Adolf Glaßbrenner
Skizzen und Gedichte
Adolf Glaßbrenner

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Moabit

(1837; 1841)

Der Sonntag ist da! der einzige Tag, welcher den armen christlichen Geschöpfen ein paar Stunden bietet, in welchen sie Menschen sein dürfen, wenn Kummer oder Krankheit Nichts dagegen haben; der Tag, an welchem der allmächtige Geist ruhete, nachdem er zuvor gesehen, daß Alles gut war. Und so will denn auch ich heute glauben, daß Alles gut sei, und mit fröhlicher Laune dem Berliner Volke lauschen, das in zahllosen Schwärmen über die Spree nach Moabit zieht, um sich zu ergötzen an frischer Luft und frischem Kümmel, an gemüthlichem Spiele und stärkender Speise, lustigem Gesange und flüchtigem Tanze, an Liebesscherz und Prügelei.

Die Köchin, welche heute ihren Sonntag hat, beeilt sich mit dem Aufscheuern der Geschirre, packt alle Brod- und Bratenarten, welche sie auftreiben kann, zusammen, steckt sie ihrem Dragoner oder Grenadier zu, welcher bereits seit einer halben Stunde auf dem Hausflure wartet, und meldet dann der Herrschaft, daß sie bereit sei, die Knechtschaft zu verlassen und einige Stunden sich selbst und ihren Neigungen zu leben. Es wird ihr noch eingeschärft, daß sie nicht später als bis zehn Uhr bleiben dürfe, und nun ergreift sie mit Ungestüm den Arm ihres Kriegers, oder eilt im stolzen Bewußtsein ihrer Wiener Locken, ihres schönen kattunenen Kleides und ihrer buntgebänderten Haube dem Thore zu, an welchem der Liebste schon wartet, und aus der kurzen Pfeife viel stärkere Wolken dampft, wenn er seine Geliebte, ihre Arme wie die Gans ihre Flügel gebrauchend, dahereilen sieht.

Schneidergesellen und Schustergesellen, Zinngießer und Schlosser, Bürstenbinder und Leineweber, Raschmacher und Töpfer, Korbmacher und Hökerinnen, Stiefelputzer und Hausknechte, kurz Alles, was Beine zum Laufen und Groschen zum Saufen hat, wandelt hinaus aus dem Wasser-, Potsdamer- oder Brandenburger Thore, Viele den Landweg einschlagend, der zwar beschwerlich aber sechs Dreier ersparend ist, die Meisten aber den Zelten im Thiergarten zu, an deren Ende die Schiffer mit ihren grünen Gondeln warten. »Alleweile! Anjetzt jeht es ab!« schreien diese am Ufer der Spree durcheinander; ein Junge, barfuß, mit zerlöcherten Hosen und plundriger Jacke ruft: »Cigarro, meine Herren!« und trägt einen gefüllten Kasten, aus welchem die brennende Lunte herunterhängt; »Knochblauchswürste!« erschallts von dort, »na, dummer Junge, trete mir nich uf den Fuß!« hier; eine Mutter warnt ihre Tochter, sich beim Einsteigen schmutzig zu machen, hinten aus den Gondeln erschallen Leierkasten und Papajenoflöte; furchtbar stinkende, patriotische Blätter werden geraucht, am Bretterzaune aber steht ein Gensd'arme und beobachtet das ganze Lärmen mit ausdruckslosem Gesicht.

Endlich, nachdem der Schiffer wohl hundert Mal sein »Alleweile, jetzt jeht es ab!« geschrieen, ist die Gondel, in deren Mitte noch eine Bank hineingeschoben, dicht mit freudedurstigen Menschen gefüllt, das Einsteigebrett wird auf's Verdeck geschoben und die Anker werden gelichtet. Nehmt das grüne Schiff ohne alle Kanonen freundlich auf, ihr unsichtbaren Wogen der Spree und treibt es in die Ferne, laßt zur Linken im Thiergarten die vornehmen Leute in eleganten Equipagen vorüberjagen, gleitet nur sanft das Schiff hinüber nach dem jenseitigen Ufer, dorthin wo Moabit liegt, das kleine Land mit kleinen Eichen, grünen Wiesen, sandigen Wegen und zahllosen Wirthshäusern!

