes Gelächter auf. »Des is wirklich pudelnärr'sch, deß Du allens auf Dir bezogen hast, was er auf mir gemeint hat! Ich wollte Dir eben vertrauen, daß er in mir jeschossen ist.«

»In Dir?« wiederholte Henriette und schlug gleichfalls ein lautes Gelächter auf. »Du jammerst mir, Kleene, daß Du Dich solchen Spuk in'n Kopp setzt. Des ist amüsant!« rief sie, nachdem sie ausgelacht hatte. »Mir zischelt er beim Einsteigen: Henriette, Sie sind ein Engel! in die Ohren, und die bild't sich ein, er ist in ihr verliebt!«

»Dir hätte er etwas jezischelt!« rief Emmeline und ihre beiden dicken roten Wangen wogten vor Lachen hin und her. »Ne, Liebste, des machste keenen Schornstenfejer weiß! Er hat man een Mal jezischelt, und des war, wie er zu mir sagte: Ich liebe Sie, mein Fräulein!«

Wir müssen hier bemerken, daß diese Schwestern, neben allen ihren natürlichen und geistigen Ähnlichkeiten auch noch diejenige besaßen, daß sie sich nicht leiden konnten, und sich tagtäglich zankten. Aus diesem Grunde geschah es nun wohl auch, daß keine auf den Gedanken geriet, der Handlungsdiener Herr Grünspan liebe sie entweder beide, oder er sei ein Windbeutel, welches letztere ebenfalls einige Wahrscheinlichkeit für sich hatte. Jede der Schwestern mit den hervorquellenden Augen glaubte vielmehr, die andere habe Grünspans Zischelei aus Neid erfunden, und sie sei die Erwählte des Materialisten.

Der Streit entspann sich sonach immer mehr und mehr, entwickelte sich bis zur höchsten Stufe der Verbal-Injurien und ging endlich, so wenig der Ort dafür geeignet schien, zu Tätlichkeiten über. Es ist bekannt, daß selbst bei höher gebildeten Personen in Augenblicken des Zornes derselbe die Überhand über jede Zeremonie und Konvenienz gewinnt, und die tierische Natur des Menschen den sogenannten Anstand beiseite wirft – um so mehr waren die Demoisellen Henriette und Emmeline Kurisch zu entschuldigen, da sie in einen außerordentlichen Zorn geraten waren, und jede die gerechteste Sache zu haben glaubte. Es wäre freilich besser gewesen, wenn sie sich in der Trauerkutsche gemäßigt, und sich namentlich nicht die Haare und ihre Wiener Locken in Unordnung gebracht hätten, allein ein großer Philosoph des Altertums sagte: Geschehene Dinge sind nicht zu ändern, und darin müssen wir ihm aus voller Überzeugung beistimmen.

Der Zug hielt auf dem Kirchhofe an; die Begleiter der letzten Überreste der alten Muhme stiegen aus, und stellten sich mit ehrfurchtvollen Mienen um das offene Grab.

Darauf wurde ein Vaterunser gebetet, und der Sarg hinuntergesenkt in die alles Leben nehmende und gebende Erde.

Die Anwesenden begrüßten die gute alte Muhme zum letzten Male, indem sie ihr eine Handvoll Erde auf das Bett warfen, in welchem sie nach dem mühevollen und freudenlosen Tage ihres Lebens, die stille, süße Nacht des Todes umfing, aus der sie zum schönsten Morgen erwachen sollte.

Die, welche geweint hatten, fuhren mit denen, die nicht geweint hatten, nach der Wohnung des Schuhmachers Knake zurück, und zwar so schnell, als freuten sie sich, die alte Muhme beiseite gebracht zu haben und der traurigen Mienen ledig zu sein, welche dazu von der zeremoniösen Welt erfordert werden.

Vom Kirchhofe zurück ging es übrigens in ganz anderer Ordnung als hinaus; es tat sich zusammen, was zusammen wollte, nicht, wie es die Sitte erheischte. Der Bürger und Schuhmachermeister Herr Knake setzte sich mit seiner Gemahlin in die erste Kutsche, denn er hatte ihr etwas zu sagen, was sie ihm eben sagen wollte.

Sie waren nämlich beide entschlossen, ihre Gäste auch den Abend über bei sich zu behalten; habe es nun einmal soviel gekostet, so könnte es auch noch soviel kosten, rechneten sie und waren auch darüber einverstanden, daß ihre silbernen Eßlöffel, welche sie einst zum Hochzeitsgeschenke bekommen, zur Deckung der bevorstehenden Miete ja doch sehr bald nach dem königlichen Leihamte gebracht werden müßten, und daß dies eben so gut schon morgen geschehen könnte.

