Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Herr Buffey in der italienischen Oper

(1842)

An der Königsbrücke.

Herr Buffey. (Einem Bekannten begegnend.) I sehn Se mal, Herr Jermer! Wo kommen Sie'n her, wenn ich fragen darf? (zu seinem elfjährigen Sohne.) Willem, nimm mal de Mütze ab! (Zu Jermer.) Herr Jermer, Sie entschuldigen, des is mein Sohn! (zu Wilhelm) Dieses is der Rentier Herr Jermer, den Herrn, den Du auch schon auf Hulda's Hochzeit gesehen hast.

Jermer. Wo sind denn Ihre Kinder jetzt, Herr Buffey?

Herr Buffey. (Bei Seite springend.) Herr Jeses, da is so'n!

Jermer. Worüber erschrecken Sie?

Herr Buffey. I da, über das Beest; über so'n verfluchten Bulldog! Sie können ihm nich mehr sehen; wie ich so schrie, da kratzte er aus, die Theele. So'n Bulldog, nennt man das, so 'ne Kreete mit so'n scheußliches Gesichte, des immer so aussieht, als ob es eben niesen wollte!

Wilhelm. Vater, niesen denn die Thiere ooch, wie Du?

Herr Buffey. Thiere wie ich? Halt dein Maul, dummer Junge! Ob die Thiere niesen können oder nich, des is mir janz einjal: Du jloobst woll, dummer Junge, ick werde so'n Kameel wie so'n deutscher Jelehrter sind, un zwee Bände über janz wat Jleichgiltijes schreiben, während...

Jermer. Während so viel Wichtiges zu thun! Aber wie Sie sich vor Hunden fürchten können, die nicht contrasigniren, begreife ich nicht!

Herr Buffey. Ich war frappirt, heißt das, war ich! Denn diese Theelen beißen; man hat die Fälle in des Jroßherzogthum Meeklenburg-Schwerin jehabt – ich habe es jelesen, – deß sie Kinder dodtjebissen haben, und darum bin ich ängstlich, penibel!

Jermer. Sie wollten mir sagen, wo Flitter ist?

Herr Buffey. Mein Schwiegersohn, mein Eidam, is mit Hulda'n nach Heljoland jereist. Sie haben Beide die See noch nich jesehen, das Meer, das heißt: aus Lecture kannte es Flitter sowohl wie meine Tochter, aber persönlich nicht. Ich sollte mit, aber als Hauseijenthümer konnte ich nich, wejen die Miethe, und weil ich mir einen Seitenflügel angesetzt habe.

Jermer. Gehen Sie auch in die italienische Oper?

Herr Buffey. Allerdings, Herr Jermer, ich jehe in die italjensche Oper, und ich nehme meinen Sohn mit, weil der Maler werden soll. Ne was des vor'n Jedränge jetzt hier vor das Jebäude, vor des Königsstädter Theater is, des is merkwürdig! Sonst ist es immer so leer, daß mehr Jensd'armen vor de Dhüre stehen, als Menschen drinn sind, un jetzt! Des macht aber des Italjensche; Jeder muß es gesehen haben. Un besonders, weil de Pasta singt.

 
An der Kasse.

Herr Buffey. (Zum Kassirer.) Es sind hohe Preise, so viel ich gelesen habe? (Geld hinlegend.) Hier sind zwei Thaler Courant: jeben Sie mir mal zwei Parquet's, Sperrsitze vor mir und meinem Sohn. Herr Jermer, wünschen Sie vielleicht...

Kassirer. Es ist nur noch zweiter Rang da!

Herr Buffey. Wie so? Wenn ich einen Thaler vor den Sperrsitz jeben will, und vor solchen dummen Jungen auch einen Thaler, der keine Ahnung von Italien hat, denn sind nich mal Billets da? Na, das muß ich gestehen! Wollen wir denn zweiten Rang jehen, Herr Jermer, is es Ihnen jenehm?

Jermer. Ja wohl, ja wohl, Herr Buffey! Hier ist mein Geld.

Herr Buffey. Zu ordinär is es also nicht, wie? So, daß ich mir nichts verjebe, was?

Jermer. Herr Buffey: ich denke immer, wo ich sitze, da ist der erste Rang.

Wilhelm. Vater, wir woll'n da uf den Platz, dichte an die Musikanten jehen, da is es so hübsch, da hör' ich die Pauke so recht! Ja?