Die Ueberfahrt hat begonnen, die Pfeifen und Cigarren brennen lustig, für gebildete Nasen traurig; der Füselier hat seine Köchin im Arme und schaut mit dummen Augen in die Welt hinaus; der zierliche Schneider schneidet einer Nähmamsell die Kur, welche mit ihrer guten Freundin in der Mitte sitzt und sogleich begehrlich lächelt, als der Kleidermacher für Civil und Militair Miene machte, sich ihr liebebegehrend zu nähern. Ein fester Schustergeselle begleitet mit etwas belegter Stimme den Gesang des Leierkästners und des Papajeno's, hält dabei die rechte Hand im Wasser, und spritzt einigen Köchinnen die Kleider voll, wenn es die Gelegenheit erlaubt.

»Na hören Se aber, Sie da«, beginnt Eine der für Alles Gemietheten, welche unglückseliger Weise das Manöver entdeckt hat, »Sie Pechvogel haben woll ooch nischts Besseres zu dhun, als hier Leute ihre Kleidungsstücke zu verderben?«

»Na, na, man nich geschimpft, kleene Karline!« antwortet pomadig der Schuhmacher.

»So, ick soll nich schimpfen, aber Sie wollen mir bespritzen? Ne, det jeht nich so, wie Sie glooben, Sie jroßer Pechhengst! Warum haben Sie mir bespritzt?«

»I herrjes, Karline vor Allens, mach' Dir doch nich so dicke, Du kleiner Küchenbesen, sonst jeb' ick' Dir eene Knallschote zu palen, det Dir de fünf Körner sechs Wochen uf de Backe liejen sollen!«

»Na, aber warum bespritzten Sie denn das Mädchen« fragt ein Posamentier, wahrscheinlich auf späteren Minnesold rechnend, »hat sie Ihnen was jedhan?«

»I Jott bewahre!« antwortet der Mann der Fußbekleidung, ohne sich aus seiner Ruhe bringen zulassen, »jedhan hat se mir janz und jar nischt. Ick will Ihnen sagen, ick habe zufällig jrade de Feuerwache. Da seh ick mit een Mal ihre Aerme, denke et is Feuer, un will löschen.«

Die ganze Gesellschaft lacht, die Köchin wird nach und nach beruhigt; fünf verschiedene Handwerke führen ein sehr lebhaftes Gespräch über die schlechten Zeiten und die letzte Wanderschaft, auch die Frauenzimmer schnattern untereinander, inzwischen hört man aber immer die beiden Orpheusse singen und sieht in Folge dessen die Schwäne aus der Nähe des Kahns fliehen, die finsterblickenden Schwäne, welche ohne die geringste Anstrengung den Wasserspiegel durchschneiden, und das prahlerische Wesen da tief verachten, das sich Bretter zusammenkleben muß, um nicht zu ersaufen, sich plagen, um von der schönen nassen Stelle zu kommen und sein Ziel, die schmutzige Erde zu erreichen, auf welcher allein er sich frei und ohne Mühe bewegen kann. Doch halt! die fünf Handwerker werden witzig, wir müssen ein wenig lauschen.

»Stiebecke,« fragt ein Bäcker, »weeßt Du denn, warum bei uns de Semmeln kleener sind, als bei die andern Bäcker?«

»Na, die Ursache möcht' ick wissen!«

»Weil wir weniger Deech dazu nehmen als die andern.«

»Aber, sagt mal, noch Eens! Wißt Ihr denn, wat der angenehmste Ort in Berlin is?«

»Na?«

»Der Lustjarten!«

»Wie so?«

»Erstens hat man da Kies, zweetens 'ne volle Börse un drittens wird da gepumpt. Mehr kann man nich verlangen!«

Barbier. Die Dummheiten sind nich übel! Aber wüßt Ihr det Mittel, wie man keene Flöhe kriegt?

Kattundrucker. Ne! Det jloob' ick, der Kerl muß woll Mittel wissen, der hat Medezin studirt!

Schlosser. I Jott bewahre! Jura hat'r studirt: er barbiert ja seine Kunden!

Kattundrucker. Ach so! (zum Barbier.) Na nu rücke mal raus mit Dein Mittel. Wie kriegt man keene Flöhe?