Herr Grünspan sowohl, der lebensfrohe Diener aus dem Materialladen, wie seine beiden »Gegenstände«, wie er diejenigen Damen zu nennen pflegte, welchen er den Hof machte, hatten sich die Locken geordnet und fuhren in heiterster Laune nach dem Trauerhause zurück. Henriette hatte ihm beim Einsteigen in die Ohren geflüstert: »Denken Se sich bloß den Spaß: Emm'line jloobt, Sie wären in ihr verliebt!« und Emmeline hatte ihm in die Ohren geflüstert: »Ist der Spaß nich himmlisch: Meine Schwester jloobt, Sie wären in ihr verliebt!«

Ein gewöhnlicher Mensch hätte bei so bewandten Umständen leicht in Verlegenheit geraten können. Herr Grünspan aber, der Materialist, gehörte zu jenen Geistern, welche die Lage der Dinge mit einem Blicke überschauen, welche schnell erwägen und handeln, und recht gut zwei Gegenstände anfassen können, ohne sich zu verwirren. Namentlich war Herr Grünspan in Sachen des Herzens oder vielmehr der sogenannten Courschneiderei bewandert. Er, den alle Dienstmädchen der Umgegend nicht anders als den holden Sirup-Jüngling mit der nassen SechseHerr Grünspan trug in der Tat die eine Locke seines Haares wie eine 6 auf der Stirn. — D. V. nannten; er, der keine Tüte Pfeffer aus dem Kasten zog und keinen Hering aus dem Fasse griff, ohne bei Überreichung derselben in feuerrote und zuweilen auch etwas schmutzige Wangen zu kneifen; er, der kein Viertelpfund Zucker für sieben Dreier in starkem blauem Papier fortgab, ohne seinen Arm um eine Taille oder wenigstens um die Hälfte dieser Taille zu legen; er, der selbst auf einen Pfenning Lorbeerblätter etwas Liebe zugab, und der wirklich der Meinung war, als er einmal von materieller Liebe gelesen hatte, dieselbe sei von einem seiner Ur-Kollegen erfunden worden: Er hätte in Verlegenheit geraten sollen, zweien gleich liebedurstigen Jungfrauen auf einmal den Hof zu machen? Nein, das sah keinem Diener einer Material- und Italiener-Warenhandlung ähnlich, geschweige einem Grünspan, der es in dieser Hinsicht wahrhaft verdient hätte, mit allen den Lorbeerblättern bestreut, ja gespickt zu werden, welche er zu verkaufen hatte.

Er löste also seine Aufgabe so geschickt, wie man es von einem solchen Talente erwarten konnte. Sagte er Henrietten eine Schmeichelei, oder küßte sie auf den starklippigen Mund, so blinkte er heimlich lächelnd Emmelinen zu, als foppe er jene bloß und bestärke sie in ihrer närrischen Einbildung, und, umgekehrt, machte er es mit Henrietten. Er saß ihnen auf dem Rücksitze gegenüber und wendete sich kosend und scherzend von einer zur anderen, und jede Schwester, welche die Liebesspenden Grünspans mit trocknem Munde ansehen mußte, wollte sich innerlich vor Lachen überschütten, daß ihre Schwester so genarrt wurde, und diejenige, welche gerade an der Reihe war, hatte doppelten Genuß, denn sie glaubte, ihre Schwester müsse jetzt vor Neid ersticken.

Nur ein einziges Mal, als Henriette zufällig zum Wagenfenster hinausgesehen, konnte sie nicht bemerken, daß Herr Grünspan ihrer Schwester, auf sein Herz deutend und einen schwörenden Blick gen Himmel werfend, den Vorzug gab. Dagegen konnte auch Emmeline, als diese zufällig zum Wagenfenster hinaus eine Bekannte grüßte, nicht bemerken, daß Herr Grünspan in welcher Weise Henrietten den Vorzug gab.

Die Gäste waren kaum in die Tür der zum Salon verwandelten Werkstätte des Herrn Schuhmachers Knake getreten, als derselbe ihnen etwas pathetisch entgegentrat und sie freundschaftlichst ersuchte, ihm und seiner Gemahlin den heutigen Abend zu gönnen. »Meine Frau«, sagte dieser Mann, welcher sich unter allen Umständen immer sehr anständig benahm, »meine Frau hat zum Sonntag 'ne schöne fette Jans jekooft, un die wollen wir heute drufjehen lassen. Tun Sie mir den Jefallen, meine Herrschaften, und bleiben Sie hier; wir werden uns schon amusieren.« Herr Knake hatte sich nämlich hierbei nicht versprochen, sondern er sagte immer amusieren statt amüsieren. Die Ursache dieser originellen Aussprache ist nicht anzugeben, Herr Knake hat sich wenigstens nie darauf eingelassen.