Herr Buffey. (Roth vor Zorn, schiebt seinen Sohn von sich.) Na warte! Na, ich sage, des fängt jut an! (Zu Jermer.) Nu sehn Se, Herr Jermer, was nützt mir nu alle meine Erziehung? Wenn die Natur ein Kind dumm jemacht hat, un man is Vater von des Kind, so is man in die unangenehmste Lage! (mit dem Kopf schüttelnd.) Will der Junge blos de Pauke hören! Ich bezahle des schwere Jeld, und will eine janze Oper italjensch mitanhören, blos um es jehört zu haben und weil es Ton is, und weil ich den dummen Jungen durch Alles bilden will, un nu will der Bengel uf'n Platz, wo kein – kein Platz mehr zu haben is, kein Entrée, nennt man des, weil ihm nischt Anderes als die Pauke intressirt! Na warte, Bengel, Dir wer' ich pauken, komm' mir man noch mal! (Nachdem er die Billets bezahlt.) Herrjees, beinah' hätt' ich verjessen, mir einen Operntext zu kaufen! Des wär' ne schöne Jeschichte! Jeben Se mir mal Einen! So! Is auch die Uebersetzung dabei? (nachblätternd.) Ja, schön! Nu wollen wir 'raufjehen. Willem, weene nich noch, Junge, oder es setzt wat! (Auf der Treppe.) Jetzt biste ruhig, und versetzt Dir janz in Italien, hörste! Ich habe den Text; wenn De was nich verstehst, denn wer' ich nachschlajen.

 
Im Theater.

Herr Buffey. (Ueber seinen Sohn weg, zu Jermer.) Wer ist 'n des, Herr Jermer, der Italjener mit des dumme süße Jesichte?

Jermer. Das ist Arsir, der König von Syrakus.

Herr Buffey. Von Syrakus, so? Von den steht nichts in de Voßische. (zu Wilhelm.) Willem, der mit den schwarzen Mantel, des is Asur, der König von Syrakus! Merke Dir des, sonst verstehste die Handlung nich, die Intrieje! (Im Texte lesend.) Argirio, padre di... (Zu Jermer.) Sie entschuldjen, Herr Jermer, des is also der padre di, nich wahr?

Jermer. Ja, der Vater der Amenaide!

Herr Buffey. Aber sagen se mal, der Kerrel hat ja keinen Ton mehr in seiner Kehle? Jehört des zu's Italjensche, daß man keine Stimme hat?

Jermer. Wenn ein Deutscher hier gastirte, der eine so vertrocknete Kehle und solch unbehilfliches, dummes Spiel hätte, er wäre schon jetzt ausgelacht.

Klinger. (Buffey's Nachbar zur Linken, zu seinem Freunde.) Du, mein Nebenmann ist der bekannte Herr Buffey. Mit dem muß ich mir einen Spaß machen. (Zu Buffey, achtungsvoll grüßend.) Signore, permette, italiano lazzaroni cherfi parmesano dolchio bettela flöhino papsti?

Herr Buffey. Herrjeses! (Sich fassend.) Qui! Ach ne! Des is Französ'sch. (Gibt ihm durch Zeichen zu verstehen, daß ihm die Sprache nicht geläufig.) Non parlando!

Klinger. (Als ob er nicht verstanden.) Cantore di mia patria excelenti, vero?

Herr Buffey. (Lauter.) Non parlando! Hören Se denn nich? (sich umdrehend.) Deß des hier im zweiten Rang von einen preußischen Bürger vorausgesetzt wird, deß er italjensch kann, des jeht in's Weite! (Das Publikum empfängt Mad. Pasta als Tancred.) Ach, da is se! Sie wird empfangen! (Er applaudirt; zu Wilhelm.) Junge, empfange ooch! (Wilhelm applaudirt.) So, so! Siehste, des is jescheidt! Des freut mich von Dir, daß Du Dir findst in die Sache. (Der Empfang ist vorüber, Wilhelm klatscht noch immer.) Herrjeses, Willelm! (Man lacht; er versetzt seinem Sohn einen Puff.) Sehste, nu lachen se; des hab' ich nu davon, dummer Junge! Worum kannste denn keen Ende im Empfangen finden, wat? Na, wirste jleich antworten?

Wilhelm. (weinerlich.) Ich jlaubte, weil...

Herr Buffey. Stille, halt's Maul, raisonnire nich noch! Hör' zu, de Pasta singt!

Klinger. (Zu seinem Freunde.) Schöne Reste! (zu Buffey.) Signora Pasta iste Basta! Nichtwahro, Signore?