Barbier. Seht mal, da müßt Ihr nich nach Italien reisen, det macht Ihr so! (er macht sich den Zeigefinger naß.) Zuerst macht Ihr Euch diesen Finger naß, un so wie Ihr nu eine Flöhe auf Euch sieht, so nehmt Ihr den Finger und jreift immer nebenbei! Auf diese Weise kriegt Ihr nich 'ne eenzige Flöhe.

Hausknecht. Dunderwetter, des Mittel is eenzig! Barbier, Du kannst Dir ne Jnade von mir ausbitten.

Barbier. Lassen Sie mich mal Einen aus Ihre Pulle drinken.

Hausknecht. Avec Verjnüjen, nie ohne Dieses! (Er giebt ihm seine Flasche.) Aber stille, Barbier, eh' Du drinkst, mußt Du einen Versch machen!

Alle Fünf. Ja, Barbier, einen passenden Versch!

Barbier. Det will ick woll dhun. »Jab ihn mir ooch nur ein Flaps, drink' ick doch von diesen Schnaps!« (Er trinkt, die Anderen lachen.)

Hausknecht. (reißt ihm die Flasche weg.) »Nich' en Droppen von den Kümmel, bist Du werth, Du dummer Lümmel!« (Er trinkt, die Anderen lachen.)

Schlosser (reißt ihm die Flasche fort und trinkt.) »Wer sich stehlen läßt Branntewein, det muß' en rechter Schafskopp sein!«

Bürstenbinder (reißt ihm die Flasche fort und trinkt, die Anderen lachen, der Hausknecht flucht.) »Wenn Eener borstig wird Ihr Kinder, verdient an ihm der Bürstenbinder!«

Hausknecht. Laßt det sind mit den dummen Spaß, oder ick werde wüthend! Jebt mir meine Pulle!

Barbier (zum Schiffer) Halten Se an, Kutscher, hier will Eener aussteigen!

Kattundrucker. (nimmt dem Bürstenbinder die Flasche fort, trinkt und spricht sehr langsam:) Der Letzte bin ick zwar hier auf den Platz, doch versichere ick Euch, det mir der Kümmel sehr jut schmeckt – (Pause) un mir lieber is, als mein Schatz!

Alle. Ach herrjes! Ne, det war nischt, Kattundrucker!

Schlosser. Die deutsche Nation dankt Dir, det Du nich Schiller jeworden bist.

Barbier. Ne, Kinder, det war eigentlich Jöthe'sche Poesie. Die hört sich immer nach jar nischt an, und keen Mensch wird davon erwärmt, und doch soll sie et faustendicke hinter de Ohren haben, die Poesie.

Hausknecht. (hat sich seine Flasche wiedergenommen.) Wahrhaftig, sie is leer! Seht Ihr, det hab' ick nu von den Witz!

Schlosser. Na, Kinder, en Schurke, wer ihm heute nich een Mal aus seine Pulle drinken läßt!

Alle. En Schurke, wer ihm nich een Mal drinken läßt!

Barbier. Zwee Mal, wenn Ihr wollt! Ick habe keene Pulle.

Hausknecht. Mit Dir is des was anders, Barbier! Dir habe ick drinken lassen, weil Du'n juten Witz gemacht hast. Bei die andern Kümmel bleibt et. Jetzt werd' ick Euch ooch mal was ufjeben! Sagt mir mal, wenn en Hund, 'ne Katze un 'ne Jans zusammenstehen, wer steht immer in de Mitte, sie mögen stehen, wie se wollen.

Alle. (nach langem Nachdenken.) Ick weiß et nich, ick kriej' et nich raus!

Hausknecht. Na denn will ick 't Euch sagen: die Jans steht immer in de Mitte, denn die hat man zwee Beene un muß in de Mitte stehen, die Andern haben aber vier Beene, un müssen hinten un vorne stehen. (Alle lachen.)

Kattundrucker. (schreit.) Sie da, mit den Leierkasten un de Papajenoflöte! Hören Sie uf mit die dummen Liebeslieder, die längst aus de Mode gekommen sind! Spielen Sie uns lieber unser Berliner Lied, wir wollen Alle mitsingen!

Alle. Ja, das Berliner Lied!