Die Trauerfreunde nahmen die herzliche Einladung mit Freuden an und versprachen sich einen recht fröhlichen Abend, und zwar alle aus verschiedenen Gründen. Der Bürger und Webermeister Herr Stiebeke trank nämlich ungemein gern spirituöse Flüssigkeiten, und er kannte seinen Freund Knake zu lange, als daß er befürchten dürfte, derselbe werde es an solchen Flüssigkeiten fehlen lassen. Der Bürger und Viktualienhändler Herr Kurisch, welcher selbst ein nicht ganz unbedeutendes Geschäft mit allen Sorten doppelter und einfacher Branntweine machte, hatte sich an den Genuß derselben gewöhnt, gab aber sehr ungern Geld aus, was man auch an seinen ziemlich aus der Mode gekommenen Inexpressibeln und hohen Wasserstiefeln und seinem rhabarberfarbenen Leibrocke mit äußerst breiten Schößen bemerken konnte. Nun hatte er schnell, wie es sparsame Leute dieser Art können, berechnet, daß er seinen gewöhnlichen Abend-Branntwein heute umsonst genießen könne, ja noch direkten Nutzen davon haben müsse, da der Schuhmachermeister Herr Knake seinen sämtlichen deshalbigen Bedarf aus dem Keller des Herrn Kurisch entnahm.

Was Herrn Bürger und Drechslermeister Hamplich betrifft, so trank dieser auch recht gern sein Gläschen, und liebte überhaupt die Geselligkeit in hohem Grade. Schon jetzt war der kleine Mann sehr munter und freundlich; er hüpfte bald zu diesem, bald zu jenem und sprach mit ihm, und zwar immer so, daß er sich dabei in einem fort links und rechts wendete, die linke Faust vor den schmächtigen Bauch hielt, und auf derselben mit den Fingern der rechten Hand trommelte.

Der Unteroffizier Herr Neumann war ein kräftiger Mann, aber sehr still dabei, und stille Wasser sind tief. Er trank auch recht gern und pflegte sehr humoristisch dabei zu sein, indem er fast bei jedem Getränk bemerkte: gut darf es sein, aber wenig nicht! Die Hauptsache war aber, Madame Knake protegierte ihn als einen Verwandten ihres Gatten, und glaubte dem letztern ihre Liebe nicht besser beweisen zu können, als wenn sie dem ersteren davon mitteilte. Wie es nun kam, daß der Gemahl wenig oder gar nichts von ihrer Liebe merkte, der Unteroffizier Neumann aber desto mehr, dies können wir nicht genau angeben, und enthalten uns auch jeder Vermutung.

Am meisten von allen Männern erfreute sich der jüngste unter ihnen der Einladung, nämlich der Materialist, Herr Grünspan. Teils war ein süßes Einverständnis mit beiden Demoisellen Kurisch daran schuld, teils aber auch die Liebe zum Wohltun, welches mit zu den schönsten Eigenschaften des Herrn Grünspan gehörte.

Er zog augenblicklich Herrn Knake in das nächste Zimmer und ließ sich hier folgendermaßen zu ihm aus. »Alter Schwede«, sagte er, »ich weiß, daß Ihr auch nicht das Geld aus den Ärmeln schütten könnt, und daß Ihr wegen Mosessen und die Propheten manchmal in einiger Unordnung seid. Läßt also heute keinen Branntwein zum Abendbrot holen, ich werde für einen Punsch sorgen. Ich werde ein paar Bowlen machen, alter Schwede, gemütliches, stiefelleistendes Mitglied der menschlichen Gesellschaft. Ich habe zufällig auf meiner Stube noch zwei Flaschen Rum, vier bis fünf Pfund Zucker und einige Zitronen, das jeb' ich alles zum Besten, und Ihr jebt das warme Wasser. In anderthalb Stunden ist es finster, dann geh' ich zu meinem Alten herum, bitte ihn, daß er mir noch den heutigen Abend schenkt, schleiche mich auf meine Stube und hole alles. Na, was sagt Ihr dazu, alter Schwede?«

Der Bürger und Schuhmachermeister Herr Knake bedurfte nur weniger Überlegung, um einzusehen, daß Punsch viel anständiger als Branntwein sei, und ging daher mit vielem Vergnügen in den Vorschlag ein. Er drückte dem lebensfrohen Materialisten dankbar die Hand; beide kehrten mit heiterer Miene zur Gesellschaft zurück und teilten dieser das Resultat ihrer Unterredung mit. Es wurde mit einem so lauten Jubel aufgenommen, daß ein Vorübergehender nichts weniger geglaubt haben würde, als daß in dieser Familie heute ein Begräbnistag sei.

