Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Unterhaltungen

(1837; 1842)

Die unterste Volksklasse Berlins ist im Ganzen sehr arbeitssam und bedarf nur selten einer andern Erholung, als ihre Kehle mit demjenigen Getränke anzufeuchten, aus welchem jene äußerliche Rohheit und Abstumpfung edler Gefühle entspringt. Wenn aber der Gott der Lust durch einen Sonn- oder Feiertag ruft, so gilt es, ihm auf jede Weise zu opfern; jeder Groschen wird zusammengerafft, den die langtägige Arbeit eingebracht, ja das königliche Leihamt wird in Anspruch genommen, um sich in den Besitz des weltlichen Mittels zu setzen »sich himmlisch oder jöttlich zu amüsiren.« Da mag denn die Sonne allen Lebensmuth aus der Natur brennen, der überlästige Staub jede farbige Schönheit in Sack und Asche trauern lassen, oder der Regen in Strömen herabfallen: das Alles genirt einen flotten, kräftigen Berliner nicht, der seinen langverhaltenen Jubel loslassen, der seinen Tollen austreiben will. Der Familienvater nimmt das Jüngste auf den Arm; die Mutter fährt den kleinen Jungen mit der neuen Jacke aus Vaters alter, die Gesellen fragen den »Deibel« nach dem Wetter und schlendern drauf los. Die Dienstmädchen und Hökerinnen drehen für's Erste das neue Umschlagetuch um, und nun geht's hinaus, hinaus nach jenem Orte, wo die Freude heute ihre bunten Flügel entfaltet. Sei es draußen vor dem Prenzlauerthore bei Würst auf dem Windmühlenberge, wo ein großer papierner Drache von Pferden gezogen wird, wo man Schweine und Lämmer auf der Kegelbahn ausschiebt, wo Erpel-, Wurst-, Aal- und Hahngreifen ist; sei es draußen im Dorfe Tempelhof, prächtig gelegen in einer unabsehbaren Wüste, allwo Taschenspieler ihre Künste zeigen, Bären tanzen und Affen auf sehr traurigen Kameelen possirliche Sprünge machen; wo Würfelbuden: Pfeifen, Pfefferkuchen, Gläser und andere Kostbarkeiten versprechen; wo Mordscenen durch große Bilder und anmuthige Gesänge rührend geschildert werden, und die ungeheuern Kaffeekannen auf den Tischen im Freien einladen; sei es in den qualmigen Zimmern der Tabagien Schönebergs oder Pankow's, wo brausendes Weißbier und Abends »Pellerdtoffeln mit Butter« winken; sei es in Stralow wegen der grünen Aale mit Gurkensalat; in der Haasenhaide, wo die Fichten die drückende Schwüle vermehren, aber die Kegelbahnen, Billards, Carroussels, Illuminationen, und kleinen Feuerwerke locken, oder in den zahllosen Wirthshäusern der Stadt, »wo man sich ooch janz anständig besaufen kann;« sei es wo es sei: der Berliner ist genügsam und amüsirt sich immer, wenn er einmal das Haus Vergnügens halber verlassen, und seine paar Groschen zu Schnaps und Weißbier in der Westentasche hat!

 

Die Belustigungen Moabits und des Stralower Fischzugs habe ich beschrieben, auch Scenen aus anderen Erholungsörtern und Festlichkeiten finden sich in diesen Heften; lebendige und prägnante Darstellung scheint mir bei Schilderung eines Volkes am nothwendigsten; ich werde daher nur noch diejenigen Feste beschreiben, die eigenthümlich heraustreten. Aber auch von diesen darf man im vorliegenden Hefte nur leichte Skizzen erwarten, da der Raum zu eng ist; die Ausführung derselben behalte ich mir bis zur Vervollständigung und Rundung dieses ganzen Werkes vor; hier kann es nur darauf abgesehen sein, jede bisher noch nicht erwähnte Eigenschaft und Originalität der untersten Volksklassen Berlins flüchtig zu malen, und zwar in einzelnen Bildern und Scenen.

 

Das alte deutsche Fest des Vogel- und Königschießens findet in Berlin zwei Mal statt und dauert mehrere Tage; es hat in Hinsicht der Gruppirungen und der unübersehbaren Menschenmasse große Aehnlichkeit mit dem Stralower Fischzuge, nur daß das Locale des Letztern viel romantischer ist: der Schützenplatz liegt am Königsthore in einem Winkel der Stadt, ist sandig und staubig, nur von wenigen Alleen beschattet und endet mit einer grünen Anhöhe, welche die Stadtmauer begrenzt. Hier ruhen Diejenigen aus, die sich durch die zahllosen Glücksbuden gedrängt, ihr Geld verloren, oder einige Gläser und Pfefferkuchen gewonnen haben, und lieber im grünen Grase liegen, als auf den Schemmeln der großen Speisezelte sitzen wollen, wo Kaffee gekocht wird, der Kessel mit Würsten auf prasselndem Feuer steht, und ein Heringssalat die hungrigen Magen füllt, der dick mit Staub bedeckt ist, aber dafür des Herings ganz und gar entbehrt.