Hierauf spielen und singen die beiden Musikanten und die Passagiere stimmen mit ein:

Auf, ihr Brüder, laßt uns singen
Unser Liedchen, das ihr wißt,
Doch die Spree soll Den verschlingen
Der nur halb Berliner ist!
Fehlt uns auch noch Mancherlei,
Was zum Gotte nöthig sei:
Kopf und Herz am rechten Ort,
Kommt durch seine Welt man fort;
Darum, Brüder, stimmet ein,
Welches Glück, Berliner sein!

Freilich ist man mehr gemüthlich
An der Donau und am Rhein,
Denn der Schöpfer gab nur südlich
Milde Lüfte, goldnen Wein;
Doch Verstand und Mutterwitz
Gab er uns als hellen Blitz
Für die wolkentrübe Welt,
Wo man nur am Schein sich hält.
Darum etc. etc.

Rings bei allen deutschen Brüdern
Neckt man uns mit bitt'rem Scherz,
Daß wir nimmer ihn erwiedern,
Zeigt fürwahr kein kleines Herz;
Selbst verspotten wir mit Muth,
Was an uns nicht recht und gut,
Und die deutsche Bruderhand
Reichen wir durch's ganze Land.
Darum etc.

Jedermann ist uns willkommen,
Der ein Herz in seiner Brust
Mag von Süd und Nord er kommen,
Wir umarmen ihn mit Lust;
Nur was kriecht und ist kein Thier,
Das Geschöpf verachten wir,
Denn wer sich nicht selber ehrt,
Ist auch keiner Ehre werth!
Darum etc.

Sucht nach keinem Blüthenflore,
Keiner Berge grünem Kranz,
Sucht Berlin nicht vor dem Thore,
Innen ist sein Werth und Glanz.
Suchet nicht nach Flittergold,
Wenn ihr den Berliner wollt:
Tief in seinem Innern lebt,
Was den Menschen schmückt und hebt!
Darum, Brüder, stimmet ein:
Welches Glück, Berliner sein!

Mit dem Ende dieses Gesanges ist das Ufer erreicht, die Musikanten bekommen hier und da einen halben Silbergroschen, die Schiffer ihr kleines Honorar für die Ueberfahrt, Alles, was sich heute »jöttlich amusiren« will, steigt aus und wandelt die kurze Allee hinunter bis zur »grünen Wiese«, beschattet von dichtbelaubten Eichen und Linden und belebt durch unschuldige Spiele und fröhlichen Gesang.

Die Bäume tragen hier ganz besondere Früchte: Leibröcke und Umschlagetücher, Stroh- und Filtz-Hüte, Hauben und Strickbeutel, von allen ist aber nur die letztere Frucht, deren eine Menge Abarten vorkommen, genießbar. Sobald die Schaale geöffnet, stößt man zuerst auf das Fleisch dieser Frucht, nämlich auf ein Stück Hammelfleisch, Kalbs- oder Rinderbraten, von der Natur oder von der Köchin sorgfältig in ein Blatt der Berliner Intelligenz eingewickelt. Zu beiden Seiten dieses Bratens erblickt man zwei große Semmeln, von der Vorsehung als milderndes Prinzip gegen den wildmachenden Genuß des Fleisches und den noch viel mehr anregenden Genuß eines tiefer liegenden Gegenstandes dort aufgestellt. Unter dem Fleische der in Rede stehenden Frucht liegt nämlich die »Schnapspulle«, eine breitgedrückte Blase von Glas, in welcher sich Branntewein befindet, und Branntewein ist bekanntlich das Alpha und Omega, die Lebensachse des Berliner Volkes.