Herr Buffey. Sie entschuldjen: ich kann nich italjensch! (Nachdem die Arie und der tobende Beifall zu Ende.) Na, was sagen Sie dazu, Herr Jermer? Sie verstehen ja doch nu Musik un Allens? Mir war des scheußlich! Die tiefen Töne von die Frau, des sind ja keene Töne mehr, des is ja wie aus'n Topp! Des is nich mal mehr Kopp-Stimme, des is reene Topp-Stimme. (Jermer nickt.) Nich wahr? Also hab' ich doch Recht?

Jermer. (Nach dem ersten Acte zu seiner Umgebung.) Für uns ist das noch genug; wir sind blos Deutsche. Wenn die Frau es jetzt noch in einem andern Lande wagte aufzutreten, man würde sie verhöhnen. Aber in Deutschland sucht man nur nach den kleinsten Fehlern vaterländischer Berühmtheiten, um sie auswärtigen unter die Füße zu legen. Ist es nur weit her, ist es schon gut; was nicht weit her ist, ist uns lächerlich. Wie würde Frankreich, England, Italien eine so abgelebte, stimmlose, falschsingende Sängerin, die sich vor Fett kaum noch bewegen kann, nach Deutschland zurücktrommeln, wäre eine Deutsche so über alles Maaß arrogant gewesen, den Schutt eines einst stolzen Gebäudes hinüber zu karren. Nur wir Dummköpfe rasen noch vor Wonne über die uns erwiesene Ehre, daß man uns zufriedenen Tabaks-Philosophie- und Wein-Leuten gnädigst die alte Person zeigt, welche vor langen Jahren eine berühmte Sängerin war! Für diese plumpe Fettfigur von 55 Jahren, für diese Sängerin mit 2 halbguten Tönen, die wie ein sterbender Rabe ächzt, und wie ein pensionirter Charlottenburger krächzt, geben wir doppelte Preise, drängen wir uns, gerathen wir in Entzücken! Und warum: weil sie eine berühmte Italienerin ist! Wehe ihr, wenn sie nur eine Deutsche wäre! Ihr Vaterland würde sie todtspotten!

Klinger. Sie haben Recht, mein Herr, nur in Einem nicht, daß Sie dem eigentlichen Volke, dem Mittelstande, die Schuld beimessen. Die Leute vom ersten Range sind so vornehme Schwachköpfe, ihren Enthusiasmus für fremde Autoritäten aufzusparen, einheimische mit Indifferentismus, Kleinigkeitskrämerei und philiströsen Rücksichten fortwährend zu verfolgen. Das Volk ist nicht mehr so deutsch; das ist zu klug geworden.

Jermer. Fühlt denn aber dieser erste bornirte Rang, der doch fast weiter Nichts als Singen und Tanzen zu beurtheilen versteht; dem der eigentliche gesunde Menschenverstand und der kräftige Geist in dem Dampfkessel der Hyperbildung und Förmlichkeit verdampft ist: daß die Pasta selbst niemals das gewesen ist, was er belorbeert? Abgesehen davon, daß sie immer falsch gesungen, merkt man nur zu deutlich, wie ihre Darstellung von je mehr italienisch-französischer Kitzel und Knalleffekt, als ein großes, tiefes Ganze war. Sie schlägt den schönsten Triller, sie colorirt mit Geschmack; sie spielte und sang Einzelnes mit sogenanntem genialen Feuer, das heißt: mit übertriebenem Aufwand aller Kräfte; aber sie spielte dennoch immer Comödie, sie sang dennoch immer nur mit der Kehle, nicht mit der Seele. Jede Arie war ihr ein Concertstück, das bis in die kleinsten Nuancen zum brillantesten Erfolg ausgearbeitet wurde, kein dem Charakter des Ganzen und der Seelenstimmung entsprechender Gesang, oder keine dem entsingende Sprache.

Herr Buffey. Hörste, Willem? Da kannste was lernen. (Zu Klinger.) Hör'n Se mal, Sie können ja Deutsch; warum unterhielten Sie'n sich mit mir italjensch?

Klinger. Ich hielt Sie für einen Italiener, entschuldjen Sie! (zu Jermer.) Sie sind mein Mann, daß Sie heiß werden können, wo es sich um ein so wichtiges Interesse, wie dieser Krebsschaden Deutschlands, handelt: das eigene Bedeutende verkümmern zu lassen, und schon jeden fremden Quark mit aufmerksamen Augen zu betrachten. So lange der Deutsche nicht stolzer wird, werden die Unterdrücker immer triumphiren.