Die Herren Stiebeke, Neumann, Kurisch und Knake setzten sich sodann um einen kleinen Tisch, nahmen etwas starke und nicht mehr ganz reine Kartenblätter zur Hand und spielten Solo. Herr Hamplich spielte niemals, weil es ihm, wie er sich selber ausdrückte, dazu am Sitzfleisch fehle, und wir haben keinen Grund, irgendeinen Zweifel in seine Aussage zu setzen. »Ich pusle so umher, so umher«, sagte er, indem er die linke Faust vor den Bauch hielt und auf derselben trommelte, »rauche mein Pfeifchen und amüsiere mir wir Jott in Frankreich, in Frankreich.«

»Hamplich!« rief seine Gemahlin aus ihrer Stimmlage, welche einen sehr tiefen Bariton vermuten ließ. Sie saß dabei auf einem Möbel, welches als Sofa benutzt wurde, und streckte die Hand aus, wodurch die beiden Gesichter der dahintersitzenden Demoisellen Kurisch völlig bedeckt wurden.

»Was steht zu Diensten, Frauchen?« fragte sehr eilfertig Herr Hamplich und hüpfte hinzu.

»Mal etwas Geld her!« antwortete die große Dame, welche viele Wörter, die andere Menschen zu größerer Deutlichkeit oder Höflichkeit zu gebrauchen gewohnt sind, für ganz und gar entbehrlich hielt.

»Geld willst du haben?« sagte ihr Gemahl und seine schwache und ächzende Stimme klang nach derjenigen seiner Frau durchaus wie keine männliche, »Geld willst Du haben? Aha, aha! Na, warte man en bisken; ich will mal sehen, ob ich noch – ob ich noch en paar Tresorscheine bei mir habe, oder Papiere die mir spanisch vorkommen, oder sieben bis acht Pfund Sperlinge. Wieviel brauchste'n? Da haste fünf Silberjröschkens, die werden woll reichen, werden woll reichen.«

Madame Hamplich bedurfte des Geldes zu dem bekannten Lotterie-Spiele, welches der geniale Grünspan zur Unterhaltung der Damen arrangiert hatte, und zu dem Reize, welches dieses Spiel an und für sich bietet, noch ein besonderes Interesse aus dem reichen Schatze seiner eigenen Phantasie und Laune mischte. Er rief nämlich die Zahlen aus, und zwar nicht wie gewöhnliche Menschen nur deutlich, sondern vielmehr undeutlich, bald im tiefsten Basse, bald piepend wie ein Vogel, bald herausplatzend, als fahre er jemand im Zorne an, und bald mit süßer, zärtlicher Stimme, als mache er einer Dame den Hof. Aber auch mit dieser Abwechslung begnügte sich ein Geist wie Grünspan nicht: Er sprach mehrere Zahlen berlinisch aus, z. B. Eens!, dann gleich darauf eine hochdeutsch, z. B. Zweu!, und einige Zahlen korrumpierte er, die höchste Stufe seines Humors erreichend, dermaßen, daß sie so klangen: Siebaan und siebaanzig! oder: Dridradreiundreißig! und allgemeines Gelächter erregten.

Wie stolz sich dabei die beiden Schwestern Kurisch fühlten, welche der Meinung waren, der talent- und geistvolle Grünspan sei bis über die Ohren in sie verliebt, was, parenthetisch bemerkt, eine außerordentlich große Liebe gewesen sein müßte, kann man sich denken. Henriette war so wonnig angeregt, daß sie ihren Verehrer ein Mal über das andere einen »jettlichen Menschen« nannte, und Emmeline war so entzückt über ihn, daß sie ihm mehrere Male einen starken Schlag auf der Schulter versetzte.

»Herr Jott!« riefen mit einem Male alle, und ihre Gesichter wurden bleich wie Pergament.

Sie hatten sich unnütz erschreckt. Das dumpfe Geräusch kam von einer alten Schachtel, welche auf dem Kleiderschrank im Nebenzimmer gestanden hatte, und von dort heruntergefallen war.

Die allgemeine Heiterkeit war nur auf einen Augenblick gestört, denn der unermüdliche Grünspan sah nach seiner großen silbernen Uhr, welche er an einem breiten Perlbande in der Westentasche trug, und benachrichtigte die Gesellschaft, daß es nun Zeit sei, an die Bowle zu denken. Gedanke und Tat waren aber von je an bei ihm so schnell hintereinanderfolgend wie Blitz und Donner, darum nahm er sogleich seinen Hut und ging durch die hinteren Zimmer zur Küche hinaus, wobei Henriette Kurisch die Güte hatte, ihm zu leuchten. Daß, als sie auf den Hausflur hinaustraten, wo die alte Muhme im Sarge lag, der Wind das Licht löschte, Herr Grünspan den Hut verlor und lange suchen mußte, bevor er ihn wiederfand, ist etwas ganz Unbedeutendes und Gewöhnliches, und durchaus nicht der Aufzeichnung würdig.

