Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Das Erdbeben

Gespräch zwischen zwei Holzhauern

(1843)

Petzke. Ne wirklich: rurrr!?

Paffenthal. Wie ick Dir sage: rurrr! jing et. Ick steh' Dir janz ruhig uf'n Boden in en Haus von de Marienstraße. Da steh' ick hinter meinen Bock un sage. Mit een Mal jeht et, wie jesagt, rurrr! un ick fahre Dir jrade so in de Höchte, als ob man so'n Schreck kriegt.

Petzke. Na un da kriegtestte nu ooch woll en Schreck?

Paffenthal. Natürlich. Nu kriegt' ick erst en Schreck, nachdem ick vorher schon in de Höchte jefahren war. Also ick seh' mir um; ick seh' uf de Erde: ick weeß nich woran ick bin, un woran ick kommen könnte. Na, denk' ich, det schad't nischt, der Boden wird en Schluckuff jekriegt haben, du wirst ruhig weiter sagen. Ick nehme also meine Sage, reibe se noch en bisken mit Speckschwaate in, stoß' se int Brett rin, –

Petzke. Wat Du vor'n Kopp hattest?

Paffenthal. Ja, da stoß' ick rin, un kaum hab' ick se een Mal zurückjezogen, un will ihr eben wieder en Druck nach vorne jeben, so jeht et mit een Mal wieder rurrr, ick fliege wieder in de Höchte, un breche mir'n Zahn aus.

Petzke. En Zahn? Du Dir? Janz alleene? Na hör' mal, det begreif' ick ooch nich, wie det zujejanjen is!

Paffenthal. Schaafskopp, nich aus den Mund! Aus de Sage hab' ick mir en Zahn ausjebrochen.

Petzke. Ach so! Ja, des is eine and're Jejend. Da kann Linderer nischt lindern.

Paffenthal. Na also nu steh' ick Dir janz perklecks da, un denke natürlich da drüber nach, wo der Stoß hergekommen is, damit ick mir die Sage bezahlen lassen kann. Un so nehm' ick meine Sage in de Hand, un jeh' de Bodentreppe runter nach't zweete Stock. Ick kloppe an bei den Jelehrten, der da wohnt. Der kommt raus, sieht mir jroß an un sagt: »Na nu?« – »Na nu!« sag' ick. So sagt er: »Wat is los?« – So sag' ick: »Det sollen Sie mir sagen. Haben Sie vielleicht jejen de Decke jebumst?« – »In wo fern?« frägt mir der mit de Brille un schiebt se über seine Runzeln. – »Na,« sag' ick, »man hier keene lange Fieselmatenten! Wenn Sie der Bummßer jewesen sind, so werd de Sage bezahlt, oder et setzt wat! Seh'n Se sich mal hier den Zahn an, der hier fehlt.« –So sagt der Jelehrter zu mir: »Sei Er nich jrob; der Stoß kam von unten; ich wollte jrade 'ne Tasse Kaffee drinken, un kam janz dief mit de Nase rin.« – So sag' ick: »Det schadt nischt; det is mir janz jleich, un wenn Se ooch mit was anders drinn jekommen wären, in'n Kaffe! Det sind Ausreden; ick will meine Sage wiederhaben!« Wat hat der zu dhun?

Petzke. Det weeß ick nich.

Paffenthal. Er schlägt mir de Nase vor de Dhüre – ne, de Dhüre vor de Nase zu, un sagt: »Dieses machen Sie mit die Leute unter mich ab.«

Petzke. Un des dhatst Du, natürlich? Du mußtest doch am Ende Deine Sage ersetzt kriegen, un darum jingste natürlich runter zu de Belletage, und fühltest Die uf'n Zahn.

Paffenthal. Wui! Ick jeh' also runter zu Belletagen's, kloppe an ihr un schreie Herein! So macht mir die alte Wittwe, de Jeheime Pupillen-Räthin uf un sagt zu mir! »Was is?« – So sag' ick zu ihr: »Exkäsiren Sie, Frau Jeheime Pupille, is hier vielleicht wat vorjefallen, wat jejen de Decke?« – So sagt sie: »Nichts, jar nichts! Machen Sie, machen Sie!«

Petzke. Nu machteste woll?

Paffenthal. Ne, ick machte jar nischt, sondern ick nahm jar keene Notiz von ihre Eile un blieb janz pomadig, un sagte man bloß: »Frau Jeheime Pupille, es is mir uf'n Boden ein Stoß von unten arrevirt, un Sie werden mir zugestehen, daß, wenn einen so was arrevirt, deß man wenigstens wissen muß, woher so was kommt, besonders aber, wenn ein Zahn dabei futsch jeht. Seh'n Se, der Zahn fehlt mir hier in de Sage, un des wer'n Se woll selbst wissen, wie einen des genirt, wenn einen en Zahn fehlt.

Petzke. Die Jeheime Pupille war woll in des Verhältniß?