 

Die Tuchscheerer und Raschmacher feiern im Sommer das »Mottenfest« im Dorfe Lichtenberg, die Leineweber das »Fliegenfest« in Pankow, und die Kammmacher das »Lausefest.« Da miethen sich die heitern Gesellen große Wagen zu fünfzehn bis sechszehn Personen, nehmen ihre, der Küche geraubten Liebsten mit, die Alle schneeweiß angezogen sein müssen, setzen vorn zum Kutscher zwei ihrer ältesten Collegen in bunter morgenländischer Tracht, geben ihnen lange Fahnen in die Hand, und während diese schon in der Stadt lustig geschwenkt werden, jubeln und singen die fröhlichen Handwerker, daß Gott so viel Ungeziefer werden ließ. Draußen aber im Orte selbst kochen die schneeweißen Liebsten sehr dünnen Kaffee, winden Kränze aus blauen und rothen Kornblumen, schmücken die Hüte ihrer Courmacher, spielen gemüthliche Spiele, schäkern und kosen, und sind gar nicht so spröde wie Sie aussehen, obgleich sie gar nicht spröde aussehen. Abends aber geht die »Keilerei« unter den männlichen Gliedern der Gesellschaft los. »Keilerei muß sind!« »Holze muß et jeben!« Ohne Prügel kennt der Berliner Geselle gar kein ächtes Vergnügen, und wenn nicht beim Nachhausegehen mindestens sechs Individuen mit verbundenen Köpfen im Wagen sitzen, so hat der längstersehnte Tag den Erwartungen nicht entsprochen.

 

Um Pfingsten herum ziehen viele Gesellen und viele Dienstmädchen mit den Kindern der Herrschaft, Morgens gegen drei Uhr, nach dem eine Stunde entfernt liegenden Willmersdorf, um Schafmilch mit Semmel zu genießen, welche letztere in einem Bäckerladen erstanden werden. Der erste Strahl der aufgehenden Sonne wird unterwegs mit Hurrah begrüßt, und die Mützen und Hüte fliegen, wie die jubilirenden Lerchen, hoch in die Luft. Dann wird weiter gewandert durch den Sand, von Zeit zu Zeit ein tüchtiger Schluck aus der »Karline« genommen, um die morgendliche Nüchternheit zu verbannen; die kurzen Pfeifen werden an einem Baume ausgekopft und wieder mit Cuba littera O gestopft, und endlich wird in Willmersdorf vor der Schäferei Halt gemacht.

»Nanu Schafmilch her! 'Ne jroße Terrine voll, sechs Quart, schwabbern muß se! Ueberschwabbern muß se, det hilft nischt!«

»Semmeln her! Wer hat de Semmeln?«

»Dörthe hat se in ihren Pompadour!«

»Pack' se schnell aus, Dörthe, sonst brech' ick Dir wie 'ne Semmel entzwee und fress' Dir vor Liebe uf! Heute wird fidel gesind! Heute wird den janzen Dag fidel gesind! Von de Schafmilch an bis zu de Keilerei!«

Ist das Mahl beendet, so wird für die Herrschaft des Dienstmädchens eine Flasche mit jener nahrhaften Kost gefüllt, ein Pfropfen von grünem Grase gedreht und hineingesteckt, und dann etwas geistesmatt heimgewandert.

 

Wenn in der alten Stadt und Festung Spandau Pferdemarkt ist, so ist in Berlin große Bewegung. Jeder wohlhabende Bürger läßt seinen Einspänner in Stand setzen, legt zwei Flaschen Wein in Stroh gewickelt und einen Korb mit Butterbrodten hinein, placirt seine Frau, die Kinder und das Dienstmädchen, nimmt die Peitsche in die Hand und fährt hinaus, wo heute großer Jubel ist. Auch die Oeconomen, Viehmäster genannt, schnallen Sitze auf ihre Milch- und Gemüse-Wagen, ebenso die Gärtner, steigen mit Allem, was der Nachbar nicht begehren soll, hinauf und stuckern ab. Ihnen folgen die glänzenden Equipagen der vornehmen Zuschauer, und, zu Fuß oder zu Pferde, die Käufer und Verkäufer. Lude und Christian vom Brandenburger Thor bewundern noch ein Mal die vier kräftig-schönen Rosse der Victoria, und erhandeln in Spandau zwei solche, à Stück zwanzig Silbergroschen, welche sie bis zum nächsten Markte todtjagen. Draußen ist buntes Durcheinander, tolles Lärmen, komisches Volkstreiben, ehrlicher Handel, Prellerei und mannichfacher Genuß.