Der lebensfrohe Materialist hatte die Erlaubnis von seinem Prinzipale erhalten, den heutigen Abend im Geschäfte fehlen zu dürfen. Sie wurde ihm freilich mit einem mürrischen Gesichte gegeben, allein das kann nur kleinere Geister genieren, größere wie Grünspan nicht. Er sprang nach seinem Zimmer hinauf, und suchte die verschiedenen Ingredienzien zum Punsch aus höchst auffallenden, oder vielmehr gar nicht auffallenden Verstecken hervor. Die beiden Flaschen Rum zum Beispiel waren in ein paar alte Stiefel hineingedrängt, und diese lagen tief im Winkel seines Kleiderschrankes unter alten Büchern und alter Wäsche. Die vier Pfund Zucker dagegen nahmen eine viel höhere Stellung ein; sie befanden sich in der Brust Friedrichs des Großen, wenigstens in der Höhlung der Gipsbüste desselben, welche auf dem Ofen in Grünspans kleinem Zimmer stand.

Es gehört wenig Scharfsinn dazu, die Ursache aufzufinden, warum der geniale Mann Rum und Zucker so vorsichtig versteckt hatte, wir geben sie aber dennoch an, weil wir wohl wissen, wie oft hämische Leser auf ganz andere Gedanken kommen, als der Verfasser erwecken wollte. Herr Grünspan war nämlich von morgens sechs bis abends elf Uhr im Laden beschäftigt, und konnte daher nicht zugegen sein, wenn die Magd seines Prinzipals das Bett machte und die Stube reinigte. Er hatte, wie sich das bei einem solchen Manne von selbst versteht, soviel Menschenkenntnis, um zu wissen, daß Gelegenheit Diebe macht, und wollte daher der Magd keine Gelegenheit geben, die genannten Materialien zu entdecken.

Der Tisch war serviert. Auf dem einen Ende prangte der duftende Braten, auf dem andern die Bowle, und ringsherum saßen freilich etwas eng, aber in liebenswürdiger Einigkeit, die höchst erwartungsvollen Gäste. Der Bürger und Schuhmachermeister Herr Knake schnitt die herrliche, im Gegenteil des Kopfes mit vielen Borstorfer Äpfeln gefüllte Gans in Stücke, und zwar in sehr verschiedene; der lebensfrohe Diener aus dem Materialladen nebenan saß hinter der Bowle und schenkte die Gläser voll, und war so beschäftigt, daß er kaum Zeit erübrigte, sein Lieblingsstück von der Gans, die Keule, zu verzehren. Soviel Zeit gewann er indessen doch, bald Henrietten, bald Emmelinen eine geistreiche Schmeichelei zu sagen oder sie auf den Nacken zu klopfen; warum er aber, was ziemlich deutlich zu merken, Henrietten vernachlässigte und Emmelinen weit mehr von seiner Liebe gewinnen ließ, darüber haben wir durchaus nicht klug werden können.

Die Fröhlichkeit nahm zu, je mehr die Bowle abnahm; das Lachen, Singen, Vivatbringen und Gläserklingen hörte nicht auf. Der Bürger und Webermeister Herr Stiebeke lächelte still vor sich hin, und schlug nur sehr selten mit der flachen Hand auf den Tisch, daß Gläser und Teller erzitterten. Der Zufall wollte es freilich, daß einer dieser Schläge etwas heftiger als die frühern wurde, denn das Talglicht, welches hinter der Punschbowle stand, fiel herunter und erlöschte in derselben, auf Herrn Stiebeke aber machte das fast gar keinen Eindruck, denn er lächelte gleich darauf wieder still vor sich hin, und ehe noch fünf Minuten vergangen waren, schlug er wieder mit der flachen Hand auf den Tisch, und gab augenscheinliche Beweise, wie sehr ihn dieser Scherz unterhalte.

Der Bürger und Drechslermeister Herr Hamplich sprang auf seinen Stuhl, um die Gesellschaft besser übersehen zu können, und schickte sich an, eine Rede zu halten.

»Aber anständig!« mahnte der Gastgeber und mochte wohl einigen Grund in den früheren Äußerungen des kleinen Herrn Hamplich zu dieser vorsorglichen Bemerkung haben.