Wer eine Gans gestohlen hat,
Der ist ein Dieb,
Und wer sie mir dann wiederbringt,
Den hab' ich lieb,
Da steht der Gänsedieb!

singt dort ein Kreis von Herren und Damen, wie sie sich nennen, ein bewegter Kreis von buntgeschmückten Köchinnen und früchtetragenden Mädchen, von Gesellen und Bedienten aller Art. So lange der Gesang dieser fünf Verse währt, dreht sich die menschliche Kette um den Gänsedieb, welcher in der Mitte steht, dann lassen sie sich plötzlich los, das Männchen greift nach einem fremden Weibchen, das Weibchen nach einem fremden Männchen, und dasjenige Wesen, welches nicht so glücklich war, ein anderes Geschlecht zu erwischen, ist der Gänsedieb, – oft eben der, der keine Gans genommen hat. Ich hätte genügende Gründe, dieses Spiel langweilig zu nennen, aber ich will nicht in den Fehler unserer meisten Autoren verfallen, die eigentlich nur kritisiren, wo sie darstellen sollten und wollten. Aber was singen sie dort, sie, in deren Mitte ein Mann mit verbundenen Augen geht, und mit einem Stocke irgend ein Frauenzimmer zu berühren sucht? Treten wir näher!

Amor ging und wollte sich erquicken,
Doch das Ding, das wollte sich nicht schicken;
Er ging wieder,
Auf und nieder,
Bis er seine Schöne fand! :,:

Ihn'n zu dienen bin ich hier erschienen, :,:
Und dies Händchen
Soll ein Pfändchen
Unsrer treusten Liebe sein. :,:

Mehrere Male sieht man den blinden Liebesritter vergebens stoßen und schlagen, ehe er auf ein weibliches Wesen trifft. Jetzt ist es ihm endlich gelungen, die Getroffene umfaßt ihn mit Wonne und dicken Händen, spaziert mit ihm im bunten Kreise herum, und singt mit ihm:

Ach, ach, ach, mein allerliebstes Kindchen!
Reich' mir doch dein zuckersüßes Mündchen!
Fein gelinde,
Fein geschwinde,
Denn es geht zum Hochzeitstanz!

Schmatz! da hat der befreite Ritter einen Kuß weg, der sich gewaschen hat, einen Kuß von zwei dicken, strotzenden, dunkelrothen Lippen; einen Kuß, der acht Tage hindurch Spuren zurückläßt, entweder innerlich, oder äußerlich! Zwanzig Schritte weiter spielen die gemüthlichen Leute Blindekuh, wieder zwanzig Schritte weiter Bäumchen-Verwechseln, rechts geht der Plumpsack herum, links sucht eine maurergesellige Katze ein Hausmädchen-Mäuschen zu erhaschen, hier und dort liegt eine jubelnde Gruppe im Grase, ein Betrunkener auf der Nase, links und rechts aber, hinter den breiten Alleen, steht Wirthshaus neben Wirthshaus. In diesen ertönen Geigen und Bässe, Trompeten und Clarinetten, und Alles, was nicht unter Gottes blauem Himmel spielt, tanzt hier unter der gläsernen Krone seinen Walzer und seine Galoppade; schmiegt sich einerseits schwitzend an die Brust des geliebten, taback- und schnapsduftenden Mannes, und schreit andererseits sein Juchhe während des wilden Drehens, knallt mit den Absätzen auf die Erde und bezahlt, sobald die Klingel der Musikanten ertönt, seinen Silbersechser für das genossene Vergnügen.

Und dort wird von einem speculativen Wirthe ein Pseudo-Erndtekranz gefeiert! Gehen wir hin, aber ohne Damen mit zarten, jungfräulichen Ohren, sehen und hören wir! – Zuerst tanzt über die grüne Flur ein ebengewordenes Ehepaar aus der Zopfzeit, die Frau jung, hübsch, und ohne diese Verkleidung in Berlin zu allen Stunden häuslich und gefällig, der Mann, ohne diese Verkleidung ein Steinsetzer, und zu allen Stunden eben so besoffen wie jetzt. Ihnen folgen sechs Kranz-Jungfern, mit schneeweißen, beschmutzten Kleidern und rothen Bändern, sechs lachende, hochbusige, kurzkleiderige Kranz- Jungfern, von denen sich keine Einzige so stolz wie das junge Ehepaar in ihrer Verkleidung fühlt, denn was sie hier scheinen, das sind sie lange gewesen. Nun kommen, ernsten Antlitzes, sechs Musikanten mit Hörnern, Trompeten und Clarinetten, und hinterher mit Blumen und bunten Fahnen Bauern und Bäuerinnen, deren Kleider wohl die schlechtesten aus der Masken-Leihanstalt des »goldenen Filzes« am Spittelmarkte sein mögen, deren Inneres aber so kultivirt ist, daß sie sich in dieser Hülle vollkommen characteristisch benehmen. Von der lauten Unterhaltung, welche von diesen lustigen Nomaden und Nomädchen bis zum bestimmten Wirthshause geführt wird, darf ich dem Leser keine Probe mittheilen; so viel aber darf ich ihm vertrauen, daß sich dieselbe weniger um göttliche als um menschliche Dinge dreht, weniger, sage ich, denn es ist nicht zu leugnen, daß in Allem, was auf das Werden des Menschen bezüglich, uns der Gottesgeist eben so nahe tritt, wie unter der Kanzel oder am Grabe.

