Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Hökerinnen

(1833; 1841)

Die Priesterinnen der Ceres muß die Natur in einer Anwandlung böser Laune geschaffen haben; die ganze Tendenz dieser Früchtetragenden Wesen ist: Schimpfen, für welches trivale Wort sie aber den beschönigenden Ausdruck: Aufbieten, gewählt haben. Von allen den ärmeren Klassen der Berliner sind sie Diejenigen, welche sich am wenigsten gefallen lassen, bei denen die Gemüthlichkeit am tiefsten sitzt. Jede Hökerin unserer Residenz ist eine personificirte Empfindlichkeit; durch den kleinsten Tadel ihrer Waare wird ihr Gemüth aufgeregt, werden ihre sonst so starken Nerven erschüttert; ihr feuriges Blut steigt nach dem Kopfe, und endlich machen sie ihrem Herzen durch das, sich in's Unendliche verlierende Aufbieten Luft. Man muß dieses Aufbieten aber gar nicht mit dem, in der Kirche executirten, jeder Heirath vorangehenden, verwechseln; denn nach dem Aufbieten der Hökerinnen folgt, sobald sie ihre Galle ausgelassen haben, Friede, – bei den Liebenden fängt aber nach dem Aufbieten oft der Streit erst an.

In diesen Schimpfereien sind die Priesterinnen der Ceres Virtuosinnen, und es gehört wahrlich nicht zu den Seltenheiten, daß kerngesunder shakspear'scher Witz über ihre schnellbewegliche Lippen schlüpft, und den Uneingeweihten, der, erstaunt über die merkwürdige Combination ihrer Gedanken, aufmerksam lauscht, vielleicht glauben macht, sie hätten sich auf diese öffentlichen Rede vorbereitet. Aber nein! »der Augenblick ist ihrer Schimpfe Gott!« und ihr Zorn allein ist der geschickte Souffleur, der ihnen all' die herrlichen Sentenzen einflößt, welche einen so unauslöschlichen Eindruck auf die Zuhörer machen. Zu leugnen ist freilich nicht, daß sich ihre Phantasie häufig in das weite Gebiet des Niedern und Gemeinen schwingt, und von ihrem Pegasus mit Recht die beiden ersten Sylben zu streichen wären[lat. sus = Schwein], – aber dem Reinen ist alles rein, und jedes Individuum bewegt sich in der Sphäre am leichtesten, in welcher es geboren ist.

Die Kleidung dieser Beredsamen ist reinlich. Sie betrachten, wie viele Gelehrte, die Welt als eine Redoute und gehen als Bäuerin über den Markt dieses Lebens. Doch liegt hier nicht etwa ein Grundsatz des großen Philosophen Diogenes dahinter: so wenig Bedürfnisse wie möglich zu haben, sondern es geschieht aus einer weniger edlen Absicht: aus pecuniärem Interesse, und dieses ist in der jetzigen Zeit leider eine allgemeine geworden. – Da sie wohl wissen, daß die einkaufenden Bürgerfrauen und deren Mädchen für alles mehr Vertrauen zu Bäuerinnen als Hökerinnen haben, so ahmen sie denen in Kleidern und Manieren nach, handeln wie sie, und gehen nur dann wieder in ihr eigenes Ich (oder Nichts) zurück, wenn sie beleidigt werden, oder ihre Ehre durch Antastung der zu verkaufenden Früchte, durch ein zu niederes Gebot auf ihre Forderungen, und endlich durch die Bemerkung ihres Schlecht-Messens angegriffen worden ist. Sie tragen einen weiten Rock mit Falten, ein Abbild des über ihm liegenden Herzens, welches im Laufe der Jugend Viele beherbigt hat, die es später auch wie eine Herberge betrachteten, und daraus fortzogen, wenn es ihnen beliebte. Ueber ihrem starken Leib tragen sie als Ironie ein Leibchen, oder, um Deutsch zu sprechen, ein Camisol, und um den Kopf, wieder um ironisch zu sein, haben sie ein Tuch gebunden, wiewohl sie doch nirgends ungebundener sein können, als grade dort.