 

Hyperfromme Vereine, Pietismus, Heuchelei und religiöse Unterhaltungen dieser Art haben wir in den untersten Volksklassen in Menge, doch verirrt sich auch die Theilnahme sehr hoch hinauf. Es ist erklärlich, daß sich in einer Stadt, in welcher die schärfste Verstandesrichtung vorherrschend, solche Gegensätze bilden, und eben so erklärlich, daß sie in der jetzigen Zeit nicht genügend unterdrückt werden, obschon unser König ganz gegen dergleichen Cliquen-Frömmigkeit ist, und dies durch Wort und That bewiesen hat.

 

Von Scenen solcher Art – die niemals wahrhaft komisch sind, weil die nichtswürdigste Seite des menschlichen Charakters sich häufig in ihnen entfaltet – erlasse man mir die Schilderung. Einmal kann ich meinen Ekel dagegen nicht überwinden, und zweitens muß es in der civilisirten Welt Gesetz bleiben, das zum Grunde liegende Motiv solcher Vereine in populären Schriften als unantastbare Heiligkeit gelten zu lassen.

 

In den Tabagieen trinkt der Berliner seine Flasche Weißbier, sein Schnäpschen, spielt Karten, Billard, Puff oder Tokkadille, und raucht dazu gemüthlich seine Pfeife Tabak. Am häufigsten aber politisirt er, verliert sich in geistige Spekulationen und reißt Witze über die neuesten Erscheinungen und Begebenheiten. Liest er zu Hause, so greift er Morgens nach der Zeitung, Abends nach Romanen und dem sogenannten Intelligenzblatt, und alle Sonnabende nach dem Spreebeobachter, in welchem ihn namentlich die »Todtenliste« und »Unglücksfälle« interessiren.

 

Um die Weihnachtszeit führt der Berliner Abends seine Kinder auf den Markt, und läßt sie in den illuminirten Buden auf dem Schloßplatze und der Breiten Straße Dasjenige sehen, was sie sich zum heiligen Christabende wünschen können. Bescheert ihnen nun auch der »Rumknecht nischt weiter als eine jrüne Perjemite mit kleene Talchlichter, Beelämmerkens un joldne Aeppel un Nüsse,« so haben sie sich doch ergötzt an den zahlreichen bunten und blanken Spielsachen auf dem Weihnachtsmarkte; an den brummenden »Walddeibeln« und bemalten Fahnen und Knarren, welche die ausgezeichneten Straßenjungen Berlins zu dieser Zeit mit vielem Lärm feilbieten.

 
Beim Billard

Der Strumpfwirker Resener und der Kammmacher Brenke spielen; ihre Freunde, der Kutscher Schiebich und der Weber Fleezberger, sehen zu.

Brenke. Setz' Dir aus, Resener! Du hast'n Aussatz.

Resener. Wenn ick'n Aussatz habe, denn nimm Dir'n Acht, des ick Dir nich 'ne Pocke steche!

Brenke. Wenn De det dhust, denn impf ick Dir eine Maulschelle.

Resener. Markeer, det Queue is schief; wenn ick mir damit aussetzen will, mach' ick dreizehn; det jeht nich. So, des is jut, nanu man zu! (sie spielen) Wie steht es jetzt?

Marqueur. A six!

Schiebich. (legt sich auf's Billard) A six! Ihr seid zwee Assisen, un ick stehe vor Euch. (Pause) Na hör' 'mal, Brenke, Du spielst ooch 'ne jute Naht! Du hast Dir woll in Deiner Jugend blos uf't Auslassen jeübt?

Brenke. Wenn ick Bälle auslasse, det is keen Wunder. Ick spiele zu elejant.

Schiebich. (lacht) Ach, nanu wird et noch doller: nu spielt der Kerrel ooch noch elejant! Wie machsten det, Brenkeken, det Du elejant wirscht?

Brenke. Na, ick seh' mir nich erscht de Bälle 'ne halbe Stunde an, wie Resener, un leiere se denn wie de Lämmer, die unterwegs Grünet fressen. Ick spiele elejant; ich stoße ohne Ueberlejung und mit Jrazie zu, un entweder jehen se, oder se jehen nich.