Jermer. Und überhaupt diese italienische Oper! Wir würden hinauslaufen, wenn die deutsche so miserabel beschaffen wäre. Dieser Gamberini mit seinem vertrockneten Rosinengesicht und seinem den Freuden des Lebens entsagenden Tenor; diese Signora Ferlotti mit ihrer Lutschbeutel-Visage, die mitten im größten Schmerz so rührend-indifferent mit ihrer hübschen Stimme singt, als ob sie mit dem Löffel im Thee rühre. Diese Mamsell Angiora Villa, die eigentlich nur für sich singt, und sich nur von Zeit zu Zeit herabläßt, mit theilnahmlosen Zügen einen leisen Ton in die hohen Ohren der Deutschen zu säuseln, – und endlich neben ihr, als reizender Gegensatz, Signor Zucconi, der in der Plumpheit dem plumpsten Brauerknechte 47 und ein Doublet vorgeben kann, einen erschrecklichen Bierbaß und ein Spiel besitzt, als habe er nur Tonnenreifen abzuschlagen und Zapfen zu lösen! Und zu allen diesen die Basta-Pasta!

Klinger. Ja, es ist ein schöner Genuß! Herr Cerf verdient allen Dank der Gebildeten, daß er uns durch die Herbeiziehung solcher italienischen Oper an die seinige gewöhnen will. Ob indessen sein Haß gegen Italien, der sich auch in der Scenirung bekundet, nicht etwas zu weit getrieben, möchte ich nicht behaupten. Denn offenbar ist es doch Absicht, ist es doch Tendenz, daß neulich in der Norma die alten Gallier mit englischen Helmen und altdeutschen Waffenröcken erschienen, die Priesterinnen fast alle Locken trugen, und Norma ihr Schlafgemach im modernsten Geschmacke meublirt hatte, wenn man auch den Gegenständen ansah, daß die beiden natürlichen Kinder der Priesterin und des Herrn Römers Severus nicht eben die reinlichsten sind. Sollte es nicht auch Satyre gegen des Deutschen Weither sein, daß der heilige Hain eine anmuthige Felsengegend mit einem chinesischen Lusthäuschen war? Und auch heute empfand ich lebhaft, daß die Direction die Aufstellung des Nürnberger Rathhauses mit Brunnen und Schilderhaus auf dem Syracuser Marktplatze, dessen hohe Säulengänge und Tempel des Jupiter Olympius verachtend, und durch Verwandlung der Trophäen in den russischen Doppeladler, in den braunschweiger Löwen und den mecklenburgischen Stier nur einen tiefen Haß gegen Italien aussprechen wollte.

Jermer. (Nach der dritten Scene des zweiten Actes.) Nein, nun halt' ich's nicht länger aus! (Aufstehend.) Schlafen Sie wohl, Herr Buffey!

Herr Buffey. (Wilhelm bei der Hand nehmend.) I Hör'n Se mal, Herr Jermer, entschuld'jen Sie, sie glauben wohl, Sie könnten man alleine zu Hause jehen? Ne, ich danke nu ooch nachjrade vor diese italiensche Wirthschaft! Ich drücke mir, nennt man Des. Stolpere nich, Willem! Nimm Dir'n Acht! Wenn hier so'n Ton von de Basta'n herjefallen is, da kannste Dir en Loch in Kopp schlajen.

Klinger. Ich geh' auch mit! (Unten wird eben sehr applaudirt und Bravo gestöhnt; Klinger zischt so laut er kann und geht hinaus.) Damit die Italiener doch wissen, daß nicht alle Deutsche Narren sind.

Jermer. (Singt auf der Treppe.) Di tanti palpiti, di tante pene, da te, mio bene, spero mercè.

Herr Buffey. Tanti baldpippi, Tantens Beene, miau, sperr mersche? Was is'n des?

Klinger. Das heißt auf Deutsch: Nach so vielen Lei den, fahr' ich jetzt zu Meinhar dten!

Herr Buffey. (zu Wilhelm) Un wir fahren zu Hause. Des is so schon nich zu verzeihen, für en Endeken Musik von halb Sieben bis Achte en Dhaler und Acht Jroschen!

Wilhelm. Vater, die andern Sachen fangen doch immer schon um Sechse an, worum denn die italjenische so späte?

Herr Buffey. Die italjen'sche Oper fängt halb Sieben an, weil man besoffen sein muß, um Des zu joutiren.

 


 


 << zurück weiter >>