»Versteht sich, versteht sich!« antwortete der Redner, wendete sich bald links, bald rechts, und trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf die Faust der linken, welche er vor seinen schmächtigen Bauch hielt. »Versteht sich, immer anständig!« sagte er mit seiner noch viel heiserer gewordenen Stimme. »Meine Herrschaften, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Sie werden bemerkt haben, bemerkt haben, und ein anderer würde es auch bemerkt haben, daß wir etwas im Kopf haben, im Kopf haben. Dies, kann ich Ihnen auf mein Ehrenwort versichern, kommt vom Trinken, vom Trinken. Haben wir nun etwas vom Trinken im Kopf, so sind wir klüger als die, die nichts getrunken haben, denn diese haben nichts im Kopf, nichts im Kopf. Folglich rate ich Ihnen, meine Herren und meine Damen, immer zu trinken, immer zu trinken, und zwar solange Sie etwas haben. Wenn Sie nichts mehr haben, so rate ich Ihnen aufzuhören, aufzuhören. Sollten Sie aber zuviel getrunken haben, wie zum Beispiel unser wackerer Freund Stiebeke, so...«

Diese, in der Tat höchst witzige Rede, welche namentlich gegen ihren Schluß hin zu den besten Erwartungen Anlaß gab, wurde leider durch den Webermeister Herrn Stiebeke, welcher die Erwähnung seiner Heiterkeit übelgenommen hatte, in sehr unangenehmer Weise unterbrochen. Er sprang nämlich sogleich auf, wurde purpurrot im Gesicht, und brachte dem Redner einen solchen Backenstreich bei, daß dieser vom Stuhl herab fiel, und zwar größtenteils in den Schoß seiner neben ihm sitzenden Gemahlin.

Madame Hamplich wurde über diesen Vorfall sehr böse, ja wir dürfen wohl sagen außerordentlich böse, denn sie stieß den Webermeister Stiebeke dermaßen, daß derselbe der Länge nach auf die Erde fiel, und nur mit vieler Mühe wieder in die Höhe gebracht werden konnte.

Ein so unbedeutendes Ereignis wäre nicht imstande gewesen, die Einigkeit und den gemütlichen Frohsinn der Gesellschaft auf längere Zeit zu stören, wenn Madame Stiebeke mit der schonungslosen Behandlung ihres Ehegatten von Seiten der Madame Hamplich zufrieden gewesen wäre. Sie war es aber nicht, sondern sprang vielmehr so wütend auf, daß das einzige englische Glas unter den ordinären deutschen, welche auf dem Tische standen, gegen einen Teller und in Scherben fiel. Dies störte sie aber viel weniger als die Hausfrau; sie riß der großen und stattlichen Madame Hamplich die Haube vom Kopfe, und hätte ein Gleiches mit den Haaren unternommen, wäre sie nicht durch eine dritte Dame gestört worden.

Diese war nämlich ihre Freundin, Madame Knake, welche, empört über das Zertrümmern ihres einzigen englischen Glases, augenblicklich Partei für Madame Hamplich ergriff. Sie faßte Madame Stiebeke hinten am Rocke, und zog sie mit außerordentlicher Kraft von dem Gegenstande ihres Zornes fort, wodurch ein Riß in dem besagten Kleide entstand, den man keineswegs zu den unbedeutenden zählen konnte.

Nun wäre vielleicht der ganze Zwist beigelegt worden, wenn die stattliche Madame Hamplich zu jenen Frauen gehörte, welche etwa weinen, statt sich zu verteidigen, und es über sich vermögen, das letzte Wort oder den letzten Schlag einem andern zu lassen.

Zu dieser Klasse von Frauen gehörte aber die große Madame Hamplich nicht.

Sie sah ihre Haube an der Erde liegen und stürzte auf ihre Freundin Stiebeke zu, um sie für ihre Unart zu züchtigen. Herr Grünspan, der lebensfrohe Diener aus dem Material-Laden nebenan, welcher sie zurückhalten wollte, bekam eine Maulschelle, und ihr Gemahl, der kleine Drechslermeister, flog beiseite.

Weshalb Herr Hamplich beiseite flog, können wir nicht sagen, vermuten aber, daß er selbst keinen Grund dafür angeben konnte, und daß es überhaupt willenlos geschehen war. Vielleicht hatte er wieder einen Stoß von seiner Gemahlin bekommen.

Ein milder Beurteiler hätte die beiden sich sehr ähnlichen Demoisellen Kurisch vielleicht sanfte Wesen nennen dürfen, daß aber Begebenheiten vorkamen, welche auch ihre Galle aufregen konnten, würde er nie geleugnet haben, wäre ihm das Glück zuteil geworden, sie näher kennenzulernen. Eine solche Begebenheit nun war die eben erwähnte Maulschelle, welche Herrn Grünspan wurde.

Sie fielen also mit erhitzten Gesichtern über Madame Hamplich her, um ihren Anbeter zu rächen, wurden indessen von ihrem vernünftigen Vater, dem Viktualienhändler Herrn Kurisch, mit aller männlichen Kraft und väterlichen Gewalt zurückgeworfen.

Wie wir wissen, hielt Herr Knake, der Gastgeber, sehr auf Anstand. Von diesem Standpunkte ausgehend, trat er mit all jener Würde, welche seinem Wesen eigentümlich, unter die in mannigfacher Art sich nähernden und abstoßenden Personen, und stiftete mit tätigster Hilfe des Herrn Kurisch und des Unteroffiziers Neumann Frieden und Ruhe. Dies war freilich nicht so leicht geschehen, wie diese Worte geschrieben sind, allein es geschah, und die Phantasie des Lesers muß aushelfen, wo die Feder des Verfassers oder der Pinsel des Malers unvermögend sind, der schnell sich gestaltenden und wechselnden Wirklichkeit zu folgen.