Paffenthal. Ja, sie war eben so wie meine Sage, blos deß ihr mehr Zähne fehlten als eener, denn sie schmeichelte sich noch jar keenen zu haben.

Petzke. Ach, herrjeees, na denn müssen se aber bald bei ihr kommen.

Paffenthal. Ja, Zeit is es bei ihr, denn sonst kann se wie der ewje Jude nich sterben.

Petzke. Wie so denn?

Paffenthal. Na, wie soll se denn in's Jras beißen, wenn se keene Zähne hat?

Petzke. Ach, du krigst'en blassen Dot! Ne hör' mal Du, den Witz jib nich im Winter uf de Kunstausstellung, den hängen se am Ende in't falsche Licht.

Paffenthal. Ne, sei nich ängstlich: ick schick'n nach Baiern, da werden die alten schlechten Witze alle wieder ufjewärmt. Aber um wieder uf de Jeheime Pupillen-Räthin zu kommen. Also sagt se! »Mein Jott,« sagt se, »wir haben auch einen Stoß bekommen. Ich hatte jrade bei meinen Sekretair zu thun, un der schwankte noch, wie ich hier rausjing, um Sie aufzumachen.« – »Kann ick den Herrn Sekretair nich sprechen?« fragte ick ihr. – »Ne,« sagte se, »so'n Sekretair is des nich, des is einer, wo ich meine Kleider aufhebe.« – »Ach so,« sagt' ich, »entschuld'jen Sie, Frau Jeheime Pupille. Also von Ihnen is der Stoß ooch nich ausjejangen; nu sagen Sie mir aber um Jotteswillen, was des sind muß? Denn, sehn Se, wenn nu ooch meinswejen unten Eener noch so sehr jejen de Decke bummst, so wäre mir des doch janz unerklärlich, deß ich davon oben uf'n Boden mir erheben sollte.« – Un so will ick ihr des vormachen, wie hoch ick in de Höchte jefahren bin, un trete dabei die Jeheime Puppille dermaßen aus Versehen uf die Beene, deß sie gräßlich an zu schreien fangt, un ick mache, deß ich fortkomme.

Petzke. Na un nu, unten parterre, wat sagten se'n da? Deine Jeschichte wird länglich.

Paffenthal. Unten wohnt nämlich der Schuhmacher, der mir alle meine Stiebeln versohlt, un den ick davor umsonst haue.

Petzke. Umsonst?

Paffenthal. Ja: er versohlt mir, un ick mache ihm davor en viertel Haufen, so jejen den Herbst, wenn de Leute gewöhnlich Holz fahren. Also der Schuhmacher sagt zu mir: »Hören Se mal, Herr Paffenthal,« sagt er zu mir, »des is nich richtig mit den Stoß jewesen. Ick sage Ihnen, Herr Paffenthal, ick bin Ihnen meinen Lehrburschen jradezu mit den Priem in'n Rücken jefahren, un een Stiebel is janz alleene wechjejangen, en janz Ende. Herr Paffenthal,« sagt er, »Sie brauchen sich jar nich nach'n Keller zu bemühen, sondern lassen Sie sich janz ruhig den Zahn vor Ihr Jeld wieder einsetzen. Ich weeß, wie die Sache zusammenhängt, es war ein Erdbeben. Man hat jetzt diese Dinger überall.« – Un so war et, nachher stand et in de Voß'sche Zeitung.

Petzke. Na hör mal, deß des Erdbeben aber man jrade die beeden unjlücklichen Häuser betroffen hat! Des hätte können schlimm werden.

Paffenthal. Na ob! Seh' mal zum Exempel als Beispiel in Italjen. Da is vor circel zweehundert Jahren en Erdbeben jewesen, wo die beeden feuerspeienden Berge Herkulaji un Pompesum die janze Stadt Vesuv verschütt't haben.

Petzke. Ja, ick will Dir sagen, Paffenthal, des jeht woll in Italjen, aber bei uns hält det schwer. Wenn et hier wirklich mal wieder Erde bebt, so wird des nie sehr schlimm werden, denn unsere Erde hier bei Berlin, die is nich so eeklich, die stoßt nich sehre. Natürlich, wo soll se'tn ooch her haben? De Spree, des is en ruhiger Fluß, der hat keene Mucken. Na, un der Kreuzberg, der is ooch nich böse.

Paffenthal. Ne, da haste Recht, des kann man ihm nich nachsagen. Der Kreuzberg is ein janz juter Junge. Aber siehste Petzke, trotzdem det ick'n Zahn dabei verloren habe, det muß ick Dir doch sagen, et is mir lieb, det ick doch jrade en Erdbeben in Berlin erlebt habe, denn det möchte so leichte nich wieder vorkommen.

Petzke. Na wer weeß! Wenn't unten unter de Erde alleweile eben so unruhig zujeht, wie oben, denn kann alle Dage en Erdbeben passiren.

 


 


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