Wir kommen nun zu den verschiedenen Klassen der Hökerinnen. Man theilt sie ein in gangbare (solche, die von Haus zu Haus ihre Waare feilbieten) und in sitzsame (solche, die an einem bestimmten Orte immer anzutreffen sind). Die letztere Klasse zerfällt aber wieder in zwei Unterabtheilungen: in budenbesitzende und in budenlose. Die budenbesitzenden Hökerinnen sind die vornehmsten, die gangbaren die niedrigsten. Die Letzteren sind gewöhnlich noch Mädchen, und Mädchen, die oft bei einer Viertelmetze Äpfel 10-15 Sgr. verdienen, – ein Beweis, daß das Früchtetragen etwas einbringt. Ihre Waaren wechseln mit den verschiedenen Jahreszeiten, und alles was diese hervorbringen, bringen die Mädchen uns in's Haus und den Nutzen in den Tanz-Tabagieen durch. Bald sehen wir sie als Schmarotzer, indem sie ihre Bücklinge umhertragen; bald verkaufen sie an einen Lieutenant Aepfel und beweisen dabei häufig, daß der Aepfel nicht weit vom Stamme fällt; bald bieten sie uns Spandauer Zimmetbrätzeln an, die in Berlin gebacken sind; bald geben sie uns Pflaumen, bald haben sie Nüsse, bald Birnen, und bald bieten sie uns für einen halben Silbergroschen ein Paar-Radies.

Die sitzsamen Hökerinnen sind, um diesem Epitheton keine Schande zu machen, gewöhnlich schon verheirathet. Und merkwürdig! was sich in den höhern Kreisen der Menschheit nur hier und dort zeigt, ist bei ihnen Conditio sine qua non. Jeder Mann einer Hökerin steht unter ihrem Pantoffel, und zwar so tief und so knechtisch, daß er zittert, wenn sie böse wird. Daß er im Laufe des Tages viel zu zittern hat, ist, nach der obigen Beschreibung des Charakters seiner Ehehälfte, leicht zu ermessen. Hat es nun gar dem männlichen Theile eines solchen Paares beliebt, sich Herrn Bacchus den zweiten (ich verstehe hierunter den Gott des Branntweins) in die Arme zu werfen, und in einem schwankenden Verhältniß nach Hause zu kommen, so begnügt sich der weibliche Theil selten mit einem zürnenden Blicke, ja nicht einmal mit zahllosen Schimpfwörtern, sondern sie ergreift mit starker Hand den Stock und schwingt ihn mit großer Geläufigkeit so lange über den Rücken ihrer Hälfte, bis dieser der Rausch unter den Schmerzen verloren gegangen ist. Man glaube gar nicht, daß solch ein Ehemann es wagt, auch seine ihm von der Natur verliehenen Kräfte zu gebrauchen, nein! mit einer Seelenruhe ohnegleichen läßt er sich das Berliner Blau auf seinem Rücken fabricieren, und ist froh, wenn seine Gebieterin die ganze Schale ihres Zorns mit einemmale über ihn ausgegossen hat.

Die lebendigen Zeugen minder bösen Stunden dieser Ehe, die Kinder, sind noch übler daran, und wenn Prügel groß machte, so müßten diese Sprößlinge zu lauter Giganten werden. Mütterliche Liebe wollen wir den Hökerinnen nicht gradezu absprechen, sie mag in ihnen athmen und leben, aber es würde selbst dem scharfsichtigsten Psychologen schwer werden, irgend ein Merkmal dieser größten weiblichen Tugend bei ihnen aufzufinden, und wir möchten darauf wetten, daß der fünfzehnjährige Sohn einer Budenbesitzenden noch nicht weiß, welchen Eindruck das freundliche Gesicht einer Mutter hervorbringt.

Mann und Kinder sind Nebensachen! Äpfel, Birnen, Pflaumen u. s. w., das sind die Hauptsachen; denn diese bringen, nachdem sie von den auf der Sprea liegenden Schiffen wohlfeil erhandelt sind, reichen Gewinn, welcher mit pflegmatischer Ruhe in die weite Seitentasche der buntkattunenen Schürze hineingesteckt wird. Es ist wirklich interessant, eine ächte Hökerin eine Stunde lang zu beobachten. Da sitzt sie nun, umgeben von zwanzig Körben mit blankgeputzten Früchten, und schaut mit ihrem rothen und ernsten Gesichte und mit einem stolzen Selbstbewußtsein in die Welt hinaus oder liest den Beobachter an der Spree. Sie mag jetzt in der ruhigsten Stimmung sein, ihr Herz mag an nichts Böses denken, aber der Physiognomist wird dennoch einen ewig lauernden Zorn in ihren Zügen bemerken, und diese den gelblich-dunkeln Wolken vergleichen, die zwar ernst und ruhig auf uns herabschauen, aus denen aber alle Augenblicke ein Donnerwetter herausplatzen kann.