Die persönliche Berührung, welche der lebensfrohe Materialist von Madame Hamplich empfangen hatte, konnte einen so wohlgeordneten und immer fertigen Geist nicht verwirren. Man sollte es kaum glauben, aber es ist wahr, daß Herr Grünspan im ersten Augenblicke des Waffenstillstandes sein volles Glas ergriff, und, es in die Höhe haltend, ausrief: »Ein Schurke, wer nicht verzeiht, wer noch den mindesten Groll auf den andern hat!«

Diese ebenso glückliche wie kühne Wendung konnte ihren moralischen Zweck nicht verfehlen! Alle Anwesenden folgten dem schönen Beispiele des Herrn Grünspan, ergriffen schnell ihre Gläser (mit Ausnahme der Madame Stiebeke, welche ihr englisches zerbrochen hatte), und riefen mit kaum zurückzuhaltender Freude: »Ein Schurke, wer nicht verzeiht, wer noch den mindesten Groll auf den andern hat!« »Wir wollen uns alle niedersetzen, und ein Lied anstimmen!« rief der kleine Drechslermeister Hamplich mit heiserer Stimme. »Ich schlage vor«, fügte er hinzu, indem er auf einen Stuhl hüpfte: »Freut euch des Lebens, des Lebens! Das ist ein hübsches Liedchen, und das können wir alle, können wir alle.«

Die Gesellschaft sang hierauf: Freut euch des Lebens, freilich nicht in vollständiger Harmonie, da sich Herr Webermeister Stiebeke nicht mehr genau auf die Melodie besinnen konnte, und deshalb zuweilen eine andere, wenn auch ebenso hübsche, hineinmischte. Dagegen war er der einzige, welcher im Takte blieb, was ihm dadurch gelang, daß er fortwährend mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Der Unteroffizier Neumann und Madame Hamplich entfalteten während dieses Gesanges zwei tiefe und volltönende Bässe, welche gegen die schneidend hellen Diskantstimmen der Demoisellen Henriette und Emmeline Kurisch sehr gut geklungen haben würden, wenn diese nicht zu sehr geeilt hätten, und nicht immer um zwei Takte voraus gewesen wären. Einen eigenen Reiz hatte außerdem die Stimme des Herrn Hamplich, welche man sehr deutlich unterschied, und die am meisten mit einem kranken Tenore Ähnlichkeit hatte, dem die Brusttöne fehlen.

Nachdem sieben Strophen dieses Liedes gesungen waren, – und zwar nur in der Melodie, nicht im Texte wechselnd, weil sich niemand auf die zweite und die folgenden Strophen besinnen konnte, was einige Störung veranlaßte, – wurden in gleicher Weise noch mehrere gemütliche deutsche Lieder gesungen, und die allgemeine Heiterkeit immer mehr und mehr erhöht, bis endlich der geniale Grünspan auf die Idee kam, ein Tänzchen zu arrangieren.

An einem Instrumente fehlte es nicht, denn Herr Knake hatte noch eine alte Flöte liegen und erinnerte sich ganz deutlich aus seinen Wanderjahren, daß er damals ein ziemlich geschickter Bläser gewesen wäre. Die Flöte wurde also geholt. Herr Knake nahm sie mit einem selbstgefälligen, aber keinesweges seine Würde verletzenden Lächeln in die Hand, und setzte sich auf den schon einmal erwähnten Schusterschemel in der Ecke des Zimmers.

»Er geht flöten!«Berlinischer Ausdruck, soviel wie: umkommen, daraufgehen, ruiniert werden bedeutend. rief Herr Grünspan, und es entstand natürlicherweise ein wieherndes Gelächter über dieses äußerst gelungene Wortspiel.

Kurz darauf begann Herr Knake zu blasen. Er bewies sich dadurch mehr als ein großer Theoretiker, indem er den Anwesenden zeigte, auf welche Weise man jeden einzelnen Ton aus dem Instrumente holen müsse. Dies ging den tanzlustigen Gästen aber zu langsam, weshalb sich die Herren Kurisch und Neumann entschlossen, abwechselnd zu den Tönen der Flöte zu pfeifen.

Und nun wurde tüchtig getanzt.