Fleezberger. Det Letzte is mir sehr einleuchtend. Deine Bälle scheinen von sehr vornehmer Jeburt zu sind; sie jehen fast nie. Ueberjens bist Du nich dran schuld; wenn die Löcher eene sechs Fuß im Durchmesser hätten, Du ließest keenen Ball aus.

Resener (sehr langsam und schwach stoßend) So –, der wird woll jehen; den hab' ick orndtlich in't Visir jenommen.

Brenke. Du, stoß' keen Loch in't Billard! Der Ball springt wieder raus!

Resener. Il va de aller: er wird sojleich jehen. Da liegt er. Nu steh' ick douce – ein süßer Stand.

Schiebich. Fall' nich!

Fleezberger. (legt sich aufs Billard) Weeßt De wat, Resener? Jetzt mach' 'mal de Karline in't Eckloch, denn verloofste Dir Sechse, un vielleicht krambolirste noch dabei, denn macht es noch mehr!

Brenke. Fleezberger, fleeze Dir nich so uf! Halt' 'mal hier fort; ick muß hier ran!

Fleezberger. (macht Platz) Nich'n Oojenblick Ruhe hat man bei Euer dummet Spiel!

Schiebich. Ja, det weeß der Deibel! Die Billardspieler sind Eenen immer im Weje, wenn man zusehen will!

Resener. Jetzt wer' ick den Rothen schneiden.

Schiebich. Da wirste Dir sehr schneiden, wenn De jloobst, det der jeht! Dazu jehört schon Eener, der Billard spielen kann.

Resener. (stößt) Siehste woll, Jroßmaul, da liegt er!

Fleezberger. Herr Jeses! war det 'n Fuchs!

Schiebich. En schauderhafter Fuchs! Der Kerl, der Resener, hat en Schwein, des jeht in's Weite! Wenn Der Butterstulle spielen will, kriegt er Schinken druf! (zählt) Dreie zu Fufzehn macht dix-huit; dix-huit à trente-six steht et. Busquit a Thransüß.

Resener. Kutscher, fahre so fort, Du bist jut in'n Drabb; Deine Witze ziehen zwarscht nich, aber se machen mir Spaß. Bock-Besitzer, Sie können sich eine Jnade bei mich ausbitten!

Schiebich. Ach, denn bitt' ick Euer Majestät, det die Füchse nich so verfolgt werden. Doubliren Se gefälligst nich so ville jejen Dero Willen. Es könnte 'mal einen Contrecoup jeben, un denn könnten Sie sich verloofen, un denn haben Sie die Parthie verloren.

Resener. Pferdedreiber, jeh' 'mal hier von de Bande weg!

Schiebich. Ne, ick wer' Euch nie verlassen!

Brenke. Wie steht et 'n?

Fleezberger. Karanzert a Siebenundreißig! Du brauchst blos noch een Mal zu stoßen, Brenke, denn haste de Parthie verloren.

Brenke. (im Visiren) Stoß' Dir nich, Fleezbergerken, er werd die Parthie nich verlieren, er werd jetzt sehre scheene spielen! Jib 'mal Obacht, wie ick diesen jungen Kreuzball eens uf't Kreuz jeben werde! (stößt) Sichste woll, Kettendurchschießerjeselle! Dreie jemacht, un Viere gemacht, det macht Sieben; also steh' ick quarante-quatre un jetzt steh' ick uf Carlinen; nu wirste 'mal die Freude jenießen, wie ick die rinballere un de Parthie jewinne. (stößt) Haste jesehen, Fleezbergerken? Na, wat sagsten nu, Flesch?

Schiebich. Na hör' 'mal, Resener, des stört sehr. Du hast de Parthie verloren: so was stört sehr! Der Kammmacher hat Dir sehr jelaust.

Brenke. Et stand sehr kipplich mit mir, aber Brenke verzagt nich!

Schiebich. Na überjens: dicke brauchste Dir ooch nich zu dhun! Resener hat en Schwein, det is wahr, aber Du, Du hast en wildes Schwein!

Resener. Brenke, setz' Dir aus! – So! (stößt) Zwee karambolirt; deux à nischt!

Brenke. (stößt) Bumms, Kladeradatsch, Kniez, Knaaz, Rungs, Knall, Pladeradautsch, Baff, da liegt Dein Weißer! Macht ooch Zwee!

Marqueur. A-deux!

Schiebich. (nimmt seinen Hut und geht) A-dieu!

 


 


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