Der Gastwirth kommt aus seinem Hause und empfängt die Caravane, welche einen Kreis gebildet hat; von allen Ecken und Enden strömen Leute herbei und umschließen sie, und sobald ein gemüthliches Lied unter mannigfachen Dissonanzen zu Ende gekommen, tritt das hübscheste Mädchen heraus und deklamirt, wie ein Kind, das seinen gelernten Spruch hersagt, folgendermaaßen:

O Freunde, die ihr hier versammelt seid,
O denkt an Jott auf allen euren Wegen!
Seit vielen tausend Jahren schon erfreut
Er uns mit seiner Erde reichsten Segen.
Für uns nur reifen, reifen...

»Na! Karline, so paß' doch uf!«
Für uns nur steigt mit ihrem milden Lichte
Die Sonne auf in ihre Majestät,
Für uns nur reifen seine jold'nen Früchte,
Für uns nur duftet rings das Blumenbeet.

»Das Blumenbeet, – Blumenbeet, – ja so!«
Beneidet nicht der Städter Schwelgereien,
Ihr wilder Jubel ist nur falsche Lust!
Was kümmern uns jelehrte Kritzeleien,
Was kümmert uns der Orden auf die Brust?
Wir fragen nicht nach ihren Saufjelagen,
Wir trinken an den Brüsten der Natur! –

»Korbmacher, jieb mir mal Deine Pulle her!«
Nie werden wir nach Jold und Silber fragen,
Den schönsten Schmuck reicht uns die Blüthenflur.
Fern sei von uns jezierte Art und Sitte,
Hier unter diesem blauen Himmelszelt.

Und leben wir auch einfach in der Hütte,
So ist doch unsres, unsere, unser Jottes janze Weit!
Drum bringt den stillen Ort auf dem wir bauen,
In dem wir froh und glücklich sind, ein Hoch;
Hoch, Moabit, mit seinen jrünen Auen,
Mit allen seinen Jästen: Vivat hoch!

»Vivat hoch! Und abermals hoch! Und zum dritten Male hoch!« Die Trompeten schmettern mit etwas belegter Stimme ihren Tusch, das Ehepaar aus der Zopfzeit umarmt und küßt sich, die sechs Kranz-Jungfern werfen halbverwelkte Blumen unter die lustige Versammlung, die Bauern und Bäuerinnen durchschneiden walzend die dichten Reihen, Viele der Gesellen schlingen ihren Arm um die Geliebte, heben die Schnapsflasche hoch und schreien Juchhe, Andere sielen sich vor Wonne im Grase, die Sonne aber vergoldet den westlichen Himmel und wünscht der Welt einen fröhlichen Abend. Da ziehen alle Gäste des grünen Moabits in die lauten Tabagieen, wiegen im Vorgefühle späterer Seligkeit ihre Liebsten auf den Melodieen der seufzenden Geigen und der mürrischen Bässe, essen und trinken, plaudern, scherzen in dreister Weise, prügeln sich und lachen so lange, bis die bleichen Strahlen des Mondes Ruhe gebieten und zur Heimkehr in die Stadt rufen, in die dumpfe Wechsel-Boutique menschlicher Fähigkeiten, wo diesen Fröhlichen sechs Tage des Dienstes und schwerer Arbeit erwarten, Staatskunst und Religion ihnen vor jede Freude eine Warnungstafel setzen, und die Civilisation sie in jedem Augenblicke, in welchem sie Mensch sein wollen, erinnert, daß sie Sclaven sind, und daß sie sich begnügen müssen mit den Brosamen, die von den Lebenstischen ihrer Mitmenschen fallen.

 


 


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