Und richtig! Da geht ein kleiner Schusterjunge vorüber, sieht sie, indem er sich umdreht, mit seinem schalkhaft lächelnden Gesicht noch einmal an, und spricht ganz trocken, aber doch mit innerem Jauchzen über die präsumirte Folgen: »Wat kosten de Viertelmetze Ananasse, Meester Hökern?« Nun geht's los! Tausend und abermal tausend Schimpfwörter, die in keinem Lexicon zu finden sind, und bei denen man oft die seltene Verbindung der Hauptwörter bewundern muß, fliegen dem Jungen nach, der in einiger Entfernung stehen bleibt und sein schuhmacherliches Gemüth daran ergötzt. Außer einer Purpurröthe, die sich über das Gesicht der Budenbesitzenden ausgegossen hat, ist wenig Veränderung in ihrem Aeußern zu finden, und ohne sich aus ihrer bequemen Stellung heraus zu begeben, bombardirt sie den Zögling des Pfriems so unaufhörlich mit seltenen Benennungen, daß dieser, den Zorn des auf den Brantwein harrenden Meisters fürchtend, mitten in der Lust die Stellung verlassen muß, und – nachdem er der Beleidigten noch einmal sein: »Wat kosten de Viertelmetze Ananasse, Meester Hökern?« zugerufen hat, in einem Viktualienkeller verschwindet. – Wer nun der Meinung ist, daß mit der Entfernung des Beleidigers die Verbal-Ausbrüche der Zornigen aufhören, der irrt sich sehr. Auch ohne ein Object zu haben, tobt das vulkanische Gemüth des aufgeregten Subjectes fort, schleudert noch immer aus dem Krater seines Mundes zahllose Schimpfwörter durch die Luft, und macht den Vorübergehenden staunen, der sich ein solches Selbstgespräch der Natur nicht erklären kann.

Und wer möchte es nach dieser Beschreibung ihrer Charaktere nun wohl glauben, daß die Hökerinnen fromm sind, daß sie nach sechs Tagen der rastlosen Thätigkeit und des fortwährenden Aergers am siebenten das Bedürfniß fühlen: in die Kirche zu gehen. Es ist so. Kaum hat die sonntägliche Aurora die Welt geküßt, und die Sonne sich aus ihrem Rosenbette emporgehoben, so schlägt die Budenbesitzende die Augen auf, hustet ein paarmal, windet sich dann aus den mit bunder Leinwand überzogenen Federn hervor, zankt mit den Kindern, und wirft sie und sich in die Staatskleider; zankt mit dem Ehegespons, das sich noch nicht aus den Armen Morpheus' befreien kann, giebt ihm vielleicht einen nicht unbedeutenden Seitenstoß aus der Fülle ihres Herzens und ihrer Knochen, nimmt dann das Gesangbuch in die Hand und wandert langsamen Schrittes in die Kirche. Vielleicht lenkt ihre Schritte nur die Gewohnheit, vielleicht fühlt sie auch das Bedürfniß, ihr Herz zu erheben und sich an den Reden des Priesters zu erbauen; wir wollen, ihr zu Liebe, das Letztere glauben. Der vielen Spaziergänger wegen ist der Sonntag grade der größte Geschäftstag für die Hökerinnen; häufig wird die Viertelmetze gefüllt und ihr Inhalt später in die weite Rocktasche der aufgeputzten Lehrlinge u. s. w. hineingeschüttet. Ist aber der hökernde Familienvater, der freilich auf dieser Bühne des Lebens nur eine große Nebenrolle spielt, zufällig einmal im nüchternen Zustande, und ist bereits ein Sprößling der zarten Ehe so weit an Geist und Körper herangewachsen, daß er seinen Vater reguliren kann, so überträgt ihnen die Mutter, das gefürchtete Haupt, für heute die Geschäfte, geht mit einer guten Freundin bis nach den sogenannten Zelten im Thiergarten, setzt sich in eine Gondel und läßt sich für 2 Sgr. unter Begleitung des Leierkastens durch die Wogen der Spree hinübersetzen nach dem gelobten Lande, welches unter dem Namen Moabit bereits einen weltgeschichtlichen Ruf gefunden hat. Der Raum verbietet mir die Festlichkeiten jenes Ortes zu beschreiben; in einem spätern Hefte wird ein treues Gemälde derselben aufgestellt sein. Schauen wir jetzt die Hökerinnen in ihrem gewöhnlichen Leben und Treiben!

 
Die Kranke

(Zwei Hökerinnen sitzen auf dem Gensd'armen-Markte mit ihren Waaren neben einander.)

F. Ick weeß jar nich, wie mir heute is. Aeh! Mir is so... äh! so komisch zu Muthe... äh!

D. Na beboomöhle Dir man nich?

F. Ne, ick weeß nich – so eklich wie mir ooch heite is. Aeh!

D. Na wo sitzt et Dir denn?

F. I, wo sollt mir sitzen? Iberall sitzt et mir. Ick habe mir jestern so jeärjert über meinen Kerl, – Dürinken! ick sage Dir, mit den Kerl halt ick nich mehr aus. Ick habe Allens mit ihm ufgestellt, wat in meine Kräfte stund. Ick habe ihm gekeilt, det ick jlobte, er mißte krepiren, aberscht siehste, Dürinken, hilft et denn wat bei den Kerl?