Herr Grünspan wählte keine andere Damen, als die Demoisellen Henriette und Emmeline Kurisch, am meisten die letztere. Nach jedem Galopp holte er sein seidenes Taschentuch heraus, welches nur ein einziges Loch in der Mitte hatte, wischte sich den Schweiß von der Stirn, und drehte sich dann die Locken wieder zurecht. Sein Vergnügen war ziemlich anstrengend, da die Demoisellen Kurisch nicht leicht zu ziehen waren, was, obschon sie sich alle Mühe gaben, hoch zu springen, fortwährend geschehen mußte, um mit den Rhythmen der Musik einigermaßen in gleichem Gange zu bleiben.

Der kleine Herr Hamplich konnte mit seiner stattlichen Gemahlin keinen Galopp zustande bringen, weil diese die, ihrer äußeren Ausstattung sehr homogene Gewohnheit hatte, sich langsam zu bewegen, und ihn zu sehr schleuderte, als daß sie hätten zusammenbleiben können. Er wählte deshalb die vorkommenden Walzer, und tanzte diese so graziös wie möglich, vier bis fünf Mal die Füße zusammenschlagend, bevor sich seine Gemahlin ein Mal herumgedreht hatte.

Da die Herren Kurisch und Neumann niemals tanzten, außerdem mit Pfeifen beschäftigt waren, und Herr Knake die Flöte blies, so wählte der Webermeister Stiebeke abwechselnd seine Frau und Madame Knake. Er war freilich schon vom ersten Walzer so schwindlich geworden, daß er kaum aufrecht stehen, geschweige sich im Takte und im vorgeschriebenen Pas bewegen konnte; indessen war auch hier von keiner Kunst die Rede, sondern von einem Vergnügen, und man war deshalb nachsichtig gegen ihn.

Plötzlich – mitten im Jubel – wurde derselbe durch ein lautes, dreimaliges Klopfen an die Tür des Nebenzimmers unterbrochen, in welchem vor zwei Stunden die alte Schachtel vom Kleiderschranke gefallen war.

Herr Knake fiel die Flöte aus der Hand; die Pfeifenden verstummten, und die Tänzer standen, wie vom Schlage gerührt, still. Aller Gesichter waren blaß vor Schreck; die Damen zitterten und bebten.

Dies nahm aber noch zu, als die Türe aufsprang, und die alte Muhme, von oben bis unten schneeweiß gekleidet, oder vielmehr ihr Geist, lang ausgestreckt und mit zum Himmel emporgehobenen Händen, sich im Nebenzimmer sehen ließ.

»Herr Jesus! Die alte Muhme!« schrien die Trauergäste durcheinander, drückten sich in die Winkel der Stube, fielen auf die Knie, und falteten ihre Hände.

Als die alte Muhme sie alle so demütig und reuevoll, vor Schreck und Furcht zitternd und bebend an der Erde liegen sah, schlug sie ein höllisches Gelächter auf. Dann ließ sie dasselbe plötzlich verstummen, trat mit großen Schritten näher, bis in die Mitte des Zimmers, und riß sich die Haube vom Kopfe.

Keiner der Anwesenden, welche jetzt aus ihren Verstecken aufsprangen, hatte bemerkt, daß der geniale Grünspan vor einigen Minuten vom Tanze fortgeschlichen war; hätten sie es aber auch gesehen: wer konnte glauben, daß es nur in der Absicht unternommen, einen solchen Scherz mit ihnen zu treiben?

Herr Grünspan, der geniale Materialist, hatte sich mit Hilfe des Dienstmädchens, mit welchem er zuvor in der Küche charmierte, die Nachtkleider der seligen Muhme angezogen. Er legte dieselben jetzt vor aller Augen wieder ab, und glaubte nun sein Lob über den höchst geistreichen Einfall, aus jedem Munde hervorströmen zu hören.

Wie groß war daher sein Erstaunen, als ihn sämtliche Männer wütend anfuhren, zwei von ihnen die Flur- und Haustüre öffneten, und die andern ihn ohne weiteres hinauswarfen! Ihn, den lebensfrohen Diener aus dem Materialladen nebenan; den bisher alle als einen ausgezeichneten Geist betrachtet und bewundert; über den sie hundert Mal gelacht hatten; von dem sie mit zwei Bowlen trefflichen Punsches bewirtet waren, und der den Spuk nur in der gewissen Voraussetzung unternommen, einen herrlichen Scherz, oder wie er dachte, Witz damit zu machen!

Der geniale junge Mann stand draußen wie versteinert, schüttelte den phantasiereichen Kopf, sah sich das Knakesche Haus noch ein Mal an, und ging dann, ein wenig unzufrieden mit sich selbst, in seinen Laden hinein, der eben vom Lehrburschen geschlossen werden sollte.

Drinnen im Trauerhause aber wurden Hüte und Hauben, Stöcke und Umschlagetücher zusammengesucht. Alle waren verstimmt; Henriette und Emmeline Kurisch weinten. Man wünschte sich eine gute Nacht, schüttelte sich die Hände und ging schweigend nach Hause.

 


 


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