D. (ruft einer vorübergehenden Dame zu) Madamken! Zwee Jroschen de Kirschen!

F. (fährt fort) Jestern schick ick ihm also nach Lewinen in de Briderstraße: er soll mir zwee Ellen Kartun vor de Fridrike zu'ne Schürze holen, un gebe ihm acht Jroschen mit. Wat meenste, Dürinken, wat der infamigte Kerl zu dhun hat? – Immer ran, Madamken! scheene Stachelbeeren! – Er verlooft sich also un jeht uf den Spittelmarcht in den Schnapsladen un versauft mir die janze Schürze. – Nu jeht er – Jott, verzeih mir de Sünde, aber hätten man der Deibel jeholt – nu jeht er unter de Spittelbrücke, un bleibt da sitzen, un schläft in.

D. Madamken! Zwee Jroschen de Metze!

Die Dame (besieht die Kirschen). Sind so klein!

D. Kleene? Na hör'n Se (sie lacht spöttisch).

Die Dame (geht zu der andern Hökerin). Was kosten diese Kirschen?

F. Zwee un halben!

D. Na, Schönste? Sind de Fischern ihre jrößer?

F. Na Dürinken, jrößer sind se!

D. Wat? Ihre Kirschen sind jrößer? dhu se mir den Jefallen, Fischern, un pack se ja in. (die Dame läßt sich Kirschen einmessen) Verkoof se ihre Kirschen un sei se ruhig, sonst schmeiß ick ihr ne Kirsche jejen den Kopp, det se ne Brüsche kriejen soll, so jroß wie de Dreifaltigkeits-Kirche!

F. Mach se sich doch nich so jemeene, sie wilder Schweinebraten mit 'ne lange Sauce drüber!

D. Sie zoddlijer Pudel sie! Blaff se doch vor meine Dhüre, damit ick ihr en Tritt jeben kann!

F. I kik doch, wat se schreit! Hab se sich doch nich, sie holde Prinzessin mit de niederträchtje Phisjonomie! Laß se sich doch ihren dämlichen Kopp antzweehauen, damit det Stroh billig wird. (Herr Fischer läßt sich sehen.) Na, da biste ja! Wo hasten Dir widder rumjedrieben? Schonst widder bei Moewessens gewesen, he?

Herr Fischer (etwas turkelnd). Allemal derjenigte welcher!

Mad. F. Du verfluchter Saufaus! Du wirscht noch deine janze Familie versaufen. Komm mal her, Du gemeener Lüderjahn, ick will Dir ne Bremse stechen!

Herr Fischer (schwankt näher und hält seinen Kopf hin).

Mad. F. (giebt ihm eine kräftige Ohrfeige).

Herr Fischer (murmelt im Fortgehen). Na, immer un ewig Keile! Det wird ooch wenig helfen.

 
Lied der Hökerinnen

          Mir kümmert jar nischt in die Welt,
Ick dhue mir nich jrämen;
Wen meine Waare nich gefällt,
Der kann sich andre nehmen.
Man immer rann, Herr Muschketir!
Recht saft'je Perjemotten hier!
Wat sächt er! Sind nich scheene?
Mach' er sich nich jemeene!

Madamken, keene Aeppel heit?
Sechs Jroschen man de Metze.
Ick jlobe sie is nich jescheidt;
Wat hör ick da? wat red't se?
Drei Silberjroschen biet' se mir?
Na, Schönste, pack se sich von hier
Mit ihren Hut un Freese,
Ick wünsch ihr jute Reese!

Was steht ihr denn un kuckt hier zu?
Wech von de Aeppels, Jeeren!
Hier, bester Herr, nach ihren Ju,
Janz reife Stachelbeeren.
Na jeh' er man, er hat keen Jeld,
Ick hört, wie em der Magen bellt;
Er macht sich ja jeemeene,
Freß' er doch Kieselsteene!

Wie ist, Herr Kriegsrath? Komm'n Se her
Un rühr'n Se mal den Daumen!
Wat wünschen Sie'n, Herr Sekerteer?
Recht scheene blaue Pflaumen!
Na, soll ick messen, bester Mann?
Man immer rann, man immer rann!
Na womit kann ick dienen?
Recht saft'je Appelsinen!

So handl' ick un verdiene Jeld,
Un dhue mir nich jrämen;
Wen meine Waare nich gefällt,
Der kann sich andre nehmen.
Am Dage ruf ick Käufer rann,
Det Abend's keil' ick meinen Mann,
Un Sonntach's heeßt et: schnüren,
Nach Moabit kutschiren!

 


 


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